Arbeiter*innenbewegung

Zur Frage der Arbeiterselbstverteidigung

Es gibt keinen besonderen Anlass, diesen bisher wohl noch nicht auf Deutsch vorliegenden Beitrag zur Arbeiterselbstverteidigung gerade jetzt zu bringen. Aber über kurz oder lang wird sich das Thema des „Gewaltmonopols des Staates“ angesichts des wachsenden rechten (faschistischen) Terrors nicht vermeiden lassen.

Leo Trotzki

Jeder Staat ist eine Zwangsorganisation der herrschenden Klasse. Die Gesellschaftsordnung bleibt stabil, solange die herrschende Klasse fähig ist, den ausgebeuteten Klassen mit ihrem Staat ihren Willen aufzuzwingen. Polizei und Armee sind die wichtigsten Instrumente des Staats. Die Kapitalisten verzichten darauf – wenngleich durchaus nicht vollständig –, ihre eigenen Privatarmeen zu unterhalten, sie verzichten darauf zugunsten des Staates, um die Arbeiterklasse daran zu hindern, jemals ihre eigene bewaffnete Kraft zu schaffen.

Während der Aufstiegsphase des kapitalistischen Systems wird das staatliche Monopol auf bewaffnete Kräfte als etwas Natürliches wahrgenommen, auch von den unterdrückten Klassen.

Vor dem letzten Weltkrieg hatte die internationale Sozialdemokratie, auch in ihrer besten Periode, die Frage der Bewaffnung der Arbeiter nie auch nur aufgeworfen. Schlimmer noch, sie verwarf eine derartige Vorstellung als romantisches Echo einer fernen Vergangenheit.

Nur im zaristischen Russland hat das junge Proletariat in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts damit begonnen, auf die Bewaffnung seiner eigenen Kampfverbände zurückzugreifen. Das deckte die Instabilität des alten Regimes sehr eklatant auf. Die zaristische Monarchie erwies sich als immer weniger fähig, die gesellschaftlichen Verhältnisse mittels ihrer normalen Agenturen, d. h. Polizei und Armee, zu regeln, es musste mehr und mehr auf Banden von Freiwilligen (den Schwarzhundertern mit ihren Pogromen gegen Juden, Armenier, Studenten, Arbeiter und andere) zurückgreifen. Als Antwort darauf begannen die Arbeiter sowie verschiedene nationale Gruppen damit, ihre eigenen Selbstverteidigungseinheiten zu organisieren. Diese Tatsachen zeigten den Beginn der Revolution an.

In Europa stellte sich die Frage der bewaffneten Arbeiterabteilungen erst gegen Ende des Krieges, in den USA noch später. In allen Fällen, ohne Ausnahme, war es und ist es die kapitalistische Reaktion, die damit anfängt, spezielle Kampforganisationen aufzubauen, die an der Seite der Polizei und der Armee des bürgerlichen Staats existieren. Das erklärt sich aus der Tatsache, dass die Bourgeoisie weitsichtiger und erbarmungsloser ist als das Proletariat. Unter dem Druck der Klassenwidersprüche hört sie damit auf, sich ausschließlich auf ihren eigenen Staat zu stützen, in dem Maße wie dieser noch an „demokratische“ Normen gebunden ist. Das Auftauchen von Kampforganisationen von „Freiwilligen“, deren Ziel die physische Eliminierung des Proletariats ist, ist zweifelsfrei ein Symptom dafür, dass die Zersetzung der Demokratie begonnen hat, weil es nicht mehr möglich ist, die Klassenwidersprüche mit den alten Methoden zu regeln.

Die Hoffnungen der reformistischen Parteien der Zweiten und der Dritten Internationale und der Gewerkschaften, die Organe des demokratischen Staats würden sie gegen die faschistischen Banden verteidigen, haben sich immer und überall als illusorisch erwiesen. Während ernster Krisen unterhält die Polizei immer eine Haltung freundschaftlicher Neutralität, wenn nicht offener Zusammenarbeit mit den konterrevolutionären Banden. Die ausgesprochen starke Verankerung von demokratischen Illusionen hat jedoch zur Folge, dass die Arbeiter nur sehr langsam herangehen, ihre eigenen Kampfverbände zu organisieren. Die Bezeichnung „Selbstverteidigung“ entspricht vollständig ihren Intentionen, zumindest anfänglich, denn der Angriff geht immer von den konterrevolutionären Banden aus. Das Monopolkapital, das sie unterstützt, löst einen präventiven Krieg gegen das Proletariat aus, um es daran zu hindern, eine sozialistische Revolution zu machen.

Der Prozess, nach dem sich Selbstverteidigungsverbände der Arbeiter bilden, ist mit dem ganzen Verlauf des Klassenkampfs in einem Land untrennbar verbunden und widerspiegelt also dessen unvermeidliche Beschleunigungen und Verlangsamungen, seine Aufs und Abs. Die Revolution bricht in einer Gesellschaft nicht infolge eines stetigen kontinuierlichen Prozesses aus, sondern vermittelt über eine Reihe von Konvulsionen, die von deutlich abgegrenzten, manchmal lang hingezogenen Wellentälern voneinander getrennt werden, während denen die politischen Beziehungen so modifiziert werden, dass die ganze Idee der Revolution jeden Bezug zur Realität zu verlieren scheint.

Infolgedessen wird die Losung der Selbstverteidigung zu einer Zeit ein positives Echo finden und zu einer anderen als Predigt in der Wüste erscheinen, um dann wieder populär zu werden.

Dieser widersprüchliche Prozess ist in Frankreich im Lauf der letzten Jahre zu beobachten gewesen. Als Ergebnis einer schleichenden Wirtschaftskrise ist die Reaktion im Februar 1934 offen in die Offensive gegangen. Die faschistischen Organisationen sind rasch gewachsen. Auf der anderen Seite ist die Idee der Selbstverteidigung in den Reihen der Arbeiterklasse populär geworden. Sogar die reformistische Sozialistische Partei in Paris war gezwungen, so etwas wie einen Apparat der Selbstverteidigung aufzubauen.

Die Politik der „Volksfront“, das heißt die völlige Unterwürfigkeit der Arbeiterorganisationen gegen­über der Bourgeoisie, hat die Gefahr der Revolution in eine unabsehbare Zukunft verschoben und der Bourgeoisie erlaubt, den faschistischen Staatstreich von der Tagesordnung abzusetzen. Als sie von den unmittelbaren Gefahren im Innern befreit war, und angesichts einer wachsenden Bedrohung von außen hat die Bourgeoisie sofort damit begonnen, die Tatsache, dass die Demokratie „bewahrt“ worden war, für ihre imperialistischen Zwecke auszunutzen.

Man hat erneut proklamiert, der kommende Krieg sei ein Krieg zur Erhaltung der Demokratie. Die Politik der offiziellen Arbeiterorganisationen hat einen offen imperialistischen Charakter angenommen. Die Sektion der IV. Internationale, die 1934 einen ernsten Schritt nach vorne gemacht hatte, fand sich in der folgenden Periode isoliert. Der Aufruf zur Arbeiterselbstverteidigung schien in der Luft zu hängen. Gegen wen sollte man sich denn verteidigen? Die „Demokratie“ hatte sich doch schließlich auf ganzer Linie durchgesetzt. Die französische Bourgeoisie ist unter der Fahne der „Demokratie“ und mit der Unterstützung aller offiziellen Arbeiterorganisationen in diesen Krieg eingetreten, was dem „Radikal-Sozialisten“ Daladier erlaubt hat, umgehend ein „demokratisches“ Abbild eines totalitären Regimes zu errichten.

Die Frage der Selbstverteidigungsorganisationen wird mit der Entwicklung des revolutionären Widerstands gegen den Krieg und den Imperialismus in den Reihen des französischen Proletariats wieder belebt werden. Die weitere Entwicklung Frankreichs und anderer Länder ist untrennbar mit dem Krieg verbunden. Die Zunahme der Unzufriedenheit der Massen wird zuerst die wildeste Reaktion von oben auslösen. Der militarisierte Faschismus wird der Bourgeoisie und ihrer Staatsmacht zu Hilfe eilen. Die Frage der Organisierung zur Selbstverteidigung wird als Frage auf Leben und Tod vor der Arbeiterklasse stehen. Dieses Mal, davon kann man ausgehen, wird es genügend Gewehre, Maschinengewehre und Kanonen in den Händen der Arbeiterklasse geben.

Ähnliche Erscheinungen haben sich, wenn auch in weniger eklatanter Weise, im politischen Leben der Vereinigten Staaten gezeigt. Nachdem die Erfolge der Roosevelt-Ära entgegen der allgemeinen Erwartung ab Herbst 1937 von einem langen Abschwung abgelöst wurden, begann die Reaktion sich offen aggressiv zu zeigen. Der Provinzbürgermeister Hague wurde sofort eine „nationale“ Persönlichkeit. Die von Pogrom-Geist durchtränkten Predigten von Pater Coughlin fanden ein breites Echo. Die demokratische Verwaltung und ihre Polizei wichen vor den Banden des Monopolkapitals zurück. Während dieser Periode begann die Idee militärischer Verbände für die Verteidigung der Arbeiterorganisationen und der Arbeiterpresse bei den bewusstesten Arbeitern und der am meisten bedrohten Schicht des Kleinbürgertums, vor allem bei den Juden, Gehör zu finden.

Der erneute wirtschaftliche Aufschwung, der im Juli 1939 begonnen hat und der offenkundig mit der Ausweitung der Rüstungsproduktion und mit dem imperialistischen Krieg zusammenhängt, hat den Glauben der „60 Familien“ in ihre „Demokratie“ wiederbelebt. Hinzu kommt die Gefahr, dass die Vereinigten Staaten in den Krieg hineingezogen würden. Das war nicht der Moment, das Boot ins Schaukeln zu bringen! Alle Fraktionen der Bourgeoisie haben die Reihen hinter einer vorsichtigen Politik des Erhalts der „Demokratie“ geschlossen. Roosevelts Position im Kongress wird stärker. Hague und Pater Coughlin sind weit in den Hintergrund gerückt. Zugleich hat das Dies-Komitee, das 1937 weder von der Rechten noch von der Linken ernstgenommen worden war, in den letzten Monaten eine beachtliche Autorität bekommen. Die Bourgeoisie ist „gegen den Faschismus genauso wie gegen den Kommunismus“. Und sie will zeigen, dass sie mit parlamentarischen Mitteln mit allen Spielarten von „Extremismus“ zurechtkommen kann.

Unter diesen Bedingungen musste die Losung der Arbeiterselbstverteidigung ihre Anziehungskraft verlieren. Nach einem ermutigenden Beginn sieht es so aus, als sei die Organisierung der Arbeiterselbstverteidigung in eine Sackgasse geraten.

An einigen Orten ist es schwierig, die Aufmerksamkeit der Arbeiter darauf zu lenken. An anderen Orten, wo viele Arbeiter sich den Selbstverteidigungsgruppen angeschlossen hatten, wissen die führenden Leute nicht, was sie mit der Arbeiterenergie anfangen sollen. Das Interesse schwindet. Das ist weder erstaunlich noch verstörend: Die ganze Geschichte der Arbeiterselbstverteidigungsorganisationen besteht aus einem andauernden Wechsel von Perioden des Aufschwungs und des Abschwungs. Sie spiegeln die Konvulsionen der gesellschaftlichen Krise wider.

Die Aufgaben der proletarischen Partei auf dem Gebiet der Arbeiterselbstverteidigung leiten sich aus den allgemeinen Bedingungen unserer Epoche sowie aus ihren besonderen Fluktuationen ab. Es ist unvergleichlich leichter, relativ breite Teile der Arbeiterklasse in Kampfverbände zu ziehen, wenn reaktionäre Banden Streikposten, Gewerkschaften, die Presse der Arbeiter usw. direkt angreifen. Wenn die Bourgeoisie es dagegen für klüger hält, die irregulären Banden fallenzulassen und „demokratische“ Methoden zur Herrschaft über die Massen in den Vordergrund zu rücken, nimmt das Interesse der Arbeiter an Selbstverteidigungsorganisationen unvermeidlich ab. Soll das heißen, dass wir unter diesen Bedingungen darauf verzichten sollten, die Arbeitervorhut zu bewaffnen?

Keinesfalls. Jetzt, zu einer Zeit, wo der Weltkrieg begonnen hat, gehen wir mehr denn je von der Unvermeidlichkeit und dem unmittelbaren Bevorstehen der internationalen proletarischen Revolution aus. Diese grundlegende Idee, die die IV. Internationale von allen anderen Arbeiterorganisationen unterscheidet, bestimmt alle unsere Aktivitäten, auch jene, die sich auf die Organisierung der Selbstverteidigungsverbände beziehen. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir die konjunkturellen Fluktuationen der Ökonomie wie der Politik, mit ihren zeitweiligen Aufs und Abs, nicht beachten würden. Wenn man nur von der globalen Charakterisierung unserer Epoche ausgeht und von nichts sonst, wenn man die konkreten Etappen ignoriert, kann man leicht in Schematismus, Sektierertum, sogar in Donquichotterie verfallen. Bei jeder ernsten Wendung der Lage nehmen wir eine Feineinstellung unserer grundlegenden Aufgaben auf die veränderten konkreten Bedingungen der gegebenen Etappe vor. Darin besteht die Kunst der Taktik.

Wir werden auf militärische Fragen spezialisierte Kader der Partei brauchen. Deshalb müssen sie ihre praktische und theoretische Arbeit fortsetzen, auch jetzt, in der Zeit der „Ebbe“. Die theoretische Arbeit muss darin bestehen, die Erfahrung von militärischen und der Kampforganisationen der Bolschewiki, der irischen und polnischen revolutionären Nationalisten, der Faschisten, der Milizen in Spanien und anderer zu studieren. Wir müssen ein als Muster dienendes Studienprogramm entwickeln und eine Bibliothek zu diesen Themen aufbauen, Vorträge vorbereiten usw.

Zugleich muss die Stabsarbeit ohne Unterbrechung fortgesetzt werden. Wir müssen Zeitungsausschnitte und weitere Informationen über alle Arten von konterrevolutionären Organisationen und über die nationalen Gruppierungen (Juden, Schwarze usw.), die in einem kritischen Augenblick eine revolutionäre Rolle spielen können, sammeln und auswerten. Dies ist tatsächlich sehr wichtig und berührt einen für uns besonders wichtigen Bereich unserer Arbeit, den der Verteidigung gegen die GPU.

Gerade wegen der außerordentlich schwierigen Lage, in der die Komintern – und in starkem Maße der Auslandsgeheimdienst der GPU, der von der Komintern geführt wird – geraten ist, müssen wir uns darauf gefasst machen, dass die GPU der IV. Internationale schwere Schläge versetzt. Wir müssen in der Lage sein, sie aufzudecken und sie rechtzeitig abzuwenden!

Neben dieser speziellen, Parteimitgliedern vorbehaltenen Arbeit müssen wir breitere, offene Organisationen für verschiedene besondere Zwecke ins Leben rufen, die in der einen oder anderen Weise mit den künftigen militärischen Aufgaben des Proletariats verbunden sind. Dies würde sich auf verschiedene Arten von Arbeitersportorganisationen (Athleten, Boxer, Schützen usw.) und schließlich auf Chöre und Orchester beziehen. Wenn die politische Situation sich ändert, können alle diese Nebenorganisationen sofort als Basis für breitere Abteilungen der Arbeiterselbstverteidigung dienen.

Bei der Skizzierung dieses Aktionsprogramm gehen wir von dem Gedanken aus, dass die momentan gegebenen politischen Bedingungen vor allem die Abschwächung des Drucks des einheimischen Faschismus unserer Arbeit im Bereich der Selbstverteidigung enge Grenzen setzen. Das ist der Fall, soweit um den Aufbau von militärischen Verbänden auf einer strikten Klassenbasis geht.

Eine entscheidende Wende zugunsten der Arbeiterselbstverteidigung wird sich erst mit einem neuen Zusammenbruch der demokratischen Illusionen ergeben, der unter den Bedingungen des Weltkriegs sehr schnell kommen und katastrophale Ausmaße annehmen dürfte.

Aber sozusagen als Kompensation verschafft uns der Krieg jetzt, genau in diesem Moment, Möglichkeiten zur Ausbildung der Arbeiter in militärischen Fragen, wie sie bisher in Friedenszeiten unvor­stellbar gewesen sind. Und das gilt nicht nur für den Krieg, sondern auch für die Periode unmittelbar vor dem Krieg.

Es ist unmöglich, alle praktischen Möglichkeiten vorauszusehen; doch mit dem Ausbau der Streitkräfte des Landes werden sie zweifellos von Tag zu Tag zunehmen. Wir müssen dieser Frage höchste Aufmerksamkeit widmen und zu diesem Zweck eine spezielle Kommission einrichten (oder sie einem Stab der Selbstverteidigung anvertrauen und diesen bei Bedarf erweitern).

Vor allem müssen wir das vom Krieg geweckte Interesse an militärischen Problemen nutzen und eine Reihe von Vorträgen zu Fragen wie den heutigen Waffenarten oder taktischen Methoden organisieren. Die Arbeiterorganisationen können dafür Militärspezialisten heranziehen, die keinerlei Bindung an die Partei oder ihre Ziele haben. Aber das ist nur der erste Schritt.

Wir müssen die Vorbereitungen der Regierung auf den Krieg nutzen, damit eine möglichst große Anzahl von Parteimitgliedern und von Gewerkschaftern unter ihrem Einfluss in militärischen Dingen ausgebildet wird. Währendem wir unser grundlegendes Ziel vollständig beibehalten – die Schaffung militärischer Einheiten auf einer Klassenbasis –, müssen wir dessen Verwirklichung fest mit den Bedingungen verbinden, die durch die imperialistischen Vorbereitungen des Kriegs entstanden sind.

Ohne im Mindesten von unserem Programm abzuweichen, müssen wir in einer Sprache, die sie verstehen, zu den Massen sprechen. „Wir Bolschewiken wollen auch die Demokratie verteidigen, aber nicht die Art von Demokratie, die von sechzig ungekrönten Königen regiert wird. Als erstes sollten wir in unserer Demokratie mit den kapitalistischen Magnaten gründlich aufräumen, dann werden wir sie bis zum letzten Blutstropfen verteidigen. Seid ihr, die ihr keine Bolschewiken seid, bereit, diese Demokratie zu verteidigen? Jedenfalls müsst ihr wenigstens in der Lage sein, sie bestmöglich zu verteidigen, um nicht ein blindes Werkzeug in den Händen der sechzig Familien und der ihnen ergebenen bürgerlichen Offiziere zu sein. Die Arbeiterklasse muss sich über die militärischen Angelegenheiten unterrichten, damit möglichst viele Offiziere aus ihren Reihen hervorgehen.

Wir müssen von dem Staat, der morgen das Blut der Arbeiter fordern wird, verlangen, dass er ihnen heute Gelegenheit gibt, die militärische Technik bestmöglich zu meistern, um die militärischen Ziele mit möglichst wenigen Menschenleben zu bezahlen.

Um das zu verwirklichen, reichen weder eine reguläre Armee noch Kasernen. Die Arbeiter müssen die Möglichkeit bekommen, zu bestimmten Zeiten in ihren Fabriken und Bergwerken, während sie von den Kapitalisten bezahlt werden, eine militärische Ausbildung zu erhalten. Wenn die Arbeiter dazu bestimmt sind, ihr Leben dahinzugeben, können die bürgerlichen Patrioten wenigstens ein kleines materielles Opfer bringen.

Der Staat muss an jeden waffenfähigen Arbeiter ein Gewehr ausgeben und auf Gelände, das den Arbeitern zugänglich ist, Schieß- und Artillerieübungsplätze einrichten.“

      
Mehr dazu
Friedrich Dorn, Kilian Malik und Michael Sankari: Wer hat die Waffen und wer sollte sie haben?, die internationale Nr. 3/2020 (Mai/Juni 2020)
Thies Gleiss: Zur Einordnung des Textes von Leo Trotzki „Zur Frage der Arbeiterselbstverteidigung“, die internationale Nr. 2/2020 (März/April 2020)
Manfred Behrend: Trotzki zum Faschismus, Inprekorr Nr. 386/387 (Januar/Februar 2004)
L. D. Trotzki: Manifest der IV. Internationale zum imperialistischen Krieg und zur proletarischen Weltrevolution, Inprekorr Nr. 230 (September/Oktober 1990)
 

Unsere Agitation zum Krieg und unsere ganze Politik im Zusammenhang mit dem Krieg müssen gegenüber den Pazifisten wie zu den Imperialisten unversöhnlich sein.

„Dieser Krieg ist nicht unser Krieg. Die Verantwortung für diesen Krieg tragen ausschließlich die Kapitalisten. Aber solange wir noch nicht stark genug sind, sie zu stürzen, und wir also in den Reihen ihrer Armee kämpfen müssen, sind wir verpflichtet zu lernen, die Waffen bestmöglich zu gebrauchen!“

Auch die Arbeiterinnen müssen das Recht haben, Waffen zu tragen. Eine möglichst große Zahl von Arbeiterinnen muss auch die Möglichkeit erhalten, auf Kosten der Kapitalisten zu Sanitäterinnen ausgebildet zu werden.

So wie jeder Arbeiter, der von den Kapitalisten ausgebeutet wird, danach trachtet, die Produktionstechniken bestmöglich zu lernen, muss jeder Soldat in der imperialistischen Armee die Kriegskunst bestmöglich lernen, um sie im Interesse der Arbeiterklasse benutzen zu können, wenn die Bedingungen sich ändern.

Wir sind keine Pazifisten. Nein. Wir sind Revolutionäre. Und wir wissen, was uns erwartet.

Ein Nicht-Pazifist, 25. Oktober 1939

Diesen Artikel hat Leo Trotzki einige Wochen nach Beginn des Zweiten Weltkriegs in Mexiko auf Russisch verfasst; er ist aus unbekannten Gründen seinerzeit nicht veröffentlicht worden. Er ist von Marilyn Vogt ins Englische übersetzt und 1973 zum ersten Mal publiziert worden. Er ist bisher noch nicht auf Deutsch erschienen.

Aus dem Französischen übersetzt von Manuel Kellner; mit der Übersetzung ins Englische abgeglichen von Wilfried Dubois. Bei der Bearbeitung wurde von der Verwendung von geschlechterneutraler Sprache (gendern) abgesehen.

Benutzte Quellen: Léon Trotsky, „L’autodéfense ouvrière“, in: Œuvres, hrsg. von Pierre Broué, Bd. 22, o. O. [Grenoble]: Publications de l’Institut Léon Trotsky, 1985, S. 122–129; „On the Question of Workersʼ Self-Defense“, in: Writings of Leon Trotsky (1939–40), hrsg. von Naomi Allen u. George Breitman, 2. Ausg., New York: Pathfinder Press, 1973, S. 99–105.

Ähnliche Auffassungen sind in zwei programmatischen Dokumenten der Vierten Internationale enthalten, die Leo Trotzki im Mai 1938 bzw. im Mai 1940 (also vor bzw. nach Beginn des Zweiten Weltkriegs) verfasst hat und die damals in mehreren Sprachen verbreitet wurden: In dem Dokument „Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale“, bekannt als „Übergangsprogramm“, das am 3. September 1938 auf der Gründungskonferenz der Vierten Internationale angenommen wurde, gibt es den Abschnitt „Streikposten, Wehrabteilungen, Arbeitermiliz, Bewaffnung des Proletariats“. Auf der „Emergency Conference“ (Notkonferenz), die am 19. und 26. Mai 1940 – nach Beginn des Zweiten Weltkriegs in Europa, aber vor dem Kriegseintritt der USA – in New York stattfand, wurde das Manifest „Der imperialistische Krieg und die proletarische Weltrevolution“ gebilligt; es endet mit den Abschnitten „Die Arbeiter müssen das Kriegshandwerk lernen“ und „Dies ist nicht unser Krieg“.

Siehe den Sammelband Leo Trotzki, Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale. Das Übergangsprogramm, Essen: Arbeiterpresse Verlag, 1997, S. 97–100 sowie S. 258/259.



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 2/2020 (März/April 2020). | Startseite | Impressum | Datenschutz