Ukraine

Zehn-Punkte-Plan für den gesellschaftlichen Wandel

Linke Opposition

Unser Dokument mit dem Titel „Plan für gesellschaftlichen Wandel“ zeigt auf, wie das Wohl der Bevölkerung gesteigert und der soziale Fortschritt gesichert werden kann. Einer der Gründe, die zu diesem Papier geführt haben, ist die Tatsache, dass in den Euromaidan-Protesten bisher kaum sozioökonomische Forderungen laut wurden. Unsere Hoffnung ist, dass das Dokument als Plattform dienen und viele soziale, linke und gewerkschaftliche Gruppen vereinen kann. Der Text stammt von AktivistInnen der „Linken Opposition“, einer sozialistischen Organisation, die die Vereinigung all jener anstrebt, die zur Gemeinschaft mit dem provisorischen Namen „#leftmaidan“ gehören.

Es versteht sich von selbst, dass politische Parteien die Protestbewegung umformen und in Richtung Wahlpolitik steuern; sie bemühen sich um neue Stimmen, anstatt das System grundlegend zu verändern. Wir unterstützen weder die Vorschläge liberaler Kreise, die die freie Marktwirtschaft propagieren, noch die radikalen NationalistInnen, die eine diskriminierende Politik verfolgen.

Wir hoffen, dass die Protestbewegung, die wegen sozialer Ungerechtigkeit aktiv geworden ist, die Ursachen dieser Ungerechtigkeit beseitigen kann. Unserer Ansicht nach liegen die Wurzeln der meisten sozialen Probleme bei der Oligarchie, die ein Produkt des ungezügelten Kapitalismus und der Korruption ist. Es ist wichtiger, die egoistischen Interessen unserer Oligarchen in die Schranken zu weisen, als auf die Hilfe von Russland oder IWF zu bauen und das Land in internationale Abhängigkeiten zu führen. Statt in den Ruf nach europäischer Integration einzustimmen, sollten wir klar aufzeigen, welche Veränderungen im Interesse der normalen BürgerInnen, insbesondere der entlassenen ArbeiterInnen, nötig sind. In unserem Plan erwähnen wir dazu verschiedene Beispiele europäischer Länder, die fortschrittliche Maßnahmen ergriffen haben.

Die von uns formulierten Ziele sind relativ bescheiden, damit möglichst viele Organisationen zustimmen können. Für uns ist dieser Plan – das möchten wir nicht verheimlichen – weniger eine Reaktion auf die aktuellen Vorkommnisse als ein Schritt auf dem Weg zu einer zeitgemäßen linken Kraft, die fähig ist, auf die Mächtigen Einfluss zu nehmen und eine Alternative zur jetzigen Gesellschaftsordnung zu bieten. Der vorgeschlagene Plan stellt für die „Linke Opposition“ dasnötige Minimum dar, um den Sozialismus auf Grundlage der Selbstverwaltung aufzubauen: die Industrie verstaatlichen, Gewinne für soziale Belange einsetzen und BürgerInnen mit staatlichen Funktionen betrauen.

Wir laden euch ein, eure Meinung via unsere Facebook-Seiten kundzutun oder uns per Mail anzuschreiben: gaslo.info@gmail.com. Unser Leben wird sich nicht verbessern, wenn wir die eine Gruppe von PolitikerInnen und Oligarchen mit der anderen ersetzen, ohne umfassende systemrelevante Änderungen vorzunehmen. Deshalb haben wir, AktivistInnen aus dem sozialen und gewerkschaftlichen Umfeld, zehn Punkte zusammengestellt, auf deren Grundlage die Wirtschaftskrise überwunden und ein künftiges Wachstum der Ukraine gewährleistet werden kann.

1.
Führung durch das Volk statt durch Oligarchen. Die Präsidialrepublik muss zu einer parlamentarischen Republik werden, in der sich die Macht des Präsidenten auf repräsentative Aufgaben auf internationaler Ebene beschränkt. Die Macht muss von den staatlichen Stellen zu gewählten Regionalgremien verschoben werden (Sowjets). Die Behörden müssen das Recht haben, Abgeordnete zu entlassen, die den Erwartungen nicht entsprechen; Richter und Polizeichefs sollten gewählt statt ernannt werden.

2.
Nationalisierung der Primärindustrie. Metallindustrie, Bergbau, chemische Industrie und Unternehmen im Bereich Infrastruktur (Energie, Transport, Kommunikation) müssen zum sozialen Wohlstand beitragen.

3.
Kontrolle aller Eigentumsformen durch die Arbeiter. Wir müssen ein weites Netz unabhängiger Gewerkschaften aufbauen, die das Management kontrollieren und die Rechte der ArbeiterInnen durchsetzen. Erfolgreiche Beispiele aus Europa können dabei als Vorbild dienen. Die Angestellten müssen das Recht haben, zu streiken (Arbeitsniederlegung bei ausstehenden Lohnzahlungen) und Kredite auf Kosten der Arbeitgeber aufzunehmen, wenn Lohnzahlungen ausbleiben (gemäß dem Beispiel von Portugal). Alle Unternehmen mit mehr als 50 Angestellten oder einem Kapitalumsatz über einer Million Dollar sollten verpflichtet werden, ihre Daten zu Produktion, Bilanzen und Management online zu veröffentlichen.

4.
Einführung einer Luxussteuer. Auf Luxusgüter sollte eine Steuer von 50 % erhoben werden, zum Beispiel auf Jachten, Luxusautos und andere Güter im Wert von über 1 Million Hrywnja. Außerdem brauchen wir eine progressive Einkommenssteuer. Personen mit einem Jahreseinkommen von über einer Million Hrywnja sollten bis zu 50 % besteuert werden, wie dies in Dänemark der Fall ist (unter diesen Bedingungen hätte allein schon Rinat Achmetow 1,2 Milliarden Hrywnja an den Staatshaushalt abgeliefert – im Vergleich zu den 400 Millionen, die er im Jahr 2013 bei einer Steuer von 17 % tatsächlich bezahlte).

5.
Unterbindung des Offshore-Kapitaltransfers. Die Bestimmungen, nach denen ukrainische Unternehmen in einigen Offshore-Ländern steuerbefreit sind, sollten aufgehoben werden, um den Kapitaltransfer in Steueroasen zu unterbinden. Die Vermögenswerte von Offshore-Firmen in der Ukraine müssen gesperrt und einer vorübergehenden Verwaltung unterstellt werden, bis geklärt ist, ob die Kapitalanlagen legal sind.

6.
Trennung von Regierung und Business. BürgerInnen mit einem Einkommen von über 1 Million Hrywnja [1] sollten sowohl auf staatlicher als auch auf lokaler Ebene von Regierungspositionen ausgeschlossen werden. Zur Umsetzung dieser Regel braucht es landesweite Neuwahlen.

      
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7.
Senkung der Ausgaben für den Verwaltungsapparat. Die Staatsausgaben sollten kontrolliert und transparent sein. Es braucht eine Verwaltungsreform, um die Zahl der leitenden Angestellten zu reduzieren. Obwohl heute ganze Abteilungen durch Computerprogramme ersetzt werden könnten, ist die Zahl der Beamten in der staatlichen Verwaltung in den letzten acht Jahren um beinahe 10 % auf über 372 000 Personen gestiegen (in der Ukraine kommen 8 Beamte auf 1000 Einwohner – in Frankreich sind es nur 5 pro 1000!).

8.
Auflösung von Berkut und anderen Spezialeinheiten. Ab 2014 sollten die Ausgaben für den staatlichen Sicherheitsapparat sukzessive gesenkt werden. Diese Forderung betrifft insbesondere das Innenministerium, den Sicherheitsdienst (Inlandsgeheimdienst), die Staatsanwaltschaft und Spezialeinheiten der Polizei. Es ist inakzeptabel, dass das Innenministerium 2013 über 16,9 Millionen Hrywnja erhielt – 6,9 Millionen mehr als sämtliche öffentlichen Gesundheitsausgaben betrugen!

9.
Zugang zu freier Schulbildung und Gesundheitsversorgung. Die Mittel zur Realisierung dieses Vorschlags können durch die Verstaatlichung der Industrien und durch Einsparungen bei den Sicherheits- und Verwaltungsapparaten beschafft werden. Die Korruption in Bildung und Medizin wird nur verschwinden, wenn wir die Gehälter der Lehrkräfte und ÄrztInnen anheben und diesen Berufen wieder mehr Ansehen verschaffen.

10.
Rücktritt von repressiven internationalen Finanzinstitutionen. Wir fordern, dass die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds und anderen internationalen Finanzinstitutionen eingestellt wird. Stattdessen sollten wir dem Beispiel Islands folgen, das sich weigert, für die Verschuldung aufzukommen, die Banker und Beamte (unter staatlicher Garantie) herbeigeführt haben – eine Verschuldung, die eher mit persönlicher Bereicherung und „sozialen Almosen“ als mit der Entwicklung der Industrie zu erklären ist.


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 2/2014 (März/April 2014). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] 100 Hrywnja entsprechen zurzeit ca. 8 Euro