Die Gründung des Bündnisses "Respect", nach dem Wahlerfolg der Scottish Socialist Party, wird morgen vielleicht als Ereignis gesehen werden, das die Erneuerung der britischen Linken ankündigte. Wir veröffentlichen nachfolgend zwei Kommentare zu diesem Ereignis. Einer stammt von unserem Genossen Alan Thornett, der andere von Alex Callinicos von der SWP, der größten Organisation der britischen radikalen Linken. Beide haben auf die Gründung von "Respect" hingearbeitet. Daraus ergeben sich einige Überschneidungen in den beiden Artikeln. Wir möchten jedoch beide vorstellen, um die Übereinstimmungen, aber auch die Unterschiede aufzuzeigen.
Alan Thornett
RESPECT -- ein neues politisches, sozialistisches und pluralistisches Bündnis, wurde im Verlauf eines Kongresses mit fast 1500 TeilnehmerInnen am 25. Januar in London gegründet. Respekt wird sowohl für die Wahlen zum europäischen Parlament wie auch die für den Rat von Groß-London am 10. Juni KandidatInnen aufstellen.
Der Saal bekundete heftig Beifall, als die politische Erklärung für das Bündnis von einer überwältigenden Mehrheit der TeilnehmerInnen angenommen worden war. Im Verlauf des Tages war diese Erklärung in der Diskussion präzisiert und abgeändert worden.
RESPECT ist ein Akronym und steht für Respekt, Gleichheit, Sozialismus, Frieden, Umwelt, Gemeinschaft und Gewerkschaftsbewegung (trade unions). Dies fasst die Prioritäten der Gründungsmitglieder und die Erwartungen der AnhängerInnen ziemlich gut zusammen.
Der Kongress wählte eine vorläufige Leitung aus 18 Personen, in der die Antikriegsbewegung stark vertreten ist, die die Initiative auch gestartet hatte. Darunter befinden sich mit George Galloway ein Labour-Abgeordneter aus Glasgow, der im vergangenen Oktober wegen seiner Gegnerschaft zum Irak-Krieg, vor allem aber wegen seines Aufrufs an die britischen Soldaten, den Gehorsam zu verweigern, aus der Partei ausgeschlossen wurde. Sodann der Generalsekretär der Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes, Mark Serwotka und zwei regionale Gewerkschaftsführer der Feuerwehr; weiterhin der Filmemacher Ken Loach, sodann Salma Yaqoob, eine sehr bekannte muslimische Aktivistin in der Bewegung "Stop the war" in Birmingham, dann Dr. Kalim Siddiqi, der Vorsitzende des Rates der Muslime in England und Nick Wrack, der Vorsitzende der Socialist Alliance. Die revolutionäre Linke ist mit vier Führungsmitgliedern der Socialist Workers Party (SWP, die größte Organisation der radikalen Linken in England) und meiner Person als Führungsmitglied der International Socialist Group, der Sektion der IV. Internationale, vertreten.
Die Führung soll für die Anleitung der Wahlkampagnen und die Tätigkeit von RESPECT bis Oktober 2004 verantwortlich sein. Ein zweiter Kongress soll dann die Gründung weiterführen und für dauerhaftere Strukturen sorgen.
Die rasche Rechtsentwicklung der Labour Party hat auf der Linken zu einem Leerraum geführt, der in Großbritannien ab Mitte der neunziger Jahre spürbar wurde und nach einer Organisation wie Respect verlangte. Damit sah sich die britische Linke vor die Herausforderung gestellt, ihre selbstbezogene und isolationistische Politik aufzugeben und etwas Neues und Breiteres aufzubauen.
Im Verlauf der vergangenen Jahre hat sich die Socialist Alliance in England und -- deutlich erfolgreicher -- die Scottish Socialist Party in Schottland dieser Aufgabe angenommen. In England ist der Socialist Alliance der Durchbruch nicht gelungen, doch hat sie dem Aufbau einer linken Alternative den Boden bereitet.
Mit dem Auftauchen einer Massenbewegung gegen den Irak-Krieg ergaben sich große neue Möglichkeiten. Aber die "Stop the war"-Koalition war zwar ein sehr großer Erfolg, konnte aber nicht als politische Organisation auftreten und an Wahlen teilnehmen, eben weil sie eine breite Einheitsfront war. Auf ihrer Konferenz vom Mai 2003 hat die Socialist Alliance sich klargemacht, dass auf der Linken ein großer Leerraum bestand, und zur Bildung einer neuen politischen Organisation aufgerufen, die in der Lage sein sollte, die im Verlauf des Krieges aufgetretene Radikalisierung zu repräsentieren. Doch es fehlte der Katalysator für eine solche Bewegung, und der Aufruf der Socialist Alliance war nicht von Erfolg gekrönt.
Durch den Rausschmiss von George Galloway hat die Führung der Labour Party unwillentlich die Bedingungen für eine erheblich breitere politische Initiative geschaffen. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er nicht gezögert hat, wenige Tage nach seinem Rauswurf einen direkten Aufruf zur Bildung einer neuen Gruppierung zu lancieren, die auch an den Europawahlen und den Stadtratswahlen in London teilnehmen sollte; er erklärte sich auch bereit, auf den Listen zu kandidieren, wenn er gefragt würde.
Als früherer Labour-Abgeordneter verschaffte er einem solchen Aufruf die nötige Glaubwürdigkeit. Tatsächlich ist er der erste Labour-Abgeordnete der jüngeren Zeit, der einen solchen Schritt macht und zur Bildung einer neuen Partei aufruft. Als (der heutige Londoner Bürgermeister) Ken Livingstone hinausgeworfen wurde, verweigerte er sich nicht nur einem solchen Schritt, sondern rief die andern auch noch auf, in Labour zu bleiben. George Galloway hat erklärt, er habe nicht die Absicht, seine Wiederzulassung in die Labour-Partei zu verlangen, denn das wäre Betrug an den Mitgliedern der Antikriegsbewegung.
Potentiell ist Respect die wichtigste Entwicklung auf der britischen Linken, seitdem sich die Frage der Neuorientierung der antikapitalistischen Linken in England stellt, also nach der Blair'schen Wende Mitte der neunziger Jahre. Das Auftauchen von Respect kann ohne eine Einschätzung des Erfolges und der Lebendigkeit der Antikriegsbewegung in England, in deren Prozess sich ein breites Spektrum von politischen Traditionen zur Zusammenarbeit gefunden hat, nicht verstanden werden. Sicherlich ist es der Bewegung nicht gelungen, den Krieg zu verhindern. Doch stellt sie die wichtigste und wirkungsvollste politische Kampagne und das breiteste Bündnis dar, welches seit langem in England entstand; wegen der Breite der Unterstützung ist und bleibt sie eine wirkliche Massenbewegung.
Seit der ersten Demonstration im September 2002 wurde deutlich, dass aus der Antikriegsbewegung etwas ganz Außerordentliches werden würde. Dieser Demonstration folgte am 15. Februar 2003 die größte politische Demonstration in der britischen Geschichte, als zwei Millionen Menschen auf die Straße gingen. Eine solche Bewegung entwickelte die Fähigkeit, die Linke zu revitalisieren und zu erneuern -- sofern die Linke diese Gelegenheit ergreifen würde.
Gleichzeitig wurde die Bevölkerung der völlig reaktionären Sozialpolitik von New Labour ausgesetzt. Die Regierung führte Gebühren für die Ausbildung ein, privatisierte Schulen und machte den Profit zum Gesetz im Gesundheitswesen. Sie ermunterte Rassismus und stärkte wegen ihrer fortgesetzten Angriffe auf ImmigrantInnen und AsylbewerberInnen die extreme Rechte. Die AnhängerInnen der Labour Party wurden mit der Tatsache konfrontiert, dass deren Politik in vielen Fällen noch schlimmer war als die ihrer konservativen Vorgängerin.
Das Zusammenwirken von zwei Faktoren, nämlich dem Krieg und der Sozialpolitik von Labour erweiterte die seit längerem bestehende Bresche zwischen den Vorstellungen der traditionellen Basis und New Labour von Tony Blair.
Heute besteht die Aufgabe darin, Respect als neue politische Organisation aufzubauen. Sie könnte eine große Organisation der radikalen Linken werden, die den größten Teil der bestehenden linken Gruppen integriert. Sie könnte außer den Revolutionären auch viele Mitglieder von "Old Labour" (der Labour-Tradition vor Blair) absorbieren. Politisch wäre sie sicherlich eine heterogenere Organisation als die Socialist Alliance oder auch die Scottish Socialist Party. Ein Durchbruch ist möglich, wenn sich Teile der Gewerkschaftslinken anschließen und auf verschiedene Weise für Unterstützung sorgen -- wir sollten hier erwähnen, dass in Schottland die Transportgewerkschaft RMT sich der schottischen Socialist Party angeschlossen hat.
Doch wir müssen uns beeilen. Wir müssen darauf hinarbeiten, dass sich die Partei an alle Werktätigen richtet und die revolutionären SozialistInnen mit vielen andern, die gegen die rechte und reaktionäre Politik von "New Labour" kämpfen wollen, verbinden müssen. Wir brauchen eine Partei, die sowohl auf Wahlebene wie in gesellschaftlichen Bewegungen handlungsfähig ist. Respect könnte eine solche Partei werden.
Diese Frage steht zur Debatte und verdient, ernstlich geprüft zu werden. Die materielle Basis, damit aus Respect eine Partei wird (mehr im politischen als im organisatorischen Sinn), ist weit stärker als im Fall der Socialist Alliance. Damit sie es werden kann, braucht sie ein Zentralorgan und ihre Agitation und ihr Wirken in den Massenkampagnen müssen kollektiv gestaltet werden -- so wie es die Scottish Socialist Party vorgemacht hat.
Diese Fragen können nicht sofort geklärt werden, und die Diskussion wird wohl weitergehen. Es ist nicht sicher, dass die SWP -- die eine entscheidende Rolle beim Erfolg der ersten Etappe von Respect wegen ihrer Rolle in der Bewegung Stop the War gespielt hat -- möchte, dass daraus eine solche Partei entsteht. Die SWP meint auch weiterhin, die Socialist Alliance sei "eine besondere Art von Einheitsfront". Eine solche Formel ermöglicht es ihr, die wichtigsten Bereiche der Massenarbeit in ihrem Dunstkreis zu halten und eine Auflösung in die Alliance hinein zu verhindern. Wie wird sie sich bei Respect verhalten?
Unserer Meinung nach darf Respect keine Wahlpartei oder breites Wahlbündnis bleiben, sondern muss sich als politische Partei aufbauen, die langfristig besteht und eine Alternative zu New Labour darstellt. Es gibt innerhalb der Organisation einen Konsens, dass es eine demokratische und pluralistische Organisation sein soll, die den bestehenden Organisationen der radikalen Linken ermöglicht, sich einzubringen und als politische Strömungen weiterzubestehen.
Leider hat die Kommunistische Partei Großbritanniens (KPGB) auf ihrem Sonderparteitag am 21. Januar beschlossen, im Moment Respect nicht beizutreten, sondern ihre Politik fortzusetzen, die Labour nach links drücken will. Dies ist bedauerlich, wird jedoch Respect in seinem Elan nicht aufhalten. Tatsächlich ist die KPGB über diese Frage tief gespalten: Ihre Zeitung, der Morning Star, steht Respect positiv gegenüber und vor dem Kongress von Respect gab es eine Schlagzeile: "Alle an Bord des Einheitszuges!"
Wir haben einen Monat Zeit, um Respect zu strukturieren und die Wahlkampagne vorzubereiten. Das erste Treffen der provisorischen Leitung am 31. Januar rief zur Abhaltung von Regionalkonferenzen auf (auf der Grundlage der Wahlkreise für die Europawahlen), um Respect auch auf Regionalebene aufzubauen und die KandidatInnen zu wählen. Natürlich weiß niemand, wie viele WählerInnenstimmen Respect auf sich vereinigen können wird. Doch scheint es nicht unmöglich, zumindest eine/n Abgeordnete/n in das Europäische Parlament entsenden zu können.
Übersetzung: Paul Kleiser |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 390/391 (Mai/Juni 2004).