Aus Anlass von Jakob Monetas 90. Geburtstag im November 2004 hat der Neue ISP Verlag die Erinnerungen des polnisch-jüdischen Revolutionärs Hersch Stockfisz (Hersch Mendel) neu aufgelegt, die Jakob Moneta zusammen mit Nele Löw-Beer aus dem Jiddischen übersetzt hatte. Die erste deutschsprachige Ausgabe, 1979 im Rotbuch Verlag erschienen, war seit langem vergriffen. Nach Hersch Mendels Tod erschienen in der französischsprachigen Zeitschrift der IV. Internationale zwei Artikel, die „P.F.“ und „Micha“ gezeichnet waren und hier zum ersten Mal in einer anderen Sprache veröffentlicht werden. Der erste stammt von Pierre Frank (1905–1984), Mitglied des Vereinigten Sekretariats der IV. Internationale, der zweite, mit dem Pseudonym „Micha“ gezeichnete Text, von Jakob Taut, dem aus Deutschland stammenden jüdischen Marxisten, der allgemein Jankel genannt wurde und nicht nur in der israelischen Gruppe der IV. Internationale aktiv war, sondern auch zu den Initiatoren der israelischen antizionistischen Gruppe „Matzpen“ gehörte. [1]
Pierre Frank
H. Stockfisch, der unter dem Namen Hersch Mendel, politisch aktiv war, ist am 22. Juli [1968] in Israel gestorben. Mit ihm verschwindet einer der letzten Überlebenden der russischen, polnischen und jüdischen revolutionären Arbeiterbewegung der Jahre 1905 und 1917. Er war ein Mann mit einem großen Charakter, ein Revolutionär im vollen Sinne des Wortes, eine ausgesprochen anziehende heroische Figur.
Er wurde [1898] in Warschau geboren und wuchs in elenden Verhältnissen auf. Mit 15 Jahren entdeckte er während der revolutionären Kämpfe des Jahres 1905 in dieser Stadt die Sache des Sozialismus. Er zeichnet dieses Leben in einem Buch mit dem Titel Erinnerungen eines jüdischen Revolutionärs [2] nach, das er auf Jiddisch schrieb und das 1959 in Israel erschienen ist. 1905 nahm er bei den Demonstrationen teil, dann kamen Verhaftungen und ein Hungerstreik. Vor dem Ersten Weltkrieg emigrierte er nach Paris, wo er an den ideologischen Diskussionen und Konflikten in der Emigration teilnahm. Er kehrte nach Russland zurück und nahm in Moskau am Oktoberaufstand teil. Dann trat er in die Rote Armee ein, kehrte nach Warschau zurück, um dort während des Vormarschs der Roten Armee 1920 eine Erhebung in Pilsudskis Hinterland vorzubereiten. Er wurde zum Tode verurteilt. Später organisierte er in Weißrussland Bauern gegen die polnische Unterdrückung. Er organisierte die jüdische Abteilung der polnischen kommunistischen Partei und besuchte in Moskau eine Kaderschule. Er brach mit dem Stalinismus und wurde zu einem der Begründer der Opposition in der polnischen KP, für die er I. Deutscher gewann. 1933/34 musste er wegen der tödlichen Bedrohung seitens der Stalinisten von neuem in die Emigration gehen. 1938 nahm er an der Gründung der IV. Internationale teil.
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Das Schicksal, von dem die jüdischen Massen in Europa getroffen wurden, die Ausrottung von Millionen von Menschen betraf ihn direkt. Seine Angehörigen kamen um: Seine Eltern und seine Schwester starben [während des Ersten Weltkriegs] an Hunger, seine Frau, eine revolutionäre Arbeiterin, wurde in Auschwitz umgebracht. Das. Geschick des Milieus, in dem er so viele Jahre lang politisch aktiv gewesen war, zerbrach ihn. Nach dem Krieg kam es für ihn nicht in Frage, nach Polen zurückzukehren, in Frankreich zu leben, glückte ihm aber auch nicht. Er ging nach Israel, wo er nicht dazu in der Lage war zu begreifen, welches revolutionäre Potential die arabischen Massen darstellen könnten, ohne dass er die in Israel vorherrschenden Stimmungen geteilt hätte. In den Unterhaltungen, die wir während seiner Aufenthalte in Europa (zuletzt vor etwa 18 Monaten) mit ihm führten, war sowohl eine große Gemeinsamkeit der Ansichten zu allem, was die europäische Arbeiterbewegung betrifft, und eine unüberbrückbare Kluft da, sobald es um Israel und die arabische Welt ging. Alle von uns, die ihn kennen gelernt haben, hatten sich damit abgefunden, dass er manchen rationalen Argumenten nicht zugänglich war. Keine Freundschaft und keine Zuneigung konnten die beklemmende Angst überwinden, die ihn gepackt hielt.
Uns bleibt jetzt nur noch, diesem Genossen die letzte Ehre zu erweisen, den die neuen Generationen nicht kennen und der zu jener Phalanx gehörte, die den Sieg der russischen Revolution herbeigeführt hatte, in den ruhmvollen Jahren der marxistischen Internationale dabei gewesen war und – durch den Widerstand gegen den aufsteigenden Stalinismus – die Keime der revolutionär-marxistischen Masseninternationale von morgen gesät hatte. Die IV. Internationale ehrt das Andenken an Hersch Mendel.
Entnommen aus quatrième internationale, Paris, 26. Jg., Nr. 34, November 1968. |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 400/401 (März/April 2005). | Startseite | Impressum | Datenschutz