Welche Haltung sollen Revolutionäre gegenüber einer sozialdemokratischen Regierung einnehmen? Eine Debatte der Jahre 1920-23, die bis heute nichts von ihrer Brisanz verloren hat.
Jakob Moneta
Es muss Erstaunen auslösen, dass die Idee einer „Arbeiterregierung“, die später auch von Lenin vertreten wurde, ausgerechnet von Karl Legien dem „sozialpatriotischen“, rechten reformistischen Vorsitzenden des „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (ADGB) herrührt. Beim Ausbruch des Kapp-Putsches am 13. März 1920, der das Ziel hatte die ganze parlamentarische Republik und die Gewerkschaften hinwegzufegen, floh die sozialdemokratische Regierung Hals über Kopf aus Berlin.
Nicht so aber Karl Legien. Er ging in den Untergrund und löste den erfolgreichsten politischen Generalstreik in der Geschichte der Arbeiterbewegung aus. Das war der gleiche Karl Legien, der in der „Massenstreikdebatte“ mit Rosa Luxemburg vor dem Ersten Weltkrieg Generalstreik einen „Generalunsinn“ genannt hatte. Er lud alle Arbeiterorganisationen, auch die mit den Sozialdemokraten verfeindeten Kommunisten ein, in das von ihm gegründete Streikkomitee einzutreten.
August Thalheimer, Mitglied der KPD-Zentrale und einer ihrer besten Köpfe (1929 wurde er als Führer der KPO ausgeschlossen), forderte in einem Flugblatt dazu auf, nicht einmal den kleinen Finger zu rühren, um diese Republik zu verteidigen. Noch am 14. März 1920 bezweifelte die „Rote Fahne“, Organ der KPD, ob die von Ebert-Noske entwaffnete Arbeiterklasse noch fähig sei, mit einem Generalstreik auf den Putsch zu reagieren.
Aber der Aufruf des erzreformistischen Gewerkschaftsführers, Karl Legien, hatte durchschlagenden Erfolg. Die KPD rief daraufhin mit der Losung „Nieder mit der Regierung. Alle Macht den Arbeiterräten“ ebenfalls zum Generalstreik auf. Dies, obwohl es doch darum ging zu verhindern, dass diese, gewiss unzulängliche, bürgerliche Demokratie, hinweggefegt wurde. Und wie sollte die Arbeiterklasse, die man noch am 14. März für unfähig hielt, auf den Putsch mit einem Generalstreik zu reagieren, nun die Fähigkeit erlangt haben, eine Räterepublik zu errichten?
Jetzt aber ging Karl Legien einen entscheidenden Schritt weiter. Er forderte auf zur Bildung einer „Arbeiterregierung“, die sich aus den Vertretern aller Arbeiterparteien (also SPD, USPD und KPD) und der Gewerkschaften (auch der christlichen) zusammensetzen sollte. Seinen Vorschlag begründete er damit, dass jetzt in Deutschland keine Regierung gegen die Gewerkschaften mehr möglich sei.
Ausgerechnet der rechte Vorsitzende der USPD, Crispien, lehnte es nun ab, sich mit den „Arbeitermördern“ an einen Tisch zu setzen. Eine Diskussion mit den „Verrätern der Arbeiterklasse“ in der „Generalkommission“ der Gewerkschaften – so hieß der Vorstand – sei nicht möglich. Der linke USPD-Führer Däumig drohte gar, aus der USPD auszutreten, wenn sie über eine „Arbeiterregierung“ verhandeln würde.
Die KPD hingegen rang sich nach vielen Schwankungen am 23. März 1920 dazu durch zu erklären, dass die SPD noch großen Einfluss unter Beamten, Angestellten und anderen Arbeiterschichten habe, dass die USPD in den Städten die Mehrheit der Arbeiter hinter sich habe, dass die Arbeiterklasse selber aber über keine genügenden militärischen Kräfte verfüge, so dass keine solide Basis für die Diktatur des Proletariats vorhanden sei.
Die KPD halte deshalb die Bildung einer „sozialistischen Regierung“, ohne die Beteiligung bürgerlicher oder kapitalistischer Elemente, für äußerst günstig, damit die Massen die nötige Reife zur Verwirklichung ihrer politischen und sozialen Diktatur erlangen können. Die KPD werde als „loyale Opposition“ wirken, jedoch ihre vollständige Aktionsfreiheit für politische Propaganda und für ihre Ideen aufrechterhalten.
Diese neue taktische Wende der KPD fand – wie man in einem Anhang vom 12.5.1920 zu seiner Kampfschrift „Der linke Radikalismus, eine Kinderkrankheit des Kommunismus“ nachlesen kann, auch die Zustimmung von Lenin. Er kritisierte lediglich, dass die KPD von einer „sozialistischen Regierung“ sprach.
Da nun aber die USPD das Angebot Legiens, in eine „Arbeiterregierung“ einzutreten, abgelehnt hatte, platzte der ganze Plan. Legien konnte im Gefolge des Generalstreiks nur kleine Korrekturen durchsetzen, z.B. den Rücktritt Noskes. Aber die SPD bildete wieder eine Koalitionsregierung mit den bürgerlichen Parteien des Zentrums und der Demokraten Das aber bedeutete nicht, dass die Diskussion über eine „Arbeiterregierung“ damit beendet war.
Im Oktober 1920 beschloss die USPD auf ihrem Kongress in Halle mit 271 gegen 156 Delegiertenstimmen, sich der Dritten Internationale anzuschließen. Zwei Monate darauf wurde die „Vereinigte Kommunistische Partei“ mit fast 350 000 Mitgliedern gegründet, von denen etwa 300 000 aus der USPD kamen. Die Führung dieser Partei versuchte nun vor allem, eine neue Taktik der Einheitsfront auszuarbeiten. Die erste Initiative kam aus Stuttgart, wo der KommunistMelcher eine solide Basis unter den Metallarbeitern hatte. Er schlug im Namen von 26 000 Stuttgarter Metallern (und gegen den geachteten Führer des Deutschen Metallarbeiterverbandes Robert Dißmann aus der USPD) einen organisierten und einheitlichen Kampf vor für:
Preissenkungen für Nahrungsmittel
Verringerung der Lohnsteuer und Besteuerung der Reichen
Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung
Kontrolle der Arbeiter über Rohstofflieferungen und deren Verteilung
Entwaffnung der reaktionären Banden und Bewaffnung der Arbeiter.
Diese Initiative wurde am 7. Januar 1921 von der KPD-Zentrale in einem offenen Brief an alle Arbeiterorganisationen aufgegriffen. Lenin stellte sich sofort auf die Seite derer, die für diese Aktionseinheit eintraten, die übrigens fast unmittelbar Erfolge erzielte.
In mehreren innergewerkschaftlichen Wahlen errangen die Unabhängigen und Kommunisten gegen Sozialdemokraten Mehrheiten. Aber sowohl die „Linksradikalen“ Maslow und Ruth Fischer in der VKPD als auch Sinowjew und Bucharin in der KI waren gegen diese neue Taktik der Aktionseinheit.
Anfang März 1921 entstand in Mansfeld, ungefähr 40 km von Halle entfernt, ein Konflikt, weil Unternehmer sich über Plünderungen und Diebstähle beschwerten. Der SPD-Oberpräsident Hörsing nahm dies zum Vorwand, um die Arbeiter, die ihre Waffen seit dem Kapp-Putsch behalten hatten, zu entwaffnen. Die KPD-Führung rief, ohne die Arbeiterklasse hierfür vorbereitet zu haben, ohne eine revolutionäre Situation festgestellt zu haben, zum bewaffneten Aufstand auf.
In der Parteiführung hatten die Vertreter einer „Offensivtheorie“ die Oberhand, die meinten, es sei möglich, durch Teilkämpfe die Arbeiterklasse zu „elektrisieren“ und so die Revolution auszulösen. Außerdem hatten sie die Absicht, die Sowjetunion, die damals in großen Schwierigkeiten war, durch einen „Entlastungsangriff“ in Deutschland zu retten. [1]
Diese „Märzaktion“ im Gebiet Merseburg-Halle führte zu einer fürchterlichen Niederlage. 7 000 Teilnehmer wanderten in Gefängnisse und Zuchthäuser, ca. 150 000 Mitglieder verließen die Partei.
Auf dem Dritten Weltkongress der KI (Juni/Juli 1921) erklärte Lenin, dass „wenn man nicht entschlossen gegen solche ‘linke Dummheiten’ (wie die Märzaktion) zur Offensive übergeht, dann ist die ganze Bewegung dem Untergang geweiht. Das ist meine tiefe Überzeugung...
Wir haben in Russland nicht nur deshalb gesiegt, weil wir die unbestrittene Mehrheit der Arbeiterklasse hinter uns hatten (während der Wahlen 1917 war die erdrückende Mehrheit der Arbeiter für uns und gegen die Menschewiki), sondern auch deshalb, weil unmittelbar nach der Eroberung der Macht die Hälfte der Armee und während weniger Wochen neun Zehntel der Bauernmassen auf unsere Seite übergingen.
Wir haben gesiegt, weil wir nicht unser, sondern das sozialrevolutionäre Agrarprogramm annahmen und praktisch verwirklichten... Können Sie im Westen etwa solche Illusionen haben?“, fragte Lenin.
Bereits am 26. Juli 1921, unmittelbar nach dem 3. Kongress der KI, wurde in einem „Zirkularschreiben“ der Zentrale der deutschen Partei der Ratschlag gegeben (so hieß das damals, als noch kein stalinistischer Kadavergehorsam gefordert wurde), die Einheitsfront „organisatorisch zu festigen durch Aufbau von Arbeiterkomitees zur Leitung der kommenden Aktionen“. Zugleich aber sollte sich „bei den Diskussionen über die Möglichkeit der Neuwahlen, die Partei nicht von vorneherein gegen eine Arbeiterregierung aussprechen“.
Vorangegangen waren aber bereits 1920 „große Diskussionen“ in der Frage der „sozialistischen Arbeiterregierungen“, die sich nur durch die parlamentarische Unterstützung der kommunistischen Landtagsfraktionen halten konnten. Nach den Wahlen vom November 1920 hatten im sächsischen Landtag die bürgerlichen Parteien nur 47 Mandate, während SPD, USPD, VKPD zusammen 49 Mandaten errungen hatten (SPD 28, USPD 13, VKPD 9) Die Kommunisten sagten der rein sozialdemokratischen Regierung Unterstützung zu, sofern sie eine „proletarische Klassenpolitik“ betreiben wollte.
Sie zählten Forderungen auf, die – wie sie erklärten – „selbst im Rahmen der bürgerlichen Demokratie unter Einsetzung des vorhandenen Machtapparates durchführbar“ waren. Dazu zählten: Amnestie für politische Gefangene in Sachsen, restlose Entwaffnung des Bürgertums, Schaffung einer Schutzpolizei aus zuverlässigen Proletariern unter Mitwirkung der Arbeiterorganisationen, Schulspeisung, Beschlagnahme der großen Wohnungen. Aber die sächsische Regierung erfüllte nicht eine dieser Bedingungen. Es wurde deshalb für die Kommunisten immer schwieriger, die sozialdemokratische Regierung zu unterstützen.
Plötzlich aber geriet die KPD in folgende Zwickmühle. Sie sprach sich gegen eine Grundsteuer aus, weil diese zu einer empfindlichen Mieterhöhung führen würde. Die bürgerlichen Parteien lehnten aus ganz anderen Gründen diese, sie belastende Steuer ebenfalls ab. Sollten nun Kommunisten mit den Bürgerlichen stimmen und die sozialdemokratische Regierung zu Fall zu bringen? In der Zentrale der KPD gab es einen Hickhack, in dem fast täglich die Stellungnahme geändert wurde, bis dann die Entscheidung fiel: zwar gegen die Grund- und Gewerbesteuer zu opponieren, aber „ob Ablehnung oder Annahme, abhängig zu machen von der politischen Situation mit der Begründung, dass es zweckmäßig sein kann, der Steuer zuzustimmen, um die Regierung zu halten.“
Dabei wurde in Betracht gezogen, dass den Bundesstaaten die massenfeindlichen Steuern durch ein „Reichsmantelgesetz“ vorgeschrieben waren und dass diese daher nur im Reichsmaßstab abgeschafft werden konnten. (Das ist doch genau das gleiche Dilemma in dem heute Landesregierungen sind, wenn Sparmaßnahmen auf Bundesebene beschlossen werden, die ihnen die finanziellen Mittel entziehen, um Reformen durchzuführen.) In der damaligen Begründung der KPD, einen Sturz der sozialdemokratischen Regierung mit den Stimmen der bürgerlichen Parteien abzulehnen, hieß es außerdem noch: Die Bundesstaaten (heute die Länderregierungen) waren also in derselben Lage wie die Gemeinden, denen gleichfalls nur wenige bestimmte Steuerarten offenstanden, woran auch die kommunistischen Verwaltungen gebunden waren. (Auch hier wiederum das gleiche Dilemma, vor dem PDS-Gemeinderäte heute stehen.)
Nach wie vor war aber die Mehrheit der Parteimitglieder fest gegen den Eintritt von Kommunisten in eine Länderregierung. Das hatte sich schon knapp nach dem Jenaer Parteitag gezeigt (22. bis 26.8.1921), als die Zentrale diese Frage auf einer Konferenz der Parlamentarier mit den Bezirksräten im Gebäude des Preußischen Abgeordnetenhauses stellte...
Nachdem sich die sächsische Landtagsfraktion dazu durchgerungen hatte, die Grundsteuer zu bewilligen, um – wie sie erklärte – „keinen billigen Agitationsstoff“ zu liefern, billigte am 28. September 1921 die Zentrale diesen Beschluss. Zugleich wurde eine parlamentarische Zentralstelle als besondere Abteilung des Politbüros eingerichtet, die ihre Tätigkeit mit der Stellungnahme zur Bildung einer „Sozialistischen Regierung“ nach den thüringischen Landtagswahlen vom 11. September 1921 begann.
Vorangegangen war die Ermordung von Matthias Erzberger, einem führenden Politiker der katholischen „Zentrum“-Partei am 26. August 1921, die einen schweren Schock auslöste und zu gewaltigen Massendemonstrationen unter Beteiligung der Kommunistischen Partei führte. Die radikalisierte Agitation der SPD brachte ihr einen beträchtlichen Stimmenzuwachs auf Kosten der USPD. Mit 13 gewählten SPD-Abgeordneten, 9 von der USPD und 6 Kommunisten gab es eine linke Mehrheit von 28 gegen 26 bürgerliche Abgeordnete im Thüringer Landtag. Eine linke Mehrheit in der SPD entschied sich gegen eine Koalition mit den „Bürgerlichen“ und forderte einen „Versuch zur Bildung einer rein sozialistischen Regierung“.
Das Politbüro der KP lehnte eine Beteiligung ab, willigte aber ein, dass die kommunistische Fraktion die Wahl eines Ministerpräsidenten „aus den Mitgliedern der zwei sozialistischen Parteien“ ermöglicht und die Regierung „bei einer konsequenten proletarischen Politik“ unterstützen sollte. Die Zentrale bestätigte am 21. September den Beschluss, und die Rote Fahne schrieb, Thüringen müsse „zu einer Machtposition für die Arbeiterschaft ausgebaut werden.“ Diesen Standpunkt musste die Zentrale allerdings gegen starken Widerstand in der Partei durchsetzen.
Ehe ich in meiner Darstellung fortfahre, muss ich beichten, dass ich all diese mit peinlicher Genauigkeit geschilderten Auseinandersetzungen innerhalb der KPD und der KI in der „leninistischen Periode“ der Arbeit von Arnold Reisberg verdanke, mit dem Titel: „An den Quellen derEinheitsfrontpolitik – der Kampf der KPD um die Aktionseinheit in Deutschland 1921 bis 1922“. [2] Sie entstand in der DDR und wurde durch „das europäische buch, literaturvertrieb gmbh, Westberlin“ in Schreibmaschinenschrift herausgegeben: Arnold Reisberg kommentiert jedoch jeweils mit erstaunlicher Sachkenntnis die Ergebnisse seiner Untersuchung. So schreibt er z.B.: „Obwohl die Unterstützung der sozialdemokratischen Regierungen auch bestimmte Gefahren in sich barg und auch innerhalb der Partei rechtsopportunistischen Tendenzen Vorschub leisten konnte, hatte sie nichts mit der Koalitionspolitik der Sozialdemokratie zu tun, die später in die Politik des ‘kleineren Übels’ gegenüber den Rechtsregierungen mündete. Diese Politik kettete einen Großteil der Arbeiterschaft an die Politik der Bourgeoisie und stärkte die Front des Monopolkapitals. Die Politik der Kommunisten lief hingegen auf das Gegenteil hinaus. Sie sollte die sozialdemokratischen Parteien aus der Bindung mit der Bourgeoisie lösen und zu einer Arbeiterpolitik zurückführen. Sie sollte die Mobilisierung der Arbeitermassen zum einheitlichen Kampf auch außerhalb der Vertretungskörperschaften fördern, eine Stärkung der Reaktion verhindern und bessere Kampfmöglichkeiten auf demokratischem Kampfboden bewahren“.
Das Jahr 1921 führte aber auch darum zu einer tiefgreifenden Änderung der Politik der KI, weil sie eine relative Stabilisierung des Kapitalismus und das vorläufige Ende der revolutionären Nachkriegsperiode feststellte. Welche Politik sollten revolutionäre Parteien in einer nichtrevolutionären Periode verfolgen?
In Deutschland setzte im Juli 1921 in den exportabhängigen Industriezweigen eine Hochkonjunktur ein. Die Zahl der Arbeitslosen sank von einer Million im Januar 1919 auf 150 000 am 1. November 1921 und schließlich auf 20 000 am 1. Juli 1922, Aber die Teuerung stieg unaufhörlich. Das führte zu einer Steigerung der Profite und einer erheblichen Konzentration des Kapitals.
Der Großindustrielle und Politiker Hugo Stinnes kontrollierte 1921 in Deutschland und im Ausland 1350 Unternehmen mit 600 000 Beschäftigten. Im Jahre 1923 waren es bereits 2890 Unternehmen, und sein Gesamtvermögen wurde auf einige Milliarden Goldmark geschätzt. Stinnes war zugleich der einflussreichste Mann in der „Volkspartei“ (Das „Volk“ im Parteinamen war eine „Folge“ der Revolution von 1918). Das war die offizielle Partei der deutschen Schwerindustrie. Sie wollte in die Regierung mit einbezogen werden, was auch den Absichten des sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert entsprach.
Als sich nach der Ermordung Erzbergers die „Volkspartei“ gegen den Mordterror aussprach und sich auf den Boden der Verfassung stellte, war dies für die SPD-Rechte die Erfüllung der Bedingung für eine Große Koalition mit der Stinnes-Partei. Auf dem Parteitag der SPD in Görlitz (18. bis 24.9.1921) stimmten 290 Delegierte gegen 67 für eine Erweiterung der Koalition von SPD, Zentrum, Demokraten um die Stinnes-Partei. Dort wurde auch das Görlitzer Programm angenommen, das sich vom Erfurter Programm lossagte, in dem noch vom „Klassenkampf4 ausgegangen wurde. In der SPD stieß die neue Linie auf heftigen Widerstand, aber der Vorstoß setzte sich durch.
Ein Angebot der SPD an die USPD, sich an dieser „Großen Koalition“ zu beteiligen, scheiterte an den „Mindestbedingungen“, die von der USPD hierfür gestellt wurden. Die KPD-Zentrale trat noch schärfer als zuvor für eine Aktionseinheit mit allen Arbeitern als Alternative zur Koalition mit der Stinnes-Partei ein. „Im Zeichen der Einheitsfrontpolitik kündigte die Zentrale sogar an, dass sich die KPD an der Republikfeier vom 9. November 1921 beteiligen wolle. Das hatte sie bisher stets abgelehnt, weil sie nur den 7. Oktober, den Tag der Oktoberrevolution, feierte.
Die Losung „Einheitsfront des Proletariats oder Stinnes-Herrschaft“ stieß auf ein breites Echo bei den Massen. Nur fragten sie sich: Einheit wofür? In der Partei wurden „Teilforderungen“ von den „Linken“ als opportunistische Anpassung abgelehnt. Die Exekutive der KI bildete jedoch eine Kommission (Pieck, Heckert, Radek, Varga), die sich mit dem Problem „Positive Forderungen“ befassen sollte, die den unmittelbaren Tagesnöten des Proletariats entsprachen. Diese Kommission schlug vor, die KPD solle jetzt über die im Zirkularbrief des EKKI vom 26. Juli 1921 empfohlene Haltung (nicht von vorneherein gegen eine Arbeiterregierung sich auszusprechen) hinausgehen. Sie solle anbieten, eine Arbeiterregierung zu unterstützen, „unter der Bedingung der Entwaffnung der ‘weißen’ Organisationen, der Bildung der Reichswehr nur aus gewerkschaftlich organisierten Arbeitern und der Belastung der Profite durch namhafte Erfassung der Goldwerte“.
Arnold Reisberg kommentiert diesen neuen Schritt des EKKI so: „Von dieser Empfehlung an kann man die Losung der Arbeiterregierung als eine kommunistische Losung datieren. Es war das erste Mal in der Geschichte der Komintern und der KPD, dass bewusst die Forderung der Arbeiterregierung als Konsequenz der Politik der Aktionseinheit aufgestellt wurde. Die Verbindung von drei Losungen: Erfassung der Sachwerte, Produktionskontrolle und Arbeiterregierung, wie sie im Brief des EKKI vorgeschlagen wurde, sollte für die KPD zu einem Hebel der Massenmobilisierung werden, der einen entscheidenden Schritt im politischen Leben ermöglichen konnte.“
Die KPD-Zentrale zögerte jedoch, die Losung „Arbeiterregierung“ zu übernehmen. In der Novembersitzung 1921 ihres Zentralausschusses wurden Thesen hierzu vorbereitet, die zwar „solchen Regierungen“ eine „revolutionäre Rolle als „klassische Schule zur Überwindung“ der bürgerlich-demokratischen „Illusion“ zuschrieben. Die Partei sollte deshalb „in einem Stadium, wo die Mehrheit der Arbeiterklasse noch nicht, von dem Willen der Diktatur beseelt, hinter den Kommunisten steht... die Bildung einer solchen Regierung „zulassen“, ihr Zustandekommen „erleichtern“, sie „gegen die bürgerliche Rechte aktiv unterstützen“. Aber sie müsste „außerhalb“ der „sozialistischen Regierung“ bleiben. Sie könnte nur in der proletarischen Diktatur auf dem Boden der Räte in die Regierung gehen. Die „sozialistischen Regierungen“ seien ein „Schutzwall der Bourgeoisie gegen die proletarischen Massen“ hieß es überdies in den Thesen. Ihr Sturz „zugunsten der Räterepublik“ werde als Ergebnis des „Volksaufstandes“ erfolgen, der „das ganze Reich ergreift“.
Die Teilnahme der Kommunisten auch an „sozialistischen“ Länderregierungen wurde weiterhin mit aller Schärfe abgelehnt.
„Arbeiterregierung und Rätemacht wurden schematisch einander entgegengestellt“, kommentiert Arnold Reisberg, „was den damaligen Vorstellungen der meisten Kommunisten entsprach. Es kam in den Thesen noch nicht klar zum Ausdruck, dass die Arbeiterregierung in der damaligen Situation die einzig gegebene Form der Heranführung der Massen an die Machteroberung war.“
Radek war es, der den Thesenentwurf des KPD-Zentralausschuss ebenso scharf wie sarkastisch in einem Brief vom 10. November 1921 zerpflückte. „Da wir aller Voraussicht nach mit beiden Beinen von der jetzigen Lage in die Räterepublik nicht hineinspringen werden“, schrieb Radek, „so ist die Etappe, über die wir hindurch kommen, die für uns günstigste Etappe, die Arbeiterregierung ...“ SPD und USPD, die von der Konzeption einer Koalition mit den Bürgerlichen ausgingen, seien durchaus nicht geneigt, eine Arbeiterregierung zu bilden, „wobei sie die Befürchtung breiter Massen ausnutzen, dass einer Arbeiterregierung ohnehin kein Erfolg beschieden sein würde.“
Angesichts dieser Lage, meinte Radek, hätte es keinen Zweck, die Agitation für eine Arbeiterregierung damit zu beginnen, dass sie ein Dreck ist.“ Die Arbeitermassen müssten für sie gewonnen werden, statt zu versuchen, sie davon zu überzeugen, dass die Sache ein Blödsinn ist, den wir nur „aus Rücksicht auf ihre Dummheit mitmachen“.
Radek schlug vor, in aller Öffentlichkeit zu erklären: „Die Kommunistische Partei ist kein prinzipieller Gegner der Teilnahme an einer Arbeiterregierung. Sie steht auf dem Boden der Räteregierung, aber das besagt mit keinem Wort auf welchem Wege die Arbeiterklasse zur Räteregierung gelangt.“ Sie könne in einer Revolution gegen eine bürgerliche Regierung, aber auch durch die Entfaltung des Kampfes der Arbeiterschaft zur Verteidigung einer auf demokratischem Wege entstandenen sozialistischen Regierung, geschaffen werden. „Ob die kommunistische Partei sich an solch einer Regierung beteiligen würde, das würde von der konkreten Situation abhängen.“ Die Resolution der KPD dürfe „nicht einen Sack doktrinärer Bedenken und theoretischer Exkursionen enthalten“. Würde es gelingen, die SPD und USPD-Massen davon zu überzeugen, „dass wir nicht nur Manöver ausführen“, dann würde die KPD, in beiden Fällen – ob die anderen mitgehen oder nicht, einen Gewinn davontragen. Es gehe darum, dass die Masse sieht: Wir wollen auf dem Wege, der jetzt möglich ist, Dinge ändern, nicht nur durch Propaganda, sondern indem wir das ausführen, was sie selbst für einen möglichen Weg aus dieser Situation hält.
Das Politbüro der KPD beschloss am 9. Dezember 1921, „die Zentrale vor die Frage zu stellen, ob die KPD nicht die Frage der sozialistischen Arbeiterregierung und der Auflösung des Reichstages in aller Klarheit und Breite stellen sollte.“ Aber wiederum tauchte, sogar im Politbüro, die Meinung auf, diese Parole sei „nicht annehmbar“. Und wiederum war es die KI, mit deren Hilfe die Bedenken überwunden wurden.
Die Exekutive der KI riet der KPD, in aller Öffentlichkeit ihre Bereitschaft zu erklären, in eine Arbeiterregierung des Kampfes gegen die Bourgeoisie einzutreten.
Außerdem sei die Stellungnahme zu den christlichen Arbeitern ein „großer Fehler“. Bei der Parole „Arbeiterregierung“ werde an eine Koalitionsregierung der Arbeiterorganisationen gedacht, an der im Prinzip auch nichtsozialistische Arbeiterorganisationen teilnehmen könnten. (Ich möchte daran erinnern, dass dies genau dem Vorschlag von Karl Legien nach dem Kapp-Putsch entsprach.)
Auf dem IV. Weltkongress der KI, der vom 5. November bis zum 5. Dezember 1922 dauerte, forderte Lenin dazu auf, aus dem Sieg des Faschismus in Italien die nötigen Schlüsse zu ziehen. Er wandte sich gegen eine gedankenlose, mechanische Übernahme der russischen Erfahrungen und forderte dazu auf, diese schöpferisch auf die Bedingungen des eigenen Landes anzuwenden. Als Hauptergebnis des IV. Weltkongresses nennt Arnold Reisberg die Erneuerung des Bekenntnisses zur Einheitsfront – auch im internationalen Maßstab – durch den offenen Brief an die zweite und zweieinhalbte Internationale, an die Gewerkschaften aller Länder und an die Internationale Gewerkschafts-und Genossenschaftskonferenz, um ihnen eine Aktionseinheit gegen die Offensive des Kapitals und eine gemeinsame Front zur Verteidigung der einfachsten Rechte und Interessen der Arbeiterklasse anzubieten.
Lenin beteiligte sich am 16. November 1922 (zusammen mit Bucharin, Radek, Sinowjew, Trotzki) an einer Sitzung derdeutschen Delegation, in der er die deutschen Kommunisten aufforderte, „um jeden Preis die inneren Streitigkeiten zu beenden“ und „an die wirkliche Arbeit zu gehen“. Sein politischer Auftrag lautete: „Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften“, um „den Kampf um eine Arbeiterregierung in Deutschland zu führen“. Den Eintritt der Kommunisten in die sächsische Regierung, worüber, gerade in der Zeit des IV. Weltkongresses verhandelt worden war, hielt Lenin „für verfrüht“. Die sowjetischen Führer unterstützten den Vorschlag Trotzkis, dass man aber „die Frage der sächsischen Arbeiterregierung als Ausgangspunkt für eine breit angelegte Kampagne für eine Reichs-Arbeiterregierung ausnutzen soll“. (Reisberg 2/671)
Die von der KI geforderte „Neuorientierung“ beruhte auf der relativen wirtschaftlichen Stabilisierung im Jahre 1921. Es ging darum, eine Taktik für die revolutionäre Partei in einer nicht revolutionären Periode zu erarbeiten. In Deutschland änderte jedoch ein politisches Ereignis im Januar 1923 die Lage schlagartig. Die französische Regierung ordnete die Besetzung des Ruhrgebietes und des Rheinlands zur Eintreibung von Reparationen für den von Deutschland ausgelösten und verlorenen Ersten Weltkrieg an. 80 Prozent der Eisen- und Stahlerzeugung, 71 Prozent der Kohleförderung gingen verloren. Die deutsche Industrie und die gesamte Volkswirtschaft brachen zusammen. Am Ende des von der deutschen Regierung gegen die „Alliierten“ erklärten „passiven Widerstandes“ waren Oktober/November 1923 etwa 8 Millionen – damals mehr als die Hälfte der ganzen Arbeiterklasse – entweder arbeitslos oder in Kurzarbeit: Die Staatsfinanzen brachen zusammen. Eine noch niemals dagewesene Geldentwertung trat ein. Ein US-Dollar betrug im Oktober 1923 75 Milliarden Mark. All dies führte zu einer Verelendung von Arbeitern, Angestellten, Beamten, Rentnern, Pensionären, Kleinbürgern.
Allein Banken, Konzerne und Spekulanten betrieben Schiebergeschäfte, mit denen sie sich bereicherten. Durch die „Mark-Flucht“ wurde das Volksvermögen in ausländische Währung angelegt. Der berüchtigte Hugo Stinnes entfaltete sich hemmungslos. Die Krautjunker bezahlten ihre Schulden mit entwerteter Papiermark.
Wie aber verhielt sich die Führung der KI und der KPD? Erich Wollenberg, damals militärpolitischer Experte der KPD, schilderte die Lage so: „1923 hatte ein dreitägiger Generalstreik in ganz Deutschland, der ohne das Zutun der KPD wirklich spontan ausgebrochen war, die rechtsreaktionäre Regierung des Reichskanzlers Cuno gestürzt. Sie wurde abgelöst von der Regierung Stresemann, der führende Sozialdemokraten in sein Kabinett aufnahm. Jetzt – wir möchten betonen erst jetzt und nicht bereits spätestens im Mai 1923, als es im Ruhrgebiet zum Generalstreik gekommen war, der in Bochum in einen bewaffneten Aufstand umschlug – also erst im August 1923 fasste der Kreml den Beschluss, den bewaffneten Aufstand in Deutschland mit dem Ziel der Machtergreifung durch das Proletariat vorzubereiten.“
Wie aber verhielt sich die KPD-Führung, die vor Ort doch viel eher den „Umschlag“ hätte erkennen müssen als der Kreml? Erich Wollenberg schildert ihre Haltung sehr genau so: „In Bochum leitete ich unter dem Namen ‘Walter’ einen im Mai 1923 im Zusammenhang mit einem Generalstreik im Ruhrgebiet ausgebrochenen bewaffneten Aufstand. Die Zentrale der KPD (Heinrich Brandler als Führer der Partei und Ruth Fischer als Führerin der linken Opposition) haben den Aufstand verurteilt und die Entwaffnung der Aufständischen gefordert. Sie sahen im Aufstand objektiv eine Provokation der deutschen Bourgeoisie, die die Verantwortung für die Kapitulation im Widerstand gegen die imperialistische Aggression der Poincare und Konsorten auf die Arbeiterschaft, auf die Kommunisten abwälzen wollte. Damals erhielt ich meine erste Parteirüge. Während des Aufstandes in Bochum war es zur Verbrüderung mit den Soldaten der französischen Besatzungsarmee gekommen, die unsere bewaffneten Hundertschaften mit Beifallsklatschen begrüßten und uns zuriefen: Ä bas Poincare! A bas Stinnes!’ Im Mai 1923 war die größte Chance der deutschen Revolution verpasst worden,“ schreibt Wollenberg. (In A. Neuberg [Pseudonym]: Der bewaffnete Aufstand. Versuch einer theoretischen Darstellung, eingeleitet von Erich Wollenberg, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt, 1971; S. 66 ff.)
Der Streit der Historiker darüber, ob damals tatsächlich eine „Chance der deutschen Revolution verpasst wurde“, setzt sich bis heute fort. Unzweifelhaft ist, dass durch die rasante Inflation das soziale Gefüge zersetzt und für radikale Lösungen empfänglich gemacht worden war. Bis zur „Stabilisierung“ der Reichsmark durch den sozialdemokratischen Finanzminister Rudolf Hilferding (4 Billionen Reichsmark waren einen Dollar wert) war dies die einzige Situation, in der nicht nur die Mehrheit der Arbeiterklasse, sondern auch die Mehrheit des Volkes den Herrschenden feindlich gegenüber stand.
Anfang Oktober 1923 forderte der sächsische links-sozialdemokratische Ministerpräsident Zeigner die Kommunisten dazu auf, sich an seiner Regierung zu beteiligen. Am 10. Oktober 1923 traten Kommunisten in die sozialdemokratischen Regierungen von Sachsen und Thüringen ein. Klaus Michael Mallmann (durchaus kein „Linker“) schildert dies in seinem 1996 erschienen Buch „Kommunisten in der Weimarer Republik“ so:
„In Sachsen, wo sich die SPD mehrheitlich gegen eine Koalition mit den ‘Bürgerlichen’ aussprach und die MSPD/USPD-Minderheitsregierung [3] von der KPD zwar mitgewählt, aber auch bekämpft worden war, traten am 10. Oktober 1923 Böttcher und Heckert (von der KPD, J.M.) in die Landesregierung ein; Brandler wurde Leiter der Staatskanzlei eines Kabinetts der ‘republikanischen und proletarischen Verteidigung’. Ähnlich lagen die Verhältnisse in Thüringen, wo am 13. Oktober 1923 gleichfalls zwei kommunistische Minister ernannt wurden. Die von Ebert-Stresemann verantwortete ‘Reichsexekution’ beendete dieses Experiment zum Teil blutig — allein in Freiburg gab es 30 Tote –, obwohl beide Landesregierungen verfassungsmäßige Mehrheiten in ihren Landtagen hatten.
Das Echo des Übermächtigungsaktes war verheerend – schreibt Klaus Michael Mallmann – zumal das Selbstverständnis vieler Sozialdemokraten durch die Tatsache, dass SPD-Minister erstmals mit Vertretern der großindustriellen DVP (Deutsche Volkspartei, J.M.) auf einer Regierungsbank saßen, einer schweren Zerreißprobe ausgesetzt war.
„Die Funktionärsversammlung der VSPD Großberlins“, so war im Vorwärts zu lesen, „schließt sich dem Vorgehen der Funktionäre von Leipzig an und verlangt den sofortigen Ausschluss des Reichspräsidenten Ebert aus der Partei. Eine Begründung nach den letzten Handlungen des Reichspräsidenten erübrigt sich.“
Nicht nur über den Weg theoretischer Überlegungen sondern durch – teils bittere – praktische Erfahrungen war die Exekutive der KI zu drei entscheidenden Schlussfolgerungen gelangt:
Erstens: Die Notwendigkeit einer Einheitsfront ergibt sich objektiv aus dem „Pluralismus“ der Parteien, die sich auf die Klasse der abhängig Beschäftigten stützen und von ihr gestützt werden, einer Klasse, die jedoch selbst nicht homogen ist. Die politisch logische Folge der Einheitsfrontpolitik ist die Bildung einer „Arbeiterregierung“ durch eine Koalition dieser Parteien in Opposition zu den bürgerlichen Parteien. Hierbei darf die zur Gesellschaftsänderung entschlossene Partei ihr Programm nicht aufgeben, muss jedoch für politische Forderungen eintreten, die im Rahmen des Kapitalismus verwirklichbar sind und für die eine außerparlamentarische Mobilisierung möglich ist.
Zweitens. Auf keinen Fall sollte eine kommunistische Partei gemeinsam mit bürgerlichen Parteien eine „Arbeiterregierung“ (oder auch „sozialistische Regierung“, wie von Kommunisten fälschlicherweise eine SPD/ USPD-Koalition genannt wurde) stürzen. Die Unterstützung einer solchen Regierung – um zu verhindern, dass sie eine Koalition mit bürgerlichen Parteien eingeht, unter Aufdeckung ihrer Mängel und ihres Versagens und Organisierung außerparlamentarischen Drucks, bietet die Chance, Enttäuschte und Entfremdete aufzufangen, die sonst in die Arme populistischer Rechtsextremisten getrieben werden.
Drittens. Kommunisten können sich nicht nur auf Landes- sondern auch auf Bundesebene an einer „Arbeiterregierung“ beteiligen, wenn eine Einigung mit den anderen Parteien über die wichtigsten Ziele zustande kommt, die sie verwirklichen will. Es müssen dies Ziele sein, für die es auch möglich ist, außerparlamentarisch zu mobilisieren. Schrecken sozialdemokratische Regierungspartner davor zurück, Versprechen, denen sie zustimmten, wahr zu machen, ist ein Austritt der Kommunisten aus der Koalition unumgänglich. Allerdings ohne Hilfestellung für ihren Sturz zu leisten. Nur so kann die Anhängerschaft Vertrauen zur kommunistischen Opposition in einer nichtrevolutionären Situation gewinnen. Sie muss beweisen, dass sie sich dem Druck des Kapitals nicht beugt, diejenigen die kapitulieren durch offene Kritik bloßstellen, aber nicht dazu beitragen, sie mit Hilfe bürgerlicher Parteien zu stürzen.
Dass all dies nicht nur Geschichte ist, sondern auch aktuelle Bedeutung gewinnen kann, lässt sich am Beispiel Frankreichs aufzeigen, wo 1981 die Sozialisten zusammen mit den Kommunisten 55% der Wählerstimmen und 65% der Parlamentssitze errangen und eine „Arbeiterregierung“ gebildet wurde. Ihr Symbol war eine rote Rose. Über weitgehende Verstaatlichungen hatte man sich geeinigt. Aber in den 14 Jahren der Herrschaft unter Präsident Mitterrand verdoppelte sich die Arbeitslosigkeit und sank das Realeinkommen der Arbeitenden. Die Kommunisten sorgten dafür, dass die von ihnen beherrschte Gewerkschaft CGT stillhielt und soziale Opfer hinnahm. Sie verließen nicht die Regierung und mussten dies mit einem Niedergang der CGT bezahlen, die einst zwei Millionen Mitglieder hatte, von denen nur noch 650 000 übrig blieben. Die Partei verlor massenhaft Wählerstimmen. Der rechtsradikale Le Pen hatte schließlich unter seiner Wählerschaft mehr Arbeiter als die Sozialistische oder Kommunistische Partei und nicht wenige Angestellte,
Der Vorsitzende der FKP, Robert Hue, bedauerte in einem Interview mit Le Monde (am 14.5.1996), dass seine Partei mit der sowjetischen Vergangenheit nicht rechtzeitig gebrochen hat.
Aber auch, dass sie im Mai 1968 während der französischen Studentenrevolte (übrigens mit der schönen Losung: „Die Fantasie an die Macht“, J.M.), die zu einem mehrwöchigen Streik von zehn Millionen Arbeitenden führte, versäumte eine „revolutionäre“ Antwort zu geben.
Zugleich erklärte Robert Hue zur Koalitionsregierung mit den Sozialisten unter der Präsidentschaft von Mitterrand: „Ich war für das gemeinsame Programm der Linken, den Einheitswillen, aber nicht für solche revolutionäre Veränderungen, derer es damals bedurft hätte.“ Unmittelbar nach der Unterzeichnung des Gemeinsamen Programms habe Mitterrand gesagt, dass er „den Kommunisten 3 Millionen Wählerstimmen nehmen will ... Im Jahre 1993 hatte sich allerdings gezeigt, dass die Linke mit einer geschwächten FKP verloren hat“, sagte Robert Hue.
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Vom Symbol der roten Rose – können wir heute sagen – sind damals nur die Domen geblieben. Der Grund dafür lag jedoch nicht darin, dass die Kommunisten in eine „Arbeiterregierung“ eingetreten waren. Er lag darin, dass sie keinen außerparlamentarischen Widerstand mit Hilfe der von ihr geleiteten Gewerkschaft CGT gegen die „sozialen Grausamkeiten“ der Regierung mobilisierten und sie nicht verließen, nachdem Mitterrand die gemeinsamen „Vereinbarungen“ brach.
Berlin, 6.9.1999 |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 337/338 (November/Dezember 1999). | Startseite | Impressum | Datenschutz