Buchbesprechung

Ökologischer Leninismus in Zeiten von Corona

Ökologischer Leninismus in Zeiten von Corona

In seinem neuesten Werk Klima|x liefert der schwedische Marxist und Geograph Andreas Malm eine Aktualisierung seiner ökosozialistischen Analysen im Lichte der Corona-Pandemie und eine Anklageschrift gegen die Folgen der kapitalistischen Umweltzerstörung, gepaart mit strategischen Überlegungen und Vorschlägen. [1]

Julien Salingue

Entwaldung, Handel mit Wildtieren und immer kürzere Transportwege für Waren und Menschen ‒ für Andreas Malm trägt die Entstehung und Verbreitung der Covid-19-Pandemie das Siegel des globalisierten Kapitalismus. So berichtet der Autor von den Auswirkungen der Abholzung, die zu einer brutalen Verdrängung von Tierarten führt und somit die Orte vervielfacht, an denen es zum – eigentlich unwahrscheinlichen – „Zusammentreffen“ von Arten kommt, die ihrerseits Herde für die Bildung und Verbreitung neuer Viren sind. Viren, die immer mehr und schneller die Menschen erreichen, weil diese immer häufiger in Gebiete eindringen, wo sie Kontakt mit „wilden“ Arten haben, aber auch durch den lukrativen Handel mit so genannten „Buschtieren“.

 

Führen nur gewaltfreie Aktionen zum Ziel?

In seinem ebenfalls kürzlich auf Deutsch erschienenem Buch Wie man eine Pipeline in die Luft jagt hinterfragt der schwedische Geograph und Klimaaktivist die Grenzen der jüngsten Mobilisierungen der Klimabewegung: Wie kommt es, dass trotz zunehmender Ausdehnung der Bewegungen und der – in Anbetracht der schweren Rückschläge – recht überschaubaren Erfolge sie immer noch ehern an dem Prinzip der Gewaltlosigkeit festhalten? Wie ist zu erklären, dass „über die Zyklen [der Klimagerechtigkeitsbewegung] hinweg sich das Bekenntnis zur absoluten Gewaltlosigkeit sogar verhärtet, die Internalisierung seines Ethos universalisiert und die Disziplinierung zum augenfälligen Kriterium entwickelt zu haben (scheint)“?

Diese Frage zieht sich durch das gesamte Buch, und Malm geht auf die Debatten ein, die die Gewaltlosigkeit innerhalb der – zumindest westlichen – Klimabewegungen zu einem zentralen Prinzip erhoben haben. Er bezweifelt zwar nicht, dass diese Gewaltlosigkeit gewisse Vorzüge hat, konfrontiert jedoch die Klimaaktivist*innen mit der Frage, ob dies wirklich die einzige Methode ist. Ist es nicht an der Zeit, auf andere Praktiken zurückzugreifen, wenn keine Erfolge erzielt werden, obwohl die Bewegungen immer größer werden?

Bevor er auf diese Fragen eingeht, macht Malm einen Exkurs zu den ideologischen Einflüssen, die erklären, warum die Gewaltlosigkeit innerhalb der Bewegung dominiert, und verwahrt sich dabei gegen die einseitige, mitunter gar verfälschende Darstellung der Massenbewegungen des 20. Jahrhunderts durch die Verfechter*innen des Prinzips der Gewaltlosigkeit. Über diese dankenswerten historischen Exkurse hinaus kritisiert Malm die Art und Weise, wie die Gewaltlosigkeit in weiten Teilen der Klimabewegung fetischisiert worden ist und daher jedwede taktischen und strategischen Erwägungen blockiert – eine „Mischung aus Einfalt und Fälschung“.

Eine Auffassung einer „bereinigten“ Geschichte, „ohne realistische Einschätzung dessen, was tatsächlich vorgefallen“, lässt die Kräfteverhältnisse und die obwaltenden Interessen außer Acht und verstellt den Klimaaktivist*innen den Blick darauf, mit welchen Kräften sie sich auseinandersetzen müssen. Malm geht es nicht darum, ein gewisses Maß an politischer Gewalt zu rechtfertigen, sondern er plädiert dafür, über Gewaltanwendung nachzudenken, wenn Bündnisse zwischen verschiedenartigen sozialen Bewegungen geschmiedet werden sollen. Er argumentiert dabei, dass mit dem zunehmenden Fortschreiten der Klimakatastrophe „Aufgeschlossenheit“ gegenüber Gewalt „tendenziell zunimmt“: „Bei sechs Grad plus wäre es wahrscheinlich schon dem ganzen verbliebenen Rest der Menschheit ein Bedürfnis, Pipelines in die Luft zu jagen.“

Vincent Gay
Entnommen aus der Zeitschrift l’école émancipée, Nr. 86, von November/Dezember 2020

Alles in allem erleben wir im Gegensatz zu dem, was uns die Apologeten vom „Ende der Geschichte“ und des kontinuierlichen Fortschritts, den der Kapitalismus mit sich bringen würde, glauben machen wollen, nämlich ein Wiederaufleben der Epidemien. „Dass seltsame neue Krankheiten aus der freien Natur hervortreten, ist in gewisser Hinsicht logisch: Jenseits des menschlichen Herrschaftsgebietes lauern unbekannte Pathogene. Doch könnte dieses Gebiet auch weitgehend in Ruhe gelassen werden. Ohne die von Menschen betriebene Wirtschaft, die konstant auf die Wildnis einstürmt, sich auf sie stürzt, in sie eingreift, sie zerstückelt und mit einem Eifer zerstört, der an Ausrottungslust grenzt, würden diese Dinge nicht geschehen. Die Krankheitserreger würden nicht auf den Gedanken kommen, auf uns überzuspringen, sie wären bei ihren natürlichen Wirten sicher.“ Covid-19 hat den Sprung gewagt.


Der tödliche Irrtum der Pragmatiker*innen


Andreas Malm hinterfragt auch die Strategien, mit denen die Regierungen versuchen, die Ausbreitung der Covid-Pandemie einzudämmen. Sein Urteil ist auch hier unerbittlich, nämlich dass die weltweite Aufregung dadurch erklärbar ist, dass es die reichsten kapitalistischen Länder waren, die schnell zum Epizentrum der Pandemie wurden. Die drakonischen Maßnahmen (Ausgangssperren, Lockdown etc..), die aufgrund des maroden Zustands des Gesundheitswesens verhängt wurden, wertet der Autor als Entscheidungen, die darauf abzielen, veritable Gesundheitsskandale zu vermeiden (überfüllte Krankenhäuser am Rande ihrer Kapazität, Hunderttausende von Todesfällen), aber auch als Zeichen des Egoismus der reichen Länder, die nur dann zu radikalen Maßnahmen fähig sind, wenn es um „ihre eigene“ Bevölkerung geht.

ONLINE DISKUSSION: Pipeline-Riots: Ökonomische und ökologische Kämpfe in einer erhitzen Welt. Mit Andreas Malm und Joshua Clover

Donnerstag 11.02.2021, 19:00, Online

Anlässlich der jüngsten deutschen Veröffentlichung der Bücher von Joshua Clover über die weltweilte Wiederkehr von Aufständen und Andreas Malms Büchern über das weltweite Aufkommen von Kämpfen um das Klima wurden beide Autoren eingeladen, ihre Themen zu verbinden. Es soll über Strategien und Taktiken im Kampf gegen das „fossile Kapital“ und gegen die multiplen und schon vor Covid pandemieartigen Krisen des globalen Kapitalismus diskutiert werden.

Veranstalter:„Helle Panke“ e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin in Kooperation mit Galerie der abseitigen Künste, Matthes & Seitz Berlin und Jacobin Magazin.

Englisch mit Simultanübersetzung ins Deutsche. Die Veranstaltung findet auf Zoom statt.

 

Malm zieht eine anregende Parallele zum Kampf gegen den Klimawandel und zeigt auf, dass die Maßnahmen, die im Frühjahr 2020 bis hin zur faktischen Unterbrechung des Wirtschaftslebens ergriffen wurden, ernsthaften Präzedenzfall darstellen. Seit Jahren wird denjenigen, die gegen den Klimawandel kämpfen, gesagt, ihre Forderungen ließen jedweden „Pragmatismus“ vermissen und sie hätten wirtschaftliche Einbußen zur Folge, von denen sich die Welt niemals erholen könnte. Und doch hat „kein einziger vor(geschlagen), den Weltkapitalismus über Nacht anzuhalten, um das Klima zu retten. Kein einziger empfahl, die Emissionen innerhalb von dreißig Tagen um ein Viertel zu senken – selbst die Forderung nach fünf oder zehn Prozent pro Jahr wurde als völlig inakzeptabler Extremismus abgetan. Kein einziger behaupte, dass eine Ausgangssperre über der Menschheit verhängt werden sollte. (…) Und dennoch wird uns immer und immer wieder gesagt, wir seien unrealistisch, unpragmatisch, Träumer*innen oder Panikmacher*innen.“


Ökoleninismus


Im letzten Teil des Buches kommt Andreas Malm auf die Haltung der russischen Revolutionär*innen, insbesondere von Lenin, angesichts der „drohenden Katastrophe“ im Gefolge des Ersten Weltkrieges zu sprechen: „Der Krieg hat eine so unermeßliche Krise hervorgerufen, hat die materiellen und moralischen Kräfte des Volkes so angespannt, hat der ganzen modernen Gesellschaftsorganisation solche Schläge versetzt, daß sich die Menschheit vor die Wahl gestellt sieht: entweder untergehen oder ihr Schicksal der revolutionärsten Klasse anvertrauen, um auf dem schnellsten und radikalsten Wege zu einer höheren Produktionsweise überzugehen.“ [2]

      
Weitere Artikel zum Thema
Andreas Malm: Gelbwesten und Klimaschutz – ein Lehrstück, die internationale Nr. 1/2019 (Januar/Februar 2019)
 

Nach Meinung des Autors müssten die antikapitalistischen Umweltaktivist*innen eine solche Herangehensweise auf den heutigen Stand bringen und einen Ökoleninismus ausprobieren, der als „Prinzipienleitlinie“ verstanden wird und so radikal und ultimativ auftritt, wie es die unmittelbar drohende Auslöschung der Menschheit erfordert. Auch soll er einen Klassenstandpunkt und entsprechende Mobilisierungsbereitschaft einnehmen und aufzeigen, dass die ökologischen Forderungen ernsthafte Konflikte hervorrufen werden und dass es unmöglich ist, Kompromisse mit den Kapitalist*innen zu schließen.

Übersetzung aus l’Anticapitaliste la revue vom November 2020: MiWe



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 1/2021 (Januar/Februar 2021). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Andreas Malm, Klima|x, aus dem Englischen übersetzt von David Frühauf, Berlin: Matthes & Seitz, 2020, 263 S., ISBN 978-3-7518-0307-6, 15,00 €.
[2] W. I. Lenin, „Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll“, in: Werke, Bd. 25, S. 327f.