„Das Land kommt nicht so schnell voran, wie ich es gerne möchte“, sagt Präsident Hollande und meint damit mehr Flexibilisierung im Sinne der Unternehmer bei gleichzeitiger sicherheitsstaatlicher Aufrüstung und Einschränkung der Arbeiterrechte.
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Mit dem Rücktritt der Justizministerin Christiane Taubira und ihrer Ersetzung durch Jean-Jacques Urvoas ist ein weiterer Schritt im Umbau zum autoritären Staat gemacht. Bereits als Berichterstatter des unter seiner Regie entstandenen und 2015 verabschiedeten Geheimdienstgesetz, dem Patriot Act à la française, hatte Urvoas sich einen Namen als „Monsieur sécurité“ gemacht. Dieses Gesetz autorisiert die geheimdienstliche Überwachung ohne vorherige richterliche Anordnung, u. a. wenn „essentielle ökonomische und wissenschaftliche Interessen Frankreichs“ betroffen sind, die die öffentliche Ordnung stören könnten. Wann ökonomische und wirtschaftliche Kerninteressen berührt werden, darüber befinden hauptsächlich die politischen Maßgaben, nicht juristische. Dies zeigt die eigentliche Stoßrichtung des Gesetzes, denn unter den sieben dort genannten Gründen, die die Anwendung solcher Maßnahmen rechtfertigen, gilt nur einer der „Verhinderung von Terrorismus“.
Zugleich war damit die Richtung für die weitere Verschärfung der Law-and-Order-Politik vorgegeben: Die Anschläge im Dezember 2015 lieferten den Vorwand und Urvoas steuert sein Rechtsverständnis bei, wonach administratives Vorgehen über juristischen Abwägungen steht. Somit ist er der perfekte Vollstrecker der von der Regierung vorgelegten Verfassungsänderung, die am 10.2.2016 vom Parlament gebilligt wurde und nun noch vom Kongress verabschiedet werden muss.
Parallel dazu soll das französische Arbeitsrecht reformiert werden, weil es nach Ansicht der Regierung „zu schwerfällig und kompliziert“ sei, um den Bedürfnissen der Unternehmen und den Erfordernissen der Kapitalkonkurrenz auf dem Weltmarkt zu genügen. Die neue Arbeitsministerin El Khomri legte einen Entwurf vor, wonach Abweichungen von der gesetzlichen Norm mittels Betriebsvereinbarungen ermöglicht werden. Damit sollen Urlaubsansprüche, Feiertagsarbeit, Überstundenzuschläge, Arbeitszeit etc. an die „Bedürfnisse der Unternehmen“ angepasst, also u. a. die 35 h-Woche ausgehebelt werden. Zugleich soll das Vetorecht der Gewerkschaften dagegen stark beschnitten und der Kündigungsschutz gelockert werden – eine alte Forderung der Unternehmer, vor der selbst die einstige Regierung unter Chirac zurückgeschreckt war. Parallel dazu werden Kürzungen für Erwerbslose verhandelt. El Khomri droht wegen des zu erwartenden Widerstands, auch aus den Reihen der Sozialdemokraten, das Gesetz mithilfe eines Sonderparagraphen der Verfassung in Kraft zu setzen.
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Bisher läuft der Widerstand gegen die Einschränkung der Arbeiterrechte und die Verstetigung des Notstands, die auf die Spaltung und Einschüchterung der Bevölkerung zielen, um sie vom aktiven Protest gegen Sozialabbau etc. abzuhalten, eher ambivalent. Zwar gibt es diverse und breit befolgte Aufrufe gegen das Notstandsgesetz und die vorgesehene Ausbürgerung, die bis weit in die Reihen der Regierungspartei hineinreichen (stellvertretend findet sich im Dossier ein Kommuniqué einer Richtergewerkschaft); und auch die Petition der CGT gegen die Haftstrafen für Goodyear- Beschäftigte wegen radikaler Widerstandsformen gegen die Betriebsschließung fand bisher 150 000 UnterzeichnerInnen. Aber auf den Straßen sind die Proteste bisher eher zögerlich und zudem durch konkurrierende Plattformen mitunter gespalten. Der Kampf gegen Rassismus und Islamophobie wiegt nicht unter allen Beteiligten gleich schwer, obwohl Moslems im bevorzugten Visier der Verfolgungsmaßnahmen stehen. Damit erschwert es sich die Opposition, die am stärksten Betroffenen in die Bewegung einzubeziehen. Auch die linke parlamentarische Opposition ist gespalten. Während weite Teile der (zerstrittenen) Grünen die Notstandsmaßnahmen ablehnen, haben sich namhafte VertreterInnen wie die bisherige Generalsekretärin Emmanuelle Cosse wieder in die Regierung einbinden lassen. Der KP-Vorsitzende Laurent befürwortet „Urwahlen der Linken“ unter Einschluss von Hollande zur Nominierung eines gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten bei den im kommenden Frühjahr anstehenden Wahlen, während sich Mélenchon von der Parti de gauche (PG, Linkspartei) bereits zum Kandidaten ausgerufen hat.
Themen des folgenden Dossiers sind der geschichtliche Hintergrund des „starken Staates“ in Frankreich und der Rechtsruck der Sozialdemokratie, die durch ihre Anleihen aus der Requisitenkiste des Front national das gesellschaftliche Gravitationszentrum nach rechts verschiebt und damit das Erstarken der Rassisten befördert. Zudem werden die Auswirkungen dieser Gesetzesinstrumentarien auf die betrieblichen Kämpfe zur Abwehr von Arbeitslosigkeit, Verarmung und neoliberalen Reformen, die zunehmend Opfer von Repression und Kriminalisierung sind, beleuchtet.
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 2/2016 (März/April 2016). | Startseite | Impressum | Datenschutz