Es vergeht keine Woche, ohne dass die Regierung oder die UnternehmerInnen neue Angriffe auf die Lohnabhängigen ankündigen.
2003 tönte Raffarin: „Die Regierung geht nicht von der Straße aus.“ Mit unverminderter Hartnäckigkeit betreibt die Regierungsmehrheit, obwohl sie bereits bei den Regional- und Europawahlen abgestraft worden ist, ihre neoliberale Politik und erleidet prompt beim Referendum über den europäischen Verfassungsvertrag erneut Schiffbruch. Auf der anderen Seite steht die ArbeiterInnenbewegung nach den Mobilisierungen am 4. Oktober und anschließend im Transportsektor (Schifffahrt Korsika-Mittelmeer SNCM, Bahn SNCF, Städtische Verkehrsbetriebe Marseille RTM und teilweise öffentlicher Nahverkehr) zwar Gewehr bei Fuß, schafft es aber nicht, in die Gegenoffensive zu gelangen.
Die Regierungspolitik äußert sich in unvermindert hoher Arbeitslosigkeit, fortschreitender Prekarität, Absenkung der Lohnkosten durch arbeitsrechtliche Zugeständnisse an die UnternehmerInnen zur Beschneidung des Kündigungsschutzes (spezielle Arbeitsverträge für den beruflichen Wiedereinstieg CNE und für Erstanstellungen CPE) und noch drastischeren gesetzlichen Einschnitten bei Arbeitslosen und unselbstständig Beschäftigten. Zugleich lässt sie den UnternehmerInnen freie Hand, wenn diese durch Entlassungen und Werksschließungen ihre Profitmargen zu erhöhen trachten.
Die Gesundheitsversorgung wird durch die von Außenminister Douste-Blazy vorgelegten „Reformen“ immer weiter beschnitten, desgleichen die öffentlichen Dienste durch immer mehr Privatisierungen und Sparmaßnahmen (Stromversorgung EDF, Pariser Flughafen, Postbank, SNCM, RTM etc.). Das Recht auf Wohnraum steht nur mehr auf dem Papier und das verfügbare Einkommen nimmt bei Millionen von Lohnabhängigen weiter ab.
Die Jugendaufstände in den sog. Problemvierteln haben im vergangenen November wieder einmal offenbart, wie die Jugendlichen, besonders aus ImmigrantInnenfamilien, von Diskriminierung und Prekarisierung betroffen sind. Die Regierung antwortet darauf mit Repression und unsozialen Maßnahmen, indem sie die Sicherheits- und Einwanderungsgesetze verschärft und das Schulsystem weiter aushöhlt (Lehre mit 14). Damit befördert sie noch die Benachteiligung und bereitet den Boden für neuerliche Unruhen.
Das Recht der Frauen auf körperliche Selbstbestimmung, physische Integrität und gleiche Löhne und Berufschancen wird trotz der jahrzehntelangen Kämpfe der Frauenbewegung ständig wieder in Frage gestellt.
Die Regierung versucht unentwegt, die Atomenergie als alleinige Option durchzusetzen, wie ihr Engagement für den Druckwasserreaktor nachdrücklich zeigt. Durch die Förderung der Gentechnologie konterkariert sie Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Nach außen verfolgt sie eine imperialistische Politik, besonders was Afrika und die Elfenbeinküste angeht.
Die LCR kristallisiert ihre Kampagne demgegenüber um einen Katalog von sozialen und demokratischen Sofortmaßnahmen mit antineoliberaler und antikapitalistischer Stoßrichtung, die auf einen Bruch mit dem Neoliberalismus und eine radikale antikapitalistische Umwälzung der Gesellschaft abzielen. Mit diesem Diskussionsvorschlag wenden wir uns an die sozialen und politischen Kräfte der ArbeiterInnenbewegung.
Zugleich setzt die LCR alles daran, der Rechten und den UnternehmerInnen mit vorbehaltsloser Einheit entgegenzutreten. Statt auf Wahlen zu setzen, müssen wir eine Kampffront errichten und durch eine gemeinsame Mobilisierung die Maschinerie aufhalten, die die Errungenschaften der jahrzehntelangen Kämpfe der ArbeiterInnenbewegung zerschlägt, um so die Interessen der UnternehmerInnen zu bedienen.
Der Parteitag der LCR erneuert seinen Appell an alle Kräfte der ArbeiterInnenbewegung, ob Gewerkschaften, Parteien oder Verbände: jetzt ist der Augenblick, die Rechten, den Neoliberalismus und die UnternehmerInnen in die Knie zu zwingen; jetzt geht es darum, durch eine gemeinsame Mobilisierung aller Lohnabhängigen und Jugendlichen eine Politik zu stoppen, die auf Entlassungen, Prekarisierung und Repression setzt, und dieser illegitimen Regierung und ihrer reaktionären Politik ein Ende zu bereiten.
Die Politik der Regierung und der UnternehmerInnen erfordert akut eine einheitliche Mobilisierung der ganzen gesellschaftlichen und politischen Linken. Alle Parteien, Verbände und Gewerkschaften, alle, die gegen diese neuerlichen Angriffe sind, müssen zusammen reagieren.
Wir müssen uns ohne Einschränkungen und Vorbedingungen gegen die Politik von Regierung und UnternehmerInnen vereinigen, um die Forderungen der Lohnabhängigen und alle demokratischen Rechte zu verteidigen. Dafür ist es unerlässlich, dass wir uns gemeinsam treffen, um über die Wege zu diskutieren, wie wir diese Ziele erreichen können, und besonders, wie wir gegen die Verschlechterungen im Arbeitsrecht (CNE, CPE) und im Erziehungswesen, gegen die Privatisierungen und gegen die Glorifizierung des französischen Kolonialismus per Gesetz vorgehen können.
Aber anstatt den Angriffen von Regierung und UnternehmerInnen eine angemessene Antwort zu erteilen, hat die Führung der PS nur die Kandidaturen zu den Wahlen von 2007 und eine Neuauflage der „gauche plurielle“ mit den Grünen, den Radikalen (frz. Linksliberale) und der PCF im Kopf. Die PS hat keinerlei Lehren aus den Erfahrungen mit der Regierung Jospin und dem Referendum zur EU-Verfassung gezogen und auf ihrem jüngsten Parteitag wieder einmal gezeigt, wie sehr sie sich an den Sozialliberalismus angepasst hat und aufs Neue die ganze Linke in diese Politik einspannen will. Daher können wir dem Treffen am 8. Februar, auf dem bar jeder Tagesordnung die einen über politische Alternativen, die anderen über Regierungsabkommen diskutieren wollen, logischerweise nichts abgewinnen. Insofern werden wir uns weder an diesem noch an anderen Treffen oder Bündnissen beteiligen, wo es um eine Neuauflage der „gauche plurielle“ als Regierungsvorhaben geht. Wir fühlen uns nicht dazu berufen, mit den Sozialliberalen eine Regierungsalternative zu schmieden oder ein gemeinsames Programm dafür zu erstellen.
Was vielmehr Not tut, ist ein einiges Vorgehen gegen die Rechten und die UnternehmerInnen. Insofern bekräftigt die LCR ihre Bereitschaft, mit allen Parteien der Linken im Rahmen einer solchen antagonistischen Position zu diskutieren.
Nach Ansicht der LCR drücken die Streikbewegungen der letzten Jahre und die Referendumskampagne unmissverständlich die Forderung aus, mit jedweder neoliberalen Politik und der sozialliberalen Orientierung, an der die PS auch auf ihrem jüngsten Parteitag eisern festhält, zu brechen.
Seit Monaten treten wir in Diskussionen und Versammlungen für die Aktionseinheit ein, um so die Erwartungen aufzugreifen, die besonders unter den AktivistInnen der Referendumskampagne und den Kollektiven für ein linkes Nein vorherrschen.
Der Kampf für ein Zusammengehen auf konsequent antineoliberaler und damit antikapitalistischer Grundlage schließt aus, mit den Sozialliberalen Abkommen auf Regierungs- oder Parlamentsebene anzustreben, da es de facto zweierlei Linke gibt, deren Orientierungen unvereinbar sind: die eine ordnet sich den kapitalistischen Interessen unter, die andere verkörpert den Widerstand dagegen. Letzteres impliziert eine Politik entlang der gesellschaftlichen Bedürfnisse, ohne vor einer Konfrontation mit den UnternehmerInnen zurückzuschrecken. Auf Regierungsebene bedeutet eine solche Ausrichtung radikale Maßnahmen in ökonomischer und institutioneller Hinsicht, die erlauben, die ArbeiterInnen für die Durchsetzung dieser Maßnahmen zu mobilisieren, da die Reaktion bekanntlich energischen Widerstand leisten wird.
Die Stunde der Entscheidung zwischen diesen grundlegenden Positionen ist ganz offensichtlich gekommen. Im Zentrum der allgemeinen Erwartung stehen die Kräfte aus Politik, Gewerkschaften und globalisierungskritischer Bewegung, die sich während der Kampagne gegen den EU-Verfassungsentwurf im Kampf gegen Neoliberalismus und Kapitalismus vereint haben, besonders was die auf Initiative der Fondation Copernic zustande gekommenen Kollektive betrifft. Viele würden sich wünschen, dass wir alle, auch in den kommenden Wahlen, vereint auftreten. Derlei Hoffnung ist legitim und wird von uns geteilt.
Um daran anzuknüpfen, bedarf es einer Vereinheitlichung auf folgender Grundlage: eine Alternative zum Neoliberalismus; ein antikapitalistisches Programm, das soziale und demokratische Sofortmaßnahmen aufgreift; Ablehnung gegenüber jedweder Allianz mit den Sozialliberalen auf Regierungsund Parlamentsebene; Ausrichtung auf eine radikale Gesellschaftsveränderung, die sich auf die Mobilisierung der einfachen Bevölkerung stützt. Dabei geht es uns um Inhalte und nicht um Personen.
Die aktuellen Umstände lassen derlei gemeinsame Kandidaturen jedoch nicht zu. So haben sich die Strömungen der PS, die gegen die EU-Verfassung eingetreten sind, auf dem jüngsten Parteitag wieder mit dem Mehrheitsflügel versöhnt. Und die Führung der PCF betreibt aktuell eine Politik, deren besonderes Anliegen die Zusammenführung der BefürworterInnen und der GegnerInnen der Verfassung ist. Derlei Positionen stehen im Gegensatz zu den Erwartungen weiter Teile der Mitgliedschaft dieser Parteien.
Wir werden diese Situation nicht als unabänderlich hinnehmen. Die LCR wird versuchen, diese Hindernisse zu überwinden, indem sie mit den AktivistInnen und vorhandenen Strömungen in den zum Verfassungsreferendum entstandenen Kollektiven eine aktive Debatte über diese Probleme führt und dies auch in den Diskussionen mit der PCF thematisiert.
Wir werden uns weiterhin bei jeder Gelegenheit dafür stark machen, dass sich die durch den Referendumssieg in Gang gekommene Dynamik durchsetzt, und nicht das aussichtslose Unterfangen, Antineoliberalismus und Sozialliberalismus miteinander aussöhnen zu wollen. Wir werden uns weiterhin darum bemühen, die Voraussetzungen für gemeinsame Kandidaturen bei den Wahlen 2007 zu schaffen, indem wir die an der Referendumskampagne beteiligten Kräfte, namentlich aus der LCR und der PCF, auf breiter Ebene in die Diskussion einbinden, ebenso wie die zahlreichen Kräfte außerhalb, die täglich gegen die „Segnungen“ des Kapitalismus ankämpfen. Wir wollen damit eine echte Alternative voranbringen, wie sie von den ArbeiterInnen und Jugendlichen dieses Landes dringend benötigt wird und längst überfällig ist.
Während wir weiterhin für Einheit eintreten, um sie mit Substanz zu füllen und eine antikapitalistische Alternative auf den Weg zu bringen, werden wir als LCR zugleich damit beginnen, die Voraussetzungen für die Zulassung zu den kommenden Wahlen zu schaffen.
Rouge 2143 vom 26.1.06 Übersetzung: MiWe Übersichtsartikel zum Parteitag |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 412/413 (März/April 2006).