Mit der Krise sind die Kooperativen zu neuen Ehren gelangt – manchmal sehr bescheiden als Nische und Mittel zur Arbeitsplatzsicherung, wenn die Produktionsanlagen für das Kapital wertlos geworden sind; manchmal eher offensiv vorgetragene Idee, die für die Würde der ArbeiterInnen kämpft (Fralib in Géménos) oder für eine bessere Welt eintritt, wie weiland bei LIP in den 70er Jahren.
Jean-François Cabral
Die genossenschaftliche Idee in der Arbeiterbewegung ist schon alt. Bereits bei Proudhon, dem einflussreichsten Vertreter in der französischen Arbeiterbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts, war sie zentraler Bestandteil der politischen Vision: Konsumgenossenschaften, um die Wucherpreise der KapitalistInnen zu umgehen; Produktionsgenossenschaften als Ansatz zur Befreiung der ArbeiterInnen; Versicherungen auf Gegenseitigkeit für die unmittelbare Solidarität unter den Werktätigen. Projekte, die angesichts fehlenden Kapitals kaum umsetzbar waren, aber umgehend die Hoffnung und Vorstellung nährten, dass man die Gesellschaft durch exemplarische Erfahrungen ändern könne, die zwar klein beginnen, aber soviel Enthusiasmus wecken, dass sie sich weiter verbreiten können.
In seiner Inauguraladresse anlässlich der Gründung der Ersten Internationale 1864 kommt Marx auf die Bedeutung und die Grenzen dieser ersten Experimente zu sprechen: „Der Wert dieser großen Experimente kann nicht überschätzt werden. Durch die Tat, statt durch Argumente, bewiesen sie, daß Produktion auf großer Stufenleiter und im Einklang mit dem Fortschritt moderner Wissenschaft vorgehen kann ohne die Existenz einer Klasse von Meistern (masters), die eine Klasse von „Händen“ anwendet; … Zur selben Zeit bewies die Erfahrung der Periode von 1848 bis 1864 unzweifelhaft, was die intelligentesten Führer der Arbeiterklasse in den Jahren 1851 und 1852 gegenüber der Kooperativbewegung in England bereits geltend machten, daß, wie ausgezeichnet im Prinzip und wie nützlich in der Praxis, kooperative Arbeit, wenn beschränkt auf den engen Kreis gelegentlicher Versuche vereinzelter Arbeiter, unfähig ist, das Wachstum des Monopols in geometrischer Progression aufzuhalten, die Massen zu befreien, ja die Wucht ihres Elends auch nur merklich zu erleichtern. … Um die arbeitenden Massen zu befreien, bedarf das Kooperativsystem der Entwicklung auf nationaler Stufenleiter und der Förderung durch nationale Mittel.“
1868 sprach sich die Mehrheit der Internationale für die Verstaatlichung der großen Produktionsmittel aus, wobei sie ihr Augenmerk nunmehr auf die Frage der Machtergreifung und Besitz und Kontrolle des Staates richtete.
Seither hat sich die Kooperativbewegung auf verschiedenen Ebenen und sehr unterschiedlicher Weise entwickelt.
In Deutschland erlebte sie mit dem Aufkommen der Sozialdemokratie große Resonanz, indem Einkaufszentralen für die Lohnabhängigen geschaffen wurden, ohne freilich sich jemals in den Produktionsbereich vorzuwagen. In Frankreich ist die Kooperativbewegung mehr oder minder im Einflussbereich der Gewerkschaftsbewegung verblieben, wie das Beispiel der LehrerInnen zeigt, die über die Generationen hinweg ein regelrechtes Dreigestirn erlebt haben: eine Gewerkschaft (die FEN von 1945 bis zu ihrem Zerfall 1992); eine Sozialversicherung auf Gegenseitigkeit (MGEN); einen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (MAIF) und eine Einkaufsgenossenschaft (CAMIF).
Im Produktionssektor hat sich die Kooperativbewegung allerdings von der Arbeiterbewegung weitgehend unabhängig gemacht. Aus den Versicherungsvereinen sind durch die Macht des Faktischen (mitunter schwergewichtige) kapitalistische Unternehmen ohne wirkliche Sondermerkmale geworden. Daneben ließen sich noch die Agrargenossenschaften nennen, die für Etliche die produktivistisch-kapitalistische Agrarwirtschaft schlechthin verkörpern. Oder die Genossenschaftsbanken wie die Banque populaire, deren Tochter Natixis kürzlich durch hochspekulative Transaktionen hervorgetreten ist, usw.
Aber trotzdem ist der Genossenschaftsgedanke wieder zu Ehren gelangt, insbesondere im Programm der Front de gauche, L’humain d’abord. Während der Kampagne zur Präsidentschaftswahl hat sich Mélenchon als Unterstützer bei Fralib, SeaFrance und Chèque Déjeuner blicken lassen und dabei argumentiert, dass die SCOP die Möglichkeit zu einer „Machtübernahme“ als Beispiel „konkret gelebter Radikalität“ eröffnen würden. Mehr noch: ein Symbol der Republik, die auf dem Grundsatz „eine Person, eine Stimme“ beruht und dadurch eine Brücke schlägt zwischen der politischen und der ökonomischen Zivilsphäre. Das meint Mélenchon, wenn er von einer „sozialen Republik“ als Perspektive spricht, die diese Bewegung unterstützen und verallgemeinern und dabei die mit der Revolution von 1789 begonnene Bewegung für Freiheit und Gleichheit auf das Terrain der sozialen und ökonomischen Rechte übertragen sollte – eine Vorstellung, mit der schon Jean Jaurès liebäugelte.
Bei der Beantwortung eines Fragebogens, der vom Hauptverband der SCOP ausgegeben worden war, verpflichtete sich Mélenchon als Präsidentschaftskandidat auf bestimmte Maßnahmen: juristische und finanzielle Hilfe für die Beschäftigten bei der Übernahme des Betriebs; Vorkaufsrecht; staatliche Hilfestellung bei der Unternehmensführung; bevorzugte Auftragsvergabe seitens staatlicher und öffentlicher Stellen; Schaffung einer öffentlichen Finanzierungsstelle, die u. a. die sogenannte soziale und solidarische Wirtschaft einschließlich der SCOP, aber auch zahlreicher anderer Initiativen unterstützen solle. All dies solle in einen Gesetzesrahmen eingebunden werden, der als Grundlage für die Schaffung eines „alternativen Systems“ diene und die allfällige „umweltgerechte Planung“ der Wirtschaft mit einer „aktiven Teilnahme am Staatsleben“ verbinde.
Die Linke in der PS will da nicht zurückstehen, zumal ihr wichtigster Vertreter, Benoit Hamon, mittlerweile Minister für „soziale und solidarische Wirtschaft“ in der Regierung Ayrault ist. Auf dem 35. Kongress des SCOP-Hauptverbands rief er zu einem „Höhenflug der Kooperativen“ auf, die sich binnen fünf Jahre verdoppeln sollen, und er versprach für 2013 einen großartigen Gesetzesentwurf für eine soziale und solidarische Wirtschaft vorzulegen.
Die Vereinten Nationen wiederum hatten bereits das Jahr 2012 zum „Jahr der Kooperativen“ ausgerufen. Wie die Idee der „nachhaltigen Entwicklung“ ist auch dies von aller Welt als „bedeutsam“ aufgegriffen worden, wobei jeder darunter etwas anderes verstand.
Juristisch sind die SCOP, die seit 2010 nicht mehr Arbeiterkooperativen, sondern Kooperations- und Teilhabergesellschaften heißen, Unternehmen, deren Beschäftigte/Teilhaber (oder „Mitunternehmer“) mindestens 51 % des Kapitals und 65 % der Stimmrechte innehaben. Jeder Teilhaber verfügt unabhängig von seinem eingesetzten Kapital über eine Stimme bei der Unternehmensversammlung, gemäß dem Prinzip: „eine Person, eine Stimme“ statt „ein Anteilsschein, eine Stimme“. In Frankreich gibt es 2000 SCOP mit etwas mehr als 40 000 Beschäftigten.
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In einem Artikel vom Dezember 2012 räumt die – selbst genossenschaftlich organisierte – Monatszeitschrift Alternatives économiques mit einem Irrglauben auf: Unter den ca. 200 im Jahr 2011 neu entstandenen SCOP sind nur eine Handvoll aus der Übernahme bankrotter Betriebe entstanden, während drei Viertel völlige Neugründungen darstellen. Die SCOP sind also mitnichten bevorzugte Zuflucht für in Schwierigkeiten geratene Unternehmen und schaffen selbst auch keine Wunderwerke: auch für sie geht es darum, profitabel zu arbeiten und Marktanteile zu gewinnen! Und wenn sie in Schwierigkeiten stecken, müssen sie genauso entlassen …
Sind die SCOP somit Unternehmen wie alle anderen? Außer dem besonderen Stimmrecht und der meist engeren Kontrolle der Unternehmensführung gibt es einen wesentlichen Aspekt, dass die Anteile zum Einkaufswert überlassen und Überschüsse (mindestens zur Hälfte) zwangsweise in das Unternehmen gesteckt werden müssen, um dessen Fortbestand zu sichern. Dieser Grundsatz: „Erst die Produktion, dann der Wohlstand“ erinnert ein wenig an Saint-Simon.
Dabei sind es sehr wohl kapitalistische Unternehmen, und zwar nicht nur, weil sie der Konkurrenz- und Profitlogik unterworfen sind. Die Beschäftigten sind zur Teilhabe an den strategischen Entscheidungen des Unternehmens nicht deswegen berechtigt, weil sie Teil des arbeitenden Kollektivs sind, sondern weil sie Aktionäre oder „Mitunternehmer“ sind. Diejenigen, die keine Anteilsscheine haben – was unterschiedlich stark der Fall ist – kommen nicht in den Genuss, ganz oben entscheiden zu dürfen. Damit wird das Prinzip des Privateigentums sehr wohl respektiert.
Jean-François Cabral ist Leitungsmitglied der NPA |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 3/2013 (Mai/Juni 2013). | Startseite | Impressum | Datenschutz