Büro der IV. Internationale
Der in den vergangenen Jahren neu entstandene Zyklus von Massenmobilisierungen von Frauen ist weiterhin voller Dynamik. Am 8. März wurde wieder in über fünfzig Ländern von Argentinien bis Italien, von Frankreich bis in die USA, von Brasilien bis Großbritannien, von Island bis in den Iran ein internationaler Frauenstreik organisiert, und anderswo demonstrierten Frauen in zahlreichen Ländern aller Kontinente.
Der Streik ist zu einem Werkzeug der feministischen Bewegung geworden. Der Frauenstreik zeigt nicht nur auf, wessen Lohnarbeit den Markt funktionieren lässt, sondern auch, wessen Arbeit und Aktivitäten – ob entlohnt oder nicht – die Gesellschaft als Ganze funktionieren lassen und Lebensbedingungen für alle aufrechterhalten. In Zeiten, in denen informelle Arbeit, der Prozess der Rückverlagerung bezahlter Arbeit in den Bereich der Hausarbeit oder sklavereiartige Bedingungen allgemein zunehmen, wird es durch den Frauenstreik möglich, diese unsichtbaren, feminisierten Bereiche zu organisieren.
Der Streik im Jahr 2018 hatte größere Auswirkungen als im Jahr zuvor. Im Jahr 2018 nahmen z. B. im Spanischen Staat 5,3 Millionen Frauen mit 10 Gewerkschaftsverbänden im Rücken daran teil, und in Argentinien ging mehr als eine Million Frauen landesweit auf die Straße. In Polen organisierten sich die Frauen auch im Jahr 2018, in Erinnerung daran, dass ihre Mobilisierung zugunsten der Abtreibungsrechte von Frauen den bislang ersten Sieg gegen die PIS-Regierung brachte. In Großbritannien nahmen Frauen, die bereits für die Verteidigung ihrer Pensionsrechte oder ihrer Arbeitsplätze aktiv waren, Verbindung zu der Frauenstreikbewegung auf. In Italien hat die Bewegung „Non Una di Meno“ gegen Gewalt an Frauen zusammen mit Gewerkschaften zu einem Streik aufgerufen, der bedeutende Auswirkungen auf den Verkehr und die Schulen hatte.
Die Vielfalt der Forderungen, die jeweils am 8. März gestellt werden, nimmt von kontinuierlich zu. So demonstrierten z. B. in Tunesien 1000 Frauen für die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Erbrecht, während auf den Philippinen Frauen Präsident Duterte als einen der schlimmsten Frauenrechtsverletzer anprangerten und in der Zentralafrikanischen Republik der Hauptfokus auf dem Zugang von Frauen zur Bildung lag. Wir sind sicher, dass die Proteste gegen die Zwangsverschleierung im Iran weitergehen.
In Priština, der Hauptstadt des Kosovos, trugen Frauen Schilder mit Aufschriften wie „Wir feiern nicht, wir demonstrieren“. In der Türkei dominierten Slogans wie „Wir schweigen nicht, wir haben keine Angst, wir sind nicht folgsam“. In Pakistan nutzten Frauen – neben breiten Protesten gegen von den fundamentalistischen Taliban ausgehende Gewalt – die Gelegenheit des 8. März, um die neue sozialistisch-feministische Organisation für Demokratie und Säkularismus „Women Democratic Front“ (WDF) zu lancieren, während es in Irland einen weiteren Schritt in Richtung eines neuen Referendums zur Abschaffung des Abtreibungsverbots in der Verfassung gab, das für Ende Mai geplant ist.
Die Reaktion auf den Aufruf zum Internationalen Frauenstreik, der 2017 von der argentinischen Bewegung lanciert wurde, sowie die weltweiten Frauenmärsche stehen am Anfang eines neuen Zyklus von Mobilisierungen.
Ein zentrales bewegendes Element zur Radikalisierung in diesem Zyklus ist der Kampf gegen die weltweit ungestrafte chauvinistische Gewalt von Männern. Vorbereitungen hierzu gab es schon in den vergangenen Jahren. Bereits im Dezember 2012 gab es gewaltige Demonstrationen in Indien. Am 7. November 2015 demonstrierten 500 000 Frauen in Madrid; in Argentinien mobilisierten sich im Jahr 2015 hunderttausende Frauen als Reaktion auf mehrere Morde, die landesweit großes Echo auslösten. Auch die Ausweitung der Fälle von ermordeten und verschwundenen Frauen in Mexiko, das in bislang unbekanntem Ausmaß vom Drogenhandel geprägt ist, führte zu starken Mobilisierungen. Unlängst hat das #MeToo-Phänomen scharf ins Licht gerückt, wie weit sexuelle Gewalt und Belästigung überall auf der Welt verbreitet sind, und den zunehmenden kollektiven Widerstand dagegen verdeutlicht.
Diese neue Welle hat es außerdem möglich gemacht, dass diejenigen, die vorher auf die hinteren Ränge verwiesen und unsichtbar gemacht wurden, eine bedeutendere Rolle spielen: Rassisch abgestempelte und migrierte Frauen genauso wie zu den LGBTI+ zählende Menschen und Sexarbeiterinnen spielten in den Mobilisierungen der vergangenen Jahre eine bedeutende Rolle.
Seit dem letzten Jahr wurde es durch die Entwicklung der Frauenstreiks möglich, eine Beziehung herzustellen zwischen sexistischer Gewalt und der Prekarität der Arbeits- und Lebensbedingungen, unter denen die meisten Frauen leiden, und auch die reaktionäre Offensive des Kapitalismus in der Krise anzuprangern. Die ersten Streiks und Massenmobilisierungen, mit denen sowohl Macri (Argentinien) als auch Trump (USA) konfrontiert wurden, waren feministischer Natur, insbesondere die Großdemonstrationen am 21. Januar 2017 anlässlich von Trumps Amtseinführung, die den Grundstein für den Aufruf zum Frauenstreik in den USA und darüber hinaus legten.
Dieser Zyklus von Frauenkämpfen ist in vielen Ländern mit einer reaktionären Offensive konfrontiert – zurückzuführen auf den Aufstieg neokonservativer und fundamentalistischer Strömungen sowie die zunehmend autoritären Formen des Neoliberalismus und die Angriff auf demokratische Rechte, die die Meinungsfreiheit und Proteste an immer mehr Orten der Welt untergraben. Die politischen Ziele der Reaktionäre stellen grundlegende Rechte – wie das Recht auf Leben, die finanzielle und soziale Unabhängigkeit von Männern (Vätern, Brüdern oder Ehemännern), reproduktive Rechte wie Abtreibung – in Frage und stärken die Rolle der Familie. Die kapitalistische Krise verschlechtert die Lebensbedingungen der Mehrheit der Frauen in der Welt. Dies ist der Kontext der heutigen Gegenwehr.
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Die Rolle der Frauen als Vorkämpferinnen des sozialen Widerstands im letzten Jahrzehnt zeigt, dass es sich dabei nicht um sporadische Ausbrüche handelt, sondern um ein Potenzial, das die ganze Welt und sehr breit gefächerte Kämpfe umspannt. Die Hauptaufgaben von Revolutionär*innen ist es, dieses Potenzial auszuloten, an den Selbstverwaltungserfahrungen von Frauen teilzuhaben, indem sie von ihnen lernen; stabile Verbindungen zwischen verschiedenen Kämpfen und Widerständen herzustellen; auch die Systemkritik, die von dem breiten Spektrum an Frauen aufgezeigt wird, zu vertiefen und weiterzuentwickeln und dieser implizit antikapitalistischen Dynamik Gestalt zu verleihen.
Die Frauenbewegung und die feministischen Bewegungen dieses 8. März haben gezeigt, dass es Alternativen zu einer ausländerfeindlichen und autoritären kapitalistischen Politik gibt: Dort, wo diese Politik Mauern des Hasses baut, bauen Frauen Brücken der Solidarität.
13. März 2018 |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 3/2018 (Mai/Juni 2018). | Startseite | Impressum | Datenschutz