Ukraine

Manifest: 10 Thesen der „Linken Opposition“

Zahar Popowitsch

Die Euromaidan-Proteste haben großen Zulauf. Doch die UkrainerInnen verbringen nicht ganze Nächte auf der Straße, weil ihnen das Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union so wichtig ist. Der eigentliche Grund liegt in den sozioökonomischen Problemen des Landes, die noch akuter sind als jene der östlichen und westlichen Nachbarn. In der Ukraine ist das Durchschnittsgehalt 2- bis 2,5mal kleiner als in Russland und Weißrussland und viel niedriger als in der EU. [1]

Die weltweite Wirtschaftskrise hat sich auf die Wirtschaft der Ukraine so drastisch ausgewirkt wie in kaum einem anderen Land Europas vom Atlantik bis zum Ural. Nach der Krise lag das ukrainische Wirtschaftswachstum nahezu bei Null und die Industrie wird wohl auch für das Jahr 2013 sinkende Zahlen präsentieren. Hinzu kommt, dass das Wirtschaftssystem der Ukraine die Oligarchen größtenteils von den Steuern befreit. Es ist völlig legal, Minerale, Metalle, Ammoniak, Weizen und Sonnenblumen in Dollars in zweistelliger Milliardenhöhe zu exportieren und keinen Gewinn auszuweisen. Die Einkünfte werden in Offshore-Ländern versteckt, wo fast alle funktionierenden Unternehmen der Ukraine einen Sitz haben. Jegliche Gewinne, die ein Unternehmen im Inland macht, können legal und mühelos zu einem Offshore-Sitz transferiert werden, etwa indem man daraus ein fiktives Darlehen macht.

Es ist also kaum erstaunlich, dass die Regierung der Ukraine ständig Schwierigkeiten hat, den Staatshaushalt im Gleichgewicht zu halten. Ende letzten Jahres stand das Land kurz vor dem Bankrott. Es wurde gängige Praxis, die Löhne der Staatsangestellten zurückzuhalten und die Budgetposten für Sozialprogramme zu streichen. Als Gazprom die ukrainischen Gaspreise auf osteuropäische Rekordhöhe ansteigen ließ, verschlimmerte sich die Situation durch den Handelskrieg mit Russland zusätzlich. Die Oligarchen haben das Land in eine Sackgasse manövriert; auch nach endlosen Diskussionen ist es ihnen nicht gelungen, eine kohärente Entwicklungsstrategie festzulegen. Sie umgehen jegliche Investitionen in den Staat und saugen ihn gleichzeitig systematisch aus. Entwicklungsstrategien für die Ukraine müssten aufzeigen, wie dieser grenzenlose Appetit zu zügeln ist – das Mindeste wäre, einen Teil der Offshore-Geschäfte zu unterbinden und für minimale Steuereinnahmen zu sorgen. Doch genau dagegen wehren sich die Oligarchen. Sie sind nicht bereit, die Regeln zu ändern. Und obwohl sie wissen, dass sie den Staat damit in eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe treiben, sägen sie weiter am Ast, auf dem sie sitzen.

Wenn sich die rechte Opposition zu den ökonomischen Problemen äußert, stellt sie vor allem die Korruption und die wirkungslosen Regelungen ins Zentrum. Spricht man sie auf die Oligarchen an, die den Staat ausplündern, dann erwähnt sie nur die Unternehmer, die der Partei der Regionen nahestehen, und meistens geht es dabei nur um die Geschäfte der Janukowitsch-Söhne. Die anderen Oligarchen sind nach Ansicht des rechten Flügels kein Problem, weil sie nationales Bewusstsein haben. Folgt man dieser Logik, dann dient es der nationalen Sache, wenn die Ukraine von einem „echten“ Ukrainer ausgeplündert wird.

Die Situation ist paradox: Jeder vernünftige Ökonom (sogar ein neoliberaler wie zum Beispiel Viktor Pinzenik) wird zustimmen, dass das Steuer- und Regelsystem des Landes darauf ausgerichtet ist, die Oligarchen von den Steuern zu befreien. Obwohl alle einsehen, dass es so nicht weitergehen kann, wagen es die PolitikerInnen im Parlament nicht, die naheliegenden und realistischen Alternativen zu diesem System vorzuschlagen. In der Öffentlichkeit getraut sich kaum jemand klarzustellen, dass nicht die EU oder das Freihandelsabkommen die dringlichsten Probleme der Ukraine sind, sondern schlicht die Oligarchen, die man endlich besteuern sollte. Der Staatsapparat könnte dies sehr gut durchsetzen, denn die produktiven Einrichtungen der Oligarchen befinden sich alle in der Ukraine. Doch, wie Andrej Hunko kürzlich sagte, die Oligarchisierung der ukrainischen Politik hat ein solches Ausmaß erreicht, dass dieses Problem von sämtlichen Parlamentsparteien nicht einmal angesprochen werden kann.

      
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Linke Opposition: Zehn-Punkte-Plan für den gesellschaftlichen Wandel, Inprekorr Nr. 2/2014 (März/April 2014)
 

Leider sind die radikalen Linken die Einzigen, die diese minimalen und auf der Hand liegenden Forderungen zur Sprache bringen. Ich möchte betonen, dass es sich dabei nicht um die politische Agenda der „Linken Opposition“ handelt, sondern um erste Schritte in Richtung einer Politik, die sich darum bemüht, alle antioligarchischen Kräfte zu sammeln, die in einer ultrarechten, faschistischen Diktatur keine Lösung sehen. Denn eine Diktatur dieser Art will uns die Allukrainische Vereinigung „Svoboda“ aufdrängen, während die offiziellen Oppositionsführer tatenlos zuschauen.

Das Fehlen eines kohärenten Aktionsplans, der die Ukraine aus der Krise führen könnte, ist so drängend, dass sogar ziemlich liberale und rechts-liberale Publikationen eine Diskussion über unsere „Zehn Punkte“ begonnen haben, so zum Beispiel zaxid.net in Lwiw (russ. Lwow).


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 2/2014 (März/April 2014). | Startseite | Impressum | Datenschutz