So sangen KommunistInnen nach der blutigen Erstürmung des Leunawerkes bei Merseburg durch preußische Schutzpolizei am 29. März vor 75 Jahren. Damals kam es im Raum Halle-Merseburg zur letzten bewaffneten Massenerhebung der deutschen ArbeiterInnenbewegung. Diese „Märzaktion“ der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands (VKPD) hat nicht nur in vielen Liedern und Legenden ihren Niederschlag gefunden. Sie war auch der Ausgangspunkt für eine durchgreifende Neuorientierung der Kommunistischen Internationale (KI). Einige Tage in einem preußischen Regierungsbezirk machten Weltgeschichte. Die Lehren sind auch heute noch von Interesse, obwohl sich die deutsche Linke mit fataler Beharrlichkeit geweigert hat, sie zu verarbeiten.
Freilich war die Gegend um Halle und Merseburg nicht irgendein preußischer Kreis. Die Gegend war von Großbetrieben im Bereich der Chemieindustrie, Braunkohle- und Kupferförderung geprägt. Während des ersten Weltkrieges waren gigantische Großunternehmen entstanden, so das Kraftwerk Golpa-Zschornewitz (1915), das Kalkstickstoffwerk Piesteritz (1915) oder das Ammoniakwerk bei Merseburg, die bekannten Leunawerke (1916/17). [1] In der Förderung von Kupfererz waren 1921 22 900 ArbeiterInnen und Angestellte beschäftigt, [2] in der Mansfelder Braunkohlengrube arbeiteten 19 000 Menschen. [3] Die Leunawerke hatten eine Belegschaft von 23 000 ArbeiterInnen und erinnerten fast an die Petrograder Putilow-Rüstungsfabrik, die mit über 40 000 Angestellten wohl der größte Einzelbetrieb in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg war. [4] Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten waren schlecht, und selbst kleinere Lohnerhöhungen mußten in harten Streikaktionen erkämpft werden. [5]
Das Zusammenspiel von hoher Konzentration der ArbeiterInnen, extrem konservativen Betriebsleitungen und gleichzeitiger Kampffähigkeit der ArbeiterInnenbewegung begünstigte die Herausbildung eines linkssozialistischen Masseneinflusses in der Region. Als 1917 die USPD gegründet wurde, war sie nicht nur die vorherrschende ArbeiterInnenpartei, sondern entwickelte sich auch zur allgemein stärksten politischen Kraft. Die USPD-Zeitungen Volksblatt, Mansfelder Volks-Zeitung, Arbeiter-Zeitung und Volksbote erreichten zusammen eine Auflage von ca. 90 000 Exemplaren. Von 22 Abgeordneten der USPD in der Nationalversammlung 1919 kamen allein fünf aus dem Wahlkreis 12 (Merseburg). [6] Im Zuge der Vereinigung von linker USPD und KPD Ende 1920 schlossen sich auch im Raum Halle-Merseburg die meisten Mitglieder der Unabhängigen der neuen revolutionären Partei an. Die Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands (VKPD) blieb stärkste politische Kraft in diesem Gebiet. Bei den Wahlen zum preußischen Landtag vom 20.2.1921 erhielt sie 204 569 Stimmen, gefolgt von den Deutschnationalen mit 153 872, während SPD und rechte USPD mit jeweils etwas über 70 000 zusammen weniger Stimmen als die VKPD auf sich vereinigen konnten. [7]
Die Stärke der VKPD war den Unternehmensleitungen nicht nur ein politischer Dorn im Auge. Sie sahen sich mit einer organisierten linken ArbeiterInnenschaft konfrontiert, die in der durch Reparationszahlungen an die Sieger des Krieges verschärften Wirtschaftskrise Lohnabbau und schlechte Arbeitsbedingungen nicht hinnehmen wollte. Im Winter 1920/21 kam es verstärkt zu Streiks für Lohnerhöhungen und die Durchsetzung der 48-Stunden-Woche. [8] Die Unternehmer sahen in diesen Aktionen kriminelle Handlungen und forderten auf verschiedenen Konferenzen vom preußischen Innenministerium unter Severing und dem Oberpräsidenten der preußischen Provinz Sachsen, Otto Hörsing, (beide SPD) ein hartes Vorgehen gegen die aufmüpfigen ArbeiterInnen. [9]
Diese explosive Situation sollte sich dann in den Märzkämpfen entladen.
Eine große Zahl bürgerlicher Geschichtswerke über die Weimarer Republik stellt die Märzkämpfe als Putschversuch der KPD dar. [10] Wolfgang Leonhard vertritt sogar eindringlich die These, daß es sich „um eine Direktive der höchsten Sowjetführung [Trotzki] gehandelt hatte“. [11] Sich auf den Marxismus berufende Darstellungen gehen hingegen in Abstufungen davon aus, daß die Polizeiaktionen der preußischen Regierung Auslöser der Kämpfe waren. [12] Der DDR-Historiker Arnold Reisberg sieht in Positionen wie jener Leonhards Antikommunismus und beruft sich auf Aussagen Grigorij Sinowjews, die seiner Ansicht nach belegen, daß es keine Verwicklung der Kominternführung in eine Vorbereitung der Märzkämpfe gegeben habe. Eine neuere sozialistische Untersuchung zu den Märzkämpfen von Stefan Weber sieht es als bewiesen an, daß „führende Monopolunternehmen in Mitteldeutschland Initiatoren der Schupoaktion gegen die revolutionären Arbeiter im Bezirk Halle-Merseburg waren und an deren Vorbereitung wie Durchführung der preußische Innenminister Severing und der Oberpräsident der Provinz Sachsen Otto Hörsing (...) aktiv mitwirkten“. [13] Doch weder Leonhards Berufung auf die Memoiren des KPD-Vertreters bei der Kommunistischen Internationale, Curt Geyer, noch Reisbergs Bezug auf Sinowjews vehementes Abstreiten einer Beteiligung können hinreichende Klarheit schaffen. Memoiren sind aufgrund von Erinnerungslücken und Korrekturen im Nachhinein nur schwerlich als verläßliche Quellen zu werten. Auch Sinowjew mag manches im Nachhinein anders dargestellt haben, als er es sich vor den Kämpfen gedacht hatte. Verläßlich sind daher in erster Linie jene Quellen, die die Zeit vor und während der Kämpfe behandeln. So die von Weber zitierte Aussage des Schupomajors Folte, derzufolge ihm nicht etwa Listen von Kriminellen, sondern nur von kommunistischen Führern zwecks Verhaftung seitens des Oberpräsidiums gegeben worden sein. [14] Auch andere Dokumente sprechen gegen Hörsings Version bei Verhandlungen mit Vertretern des Gewerkschaftskartells, der MSPD und USPD, nach der sich die Polizeiaktion nur gegen Kriminelle richten sollte. [15] So fordert Hörsing in einem Brief von der Direktion der Badischen Anilin- und Sodafabrik Leunawerke Merseburg genaue Angaben über Diebstahl, wilde Streiks, Auflehnung und Mißhandlungen von Beamten. [16] Dies läßt darauf schließen, daß sich Hörsing auf verschiedenen Treffen mit Unternehmern und Beamten aus dem Kreis Halle-Merseburg, die seit Ende 1920 stattgefunden hatten, nicht die Mühe gemacht hatte, die gegen die ansässigen Arbeiter erhobenen Vorwürfe von Kriminalität zu prüfen. [17] Auch die Verbrechensstatistik weist darauf hin, daß im Bezirk Halle-Merseburg nicht mehr Gesetzesverstöße vorkamen als in anderen Bezirken. So mußte die Staatsanwaltschaft 1919 in Erfurt in 14.828 Fällen und 1920 schon 17.001 mal ermitteln. In Halle lagen die vergleichbaren Zahlen bei 19.065 bzw. 20.485. [18] Zutreffend scheint hingegen Otto Hörsings eigene Darstellung der Ziele des Schupoeinsatzes in einem Geheimschreiben vom 13.3.1921: „Zur Vornahme von Entwaffnungen, Waffendurchsuchungen und aus Gründen der Staatsautorität sind die Kreise Mansfelder Seekreis (Eisleben) und Mansfelder Gebirgskreis (Mansfeld) vorübergehend mit Schutzpolizei zu besetzen.“ [19] Es ging also vor allem um eine politisch motivierte Polizeiaktion, die den starken Einfluß der VKPD im Bezirk zurückdrängen sollte. Ob Severing und Hörsing, wie z.B. Weber behauptet, bewußt einen Aufstand provozieren wollten, um bei dessen Niederschlagung die VKPD entscheidend zu schwächen, ist jedoch zweifelhaft. Severings Prahlereien nach den Kämpfen, die andeuten, daß er alles geplant und vorausgesehen habe, [20] sind jedenfalls mehr Zeugnis für seine politische Einstellung als für eine tatsächliche Voraussicht der Ereignisse.
Die VKPD hingegen wurde Opfer des krassen Mißverhältnisses zwischen der politischen Bereitschaft zum Aufstand und der nicht vorhandenen organisatorischen und politischen Vorbereitung einer solchen Aktion. Den behaupteten Aufstandsversuch der VKPD im Sinne einer planmäßig vorbereiteten Aktion gab es nicht. Außer einem guten Netz von Kurieren, die bei den problematischen Kommunikationsmitteln der damaligen Zeit ohnehin benötigt wurden, gab es keine zentrale Koordination, die vor den Märzkämpfen bestanden hätte. In einer Denkschrift aus Schupokreisen hieß es nach den Kampfhandlungen über die „Roten“: „Von guter einheitlicher Führung wurde nichts gemerkt.“ [21] Auf einen der zentralen militärischen Führer, Max Hölz, hatte die VKPD keinen Einfluß. Auch die wahrscheinlich Anfang März in Berlin eingetroffenen KI-Beauftragten Bela Kun, Samuel Guralski und Josef Pogany hatten keinen nachweisbaren Einfluß auf irgendwelche konkreten Aufstandsplanungen.
Die VKPD plante den Aufstand nicht organisatorisch, begab sich aber politisch auf einen Kurs, der die Zusammenarbeit mit MSPD, USPD und von ihnen geführten Gewerkschaftskartellen ablehnte und auf eine revolutionäre Offensive hinsteuerte. Die Diskrepanz zwischen revolutionärer Propaganda und tatsächlicher Fähigkeit zu einer erfolgreichen revolutionären Aktion zeigt jedoch schon, daß sowohl die VKPD als auch die KI in diesen Monaten stark am Suchen waren. Gegenüber der „Offensivtheorie“ der VKPD-Führung herrschte zwar in Teilen der KI, namentlich bei Lenin, große Skepsis. Doch Teile der russischen Führung (Sinowjew, Bucharin, Radek) oder die Mehrheit der italienischen Sektion waren mit der schärferen Gangart einverstanden. Daß sich die KI in der Zeit vor der Märzaktion in einer schwierigen Phase des Ringens um eine Orientierung und damit verbundener Richtungskämpfe befand, zeigt sich auch daran, daß die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD), die noch „links“ von der VKPD stand, als sympathisierende Sektion in die KI aufgenommen worden war. Nach der Erfahrung der „Märzaktion“ wurde dieser Status freilich wieder aufgehoben. [22]
Wenn die KI ein Bild bot, welches alles andere als einheitlich war, so galt dies für die VKPD noch mehr. Die Leitung um Paul Levi, Ernst Däumig, Clara Zetkin und andere hatte versucht, aus den Erfahrungen seit der Novemberrevolution die Lehren zu ziehen und die ultralinke Haltung der KPD zu korrigieren. Ihre Bemühungen mündeten in dem „Offenen Brief“ vom 8. Januar 1921. Dieser Appell an alle ArbeiterInnenorganisationen bot einen gemeinsame Plattform gegen die rapide Verschlechterung der sozialen Lage der Lohnabhängigen an. Die VKPD betonte einerseits ihren weiterbestehenden Willen zu revolutionären Aktionen „in jedem günstigen Augenblick“, schlug aber gleichzeitig Aktionen gegen Entlassungen, Lohnkürzungen und weißen Terror vor. Die Krise sollte von den Unternehmern bezahlt und gleichzeitig vereinigte „proletarische Selbstschutzorganisationen gebildet werden. [23] Diese Wendung zahlte sich für die VKPD aus. Sie gewann neue Mitglieder und fand vor allem das Ohr sozialdemokratischer ArbeiterInnen, die bisher von der reinen Konfrontationspolitik abgeschreckt waren. Erwartungsgemäß blieb eine Zustimmung von Seiten der SPD, der USPD und der Gewerkschaftsführungen aus. Daß der „Offene Brief“ keine verankerte neue taktische Orientierung darstellte, sollte sich kurze Zeit später anhand der Reaktion der VKPD auf die Ablehnung zeigen. Am 16.1.1921 veröffentlichte die Zentrale der VKPD in der Roten Fahne einen Aufruf „An das gesamte deutsche Proletariat“. [24] Darin wurde festgestellt, daß jetzt allen ArbeiterInnen klar sei, daß die reformistischen Führer keine gemeinsame Front wollten. Jetzt ginge es darum, sich an den alten Führungen vorbei für die Forderungen des „Offenen Briefes“ in den Betrieben zusammenzuschließen. Die positive Wirkung des „Offenen Briefes“ wurde von der VKPD-Leitung über- und die Schwerfälligkeit der sozialdemokratischen ArbeiterInnen unterschätzt. Der Vorschlag der Einheit von unten glich natürlich der Aufforderung an die sozialdemokratischen ArbeiterInnen, sich von der VKPD anführen zu lassen -- wozu diese bei weitem noch nicht bereit waren.
In dieser Situation des Experimentierens mit der neuen Linie kam es in der Leitung der VKPD zum Bruch. Die Kräfte, die gegen die Orientierung des „Offenen Briefes“ waren, hatten aus den Reihen der KI-Leitung Unterstützung bekommen. Auf einer Sitzung des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI) am 22.2.1921 bezeichnete Sinowjew den „Offenen Brief“ als „literarisches Hirngespinst“. Auch Bucharin griff die VKPD-Vertreter an. Unterstützung erhielten sie von Radek, dessen Position von Lenin geteilt wurde. [25] Dies hielt Radek aber nicht davon ab, den prominentesten Vertreter des „Offenen Briefes“, Paul Levi, als „Opportunisten“ anzugreifen. Daß die Mehrheit des EKKI mit Abstufungen für eine Offensivstrategie eintrat, wurde auch daran deutlich, daß sie sich bei Auseinandersetzungen in der italienischen Partei deutlich auf Seiten des linken „Offensivflügels“ um Amadeo Bordiga gestellt und das der linken USPD nicht unähnliche Zentrum verprellt hatte. Als diese Linie auf der Sitzung des Zentralausschusses der VKPD vom 22.-24.2.1921 unterstützt wurde, legten Levi und Däumig den Parteivorsitz nieder, und auch Clara Zetkin zog sich aus der zentralen Leitung zurück. Die neuen Parteivorsitzenden Heinrich Brandler und Walter Stoecker arbeiteten im Sinne der Mehrheit des EKKI. [26] Die erneute Wende machte sich sehr schnell bemerkbar. Schon am 4.3.1921 erschien ein Aufruf „an das deutsche Proletariat“ in der Roten Fahne, in dem es hieß: „Der deutschen Arbeiterklasse hilft nur der unmittelbare Kampf: der Sturz der deutschen Bourgeoisregierung.“ [27]
Insgesamt überschätzte die VKPD die Krise des deutschen Kapitalismus und ihren Einfluß auf die ArbeiterInnenbewegung. Die Offensivtheorie war mehr eine Bekundung guter revolutionärer Absichten als eine planmäßige Strategie zur Durchführung eines bewaffneten Aufstandes. Als Reflex auf die jahrelange legalistische Praxis der SPD vor dem Weltkrieg und das Bündnis der MSPD mit reaktionären und protofaschistischen Kräften (Generalstab, Freikorps) während und nach dem Krieg war sie verständlich. Falsch war sie trotzdem und sicher nicht unvermeidlich. Die Erfahrungen des „Spartakusaufstandes“ vom Januar 1919 hatten gezeigt, wie fatal das Vorpreschen eines Teils der radikalisierten Avantgarde sein konnte. Die offensichtlich wenig verarbeiteten Erfahrungen der russischen Revolution hätten einen anderen Weg weisen können. Die Bolschewiki hatten die Einheit der ArbeiterInnenbewegung auf ihre Fahnen geschrieben und dadurch in der Zeit von März bis September 1917 eine Mehrheit von ca. 60% in den Sowjets errungen. Ohne diese wäre der Oktoberaufstand gescheitert. Im Juli 1917 hingegen waren die Bolschewiki nach heftigen internen Auseinandersetzungen vorsichtig genug gewesen, die Petrograder ArbeiterInnenschaft vor einem isolierten Frontalangriff auf die Regierung zurückzuhalten. Doch die VKPD ging mit einer abstrakten Angriffsstrategie, die sich in mangelnder organisatorischer Geschlossenheit niederschlug, und einer erschütterten Leitung in die Märzkämpfe.
Am 14.3.1921 beschlossen Severing und Hörsing die Ausdehnung der geplanten Schutzpolizeiaktion auf den gesamten Regierungsbezirk Halle-Merseburg. Zusätzlich zu den direkt eingesetzten drei Hundertschaften wurden weitere Schupoeinheiten in Alarmbereitschaft versetzt. Auf einen massierten Einsatz der Reichswehr verzichteten die beiden sozialdemokratischen Politiker allerdings bis zum Ende der Kämpfe. Solch ein Vorgehen hätte womöglich eine geeinte Reaktion der gesamten ArbeiterInnenschaft hervorgerufen, da dieser die Reichswehr parteiübergreifend verhaßt war. [28]
Am 19.3.1921 begann der Schupoeinsatz mit dem Einzug dreier Hundertschaften unter Major Folte in Eisleben. Zunächst gab es keine größeren Zwischenfälle. [29] Doch Unruhe und Angst unter den ArbeiterInnen wuchsen. Die VKPD schlug einen immer aggressiveren Ton an, der nicht dazu beitrug, sozialdemokratische ArbeiterInnen für eine gemeinsame Streikfront gegen die Polizeiprovokation zu gewinnen. Schon auf die Ankündigung des Schupoeinsatzes reagierte die Zentrale der VKPD mit dem Aufruf zum „unmittelbaren Kampf“. [30] Offenbar sah sie in Verkennung des realen Kräfteverhältnisses jetzt den „günstigen Augenblick“ für den Beginn des bewaffneten Aufstandes. Am 21.3.1921 erließ die Mansfelder VKPD den Aufruf zum Generalstreik, der in der Region auch ab dem 23.3.1921 weitgehend befolgt wurde. [31] Die VKPD versuchte, jetzt auch in anderen Regionen des Reiches den Aufstand zu beginnen. Die Hamburger Volkszeitung rief am 19.3.1921 „zum letzten entscheidenden Kampf für den Sieg der Weltrevolution“ auf. [32] Bezeichnend für die fatale Begeisterung der VKPD zu Beginn der Auseinandersetzung war ein Aufruf in der Bergischen Volksstimme Remscheid, in dem es hieß: „Ihr seht, daß das gesamte Proletariat mit Begeisterung den (...) Kampf (...) begrüßt.“ [33] In Rheinland-Westfalen und Berlin riefen VKPD und KAPD (in Berlin auch die anarchistische Allgemeine Arbeiterunion) gemeinsam zum Generalstreik auf. [34] Doch auch diese drei Organisationen, die den linken Flügel der deutschen ArbeiterInnenbewegung bildeten, waren weit davon entfernt, eine Mehrheit der ArbeiterInnenschaft hinter sich zu haben. Wie wenig einheitlich das Vorgehen der VKPD war, zeigt sich daran, daß nicht alle Aufrufe von Euphorie getragen waren. So war in einem Flugblatt der Berliner VKPD zu lesen: „[Arbeiter,] ihr steht beiseite“. [35] Diese Einschätzung war zwar realistisch, hatte aber keinen Einfluß auf die Taktik der VKPD. Die erhofften Reaktionen in anderen Landesteilen blieben weitgehend aus, wenn es auch vor allem in Hamburg und im Ruhrgebiet zu einigen Aktionen und Solidaritätskundgebungen kam. [36]
Am 22.3.1921 kam es in Eisleben zu den ersten ernsten Zwischenfällen. Zunächst konnten die ArbeiterInnen Erfolge gegen die Schupo erzielen. Der deutsche Reichsanzeiger und preußische Staatsanzeiger vom 24.3.1921 meldete: „Die aufständischen Elemente haben die Oberhand.“ [37] Am 24.3.1921 trat auch Max Hölz auf den Plan. Er organisierte zunächst eine „Sturmkompanie“ von 400 Mann, die bis zum 25.3.1921 auf ca. 2.500 Kämpfer anwuchs. [38] Am 24.3.1921 entschloß sich der Reichspräsident dann, den Ausnahmezustand im Bezirk Halle-Merseburg zu verhängen. Kommunistische Zeitungen wurden verboten, ein Versammlungsverbot verhängt. Den vom Chef der Reichswehr, General von Seeckt, geforderten Militäreinsatz lehnte er jedoch immer noch ab. An den Kämpfen beteiligte sich neben jenen Einheiten, die den harten Widerstand in Bitterfeld und Aschersleben brachen, nur eine Artilleriebatterie der Reichswehr, die allerdings bei dem Kampf um die Leunawerke großen Schaden anrichtete. Am 25.3.1921 hatten VKPD-Funktionäre Fühler zu Major Folte ausgestreckt, und man hatte sich schon auf ein Waffenstillstandsabkommen geeinigt. Doch hier nahmen Hörsing, Severing und das Reichsinnenministerium, die offenbar nicht an einer friedlichen Lösung interessiert waren, Übergriffe seitens der Einheit von Max Hölz zum Vorwand, um den Kampf weiterzuführen. Dies geschah trotz der im Abkommen vorgesehenen Abgabe aller Waffen der aufständischen Arbeiter. [39] Die Schupoeinheiten wurden weiter verstärkt und am 25.3.1921 erlitten Hölz' Leute bei Eisleben eine erste Schlappe und es kam bei Hettstedt zu schweren Kämpfen. Bei Sangershausen und Ammendorf wurde Hölz am 27. und 28.3.1921 von der Schupo gestoppt und am 1.4.1921 kam für die „Sturmkompanie“ bei Beesenstedt das Ende. [40]
Besonders hart waren die Kämpfe um das Leunawerk. Dieses war bereits seit dem 24.3.1921 in Verteidigungszustand gesetzt. Die Arbeiter hatten sich sogar einen eigenen Panzerzug gebaut, mit dem sie die Reichswehrkanoniere mehrfach von ihren Geschützen verjagen, diese jedoch nicht zerstören konnten. Mit dem Artilleriebeschuß des Chemiewerkes nahmen Schupo und Reichswehr eine Katastrophe in Kauf. Die schnelle und blutige Niederwerfung des Aufstandes war ihnen wichtiger als das Leben zahlreicher EinwohnerInnen der angrenzenden Ortschaften. Am 29.3.1921 befahl der Polizeioberst Graf von Poninsky den Sturm auf die Leunawerke. Der Angriff begann um 6:30 Uhr in der Frühe und eine Dreiviertelstunde später drang die Schupo in das Werk ein. [41] Im Verlauf des Kampfes wurden 60 Arbeiter getötet und 1 500 gefangengenommen.
Nach sicher zu niedrig gegriffenen offiziellen Angaben wurden während der Märzkämpfe 145 Arbeiter getötet. Die Gefangenen der Märzkämpfe wurden zum Teil schwer mißhandelt. Entgegen den Aussagen in der bürgerlichen Presse [42] gab es standrechtliche Erschießungen, [43] die nicht einmal durch den Ausnahmezustand rechtlich abgedeckt waren.
Es war nicht in allen Orten der Region zu harten Kämpfen gekommen. Die Ereignisse in Delitzsch sind vielleicht ein Hinweis darauf, daß eine realistische Haltung der VKPD in der Lage gewesen wäre, eine Konfrontation unter ungünstigen Bedingungen zu verhindern. Dort war eine Streikleitung gewählt worden, die die Polizei Matt setzte, ohne in eine bewaffnete Auseinandersetzung zu geraten. Der Streik wurde zwar am Ende der Kämpfe in den anderen Orten ebenfalls abgebrochen, aber die ArbeiterInnenschaft entkam dem Aderlaß und der Demoralisierung, die der blutigen Niederschlagung z.B. in Leuna folgten. [44] Daß auch die VKPD nicht einheitlich auf eine Großoffensive setzte, zeigten die Vorgänge in Bitterfeld, das vom 27.-30.3.1921 von den Aufständischen kontrolliert wurde. Die dortige VKPD hatte sich besonnen gezeigt und z.B. auf Sprengungen von öffentlichen Gebäuden verzichtet, die bürgerliche Kreise und sozialdemokratische ArbeiterInnen aufschrecken, aber nicht einschüchtern konnten. Daß ihnen dann die Leitung entglitt und auf die KAPD überging, zeigt allerdings auch, daß die VKPD durch ihre offensiven Parolen vor den Märzkämpfen schon den Grundstein für die spontane Überradikalisierung vieler ArbeiterInnen gelegt hatte. [45] Insgesamt waren die Kämpfe aber von einer solchen Intensität, daß der Schluß zulässig ist, daß es sich zwar um einen örtlich begrenzten Aufstand, aber auf jeden Fall um eine Massenerhebung der übergroßen Mehrheit der ArbeiterInnenschaft in der betreffenden Region gehandelt hatte.
Die juristische Repression war im Vergleich zu den Terrormaßnahmen direkt nach den Kämpfen oder der Niederschlagung der Münchener Räterepublik milde, weil es nach den ersten Exzessen von Schupo, Reichswehr und rechtsextremen Zivilisten verhältnismäßig niedrige Gefängnisstrafen und viele Begnadigungen gegeben hatte. [46] Die Morde der Schupo wurden freilich nicht verfolgt und von Otto Hörsing sogar gedeckt: „Es ist möglich, daß hier und da etwas vorgekommen sein wird (...) das ist bedauerlich, aber wie gesagt, positiv läßt sich darüber nichts sagen.“ [47] Das geänderte Kräfteverhältnis erlaubte es den Unternehmern auch, eine Welle sozialer Repression in Form von Angriffen auf soziale Rechte und Entlassungen zu starten. So wurden z.B. in den Leunawerken „in der Regel alle Arbeiter unter 25 Jahren“ nicht wieder eingestellt. [48] Der harte und auch von den SPD-Politikern nicht unterbundene Terror direkt nach der Aktion sollte zur Abschreckung dienen und vor dem noch frischen Eindruck der Niederlage durchgeführt werden. Die späteren Urteile und die nicht unbeträchtliche Anzahl von Begnadigungen war hingegen wohl dadurch motiviert, daß die VKPD keinen Profit aus etwaigen Solidaritätsaktionen schlagen sollte.
Die VKPD hatte sich wahrscheinlich vor dem Hintergrund der schweren Krise des gesamten politischen und wirtschaftlichen Systems und dem qualitativen Wachstumssprung aufgrund der Vereinigung mit der linken USPD, die sie binnen Wochen von einer randständigen Gruppe in eine Massenpartei verwandelte, zu ihrer Offensivtheorie verleiten lassen. Begünstigt wurde diese Entwicklung im Raum Halle-Merseburg dadurch, daß hier eine radikalisierte kommunistische ArbeiterInnenklasse die vorherrschende gesellschaftliche und politische Kraft war. Dies waren die Voraussetzungen dafür, daß angesichts einer sehr ungleichen Entwicklung des Bewußtseins der ArbeiterInnenschaft eine auf einen Teil des Landes begrenzte Avantgarde isoliert wurde und vorzeitig den Kampf aufnahm, ohne andere Schichten mitzureißen. Die ungenügende Verarbeitung der russischen Erfahrungen verhinderte eine frühere Kurskorrektur durch die Kommunistische Internationale. Darüber hinaus bezahlte die VKPD dafür, daß die SPD-Linke vor dem Krieg keine eigenen Strukturen herausgebildet hatte und über kein Kollektiv von Leuten verfügte, die langjährige Erfahrungen in politischen Kämpfen besaßen und diese gemeinsam verarbeitet hatten. Die Linken in der SPD waren vor allem propagandistisch gegen die reformistische Mehrheit aufgetreten. Sie mußten erst in einem langen und schmerzhaften Prozeß eine selbständige Politikfähigkeit erringen. In den entscheidenden Auseinandersetzungen nach dem Weltkrieg zeigten die Mitglieder der KPD Mut und Opferbereitschaft. Politisch gingen sie aber fast immer in die falsche Richtung.
Die KI sollte auf ihrem dritten Weltkongreß, der am 22. Juni 1921 begann, die Lehren aus der „Märzaktion“ mehrere Tage lang diskutieren. Die „Offensivstrategie“ war dem Test in der Praxis unterzogen worden und hatte tragisch versagt. Die radikalste Kritik der „Märzaktion“ wurde von Paul Levi in seiner Broschüre „Unser Weg wider den Putschismus“ geäußert. Er bezeichnete die Aktion als den „größten Bakunistenputsch der bisherigen Geschichte“. Mit seiner sehr scharfen politischen Kritik verband Levi allerdings auch schwere Vorwürfe gegenüber der VKPD und KI-Leitung, indem er ihnen weitgehend die Alleinschuld an der Niederlage gab und die Provokation seitens der Landesregierung wenig beleuchtete. Dies war nicht nur sachlich falsch, sondern hätte auch vor Gericht gegen GenossInnen der VKPD genutzt werden können. Levi hatte mit seiner Position Probleme, die Frage zu beantworten, wie die VKPD auf den Schupoeinsatz und die spontanen Erhebungen im Raum Halle-Merseburg hätte antworten sollen. Auf der anderen Seite versuchten August Thalheimer und Bela Kun, die „Offensivstrategie“ zu retten und die Niederlage vor allem auf die mangelnde Geschlossenheit der VKPD zurückzuführen. Lenin, der sich schließlich durchsetzen sollte, trat dieser letzten Auffassung mit aller Schärfe entgegen. Dabei spielte wohl nicht nur die Wut über Genossen eine Rolle, die nicht in der Lage waren, konkrete Erfahrungen zu verarbeiten, sondern auch das schlechte Gewissen, nicht vorher eingegriffen zu haben. Auf alle Fälle war die Verarbeitung der Märzaktion eines der positivsten Kapitel der Geschichte der kommunistischen Bewegung. Zuerst wurde das Geschehene bilanziert und dann eine Positionsbestimmung in den politischen Grundsatzfragen gefunden. Erst danach wurden die organisatorischen Konsequenzen gezogen. Allen Mitgliedern der Partei sollte eine Mitarbeit auf der Grundlage der Weltkongreßbeschlüsse ermöglicht werden: „Der Kongreß erwartet von der Zentrale und der Mehrheit der VKPD die tolerante Behandlung der früheren Opposition, falls diese die von III. Kongreß gefaßten Beschlüsse loyal durchführt (...).“ [49] Da die Festlegung der Einheitsfronttaktik von allen Delegierten aus Deutschland anerkannt worden war, wurde von „der früheren Opposition die sofortige Auflösung jeder Fraktionsorganisation“ [50] gefordert, gleichzeitig aber in einer späteren Vereinbarung zur Lage in der VKPD die „Ermöglichung der Diskussion strittiger Fragen in der Parteipresse und den Parteiorganisationen innerhalb der weitesten Grenzen, die mit den Interessen der Bewegung vereinbar sind“, [51] gefordert. Der von der VKPD-Leitung vor dem Weltkongreß beschlossene Ausschluß Paul Levis wurde allerdings bestätigt -- nicht wegen des Inhaltes seiner Kritik, sondern aufgrund der Veröffentlichung seiner Broschüre an der VKPD vorbei. Die Märzaktion wurde anders als durch die „Linken“ als schwerer strategischer Fehler bezeichnet, aber nicht im Sinne Levis verdammt, da Zigtausende von ArbeiterInnen aufopfernd gekämpft und sich nicht einfach in ihr Schicksal ergeben hatten. Die KI ging davon aus, daß nicht die VKPD willkürlich zum Aufstand aufgerufen hatte, sondern aufgrund einer falschen Politik eine verständliche, aber überzogene Massenreaktion falsch eingeschätzt und für ihre „Offensive“ zu nutzen versucht hatte, sie „machte (...) eine Reihe von Fehlern, von denen der wichtigste darin bestand, daß sie den defensiven Charakter des Kampfes nicht klar hervorhob (...).“ [52] Im Mittelpunkt der politischen Aufarbeitung stand die systematische Entwicklung der Einheitsfronttaktik. Ausgehend von einer relativen Stabilisierung des Kapitalismus und der Minderheitsposition der meisten kommunistischen Parteien wurde in erster Linie darauf abgezielt, „unentwegt und systematisch um die Mehrheit der Arbeiterklasse, in erster Linie innerhalb der alten Gewerkschaften, zu ringen.“ [53] Die KPen sollten bei Beibehaltung ihrer unabhängigen Propaganda und auch eigener Aktionen vor allem auf Aktionseinheiten mit den anderen Organisationen der ArbeiterInnenschaft orientieren. Dabei sollte es freilich nicht um wohlklingende Erklärungen, sondern konkrete Aktionen um konkrete Ziele zugunsten der Lohnabhängigen gehen. Die Aktionseinheiten sollten nicht „von unten“ den sozialdemokratischen ArbeiterInnen allein angeboten werden, sondern auf allen Ebenen an die anderen Organisationen herangetragen werden. Im Gegensatz zu manch falscher Auffassung der Einheitsfront stand dabei die Aktionsfähigkeit der nach dem Krieg gespaltenen ArbeiterInnenbewegung im Mittelpunkt, während die Entlarvung der reformistischen Führungen zwar erklärtes Ziel, aber kein Selbstzweck war. Die Einheitsfront sollte in der Bildung von Räten, dauerhaften, organisierten Einheitsfronten aller Werktätigen und der Bildung von Regierungen aller linken ArbeiterInnenparteien münden. Diese Taktik war nicht nur praktikabel. Es sei auch erwähnt, daß sie profund demokratisch war. Im Gegensatz zu selbsternannten ultralinken Avantgarden oder der Einschränkung unabhängiger Aktionen in Volksfronten oder reformistischen Regierungsbündnissen sollten die Lohnabhängigen in Kämpfen um ihre ureigensten Rechte und Forderungen praktische Erfahrungen mit allen Kräften sammeln können. Der politische Gegner sollte im offenen politischen Streit überwunden werden und nicht mit Tricks oder gar Gewalttaten. Alle späteren erfolgreichen Revolutionen haben sich zumindest in Teilen durch die Einheitsfronttaktik bewerkstelligen lassen. So z.B. die internationale Bündnispolitik der vietnamesischen KP, die mit allen Antikriegskräften zusammenarbeitete. Jüngstes Beispiel für eine Anwendung dieser Lehren ist das Vorgehen der Zapatisten in Chiapas, die so ihre territoriale Begrenztheit überwinden konnten.
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Die Nichtbeachtung dieser Lehren zieht sich fast wie ein Fluch durch die Geschichte der deutschen Linken. Die Thälmann-KPD verabschiedete sich von jeglicher Einheitsfrontpolitik und trug damit genauso wie die SPD zum Sieg der Nazis 1933 bei. Das Revival dieser Politik in den meisten K-Gruppen Westdeutschlands in den 70er Jahren demoralisierte Tausende von politisch aktiven Menschen.
Betrachtet man die heutigen linken Flügel von SPD, Grünen und PDS, so zeigt sich auch bei diesen GenossInnen, daß sie stark auf einen propagandistischen Kampf gegen die Mehrheit ihrer jeweiligen Organisation orientieren. Am deutlichsten ist dies wohl bei der Kommunistischen Plattform in der PDS. Damit die hiesige Linke in Zukunft nicht wieder zwischen Propagandismus und Putschismus zerrieben wird, bleibt es eine Aufgabe, die teuer erkauften Erfahrungen der Märzaktion in eine aktive und offene sozialistische Politik umzusetzen.
Ein gekürzter Vorabdruck dieses Aufsatzes erschien bereits in der Zeitung „ak“. |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 295 (Mai 1996). | Startseite | Impressum | Datenschutz