Am 31. Januar demonstrierten in Madrid über 150 000 Menschen gegen die Sparpolitik der Regierung. Nicht nur die Herrschenden in Spanien fürchten, dass durch Podemos das seit 40 Jahren dominierende Zweiparteiensystem aufgebrochen wird; auch im restlichen Europa sorgen sich die Auguren der Austerität über ein mögliches Ausscheren von Teilen Südeuropas aus den „Kriterien von Maastricht“.
Manuel Garí
Im Kontext der umfassenden, schweren Wirtschafts- und Sozialkrise und der ununterbrochenen Reihe von Korruptionsfällen bei fast allen politischen Kräften mit institutioneller Vertretung tauchte im März 2011 die Bewegung der „Empörten“ auf. In Dutzenden Städten Spaniens kam es zu riesigen Demonstrationen. Die soziale Bewegung deckte den Glaubwürdigkeitsverlust der führenden Parteien auf, ausgedrückt im Slogan „Sie vertreten uns nicht“ und in der Legitimitätskrise des politischen Systems, das ein Erbe des Übergangsregimes nach der Diktatur, des sogenannten „Reformsystems“, ist. Die Verfassung von 1978 war ein Resultat dieses Reformsystems und ein Werk des Pakts der Sozialisten und Kommunisten mit der aus dem Franquismus hervorgegangenen Rechten.
Die Menschen in Spanien befinden sich in einem sozialen Notstand. Ungleichheit und Armut haben in alarmierendem Ausmaß zugenommen, was gemäß der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) hauptsächlich auf Arbeitsplatzverluste und Lohnsenkungen zurückzuführen ist. Konkret bedeutet dies, dass die Kaufkraft der Familien um durchschnittlich 17 % abgenommen hat. Bei dem Drittel der Bevölkerung, das am wenigsten verdient, beträgt der Kaufkraftverlust bis zu 43 %.
In den letzten Jahren kam es zu großen Mobilisierungen: der Generalstreik vom 29. März 2012; die 100 000 Menschen in Madrid, die am 11. Juli 2014 in Solidarität mit den Bergarbeitern demonstrierten; die weiße und grüne „Bürgerflut“ gegen Privatisierungen im Gesundheits- und Bildungssektor; die von der „Vereinigung der Hypotheken-Opfer“ organisierten Aktionen gegen Zwangsräumungen; die eineinhalb Millionen Unterschriften, damit das Parlament über eine vom Volk eingebrachte Gesetzesinitiative für würdiges Wohnen debattiert; oder die eindrückliche Mobilisierung der „Märsche für Würde“ am 22. März 2014. Trotz dieser Proteste blieb die Regierung der Volkspartei (PP) im Grundsatz hart. Daran änderten auch einzelne Teilerfolge nichts: In Madrid konnten die Arbeiter der Grünanlagen und Stadtreinigung Entlassungen abwehren; es gab Erfolge im Kampf gegen die Privatisierung des Gesundheitssystems in der Region Madrid; die Nachbarschaftsgruppen von Gamonal, einem Stadtteil von Burgos, konnten Bauprojekte in ihrem Quartier verhindern.
Ein klarer und deutlicher Sieg konnte lediglich in einem zentralen Bereich auf staatlicher Ebene errungen werden: Die PP musste ihr reaktionäres Projekt gegen das Abtreibungsrecht der Frauen zurückziehen, was den Justizminister zum Rücktritt bewog. Aus Sicht vieler AktivistInnen erreichte der soziale Kampf seine Ziele nicht, weil er mit einem Kampf auf der politischen und auch Wahlebene kombiniert werden müsste.
In einer Situation, in der große Verdrossenheit gegenüber den etablierten Parteien herrschte und die soziale Bewegung gleichzeitig nicht imstande war, die politische Lage zum Kippen zu bringen, erschien Podemos vielen AktivistInnen und auch breiten Bevölkerungskreisen als Schlüssel zur Veränderung. Dies wurde in den Europawahlen bestätigt und manifestierte sich einerseits in den Resultaten (1 200 000 Stimmen bzw. 7,8 % der abgegebenen Stimmen und 5 Abgeordnete), andererseits in der Dynamik, mit der die sogenannten Kreise (Circulos) geschaffen und die Versammlungen organisiert wurden. Was aber noch wichtiger war: Von da an hatten die Podemos-Kreise einen massiven Zulauf von linken AktivistInnen und von Menschen ohne aktivistischen Hintergrund und auch ohne politische Erfahrung.
Drei Faktoren führten zum Erfolg von Podemos:
Erstens die unmissverständliche, radikale Kritik und Ablehnung der bisherigen antidemokratischen Praktiken der Politik und eine einfache, direkte Botschaft: Wir können dem Diktat der Troika eine alternative Politik entgegenstellen. Gleichzeitig prangert Podemos die korrupte politische „Kaste“ an: Sie hat sich im Räderwerk des Staates eingerichtet, unterwirft sich der Troika und ist der Grund für die Sparpolitik und das Andauern der Krise.
Zweitens die Tatsache, dass eine offene (und doch bürgernahe) Struktur geschaffen wurde, die es Allen ermöglicht, die Entscheide von Podemos mitzubestimmen: die Aufstellung der WahlkandidatInnen, die Festlegung der politischen Linie und die Wahl der Führungsorgane. Dies steht für Transparenz, horizontale Strukturen und Bürgernähe. Und es bedeutet, den Menschen über die Parteistrukturen hinaus eine Stimme zu verleihen.
Drittens konnte Podemos ein großes Medienecho erreichen, sowohl in den großen Radio- und Fernsehkanälen wie auch in den sozialen Netzwerken.
Der „Podemos-Effekt“ hat die politische Landschaft und das Parteiensystem destabilisiert. Besonders betroffen sind die beiden Parteien Partido Socialista Obrero Español (PSOE) und Izquierda Unida (IU). Die PSOE versucht, sich neu auszurichten, sieht sich aber gleichzeitig gezwungen, ihre Bereitschaft zu „Staatspakten“ mit der PP zu signalisieren, damit es nicht zum Bruch kommt. Die IU, die gemäß Umfragen durch den Aufstieg von Podemos am stärksten getroffen wurde, ist zurzeit dabei, ihre Leitungsriege zu erneuern. Sie ist gewillt, sich mit Podemos abzustimmen, ohne jedoch gewisse Aspekte ihrer institutionellen Politik infrage zu stellen, etwa die Beteiligung an der Regionalregierung in Andalusien zusammen mit der PSOE oder die Duldungspolitik gegenüber der PP-Regierung in der Extremadura.
Aktuelle Umfragen zu den spanischen Parlamentswahlen, die Ende 2015 anstehen, weisen darauf hin, dass Podemos 18 % bis 22 % der Stimmen erhalten könnte. Es besteht die Möglichkeit, dass sich die Partei an der Spitze wiederfinden wird, was einem Wahlresultat zwischen 25 % und 27,7 % entsprechen würde. Mit einem solchen Resultat könnte Podemos zur zweiten Kraft werden, und Pablo Iglesias ist eine Führungsfigur, die bei der Bevölkerung höchstes Ansehen genießt.
Dass Podemos vielleicht genügend Stimmen erhalten wird, um in die Regierung einzuziehen, ist für die „faktisch Herrschenden“ in und außerhalb der EU ein Albtraum. Das potenzielle Eindringen einer Kraft, die den seit dreißig Jahren stattfindenden Wechsel zwischen der Rechten und der Sozialdemokratie durchbrechen kann und danach strebt, die „Kaste“ wegzufegen und einen neuen Kurs einzuschlagen, genügt, um zu zeigen, wie die Angst die Seite gewechselt hat.
Die Möglichkeit, dass Podemos in die Regierung gelangt, wie Syriza in Griechenland, ist historisch gesehen eine absolute Ausnahme innerhalb der europäischen Zweiparteiensysteme – ein Bruch im Wählerverhalten, der die schwere politische Krise des spanischen und griechischen Staates widerspiegelt. Aber obwohl es sich um einen Bruch im Wählerverhalten handelt, darf man, Marx zitierend, Folgendes nicht vergessen: Manchmal drücken sich beginnende gesellschaftliche Umwälzungen zuerst in politischen Umwälzungen aus (Bruch mit der Kaste), die nicht unterschätzt werden sollten. Dies zu verstehen, ist in der Systemkrise, die wir zurzeit erleben, von entscheidender Bedeutung, denn es eröffnet uns politische und soziale Perspektiven, die jahrzehntelang nicht vorhanden waren.
Auch wenn wir heute Grenzen und Widersprüche in Podemos sehen: Es wäre ein großer Fehler, die Grunddynamik und die historische Bedeutung des Aufschwungs dieser Bewegung nicht zu verstehen.
Mehr als 208 000 eingeschriebene Mitglieder sowie tausend Kreise, die in weniger als einem Jahr ins Leben gerufen wurden und Tausende von AktivistInnen zählen: Podemos hat tatsächlich ein beispielloses Wachstum hinter sich. Doch Podemos tritt in einer Zeit des sozialen und kämpferischen Rückgangs in Erscheinung, in einer Zeit, in der die Krise weder zu einer lebendigen gemeinschaftlichen Dynamik noch zu Gewerkschaftsbeitritten etc. führt. Stattdessen wächst die Empörung, aber auch die Verzweiflung.
Dieser Kontext beeinflusste natürlich die Strukturierung von Podemos und auch den Prozess, der zur Bürgerversammlung von Oktober 2014 führte. Podemos gab sich mit dieser Versammlung eine politische Ausrichtung und eine Organisationsstruktur, es handelte sich aber nicht um einen Kongress, wie wir ihn gewohnt sind.
In einer ersten Phase kam es zu einer Versammlung in Madrid, an der AktivistInnen aus dem ganzen Land teilnahmen und an der Diskussionspapiere und Resolutionsentwürfe präsentiert wurden (ohne Abstimmung). In einer zweiten Phase wurde via Internet abgestimmt. Während der ersten Phase waren 7000 Personen aktiv, und bei der Wahl stimmten dann 112 000 über die Dokumente ab und 107 000 über die Führungsstrukturen (Bürgerrat, Generalsekretariat und Generalsekretär).
Podemos ist es nicht nur gelungen, mit breiten Bevölkerungsschichten in Diskussion zu treten (wie früher die Bewegung der Empörten), sondern auch eine „offene“ Organisation zu bilden, in der sich die Menschen aktiv beteiligt fühlen – ein wichtiger Punkt, der jedoch aus demokratischer Sicht nicht ganz unproblematisch ist, wie wir noch sehen werden.
Als die Wahlen vorbei waren und es Podemos geschafft hatte, die Empörung zumindest teilweise in eine politische Reaktion umzuwandeln, stand die Partei vor einer dreifachen Herausforderung, wollte sie nicht nur zu einer Wahlkampfmaschine, sondern zu einem Treibmittel für den sozialen Wandel werden:
die bis dahin mobilisierten Kreise zu organisieren,
ein konkretes politisches Programm auszuarbeiten, das über generelle Formulierungen hinausgeht,
die in breiten Bevölkerungsschichten geweckte Hoffnung in soziale Bewegung und eine Wählerbasis umzuwandeln.
Was Podemos angesichts dieser Herausforderungen leisten kann, hängt vom Prozess ab, der nach der Bürgerversammlung (Kongress) in Gang kam. Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich nur sagen, dass die oben erwähnte Perspektive in der von der Mehrheit verabschiedeten Ausrichtung nicht sichtbar ist. Aber wie sich Podemos in nächster Zukunft entwickeln wird, hängt nicht allein von den Beschlüssen der Bürgerversammlung ab, sondern auch von neuen inneren und äußeren Ereignissen.
Die Entwicklung von Podemos war und ist widersprüchlich. Einerseits fußt die Organisation auf Kreisen, die sich organisieren, weil Podemos neue Perspektiven für die Linke eröffnet und neue Partizipations- und Demokratieformen einführt; der aktivste Teil unter ihnen organisiert sich in den Podemos-Kreisen und wird Aktionsschwerpunkte entwerfen und festlegen müssen, die über Wahlkampagnen hinausgehen. Andererseits versucht die Führungsgruppe, die Aktivität der Kreise in ein politisches Projekt einzubinden, das einzig den Wahlen dient; diese Führung will über der Organisation stehen und wünscht – in der Praxis – keine demokratische Kontrolle.
Auf dem Kongress im Oktober letzten Jahres ging es um die politische (und nicht nur wahlpolitische) Ausrichtung und die Organisationsfrage. Da die Führungsriege darauf bestanden hatte, dass Vorlagen nur alternativ zur Abstimmung gestellt werden durften und keine Änderungsanträge zugelassen waren, war der Vorgang von vorn hinein verfälscht. Über 200 Dokumente waren eingereicht worden, die die meisten Abstimmungsteilnehmer gar nicht alle lesen konnten, und eine kollektive Diskussion fand überhaupt nicht statt. Damit war das ganze Verfahren zwar formal demokratisch, indem 110 000 Beteiligte per Internet abstimmten, aber ein wirklich demokratisches Verfahren, das von der kollektiven Debatte lebt, fand nicht statt. Bei Podemos gibt es keine Möglichkeit zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung der Positionen, was für ein demokratisches Vorgehen unabdingbar ist. Die virtuellen Foren mögen zwar sehr nützlich sein, tragen aber nicht dazu bei, den Dialog zu vertiefen.
Nichtsdestotrotz lagen zwei alternative Positionspapiere über das Organisationsmodell vor, die gewissermaßen zwei unterschiedliche politische Konzepte für Podemos zum Ausdruck brachten.
Das Konzept, das von der Riege um Pablo Iglesias vertreten wurde und eine große Mehrheit erreichte, zielt darauf ab, Podemos zu einer reinen Wahlmaschine zu machen, um die Parlamentswahlen im Herbst 2015 zu gewinnen. Das Argument lautet, dass die gegenwärtige politische Krise nicht endlos anhalten könne und man dadurch entstehende „Zeitfenster“ nutzen müsse. Und dies könne man nur erreichen, sofern die Organisation über eine monolithische und intern unangefochtene Führung verfügt. Daraus folgt, dass die Organisationsstruktur von Podemos in Form der Kreise organisatorisch keine Rolle mehr spielen soll. Die gegenwärtige Führungsriege beruft sich auf ihren „Vertrauensvorschuss“ bei der großen Mehrheit der Mitglieder von Podemos und kontrolliert den Presseausschuss. Damit kann sie sich an die Öffentlichkeit wenden, ohne zuvor die Basis konsultiert zu haben.
Die Organisationsfrage ist deswegen so bedeutsam, weil der jetzige Führungskern sich für unentbehrlich hält, nicht nur um Podemos aufzubauen, sondern auch um die Wahlen zu gewinnen. Also müsse er eo ipso permanent und vorrangig in der Leitung bleiben, wie unablässig betont wird. Und um die Wahlen zu gewinnen, müssten die ursprünglichen Programmbestandteile, wie sie noch für die Europawahlen formuliert worden waren, abgeschwächt werden, denn nur so könne man die politische Mitte für sich gewinnen und der PSOE die Hegemonie im sozialdemokratischen Lager streitig machen. Für eine künftige Regierung gelte das Nämliche: Nur die Riege um Iglesias sei in der Lage, das soziale und politische Programm umzusetzen.
Die Gegenposition wurde von den EU-Abgeordneten Pablo Echenique, Teresa Rodríguez und Lola Sánchez vertreten, die darin von mehreren Strömungen unterstützt wurden. Sie traten für einen Aufbau von Podemos von unten nach oben ein und für gleichberechtigte und pluralistische Führungsorgane. Der Schwerpunkt solle auf den politischen und sozialen Bewegungen liegen, statt bloß auf die Wahlen zu orientieren.
Die vom Kongress verabschiedete politische Plattform enthält eine treffende Beschreibung der allgemeinen Lage, ist aber bar jeder Programmatik. Die einzige Botschaft gilt dem Sieg bei den Parlamentswahlen Ende 2015, auf den sich alle Anstrengungen richten sollen. Also gelte es, die Wahlkampfmaschinerie von Podemos aufzubauen und sich nicht vorzeitig zu verschleißen, indem man an den Kommunalwahlen teilnimmt. (Dieses Verdikt soll nicht für die Regionalwahlen gelten.) Diese Entscheidung ist insofern äußerst problematisch, weil es bei den Kommunalwahlen um die Konfiguration der politischen Kräfteverhältnisse geht. Abgesehen von diesem einen Programmpunkt herrscht gähnende Leere: kaum strategische Aussagen oder programmatisches Rüstzeug und keine Beiträge oder Vorschläge zu den sozialen Bewegungen.
Das auf dem Kongress verabschiedete Parteimodell ist überaus konventionell und hierarchisch zugunsten einer sehr kleinen Elite strukturiert. Auch wenn formal die gewählten Verantwortlichen von Podemos abberufen werden können, fehlt der Raum für eine demokratische innerorganisatorische Debatte mit Entscheidungskompetenz in der Gesamtorganisation. Man ist auf Gedeih und Verderb den telematisch getroffenen Beschlüssen ausgeliefert, denen keine Diskussionen vor Ort vorausgehen und die von oben durch die entsprechenden Kommunikationsmittel dominiert werden, zumal Pablo Iglesias durch seine Medienpräsenz als opinion leader gilt.
Dadurch verkehrt sich ein eigentlich positiver Umstand – die offene Beteiligung an den Entscheidungsfindungen – in ein Instrument von höchst zweifelhaftem demokratischem Nutzen, sofern es nicht mit einer Debatte vor Ort kombiniert wird. Was auf den ersten Blick wahrhaft demokratisch daher kommt, fußt bei näherem Hinsehen auf Ungleichheit ohne jedwedes Korrektiv. Zudem verfügen nicht alle Menschen über Internet etc. oder sind damit ausreichend vertraut. Ergo wird Demokratie auf das Plebiszit heruntergefahren, was in gewisser Weise auf das Gegenteil hinaus läuft oder zumindest gegenteilige Elemente beinhaltet. Ein Beispiel dafür sind die Leitungswahlen auf der Basis von Listen: „the winner takes it all“, was bedeutet, dass Minderheiten gar nicht repräsentiert sind und in der Regel die Kandidaten von Iglesias’ Gnaden durchkommen.
Mit dem Kongress ging eine Etappe zu Ende und es eröffnete sich eine neue, die dreierlei Charakteristika aufweist: der Wandel von Podemos zu einer zentralistischen und extrem hierarchischen politischen Partei, die Säuberung des linken Flügels aus der Parteiführung und die Kehrtwendung zur reinen Wahlpartei. Diesem Ziel wird das Organisationsmodell angepasst, das auf einem Wahlkampfstab basiert und zentralistisch auf die charismatische Führungsfigur von Pablo Iglesias zugeschnitten ist, dessen Entscheidungen – wie bisher auch – über plebiszitäre Mechanismen abgesegnet werden.
Dieser Strategie werden auch die Inhalte und nach außen vertretenen Positionen untergeordnet, die an das „Volksempfinden“ angepasst werden sollen, das dem Bewusstseinsstand der Bevölkerungsmehrheit als Zieladressat entspricht. Podemos ist demnach weder eine Aktivistenpartei noch eine Bewegungspartei sondern eine Wahlpartei neuen Typs, die anscheinend keinen Wert auf eine territoriale Verankerung legt, die sich aus internen Debatten und aktiver Beteiligung der Basisstrukturen am Aufbau der Organisation ergibt.
Die ohnehin schon wenig konkreten Aussagen über eine beabsichtigte Gesellschaftsveränderung werden beständig noch weiter verwässert, um sie potentiellen Wählern und Unterstützern verdaulicher zu machen. Werden tatsächlich mal konkrete Vorschläge gemacht, sind diese zunehmend an der „Realpolitik“ orientiert, um so die Mittelschichten für sich zu gewinnen und als „ernsthafte“ politische Kraft zu gelten. Der Bezug auf die sozialen Bewegungen wird so auf das Nebengleis geschoben.
Nach einer vorläufigen Bilanz dieser Entwicklung hat sich das von Iglesias und seiner Entourage in der Leitung vertretene Konzept siegreich durchgesetzt, entlang einer Polarisierung zwischen den „Leuten“ und der „Kaste“ oder dem „Volk“ und der „Oligarchie“ eine Wählermehrheit schmieden zu wollen, also eine möglichst breite nationale Volkseinheit zu errichten, um so die nächsten Parlamentswahlen zu gewinnen.
Somit ist aus dem legitimen Anspruch, das durch die gegenwärtige Krise und den Niedergang der beiden großen Parteien eröffnete Zeitfenster nicht verpassen zu wollen, eine Entwicklung eingetreten, wo die Führung die noch zu den EU-Wahlen vertretenen Inhalte wahltaktischen Überlegungen geopfert hat. Es wird eine staatsmännische Attitüde zur Schau getragen und eine Regierung von Technokraten propagiert, wo die jeweils „besten Experten“ die Ressorts verwalten. Und je günstiger die Wahlprognosen ausfielen, desto weiter verlief die Rechtsentwicklung.
Statt sich vorrangig der Themen anzunehmen, die im Zentrum der Anliegen der breiten Bevölkerung, ungeachtet ihrer ideologischen Ausrichtung, liegen, will man nun der PSOE das politische Zentrum streitig machen, sich also einen sozialdemokratischen Anstrich verpassen. Das bei zwei Wirtschaftsprofessoren in Auftrag gegebene Wirtschaftsprogramm ist demnach auch konsequenterweise neokeynesianisch und am sozialdemokratischen Politikverständnis ausgerichtet. Zum populistischen Auftreten der Leitung, die sich direkt und unvermittelt an die Wähler wendet, ist zu sagen, dass dabei kein reiner Selbstzweck verfolgt wird. Vielmehr will die Führung von Podemos dabei ihre Positionen vermitteln, die jedoch in verschiedene Richtung variieren können, je nachdem, was gerade für opportun erachtet wird. Hier werden wir noch einige Überraschungen erleben.
Podemos kann man nicht als eine antikapitalistische Kraft bezeichnen und fühlt sich auch kaum dazu berufen. Vielmehr steht ein Konzept dahinter, das sich an die Bevölkerung im spanischen Staat richtet (was in Katalonien und andernorts durchaus auf Widerspruch stößt) und gegen Neoliberalismus und für einen Bruch mit dem postfrancistischen Regime eintritt. Auch wenn die Leitung alles versucht, eine monolithische, stromlinienförmige Organisation zu schmieden, existieren innerhalb doch viele unterschiedliche Strömungen, deren Engagement nicht beim Wahlkampf aufhört, sondern die aktiv dafür kämpfen, dass das Volk die Macht ergreift, um eine politische und soziale Veränderung herbeizuführen.
Vorerst bleibt abzuwarten, wie die weitere organisatorische Formierung vonstattengehen wird (einschließlich der Wahl der lokalen und regionalen Leitungsstrukturen Ende Januar) und wie die Kommunalwahlen im Mai ausgehen, zu denen Podemos nicht mit eigenen Kandidaten antritt, sondern Bündniskandidaturen unterstützt. Anschließend werden wir klarer sehen, wie die organisatorische und institutionelle Entwicklung von Podemos verläuft und wie stark die einzelnen darin vertretenen Strömungen sind.
Gegenwärtig hält sich Podemos (notabene die Führung und nicht die Basis) bei Mobilisierungen unter der Bevölkerung zurück und unterstützte nicht einmal die Protestmärsche Ende November. Einzig für eine Kundgebung gegen die Angriffe der Rechten am 31. Januar machte die neue Führung mobil, um sich einen Überblick über ihre Anhänger zu verschaffen. Wir werden versuchen, diese Plattform zu verbreitern, um, geeint mit anderen Kräften, gegen Korruption und Sozialabbau zu protestieren, da eine rein identitäre Veranstaltung wenig Nutzen bringt.
Daneben hat sich im Zug von Podemos innerhalb der Gewerkschaft CCOO eine kritische Strömung gebildet (Ganemos-CCOO), deren Gründungsmanifest von 1001 Gewerkschaftsvertretern unterzeichnet wurde. Darin wird, neben dem Rücktritt des jetzigen Generalsekretärs, eine Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung gefordert, die sich nicht mehr an Sozialpartnerschaft, sondern am Klassenkampf orientiert. Unabhängig davon, wie sich diese Strömung entwickeln wird, wird daran schon jetzt deutlich, dass die von der Podemos-Führung propagierte Selbstbeschränkung auf Wahlen nicht der sozialen und politischen Realität gerecht wird.
Neben Tausenden anderer AktivistInnen, die sich bei Podemos engagieren, weil sie auf diesem Weg die Austeritätspolitik der Regierung und der Troika bekämpfen wollen, hat sich Izquierda Anticapitalista (IA) federführend bei der Gründung von Podemos beteiligt. Ungeachtet der erheblichen Differenzen über die aktuelle Entwicklung an der Spitze, werden wir uns weiterhin am Aufbau dieser Alternative beteiligen, da Podemos mit Abstand die beste Initiative darstellt, die die radikale Linke im spanischen Staat seit Jahren auf die Beine gestellt hat. Dabei werden wir die Zusammenarbeit mit anderen Strömungen suchen, mit denen wir uns über essentielle Fragen wie organisationsinterne Demokratie, politische Willensbildung von unten, ein Programm zum Sturz des Regimes und eine Interaktion mit den sozialen Bewegungen verständigen können.
Die Basisstrukturen (Podemos-Kreise) aufzubauen und sie in den sozialen Bewegungen und Mobilisierungen zu verankern, ist außerdem das beste Gegenmittel, die Selbstbeschränkung auf Wahlen und das hierarchische Gefälle wieder rückgängig zu machen, ausgenommen, dass neue, unvorhersehbare Entwicklungen eintreten. Falls Podemos an die Regierung gelangen sollte, wird die Organisation vielerlei Spannungen und Pressionen aushalten müssen, da der Spielraum für einen politischen Wandel, oder selbst nur Reformen, in der gegenwärtigen Krisensituation begrenzt ist. Es wird nicht lange dauern, bis Podemos vor die Alternative gestellt werden wird, sich „aus Realitätsbewusstsein“ dem Diktat der Märkte zu unterwerfen oder mit ihnen zu brechen und sich dabei auf die Mobilisierung von unten zu stützen. Daneben besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass nach einem Wahlsieg von Podemos die Bevölkerung gegen die politisch und wirtschaftlich Mächtigen auf die Straße geht und von unten der Regierung Druck macht, wirkliche Veränderungen für das Volk durchzuführen und nicht der Erpressung seitens der Finanzmärkte nachzugeben.
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Wegen eben dieser Chance ist Podemos trotz all seiner Widersprüche für uns der organisatorische Rahmen, der am ehesten den Bruch mit dem bestehenden Regime und der Austeritätspolitik der Troika ermöglichen kann. Daher müssen die AntikapitalistInnen im spanischen Staat dieses Projekt vorantreiben. Podemos gilt für die Bevölkerung als Bewegung, die einen wirklichen Wandel herbeiführen will, statt nur „vernünftiger“ Sachwalter des Systems zu sein. Podemos aber tatsächlich zum Instrument dieses überfälligen gesellschaftlichen Wandels zu machen, wird nicht leicht sein. Da die sozialen Bewegungen stagnieren, ruhen große Hoffnungen auf den Wahlen und ist es auch schwer, die Basis von Podemos zu aktivieren. Dennoch müssen wir genau hier ansetzen, um die gegenwärtigen Herausforderungen zu schultern und die Degeneration von Podemos in Richtung eines elitären und hierarchischen Zirkels zu verhindern.
Dies kann nur funktionieren, wenn wir dafür sorgen, dass Podemos als Kollektiv funktioniert und in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen eingreift. Wir müssen daraus eine Organisation machen, die Antworten auf die drängenden Fragen der Menschen geben und die Mobilisierung und Selbstorganisation der Unterdrückten vorantreiben kann. Dies erfordert doppelte Anstrengungen von unserer Seite auf verschiedenen Ebenen. Um nur ein paar Punkte zu nennen: wir müssen gemeinsam daran arbeiten, unsere Mitglieder als politische Kader von Podemos zu etablieren, die die politische Lage und daraus erwachsende Konsequenzen erfassen, sich auf neue Bedingungen einstellen und sowohl in den sozialen Bewegungen als auch in Institutionen politisch initiativ werden können. Eine konkrete Folge ist auch, dass IA ihre juristische Form ändern muss, da innerhalb von Podemos keine landesweit tätigen Parteien existieren dürfen. Die Probleme und Widersprüche, die bei Podemos existieren, sind allgemein bekannt. Wir lösen sie nicht, indem wir davor fliehen oder uns dem Druck von oben anpassen. Nur wenn wir dagegen halten, können wir eine antikapitalistische Alternative aufbauen. Wenn wir dabei vorankommen, findet dies nicht nur in Spanien Widerhall sondern hat Auswirkungen auf die gesamte antikapitalistische Linke in Europa.
Madrid, 9. Dezember 2014 |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 2/2015 (März/April 2015). | Startseite | Impressum | Datenschutz