Nachruf

Jakob Taut (1913-2001)

Jakob Moneta

Am 31. Oktober starb in Israel Jakob Taut. 1913 wurde er in Galizien (das damals zu Österreich gehörte) geboren. Seine Familie wanderte nach Berlin aus, wo sie sich im Scheunenviertel, einem von vielen Ostjuden bewohnten Stadtteil hinter der Börse, niederließ.

 

Jakob Taut

1993, Foto: privat

Mit 14 Jahren begann Jankel eine Lehre in einem Metallbetrieb, schloss sich der Kommunistischen Jugend an und wurde aktiver Gewerkschafter. Das führte zu einem schmerzhaften Bruch mit seinem jüdisch-orthodoxen Elternhaus.

In den 30er Jahren wurde er aus der KPD, deren ultralinke Politik er missbilligte, ausgeschlossen und schloss sich der KPO unter der Führung Brandlers an, sympathisierte aber auch mit Trotzki. 1934 setzte er sich nach Dänemark ab, von dort aus nach Palästina, wo er in einer kleinen brandlerianischen Gruppe aktiv war; danach baute er einen trotzkistischen Kreis auf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Facharbeiter im damals größten Betrieb in Palästina – der Ölraffinerie von Haifa; von arabischen und jüdischen Arbeitern wurde er in den Betriebsrat gewählt. Als jüdische Terroristen durch ein Attentat arabische Arbeiter umbrachten, rächten sich diese in blinder Wut durch die Ermordung von jüdischen Arbeitskollegen. Jankel wurde schwer verwundet, unter Leichen liegend, aufgefunden und in ein Hospital eingeliefert.

Das Erlebnis hat ihn an seinem unbeirrbaren Internationalismus nicht zweifeln lassen. Er gehörte zur Führung der antizionistischen marxistischen Gruppe Matzpen (Kompass), in der sowohl Israelis als auch Palästinenser organisiert waren.

Sein 1986 im ISP-Verlag veröffentlichtes Buch Judenfrage und Zionismus ist eine Fundgrube für alle, die sich gründliche Kenntnisse auch über die heutigen Nahostprobleme und den Befreiungskampf der Palästinenser aneignen wollen. [1]

Jankel Taut übersieht nicht, dass nach Auschwitz Juden „in ihren unendlichen Schmerz unfähig waren, den palästinensischen Freiheitskampf zu sehen“ und den „reaktionären Charakter der zionistischen Bewegung, der sie sich anschlossen, zu begreifen“. Er unterschlägt aber auch nicht, dass der Zionismus „nicht deshalb siegte, weil die Juden in aller Welt einen jüdischen Staat haben wollten“, sondern weil der „historische Wahnsinn“ den mörderischen Nazismus hervorbrachte und einen Großteil der überlebenden europäischen Juden entwurzelte. „Das heißt, die schrecklichste Reaktion ermöglichte die Verwirklichung eines der Hauptziele des Zionismus“, schreibt er.

Wenn er fordert, „das verlogene Gesicht des Zionismus aufzudecken“, fügt er sogleich hinzu: „Das darf jedoch unter keinen Umständen bedeuten, die Tatsache der Barbarei im Massaker an den Juden aus unserem Gedächtnis und unserem Bewusstsein auszulöschen. Wir müssen wissen, was geschah, warum es geschah, wir müssen die Ereignisse erklären, um der zionistischen Propaganda den Wind aus den Segeln zu nehmen.“

Das Ziel einer revolutionären marxistischen Bewegung sah er darin, „die Rechte der Palästinenser auf ihr Heimatland zu erkämpfen, den kolonisatorischen und proimperialistischen Zionismus in Palästina zu beseitigen und zu einer jüdisch-palästinensischen Kooperation in einem gemeinsamen Staat zu gelangen. Dies sollte durch die Verwirklichung eines binationalen Palästinas in einer Vereinigten Arabischen Region geschehen.

Jankel Taut scheute sich nicht, die Position von Teilen der PLO zu kritisieren, „die die Existenz einer jüdisch-israelischen Nation leugnen und nur eine jüdische Religionsgemeinschaft anerkennen“. Er widersetzte sich auch den Illusionen von Palästinensern, die glaubten, die Vertriebenen könnten eines Tages an ihre ehemaligen Wohnorte in Dorf und Stadt zurückkehren und dort ihre frühere Beschäftigung und Lebensweise wieder aufnehmen. Die Infrastruktur und selbst die Ökologie sei so verändert, „dass nicht viel Ähnlichkeit mit dem damaligen Palästina übrig blieb. Man kann nicht in einen Zustand zurückkehren, der nicht mehr besteht. Eine effektive Wiederansiedlung bedarf einer wissenschaftlichen, sozialen und politischen Planung. Die Realisierung eines solchen Plans bedarf bedeutender Hilfe sowohl aus der Region als auch aus der ganzen Welt“, sagte er.

      
Mehr dazu
Micha [Jakob Taut]: Zum Gedenken an Hersch Mendel, Inprekorr Nr. 400/401 (März/April 2005)
Interview mit Rudolf Segall: Palästina als Zufluchtsort für jüdische Flüchtlinge, Inprekorr Nr. 347 (September 2000)
Jakob Taut: Über den Charakter des Zionismus und der palästinensischen Befreiungsbewegung, Inprekorr Nr. 342 (April 2000)
Jakob Taut: Fünfzig Jahre danach, Inprekorr Nr. 283 (Mai 1995)
Jakob Taut: Das Ziel muss ein geeinigter Staat sein, Inprekorr Nr. 267 (Januar 1994)
 

Klingt es heute nicht geradezu unglaublich, wenn in einer gemeinsamen „öffentlichen Erklärung“ von PLO und Matzpen vom 7. Februar 1976 die gemeinschaftliche und grundlegende Treue zu den folgenden Zielen beschworen wird:

  1. Sofortiger, voller und bedingungsloser Rückzug Israels aus allen im Jahr 1967 eroberten Gebieten;

  2. Anerkennung des Rechtes des ganzen palästinensischen Volkes, seine nationale Selbstbestimmung zu verwirklichen, einschließlich des Rechts, einen souveränen Staat in Palästina aufzubauen;

  3. Anerkennung des uneingeschränkten Rechts aller Palästinenser, in ihre Heimat zurückzukehren und volle bürgerliche und soziale Rechte zu genießen;

  4. Abschaffung aller Gesetze, Bestimmungen, Ämter und Handlungen, die das gegenwärtige Regime „jüdischer Hoheit“, nationaler Unterdrückung und ethnischer Diskriminierung enthalten.

Jankel Taut sah durchaus, welche Gefahren drohten, wenn es nicht zu einem gemeinschaftlichen Kampf von Israelis und Palästinensern zur Verwirklichung einer demokratischen Gesellschaft ohne nationale, rassische und soziale Unterdrückung, bei voller Freiheit und Gleichheit kommt. Als seine physischen Kräfte altersbedingt schwanden, zog er sich mit Mi, seiner Lebensgefährten, die ihn ihr Leben lang umsorgt hat, in den Kibbuz Sarid zurück, in dem ihre Kinder und Enkel leben.


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 362/363 (Dezember 2001). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Judenfrage und Zionismus hat Jankel seinen „verstorbenen Freunden und langjährigen politischen Genossen“ gewidmet: Alisa, eine jüdische Kommunistin aus Polen, und Jabra Nicola, ein bedeutender arabischer marxistischer Intellektueller, die beide in einer glücklichen Mischehe einander verbunden waren.