Katalonien/Spanischer Staat

Erklärung der Anticapitalistas zur Situation in Katalonien.

Diese Erklärung wurde von den Anticapitalistas, der Sektion der Vierten Internationale im spanischen Staat, am 29. Oktober 2017 herausgegeben.

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Am 27. Oktober hat das katalanische Parlament, auf Grundlage des Mandats des Referendums vom 1. Oktober, an dem trotz Polizeirepression mehr als 2 Millionen Menschen teilgenommen hatten, die katalanische Republik proklamiert. In einem Spanien mit einer Monarchie, die ein direkter Nachfolger des Diktators Franco ist, wäre eine Republik, die einen Verfassungsprozess in Gang setzt, zweifellos ein Vorschlag, der mit dem Regime von 1978, seinem politischen Konsens und seiner Verfassungsordnung im Dienste der Eliten bricht. Diese Proklamation fand vor dem Hintergrund ständiger Drohung mit der Anwendung des Artikels 155 und damit einer autoritären Lösung des Konflikt, der eine ausgesprochen politische und demokratische Lösung braucht, statt. Tatsächlich wurde in den letzten Tagen zunehmend mit der Anwendung des Artikels 155 gedroht, egal was geschah. Wir rufen auf, die Anwendung von Artikel 155 abzulehnen, und zur demokratischen, friedlichen und ungehorsamen Verteidigung des Willens des katalanischen Volkes und seines Rechts auf Selbstbestimmung.

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Es ist wichtig in diesen Zeiten des Überschäumens patriotischer Leidenschaften die Verantwortlichen für das, was passiert, korrekt zu benennen. Es war die Partido Popular, die, von den Ciudadanos angestachelt, mit Unterstützung der PSOE und unter dem Druck des Staatsapparats, beschlossen hat, Artikel 155 der Verfassung anzuwenden. Das Ziel dieser Maßnahme war es, einen Dialog zwischen Katalonien und dem Rest des Staates zu verhindern, das katalanische Volk zu kriminalisieren, eine Lösung durch ein ausgehandeltes Referendum zu verhindern und die Anwendung von Gewalt zur Lösung eines politischen Problems zu rechtfertigen. Eine unverantwortliche Maßnahme, die versucht, die Einheit des Staates auf Grundlage autoritärer Beziehungen zu reorganisieren.

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Uns ist bewusst, dass vieles unbekannt oder unsicher ist. Die Menschen mit einfachen Slogans zu berauschen, ist charakteristisch für eine Vorstellung von Politik, die sich vor demokratischen Debatten scheut und sich als Protagonistin einer Sache sieht, die doch vielmehr von den einfachen Menschen vorangetrieben wird. Die neue katalanische Republik steht vor internen Herausforderungen, die sie nicht ignorieren kann, in einem Land, in dem sich ein bedeutender Teil der Bevölkerung nicht durch die Unabhängigkeit repräsentiert fühlt. Die erste Aufgabe in diesem Prozess besteht darin, diese Spaltung zu überwinden, indem die Teile des Volkes, die nicht für die Unabhängigkeit sind, in ihr Projekt für das Land integriert und soziale Spaltungen vermieden werden, die nur den reaktionären Kräften zugutekommen, während eine Bewegung organisiert wird, die sich der Repression des Staates widersetzt. Der Verfassungsprozess muss in diese Richtung gehen und die Forderungen der Volksklassen integrieren, die über die nationale Frage hinausgehen, soziale Probleme in den Mittelpunkt stellen und Katalonien radikal demokratisieren.

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Im spanischen Staat erleben wir eine komplexe Welle der Reaktion. Viele Menschen, auch auf der Linken, fühlen sich von dem, was in Katalonien geschieht, verletzt und zerrissen. Es stimmt zwar, dass ein Großteil dieses Gefühls durch eine katalanfeindliche Reaktion, Erbin der schlimmsten Gefühle des Franco-Regimes, gebündelt wird und einen gewalttätigen Ausdruck der extremen Rechten auf den Straßen findet, aber es gibt einen großen Teil der Bevölkerung, der ehrlich besorgt ist über das, was in Katalonien passiert, und auf Dialog und Verhandlungen, also auf die Rückkehr der Politik vertraut.

Aus unserer Sicht geht es vor allem um die Fähigkeit der Menschen, über ihre Zukunft zu entscheiden. Wenn das katalanische Volk eine Niederlage erleidet und von der PP und ihren Verbündeten niedergeschlagen wird, dann werden, wenn immer ein Gebiet, ein Stadtrat, eine Gemeinde oder ein sozialer Sektor beschließt, frei über irgendeine Angelegenheit zu entscheiden, sie mit derselben Logik zermalmt werden, mit der heute die PP und der Staat versuchen, Katalonien zu zerstören. Das ist das zentrale Thema, das über die nationale Frage hinausgeht und die Frage der Volkssouveränität in den Mittelpunkt stellt: Es sind die Menschen, die das Recht haben zu entscheiden. Das ist die Grundlage der Demokratie, und das Gesetz muss im Dienst der Demokratie stehen und nicht umgekehrt.

      
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Esther Vivas: Katalonien – Stunde der Wahrheit, Inprekorr Nr. 1/2016 (Januar/Februar 2016)
 

Auf der anderen Seite gibt es andere Lösungen und Formen der Beziehungen zwischen den Völkern, die jene überwinden, die traditionell im spanischen Staat herrschen. Die Strategie des Ingangsetzen von Verfassungsprozessen hat als zentrale Idee, dass die arbeitenden Klassen und das Volk, Frauen, Migranten, alle Menschen, die nicht über politische und wirtschaftliche Macht verfügen, aber unentbehrlich sind, das Projekt der Gesellschaft ausarbeiten. Aber dies kann auch eine Methode zur Lösung der historischen Probleme des spanischen Staates auf nationaler Ebene sein, ein Weg, um die Beziehungen zwischen den Völkern in Gleichheit neu zu organisieren, wo ausgehend von der Achtung des Rechts auf Selbstbestimmung und seiner Ergebnisse Brücken zu einer Union gebaut werden, die die derzeit herrschenden, autoritären Beziehungen im Zentralstaat aufbricht; der Aufbau von Formen der Zusammenarbeit und des Dialogs unter den Menschen ganz unten, um eine Alternative zu der Gesellschaft der politischen und wirtschaftlichen Eliten aufzubauen. Eine Gelegenheit, einen neuen Rahmen des Zusammenlebens zu schaffen, der es uns erlaubt, soziale und demokratische Rechte für die Volksklassen nicht nur zurückzugewinnen, sondern auch neue zu erobern.

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Wir wissen, dass unsere Situation in einem Kontext wie diesem schwierig ist. Deshalb scheint es uns grundlegend, zwischen verschiedenen demokratischen Positionen zu debattieren, aber auch gegen jede autoritäre Intervention, die der Staat unter dem Vorwand der katalanischen Frage (es könnte auch jeder andere sein) plant, Widerstand zu leisten. Das katalanische Volk zu verteidigen, das unter der brutalen Anwendung des Artikels 155 leiden wird, bedeutet nicht nur, die Unabhängigkeitsbewegung zu verteidigen, sondern auch zu jenen 80 Prozent der Bevölkerung in Katalonien zu stehen, die ein Referendum und eine demokratische Antwort auf ihre Forderungen verlangt haben, und zu den anderen 20 Prozent, die ihre Selbstverwaltung verlieren werden. Es bedeutet auch, die Möglichkeit eines demokratischen Ausstiegs aus den aufgezwungenen Strukturen des Staates zu verteidigen. Es ist an der Zeit, mit dem geduldigen Aufbau eines Projekts zu beginnen, das über das Regime von 1978 hinausgeht und in der Lage ist, brüderliche und schwesterliche Beziehungen zwischen den verschiedenen Völkern des spanischen Staates aufzubauen. Die Eliten haben sich als unfähig erwiesen, die Probleme des spanischen Staates zu lösen; heute mehr denn je ist es dringend notwendig, die führende Rolle in der Politik für die unten zurück zu gewinnen.

Die Anticapitalistas sind die Sektion der Vierten Internationale im spanischen Staat.

Übersetzung aus dem Englischen: Björn Mertens
Quellen: http://www.anticapitalistas.org/comunicados/comunicado-de-anticapitalistas-ante-la-situacion-en-catalunya-2/, http://internationalviewpoint.org/spip.php?article5214



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 6/2017 (November/Dezember 2017) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz