Unverkennbar hat die öffentliche Debatte um Hartz IV die soziale Frage wieder in den Vordergrund gerückt und Schichten der ArbeiterInnenklasse in ihrer Ablehnung des Neoliberalismus bestärkt. Die Linkspartei ist der parteipolitische Ausdruck davon, dass der Neoliberalismus seinen ideologischen Höhepunkt in der BRD überschritten hat. Sicherlich macht es das Leben erträglicher, wenn zukünftig nicht mehr 99% neoliberaler Schrott in den Medien verbreitet werden sollte, sondern nur noch 90%. Aber der Klassenkampf von oben wird nach der Bundestagswahl weitergehen.
B.B.
In Hunderten von Betrieben wurden vor der Bundestagswahl die Arbeitszeiten verlängert und die Löhne gesenkt, die Produktion teilweise ins Ausland verlagert oder ganz dicht gemacht; in Hunderten von Betrieben wird dies nach den Bundestagswahlen weitergehen. Daran ändern auch das Abschneiden der Linkspartei bei den Wahlen und ihr Einzug in den Bundestag nichts. Die Offensive des Kapitals ist nur durch „die Selbsttätigkeit der ArbeiterInnenklasse“ (eine beliebte Formulierung Ernest Mandels) – also Widerstand in den Betrieben, Streiks, Großdemonstrationen auf den Straßen usw. – zu stoppen, nicht aber im Parlament. Eine Debatte unter revolutionären SozialistInnen kann eigentlich nur um die Frage gehen: Ist die entstehende Linkspartei in eine sozialistische Kampfpartei zu verwandeln, die bewusst den Klassenkampf von unten organisiert und einen außerparlamentarischen Schwerpunkt setzt oder nicht?
Das Entstehen der Linkspartei fällt nicht in eine Aufschwungphase der ArbeiterInnenbewegung in der BRD, sondern steht unter dem Zeichen des Rückgangs der Klassenbewegung, mindestens was den gewerkschaftlich organisierten Teil angeht. Die Lohnabhängigen haben mit dem ostdeutschen Metallstreik, dem Dammbruch bei Siemens (Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich) und DaimlerChrysler (Tarifvertrag für „Dienstleister“) und der Tarifflucht unter dem Berliner SPD-PDS-Senat oder etwa mit der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst vom Februar 2005 bedeutende Rückschläge im Klassenkampf hinnehmen müssen. Offener betrieblicher Widerstand wie bei Opel Bochum, DC Mettingen und Alstom Mannheim blieben eher Ausnahmen und sind leider nicht kennzeichnend für die generelle Lage. Auch die Protestbewegung gegen Hartz IV konnte die Reform nicht verhindern.
Die schmale Schicht der klassenbewussten KollegInnen in den Betrieben brauchte nicht erst die Linkspartei, um gegen den Neoliberalismus zu opponieren. Das hat sie schon früher getan. Aber ein Teil der ArbeiterInnenvorhut sieht sich von der Offensive des Kapitals überrollt, auch weil die Gewerkschaften häufig nicht als Abwehrinstrument erlebt werden. Diese Vorhutelemente setzen ihre Hoffnungen auf die Linkspartei, die stellvertretend für sie die neoliberale Offensive im Parlament stoppen soll. Für andere, noch nicht klassenbewusste Lohnabhängige drückt die Wahl der Linkspartei sicherlich in den meisten Fällen eine erste Opposition gegen neoliberale Politik aus.
Auch auf der Ebene der Parteipolitik ist die erfolgreiche Gründung der Linkspartei nicht Ausdruck einer generellen Linksentwicklung. Vielmehr ist das ganze Parteienspektrum seit über einem Jahrzehnt nach rechts gerückt. Sichtbarster Ausdruck davon war der Weg der Sozialdemokratie, die sich seit Mitte der 90er Jahre unter der Führung ihres ehemaligen Vorsitzenden Oskar Lafontaine von einer sozialliberalen in eine neoliberale Partei verwandelte. Später bildeten SPD und Grüne, CDU/CSU und FDP, Unternehmerverbände und bürgerliche Medien eine Große Koalition des Neoliberalismus. Ihr gehören auch Teile der Gewerkschaftsbürokratie und die Linkspartei.PDS in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern an. Den verwaisten Platz des Sozialliberalismus im Parteienspektrum nahm dann die WASG ein. Ihr Kern aus ehemaligen SPD-Mitgliedern ging nicht nach links, sondern blieb alten sozialliberalen Positionen verhaftet. Innerhalb der SPD waren diese Mitglieder bereits politisch so isoliert, dass sich nicht einmal ein Kollektiv bildete und abspaltete, sondern sie wie Lafontaine einzeln austraten.
Die Linkspartei wird nicht irgendwann auf einem Vereinigungskongress von PDS und WASG aus der Taufe gehoben. Sie ist bereits in voller Gestalt als Linkspartei.PDS auf die Welt gekommen. Programmatik und Strategie werden nicht basisdemokratisch in zukünftigen Debatten entwickelt. Sie wurden fertig und ungefragt von den Vorläufern übernommen. Ihrer Organisation droht nicht in fernen Jahren die Gefahr der Bürokratisierung. Sie wird bereits von einer Bürokratie beherrscht. Die Linkspartei wird nicht irgendwann in bürgerliche Regierungen eintreten. Sie sitzt als Linkspartei.PDS bereits in zwei neoliberalen Landesregierungen. Die Linkspartei führt keine betrieblichen Abwehrkämpfe. Sie eilt von einem Wahlerfolg zum nächsten. Mit einem Wort: Die Linkspartei ist, was sie heute ist. Ohne den Ausbruch offener Klassenkämpfe wird sie auch nichts anderes werden.
Aber die Linkspartei ist kein Monolith. Das Verhältnis ihrer internen Strömungen ist nicht festgemauert und noch für manche Überraschung gut. Die Linkspartei besteht aus mindestens fünf unterschiedlichen Bestandteilen. Zu den drei größeren gehören: Die PDS-Mehrheit mit einer vagen sozialistischen Vision und einem durchstrukturierten Apparat; die WASG-Mehrheit ohne konkrete Utopie aber mit der Praxis ihrer hauptamtlichen GewerkschafterInnen. Die dritte große Strömung um Oskar Lafontaine kritisiert den Neoliberalismus von links und rechts. Diese gefährlichste aller politischen Mixturen hat in der Linkspartei den größten Zulauf. Sie ist ein Sprengsatz für die Linkspartei [1]. Neben den drei großen Strömungen, gibt es noch zwei kleinere: Eine Minderheitsfraktion in der PDS, die sich nicht auf den Partei-, sondern auf den Staatsapparat, d.h. auf Regierungsbeteiligungen, stützt. Sie wird von der PDS-Mehrheit gestützt. Und schließlich existiert eine fünfte, sozialistisch-kommunistische Strömung, die wegen ihrer Uneinheitlichkeit eigentlich keine ist: Zu den LinkssozialistInnen zählen SAV, Linksruck und isl; zu den StalinistInnen und ex-StalinistInnen die KPF, die DKP und die DIDF.
Debatte zur Linkspartei in der BRDDie Redaktion der Inprekorr hat die zwei Teile der deutschen Sektion der IV. Internationale, den Revolutionär Sozialistischen Bund/IV. Internationale (RSB) und die internationale sozialistische linke (isl), aufgefordert, ihre Sicht der Linkspartei in einem Debattenbeitrag darzustellen. Die Beiträge sind unabhängig von einander geschrieben worden.Von der Darstellung der Fakten her ergänzen sie sich zum Teil. In ihren Schlussfolgerungen unterscheiden sie sich nicht unerheblich. Die Beiträge sind zwar nur von den Autoren (Manuel Kellner von der isl und B. B. vom RSB) selbst und nicht von ihren Organisationen zu verantworten. Zweifellos aber kommen dabei die zwei unterschiedlichen “Linien” dieser beiden Organisationen zum Ausdruck. Die Redaktion |
Die Sozialliberalen der WASG-Mehrheit, die neoliberale Ministerriege der PDSMinderheit und die PopulistInnen um Lafontaine sind vollkommen bürgerlich. Sie machen weder eine Klassenpolitik noch haben sie ein sozialistisches Ziel. Dagegen hat die PDS-Mehrheitsströmung einen Doppelcharakter, insoweit sie noch für eine sozialistische Gesellschaft eintritt. Und wie soll mensch diejenigen linkssozialistischen Gruppierungen charakterisieren, die, wie der Linksruck, aus taktischen Gründen auf das offene Eintreten für revolutionäre Ziele und Mittel verzichten?
Die drei klassischen Begriffe zur Analyse der ArbeiterInnenbewegung Reformismus, Zentrismus und revolutionärer Marxismus passen scheinbar nicht auf die Linkspartei. Sie taugen nicht etwa deswegen nicht, weil sie hoffnungslos veraltet und historisch überholt wären. Die Einteilung macht wenig Sinn, weil sie nur zwei Strömungen der Linkspartei erfassen kann: die PDS-Mehrheitsströmung (vielleicht auch noch die DKP und KPF) als reformistisch und einige Organisationen der fünften Strömung als zentristisch. Sozialiberalismus, Neoliberalismus und Populismus, sind zwar in der Linkspartei stark präsent, aber Strömungen außerhalb der ArbeiterInnenbewegung.
Ob mensch dem hier Gesagten zustimmt oder nicht, die Schlussfolgerung daraus dürfte kaum zu bestreiten sein: Aus der Vereinigung von Populismus, Sozialliberalismus, Neoliberalismus, Reformismus und einem zahnlosen Zentrismus, der nicht einmal offen für Klassenkampf und Sozialismus eintritt, wird keine neue linkssozialistische Partei entstehen.
Aus all dem folgt: Die kritische Sicht der Linkspartei ergibt sich nicht aus der Kritik einzelner Schwächen, so skandalös einige ihrer Positionierungen, etwa das Runterkochen der Forderung nach einem Mindestlohn auch sind. Der Charakter dieser Partei liegt sowohl in ihrer bürokratischen Struktur wie in der politisch-programmatischen Gesamtausrichtung. Die Triebfeder des Handelns ihrer Macher (und wenigen Macherinnen) – also der Lafontaines, Gysis, Ernsts, Bischoffs und anderer InitiatorInnen, die das Heft fest in der Hand haben – ist grundsätzlich gerade keine antikapitalistische Einstellung. Vor allem der gut funktionierende Apparat der PDS sowie die Erfahrung der hauptamtlichen GewerkschaftsfunktionärInnen aus der WASG werden dafür sorgen, dass hier so schnell kein Versehen eintritt. Sie kontrollieren die Linkspartei in ihrem Sinne. Die Partei sucht eine parlamentaristische Lösung für eine parteipolitisch frei gewordene Stelle anzubieten, so wie der Keynesianismus eine theoretische Antwort auf die Krise des Systems geben will. Sie ist nicht Ausdruck einer sich radikalisierenden ArbeiterInnenschicht, die damit den Charakter der Partei noch offen halten würde. Die sich in der Linkspartei organisierenden KollegInnen aus den Betrieben haben keinen Einfluss auf das Profil der Partei. Wer etwas anderes behauptet macht sich und anderen was vor.
Das heißt nicht, dass die Linkspartei zur Erfolglosigkeit verurteilt wäre. Im Gegenteil: In den kommenden fünf Jahren wird sie von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilen. Ob Landtagswahl, ob Kommunalwahl – bei allen Wahlen werden Mitglieder der Linkspartei mit hohen Stimmenergebnissen und Fraktionsstärke in die Parlamente einziehen. Der Grund ist einfach: Weil die SPD den Platz des Sozialliberalismus geräumt hat, ist der gesellschaftliche Raum für eine sozialliberale Partei vorhanden. Den füllt nun die neue Linkspartei aus. Mit den Wahlerfolgen regnet es Staatsknete. Eine Vielzahl von Parlamentssitzen ist zu besetzen, hauptamtliche Stellen in Fraktionen und Partei zu vergeben, Stiftungsgelder zu verteilen usw.. Das dürften in den nächsten fünf Jahren allein in Westdeutschland mehr Mandate sein, als die PDS und die WASG dort bis vor kurzem Mitglieder zählten. Mit Geld und Erfolg wird die Linkspartei sozial eine Schicht von KarrieristInnen anziehen und politisch vor die Frage der Regierungsbeteiligung auf Bundesebene gestellt. Über die Rutschbahn des Parlamentarismus verschmelzen Karrierismus und Staatsintegration mit dem Parteiapparat. Das Gerangel um Macht, Karriere und Geld wird die neue Partei sicherlich mehr prägen als die programmatischen Diskussionen auf den Parteitagen. Die Entwicklung der Grünen und der PDS sind dafür ebenso schlagende Beispiele, wie die PDS-Versammlungen zur Aufstellung der BundestagskandidatInnen.
Immerhin bietet selbst der parlamentarische Sozialliberalismus die Möglichkeit, die Kritik am herrschenden neoliberalen Konsens zu verbreiten. Das erweitert indirekt den Spielraum für eine grundsätzliche Kapitalismuskritik, die die Klassenfrage im besten marxistischen Sinne neu stellt und eine sozialistische Perspektive weist.
Nichts belegt mehr den Umfang der Demoralisierung der Gewerkschaftsbürokratie als ihre Unterstützung für die Linkspartei. Unter dem Eindruck der Offensive des Kapitals setzten die zentralen Gewerkschaftsapparate um Peters und Bsirske nicht auf die Kraft der eigenen Organisationen, d.h. auf Gegenwehr in Betrieben und auf den Straßen, sondern fördern direkt und indirekt das Parteiprojekt Linkspartei ... um Druck auf die SPD auszuüben. Nur aus diesem Interesse lässt sich erklären, weshalb so viele hauptamtliche GewerkschafterInnen einen beträchtlichen Teil ihrer Aktivitäten ungestört der Linkspartei widmen dürfen. Gleichzeitig dient die Linkspartei der Gewerkschaftsbürokratie als Blitzableiter, um die Kritik, die sich an ihrer Passivität, Demoralisierung und Hilflosigkeit innerhalb der Gewerkschaften entzündet, auf die parlamentarische Ebene zu lenken.
Daniel Bensaïd zur Problematik entristischer Arbeit„Die Wahl zwischen einer entristischen Politik und einer unabhängigen Organisation kann nur anhand der Frage entschieden werden: Wo spielt sich die Radikalisierung ab? Als uneinheitlicher Prozess, genährt von gesellschaftlichern Erfahrungen, nimmt die politische Bewusstseinsbildung immer unterschiedliche Wege: in der gewerkschaftlichen und sozialen Bewegung, in den großen traditionellen Parteien, in der Herausbildung neuer Phänomene und Formationen. Es gibt keinen einheitlichen Weg. Die Entscheidung muss danach getroffen werden, den Hebelpunkt zu finden, um die Massen in Bewegung zu setzen. Eine entristische Orientierung ist unter Bedingungen der Repression begreiflich oder wenn die hegemoniale Kontrolle reformistischer Apparate eine unabhängige Organisation zu einem propagandistischen vegetativen Leben verurteilt, das von einer sektiererischen Nekrose [Absterben von Teilen eines Organismus – der Redakteur] bedroht wäre. Wenn die Situation offener ist und sich Räume für eine unabhängige Politik öffnen, gibt es im Entrismus mehr zu verlieren als zu gewinnen. Die revolutionäre Organisation selbst riskiert von dem Körper, von dem sie sich angeblich nährt, abhängig zu werden, und sich dessen Kultur anzupassen. Für die Mitglieder der Partei, in der der Entrismus praktiziert wird, schafft das ein Klima des Misstrauens, von Gerüchten und Illoyalitäten, die ebenso viele Hindernisse für Klarstellungen und mögliche zukünftige Annäherungen sind.Wir möchten hinzufügen, dass aus einer entristischen Praxis gewonnene Mitglieder oftmals die Tendenz haben, Mutanten zu werden. Einem doppelten Gesetz unterworfen, dem Newton’schen der Erdanziehungskraft und dem Darwin’schen der Anpassung an die Umwelt, assimilieren sie sich häufig an die Umgebung, die umzustürzen sie angetreten waren. Lionel Jospin in ein anschauliches Beispiel dafür.“ Daniel Bensaïd, Auszug aus dem Abschnitt zum Entrismus in seinem Buch „Was ist Trotzkismus?“, Neuer ISP-Verlag, Köln 2004, S. 82 f. |
Die Linkspartei verhält sich gegenüber den Gewerkschaften „neutral“. Kaum eineR der in der Linkspartei führenden hauptamtlichen GewerkschaftssekretärInnen steht innerhalb der Gewerkschaften in offener Opposition zur Führung. Die Linkspartei teilt nicht nur die gewerkschaftliche Programmatik (Mitbestimmung). Es gilt überhaupt die klassisch sozialdemokratische Arbeitsteilung zwischen Gewerkschaften und Partei, wonach die Gewerkschaften für die wirtschaftlichen Belange zuständig sind und die Partei für die große Politik. Ein Bürokrat haut dem anderen kein Auge aus.
Die „Neutralität“ der Linkspartei gegenüber den Gewerkschaften hindert deren Bürokratie nicht, in die Belange der Linkspartei zu intervenieren. Ein praktischer Test war der Mindestlohn. Nachdem der Verdi-Vorsitzende Bsirske die Forderung der Linkspartei nach 1400 Euro gesetzlichem Mindestlohn in der bürgerlichen Presse als „unrealistisch“ heruntermachte, bemühten sich Lafontaine, PDS-Minister Holter und Wahlkampfmanager Ramelow mit Abstrichen an der Forderung der Öffentlichkeit den „Realismus“ der Linkspartei zu beweisen. Dieser Mechanismus ist typisch für die Entwicklung bürgerlicher „Realpolitik“.
Die westdeutsche Linke ergießt sich in Euphorie über die Linkspartei. Nachdem SozialistInnen in Westdeutschland seit Jahrzehnten bei Wahlen zwischen 0,1% und 1,0% der Stimmen erhielten, stehen sie nun vor dem vermeintlichen Durchbruch. Wer will schon sein Licht ewig unter den Scheffel gestellt sehen? In Ostdeutschland, wo die unabhängige sozialistische Linke schon immer viel kleinere Brötchen als die PDS backen musste, ist von einer Begeisterungswelle nichts zu spüren. Mensch sieht jedoch die Chance, „denen oben es mal wieder zu zeigen“.
Die westdeutsche sozialistische Linke steht vor einem gewaltigen Umbruch. Die Erfolge der Linkspartei werden viele andere organisierte Linke anziehen und alle linken Aufbauprojekte unter Druck setzen. Wer, wie die MLPD, seinen Mitgliedern „Masseneinfluss“ vormachte und von „Erfolg“ zu „Erfolg“ eilte, kommt durch die Linkspartei und das amtliche Wahlergebnis in Erklärungsnot.
Da alle trotzkistischen Organisationen außer dem RSB in der Linkspartei arbeiten, noch ein Wort zum Entrismus [2]. Weil die Linkspartei durch und durch auf den Parlamentarismus fixiert ist und offene Klassenkämpfe zurzeit rar sind, ist eine Entwicklung hin zu einer linkssozialistischen Partei nicht völlig unmöglich, aber sehr, sehr unwahrscheinlich. Aber selbst unter Bedingungen klassenpolitischer Ebbe könnten revolutionäre SozialistInnen in der Linkspartei eine in ihrem Sinn „erfolgreiche“ entristische Arbeit machen, sich in Debatten einbringen, an der Basis Zeitungen verkaufen und heimlich Mitglieder gewinnen usw. – wenn sie es organisiert tun würden. Wer dagegen nur „wichtige“ Posten besetzt, dem wird irgendwann auch der eigene Organisationsansatz als überflüssig und „sektiererisch“ erscheinen. Zu bestreiten ist jedoch das fast schon religiöse Glaubensbekenntnis, dass nur innerhalb der Linkspartei eine erfolgreiche Arbeit möglich ist.
Selbst die revolutionären SozialistInnen in der Linkspartei betonen die Wichtigkeit der außerparlamentarischen Arbeit. Ob ihnen dazu neben allen internen Debatten und Wahlkämpfen die Zeit bleibt, ist ihr Problem. Der Aufbau der Gewerkschaftslinken wird kaum über die Linkspartei laufen, auch wenn eine Differenzierung in den Gewerkschaften nach Parteien, SPD und Linkspartei, ansatzweise eine neue Situation schafft. Soziale Bewegungen entstehen erst einmal unabhängig von Parteien, auch wenn sich viele ihrer AktivistInnen zur Linkspartei bekennen sollten. Den eigenen Schwerpunkt auf die außerparlamentarische Arbeit zu legen, müsste für revolutionäre SozialistInnen selbstverständlich sein, selbst wenn sie Mitglied der Linkspartei sind.
Eine außerparlamentarische Bewegung ist darüber hinaus die einzige Möglichkeit die Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen zu verändern. Über die Parlamente ist die neoliberale Offensive nicht zu stoppen.
Gerade die neue Diskussion der sozialen Frage sollte eine Ermutigung sein, antikapitalistischen Forderungen in der ArbeiterInnenklasse zu verbreiten. Über die Linkspartei wäre es überhaupt nicht möglich heute öffentlich für gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro in der Stunde, Mindesteinkommen von monatlich 1500 Euro Brutto, ein Verbot von Entlassungen, die Enteignung von Betrieben, die Gewinne machen und gleichzeitig Arbeitsplätze vernichten, die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich unter definierten Arbeitsbedingungen, Arbeitszeitverkürzung bis alle Arbeit haben, Offenlegung der Firmenkonten und Geschäftsbücher, Enteignung der Vermögen der 756.000 Dollarmillionäre und gleiche Rechte für alle einzutreten. Wer offen für eine revolutionäre Politik eintreten will, kann dies nur außerhalb der Linkspartei tun.
Unabhängig von verschiedenen Regierungsvarianten mit ihren unterschiedlichen Entwicklungs- und Mobilisierungsmöglichkeiten stehen für uns die nächsten außerparlamentarischen Aktionen im Mittelpunkt: Der Vorschlag für eine große Mobilisierung im Frühjahr 2006, ähnlich der Demonstration in Berlin vom 1. November 2003, soll auf einem „APO-Kongress“ im November 2005 diskutiert werden. Diese Initiative wurde vom Sozialforum in Deutschland aufgegriffen, dass für den 19./20.November eine Aktions- und Strategiekonferenz durchführt. Der Vorschlag für den APO-Kongress bestätigt die politische Orientierung, die eine außerparlamentarische Opposition aufbauen will, um die Offensive des Kapitals zu brechen. Sorgen wir gemeinsam dafür – ob in oder außerhalb der Linkspartei –, dass die Mobilisierungen im Frühjahr diesem hohen Anspruch gerecht werden.
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 406/407 (September/Oktober 2005).