Volle Unterstützung für die Mobilisierungen gegen die Autokratie Lukaschenkos!

Büro der Vierten Internationale


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Trotz äußerst brutaler Repression (bereits mehr als 12 000 Verhaftungen, Hunderte von Verletzten, mindestens 4 Tote) geht der Massenaufruhr der belarussischen Bevölkerung in die neunte Woche und breitet sich sowohl sozial als auch über die Hauptstadt Minsk hinaus aus, ohne dass es bisher gelungen ist, ihn in einen Generalstreik überzuführen. Seit der Fälschung der Ergebnisse der Präsidentschaftswahl vom 9. August demonstrieren in diesem Land – mit seinen 9,5 Millionen Einwohnern und zwischen der EU und Russland gelegen – jede Woche Hunderttausende friedliche Demonstrant*innen, vor allem Frauen, und fordern:

Diese beeindruckende Mobilisierung des Volkswiderstandes gewann an Dynamik, als die ersten Demonstrationen nach der Bekanntgabe der offiziellen Wahlergebnisse mit Regierungsterror beantwortet worden waren. Aber seine Wurzeln reichen tiefer: Seit mehr als fünf Jahren – und vor dem Hintergrund der Krise in der Ukraine und der Sanktionen gegen Russland – sind dies vor allem der wirtschaftliche und soziale Niedergang des autokratischen Regimes von Lukaschenko, seine neoliberale Politik im Bereich des Arbeitsrechts (einschließlich der Ersetzung von Tarifverträgen durch befristete, individuelle Verträge) und die Drangsalierung von Arbeitslosen, das Einfrieren der Löhne seit 2015, die Anhebung des Rentenalters, die Missachtung der Würde der Arbeiter*innen angesichts der Pandemie … Gegen ein Regime, das die Menschen wie einen Wegwerfartikel behandelt, sie unterdrückt, foltert und in Sachen Coronavirus lügt, ist die belarussische Bevölkerung aufgestanden.


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Lukaschenko kam 1994 mit populistischen Attitüden an die Macht. Als dann die Bevölkerung gegen die Politik der Privatisierung aktiv wurde, installierte er ein autoritäres Regime, das die kapitalistische Restauration fortführte. Es handelt sich um ein besonderes System eines semi-peripheren Kapitalismus, in dem die wirtschaftliche und politische Macht nicht grundsätzlich auf privatem Großkapital beruht, sondern auf einem bürokratisch- paternalistischen Staatsapparat, für den Lukaschenko das Symbol (aber nicht der Eigentümer) ist. Dieses Regime setzt einen beträchtlichen Teil der staatlichen Ressourcen für die Aufrechterhaltung der Industrie, des ländlichen Sektors und der Infrastruktur sowie für die Versorgung der Bevölkerung ein und ordnet die Elemente des Privatkapitals seinen Beamten unter und begrenzt damit (im Gegensatz zu Russland) das Anwachsen der Ungleichheit. So ist es die Nomenklatura, Hand in Hand mit dem privaten Kapital, die die Arbeiter auf wirtschaftliche, administrative, politische und kulturell-ideologische Weise unterjocht und ausbeutet. Es ist dieses System, das ab 2013 in eine Stagnation geraten ist. Und heute ist es in eine mehrdimensionale Krise gestürzt.


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Die Ende der 1990er Jahre proklamierte Union von Russland und Belarus, die in den vorangegangenen zehn Jahren einen Versuch zur Wiedereingliederung in den postsowjetischen Raum darstellte, hat schließlich zu einer wirtschaftlichen Abhängigkeit des Landes von Russland geführt, wobei allerdings die politische Autonomie des weißrussischen Regimes gewahrt blieb. Es ist klar, dass Putins Russland die Integration der postsowjetischen Länder nur als eine Chance für die Expansion des russischen Großkapitals und für seine Schlüsselrolle bei der Privatisierung ehemaliger sowjetischer Unternehmen begreift. Für Lukaschenko würde eine solche Integration nicht nur den Verlust der Kontrolle über das Eigentum bedeuten, sondern auch den Verlust der politischen Macht an russische Bürokraten und Führungskräfte.

Lukaschenkos wirtschaftliches und politisches Modell in Belarus musste ständig zwischen der Europäischen Union und Russland manövrieren, um zu überleben. So schätzte der Westen – trotz der Ablehnung von Lukaschenkos autoritärem Regime – ihn für sein Bestreben, gegenüber Russland unabhängig zu bleiben, und wegen seines Widerstands gegen den Ausbau russischer Militärstützpunkte in Belarus. Der neutrale Status von Belarus hat es Minsk 2014 ermöglicht, zur wichtigsten Plattform für Verhandlungen zwischen Russland, der Ukraine und der EU zu werden. Auf der anderen Seite ist Lukaschenko in den Augen Putins ein Führer geblieben, der eine Annäherung seines Landes an die NATO niemals zulassen wird und der die Ausrichtung eines großen Teils der belarussischen Wirtschaft auf Russland beibehält. So genoss Lukaschenko weder das Vertrauen Russlands noch das des Westens, befriedigte aber gleichzeitig beide, weil er die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Position von Belarus garantierte.

Die Massenproteste, die in Belarus nach den Präsidentschaftswahlen vom 9. August begannen, haben, wie bereits ausgeführt, hauptsächlich interne Gründe. In den letzten Monaten haben wir gesehen, dass Lukaschenko es nicht geschafft hat, diese Krise allein zu lösen, sondern dass er sich offen an Russland gewandt hat, um Hilfe zu erbitten. Aus Russland sind politische Berater und Vertreter besonderer Sicherheitsorgane in Belarus eingetroffen. Und Putin brachte offen seine Bereitschaft zum Ausdruck, russische Bereitschaftspolizei zu entsenden, um Lukaschenko zu helfen. Wenn es Lukaschenko gelingt, an der Macht zu bleiben, wird seine politische Abhängigkeit von Russland dramatisch zunehmen, und er wird in seinem Land äußerst unbeliebt sein.

Nach den jüngsten Gesprächen zwischen Putin und Lukaschenko ist deutlich geworden, dass Moskau die gegenwärtige Krise in Belarus als eine Chance sieht, eine sanfte Transformation des autoritären Modells von oben voranzutreiben. Dabei handelt es sich um Fassadenänderungen (Verfassungsreform) mit dem Ziel, die Privatisierung großer belarussischer Staatsunternehmen durch russisches Großkapital zu erleichtern. Die EU als Ganzes ist bereit, ein solches Modell zu akzeptieren, da sie Belarus keine Alternative anbieten kann und Angst davor hat, Putin durch die Schaffung eines weiteren (politischen und möglicherweise militärischen) Konfliktpunkts in Osteuropa zu provozieren.

Letztlich haben nur die Menschen in Belarus, die massenhaft protestiert haben, ein wirkliches Interesse an einer tiefgreifenden Transformation und Demokratisierung von Belarus.


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Während es nach den Präsidentschafts„wahlen“ von 2001, 2006, 2010 und 2015 – deren Ergebnisse stets von der Opposition angefochten wurden (laut einer kürzlich abgegebenen Erklärung des Vorsitzenden des Regionalen Exekutivkomitees von Grodno gibt es kein festgelegtes „Verfahren für die Stimmenauszählung“) – Proteste gab, die unterdrückt wurden, begann die neue Welle der Mobilisierungen im Jahr 2017, als das Regime versuchte, die Arbeitslosen des „Parasitismus“ zu beschuldigen und ihnen per Dekret eine Steuer auferlegte, wenn sie nach einem halben Jahr keine neue Beschäftigung vorweisen konnten. Nicht nur in Minsk, sondern auch in den Regionalstädten riefen Tausende von Demonstrant*innen „Nein zum Dekret Nr. 3! Lukaschenko, hau ab!“ Das Regime sah sich dadurch gezwungen, diese Steuer durch eine Reduzierung der staatlichen Beihilfen für Arbeitslose zu ersetzen. Dies wurde als ein erster Rückschlag für das Regime angesehen.

Als die Covid-19-Pandemie begann, verfügte Belarus zwar über ein öffentliches Gesundheitssystem, das dem vieler Industrieländer weit überlegen ist (5,2 Ärzte pro 1000 Einwohner, gegenüber 3,9 in der Eurozone und 2,6 in Nordamerika), doch das bürokratische System war nicht in der Lage, angemessen auf die Krise zu reagieren. Das Regime bezeichnete die Pandemie als „Psychose“, stellte weder Schutzausrüstung und medizinische Versorgung für das Personal im Gesundheitswesen zur Verfügung noch kam es mit dem Mangel an Krankenwagen zurecht, während Lukaschenko den ersten offiziellen Toten (ein bekannter Schauspieler) zynisch als „armen Teufel“ bezeichnete, der „nicht durchgehalten hat“. Und diejenigen Pflegekräfte und Ärzt*innen, die es gewagt hatten, über die Pandemie zu sprechen, wurden gemaßregelt. In dieser Zeit begann die Selbstorganisation der Bevölkerung: Die „ByCovid-19“-Kampagne war in der Lage, dort aktiv zu werden, wo der Staat untätig geblieben war, indem sie Ausrüstung und Freiwillige zur Verfügung stellte und in jeder Region ein Koordinationsnetzwerk aufbaute. Das Regime schwankte dann zwischen Repression und Zusammenarbeit mit diesen Freiwilligen, deren Initiative „die Notwendigkeit einer Veränderung in den Vordergrund rückte“, wie es der Koordinator der ByCovid19- Kampagne formulierte.

Aus Angst, dass „sie mich mit Mistgabeln holen werden“ (26. April 2020), beschloss Lukaschenko, seine Hauptgegner – die Wirtschaftsliberalen Viktor Babaryko (Vorstandsvorsitzender der Belgaz-Prombank), Valeri Tsepkalo (ehemaliger Botschafter, stellvertretender Minister und Verwalter des Hochtechnologieparks von Belarus) und Sergej Tichanowski (Unternehmer, Blogger und Moderator des beliebten YouTube-Kanals „A Country to Live“) – daran zu hindern, bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Im Grunde ein Macho, glaubte er, dass eine Frau als Kandidatin, „nicht in der Lage ist, diese Last zu tragen, [und] zusammenbrechen“ würde, und ließ es zu, dass Hunderttausende Unterschriften zur Unterstützung für die Kandidatur von Sergejs Frau, Swetlana Tichanowskaja, gesammelt wurden. Diese [Englisch-]Lehrerin, eine „Computerfrau“, die angab, nicht nach Macht zu streben, und deren politisches Profil mit dem der Mehrheit der Wähler*innen übereinstimmte, wurde von Tsepkalos Frau und Babarykos Wahlkampfmanagerin unterstützt und konnte zu ihren Wahlversammlungen im ganzen Land Zehntausende Menschen mobilisieren. Ihr offizielles Ergebnis – 10,9 Prozent der Stimmen – konnte von niemandem als zutreffend anerkannt werden.

Die äußerst gewaltsame Unterdrückung der ersten Demonstrationen breiter Schichten am 9., 10. und 11. August tat ein Übriges: Wie der belarussische Soziologe Andrej Vardomatski sagte, „wenn jemand auf Ihr Fenster schießt, sehen das alle Bewohner des Gebäudes“. Unverzüglich breitete sich die Protestbewegung gegen Ungerechtigkeit und Terror aus: Das Lukaschenko-Regime hält sich nur noch dank der Repressionskräfte. Wie lange kann man regieren, wenn man „auf einem Bajonett sitzt“?


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Indem es mit Terror reagierte, hoffte das Lukaschenko- Regime, eine Konzentration von Demonstrant*innen zu verhindern. Tatsächlich aber ermutigte dies die Protestierenden, vor ihren Häusern, in den Innenhöfen ihrer Gebäude und in den Vorstädten und umliegenden Dörfern zu demonstrieren, wodurch die Proteste gesteigert und Formen der lokalen Selbstorganisation entlang der Nachbarschaftsbande forciert wurden, die recht stark sind, weil das bürokratische System der Hausverwaltungen und der sozialen Dienste nicht funktioniert und die Nachbarn zwingt, dringende Probleme selbst zu lösen. Mit der Rolle von sozialen Netzwerken und Internet-Kanälen – sie sind beliebt bei Jugendlichen und gleichzeitig die Hauptinformationsquelle in einem Land, in dem das Regime die Medien kontrolliert und zensiert – ist ein riesiges Netz spontaner lokaler Proteste entstanden, das kein Zentrum und keine klare Richtung hat, sondern eine „nicht greifbare Führung“: Sobald jemand als Führungspersönlichkeit in Erscheinung tritt und unterdrückt wird, nimmt ganz selbstverständlich eine andere Person vor Ort ihren Platz ein. Was diese Bewegung charakterisiert, ist große Kreativität (Protestierende erfinden ständig neue Formen der Kontrolle und des friedlichen Kampfes) und all dies verbreitet und bereichert sich über soziale Netzwerke.

Ab dem 10. August schlossen sich die Beschäftigten als solche den Mobilisierungen an. Die Pflegekräfte (hauptsächlich Frauen, Ärzte und Krankenschwestern), die die Verletzten versorgten, gingen auf die Straße, um gegen Folter zu protestieren. Arbeitsniederlegungen fanden in zahlreichen Unternehmen statt (manchmal mit Unterstützung von Eigentümer*innen aus dem Privatsektor), im Besonderen in mindestens einem Dutzend sehr großer staatseigener Unternehmen, was zu Kundgebungen der Beschäftigten in den Fabriken führte. Dabei gab es bisweilen heftige verbale Auseinandersetzungen mit den jeweiligen Geschäftsführern sowie mit lokalen Vertretern des Regimes und sogar mit Lukaschenko (der am 17. August von den Arbeiter*innen der Minsker Automobilfabrik mit „Hau ab“-Rufen konfrontiert wurde). Es gab auch Streikkomitees, aber nirgendwo – so scheint es – gab es Versuche, Betriebe zu besetzen. Im Gegenteil, die Arbeiter verließen die Fabriken, um zu demonstrieren. Die Repression (manchmal Massenentlassungen, wie im Fall des Staatsfernsehens oder des Nationaltheaters in Minsk, oder Entlassungsdrohungen und Verhaftungen von wirklichen oder imaginären „Führern“), die Schwäche oder das Fehlen echter Gewerkschaften oder etwa der „Rat“ der Direktoren, zum „Italienischen Streik“ überzugehen (d. h. langsamer zu arbeiten, was den „Streik“ unsichtbar macht und die Arbeiter*innen atomisiert zurücklässt) führte zu einem Abflauen der Streikbewegung; die Arbeiter*innen verschwanden in der großen Protestbewegung. Die Fabriken sind nicht zum Zentrum der Revolte geworden, und dem Proletariat ist es (noch?) nicht gelungen, innerhalb der demokratischen Bewegung, die gegen das Regime kämpft, sich um die eigenen Forderungen herum als Klasse zu behaupten.

Angesichts der brutalen Unterdrückung der Demonstrationen organisierten die Frauen als solche zahlreiche „Solidaritätsketten“, indem sie den Repressionskräften Blumen brachten und sie mit ihrer Masse überfluteten, sehr friedlich, was diesen sehr machohaften Sektor eine Zeitlang lähmte, bevor die Behörden ihm befahlen, auch Frauen und sogar ihre Kinder zu unterdrücken. Allerdings sind Forderungen nach Frauenrechten in diesen Initiativen (noch?) nicht aufgetaucht.


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Während die vom Regime abgelehnten Präsidentschaftskandidaten der Opposition (V. Babaryko, V. Tsepkalo und S. Tichanowski) sowie Andrej Dmitrijew (Kandidat für „Die Wahrheit sagen“, der offiziell 1,21 % der Stimmen erhielt) liberale Wirtschaftsprogramme vorlegten – die insbesondere auf die „Unternehmensfreiheit“ des Privatsektors und ihre Forderung betonten, „die Subventionierung unprofitabler Unternehmen zu stoppen“ – ist dieses Thema im Präsidentschaftswahlkampf von Swetlana Tichanowskaja so gut wie verschwunden (ohne allerdings von ihr zurückgewiesen zu werden). Seit dem 9. August 2020 sind sie auch nicht mehr im Aufstand der Massen gegen das Regime aufgetaucht. Die Demonstrant*innen brachten nur die drei demokratischen Forderungen vor.

Die wirtschaftsliberalen Oppositionsparteien, die seit 1994 an den Rand gedrängt wurden und in den Institutionen des Regimes nicht nennenswert vertreten sind, sind im Grunde sehr schwach. Dasselbe gilt für die politischen Parteien, die sich als links bezeichnen (oft vermischt mit einer Dosis Nostalgie für das alte Regime des sogenannten „echten Sozialismus“), sie sind nichts mehr als Diskussionsklubs.

Schließlich ist die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft zwar obligatorisch, aber die offizielle Gewerkschaftsbewegung hat nichts mit wirklichen Gewerkschaften gemein, auch nicht mit stark bürokratisierten, sondern spielt für Lukaschenko die Rolle eines Transmissionsriemens; zum Teil bilden diese „Gewerkschaften“ lediglich einen Rahmen für den sozialen Aufstieg ihrer Funktionär*innen. Es sei darauf hingewiesen, dass Lukaschenkos Unterdrückung der sehr starken Arbeiter- und gewerkschaftlichen Mobilisierung Anfang der 1990er Jahre einherging mit dem Ende der liberalen Schocktherapie und einen Bruch darstellte: Die „sozialen Schutzvorschriften“ seines Staatskapitalismus wurden organisch mit der Atomisierung und bürokratischen Überwachung der Arbeiter*innen verbunden. Unabhängige Gewerkschaften – wie der Belarussische Kongress Demokratischer Gewerkschaften (BKDP), der dem Internationalen Gewerkschaftsbund angeschlossen ist – werden toleriert, aber unterdrückt, sind sehr schwach und in den Großbetrieben kaum präsent.

Die von Lukaschenko modellierte Gesellschaft war also eine atomisierte Gesellschaft. Das hat sich in den letzten Monaten geändert, insbesondere seit Beginn des von breiten Massen getragenen Aufruhrs. Die Aufrufe zur Solidarität mit den Arbeiter*innen und der Bevölkerung von Belarus aus den EGB-Netzwerken – einschließlich der französischen CGT, die kürzlich dem EGB beigetreten ist – markieren einen möglichen wichtigen Wendepunkt.

      
Weitere Artikel zum Thema
Internationales Komitee der IV. Internationale: Resolution zur Ukraine, Inprekorr Nr. 3/2015 (Mai/Juni 2015)
Büro der IV. Internationale: Volksbewegung und Imperialismen, Inprekorr Nr. 4/2014 (Juli/August 2014) (nur online)
 

Ungeachtet ihrer Grenzen entwickelt sich in dieser demokratischen Massenbewegung eine intensive Politisierung, verbunden mit einem Lernprozess auf dem Gebiet der Selbstorganisation, die das Entstehen einer völlig neuen politischen Strukturierung auf die Tagesordnung setzt. Diese Bewegung für Demokratie wird früher oder später ein Projekt für die Gesellschaft aufbauen müssen. Wenn es ihr gelingt, Lukaschenko und sein autokratisches Regime davonzujagen, wird sie sich aufspalten und es werden Bedingungen entstehen können, die Diskussionen aufkommen lassen sowohl zu den Klassen- und Geschlechterfragen als auch zu den Fragen, was man stattdessen aufbauen sollte. Dann werden vor allem folgende Fragen im Mittelpunkt der Diskussionen stehen: die Rolle der Arbeiter*innenklasse (deren anfängliche Streiks Lukaschenko eine Zeit lang zwangen, die Repression zu begrenzen, was die Stärke der Arbeiter*innenklasse erkennen ließ), die Rolle der Frauen (deren Samstagsdemonstrationen den Weg für die Fortsetzung der Massendemonstrationen an den Sonntagen ebneten), Umweltfragen (Belarus erlebt bereits einen ernstzunehmenden Beginn des Klimawandels, demzufolge der Süden des Landes zu einer Steppenregion wurde, während er vor fünfzig Jahren noch ein Sumpfwald war).


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Damit alle demokratischen, gesundheitspolitischen, feministischen, klassen- und umweltpolitischen Fragen, die die gegenwärtige Politisierung der belarussischen Gesellschaft vorantreiben, die Entstehung einer öko-sozialistischen Front ermöglichen, muss die internationalistische Linke (gewerkschaftlich, politisch, …) in der Lage sein, konkrete und solidarische Verbindungen von unten mit der belarussischen demokratischen Bewegung als Ganzes zu entwickeln.

Solidarität bedeutet nicht die Unterstützung dieser oder jener Entscheidung derjenigen, die heute behaupten, die Bewegung zu repräsentieren: der Koordinierungsrat um Swetlana Tichanowskaja (der durch die Repression stark geschwächt wurde) oder die alten politischen Parteien, die sich der Bewegung angeschlossen haben, während sie über ihre wahren Programme und Ziele – nämlich pro- oder antirussische, antisoziale und undemokratische Privatisierungen – schweigen. Die Bedeutung dieses Themas tritt jetzt, da sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert, immer deutlicher hervor: Wir müssen uns sowohl dem pseudo-protektionistischen Diskurs von Lukaschenko als auch seinen pseudo-demokratischen Gegnern entgegenstellen.

Solidarität bedeutet demokratische Verteidigung gegen Unterdrückung, Verteidigung des pluralistischen Rechts auf freie Meinungsäußerung, Unterstützung für die stattfindenden Demonstrationen und Streiks. Solidarität bedeutet auch Unabhängigkeit von den Manövern anderer Regierungen und des internationalen Finanzkapitals, die versuchen, von den Mobilisierungen der Massen in Belarus zu profitieren.

26. September 2020
Übersetzung: Jakob S.



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 6/2020 (November/Dezember 2020). | Startseite | Impressum | Datenschutz