In seinem neuesten Werk Klima|x liefert der schwedische Marxist und Geograph Andreas Malm eine Aktualisierung seiner ökosozialistischen Analysen im Lichte der Corona-Pandemie und eine Anklageschrift gegen die Folgen der kapitalistischen Umweltzerstörung, gepaart mit strategischen Überlegungen und Vorschlägen. [1]
Julien Salingue
Entwaldung, Handel mit Wildtieren und immer kürzere Transportwege für Waren und Menschen ‒ für Andreas Malm trägt die Entstehung und Verbreitung der Covid-19-Pandemie das Siegel des globalisierten Kapitalismus. So berichtet der Autor von den Auswirkungen der Abholzung, die zu einer brutalen Verdrängung von Tierarten führt und somit die Orte vervielfacht, an denen es zum – eigentlich unwahrscheinlichen – „Zusammentreffen“ von Arten kommt, die ihrerseits Herde für die Bildung und Verbreitung neuer Viren sind. Viren, die immer mehr und schneller die Menschen erreichen, weil diese immer häufiger in Gebiete eindringen, wo sie Kontakt mit „wilden“ Arten haben, aber auch durch den lukrativen Handel mit so genannten „Buschtieren“.
Alles in allem erleben wir im Gegensatz zu dem, was uns die Apologeten vom „Ende der Geschichte“ und des kontinuierlichen Fortschritts, den der Kapitalismus mit sich bringen würde, glauben machen wollen, nämlich ein Wiederaufleben der Epidemien. „Dass seltsame neue Krankheiten aus der freien Natur hervortreten, ist in gewisser Hinsicht logisch: Jenseits des menschlichen Herrschaftsgebietes lauern unbekannte Pathogene. Doch könnte dieses Gebiet auch weitgehend in Ruhe gelassen werden. Ohne die von Menschen betriebene Wirtschaft, die konstant auf die Wildnis einstürmt, sich auf sie stürzt, in sie eingreift, sie zerstückelt und mit einem Eifer zerstört, der an Ausrottungslust grenzt, würden diese Dinge nicht geschehen. Die Krankheitserreger würden nicht auf den Gedanken kommen, auf uns überzuspringen, sie wären bei ihren natürlichen Wirten sicher.“ Covid-19 hat den Sprung gewagt.
Andreas Malm hinterfragt auch die Strategien, mit denen die Regierungen versuchen, die Ausbreitung der Covid-Pandemie einzudämmen. Sein Urteil ist auch hier unerbittlich, nämlich dass die weltweite Aufregung dadurch erklärbar ist, dass es die reichsten kapitalistischen Länder waren, die schnell zum Epizentrum der Pandemie wurden. Die drakonischen Maßnahmen (Ausgangssperren, Lockdown etc..), die aufgrund des maroden Zustands des Gesundheitswesens verhängt wurden, wertet der Autor als Entscheidungen, die darauf abzielen, veritable Gesundheitsskandale zu vermeiden (überfüllte Krankenhäuser am Rande ihrer Kapazität, Hunderttausende von Todesfällen), aber auch als Zeichen des Egoismus der reichen Länder, die nur dann zu radikalen Maßnahmen fähig sind, wenn es um „ihre eigene“ Bevölkerung geht.
ONLINE DISKUSSION: Pipeline-Riots: Ökonomische und ökologische Kämpfe in einer erhitzen Welt. Mit Andreas Malm und Joshua CloverDonnerstag 11.02.2021, 19:00, OnlineAnlässlich der jüngsten deutschen Veröffentlichung der Bücher von Joshua Clover über die weltweilte Wiederkehr von Aufständen und Andreas Malms Büchern über das weltweite Aufkommen von Kämpfen um das Klima wurden beide Autoren eingeladen, ihre Themen zu verbinden. Es soll über Strategien und Taktiken im Kampf gegen das „fossile Kapital“ und gegen die multiplen und schon vor Covid pandemieartigen Krisen des globalen Kapitalismus diskutiert werden. Veranstalter:„Helle Panke“ e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin in Kooperation mit Galerie der abseitigen Künste, Matthes & Seitz Berlin und Jacobin Magazin. Englisch mit Simultanübersetzung ins Deutsche. Die Veranstaltung findet auf Zoom statt. |
Malm zieht eine anregende Parallele zum Kampf gegen den Klimawandel und zeigt auf, dass die Maßnahmen, die im Frühjahr 2020 bis hin zur faktischen Unterbrechung des Wirtschaftslebens ergriffen wurden, ernsthaften Präzedenzfall darstellen. Seit Jahren wird denjenigen, die gegen den Klimawandel kämpfen, gesagt, ihre Forderungen ließen jedweden „Pragmatismus“ vermissen und sie hätten wirtschaftliche Einbußen zur Folge, von denen sich die Welt niemals erholen könnte. Und doch hat „kein einziger vor(geschlagen), den Weltkapitalismus über Nacht anzuhalten, um das Klima zu retten. Kein einziger empfahl, die Emissionen innerhalb von dreißig Tagen um ein Viertel zu senken – selbst die Forderung nach fünf oder zehn Prozent pro Jahr wurde als völlig inakzeptabler Extremismus abgetan. Kein einziger behaupte, dass eine Ausgangssperre über der Menschheit verhängt werden sollte. (…) Und dennoch wird uns immer und immer wieder gesagt, wir seien unrealistisch, unpragmatisch, Träumer*innen oder Panikmacher*innen.“
Im letzten Teil des Buches kommt Andreas Malm auf die Haltung der russischen Revolutionär*innen, insbesondere von Lenin, angesichts der „drohenden Katastrophe“ im Gefolge des Ersten Weltkrieges zu sprechen: „Der Krieg hat eine so unermeßliche Krise hervorgerufen, hat die materiellen und moralischen Kräfte des Volkes so angespannt, hat der ganzen modernen Gesellschaftsorganisation solche Schläge versetzt, daß sich die Menschheit vor die Wahl gestellt sieht: entweder untergehen oder ihr Schicksal der revolutionärsten Klasse anvertrauen, um auf dem schnellsten und radikalsten Wege zu einer höheren Produktionsweise überzugehen.“ [2]
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Nach Meinung des Autors müssten die antikapitalistischen Umweltaktivist*innen eine solche Herangehensweise auf den heutigen Stand bringen und einen Ökoleninismus ausprobieren, der als „Prinzipienleitlinie“ verstanden wird und so radikal und ultimativ auftritt, wie es die unmittelbar drohende Auslöschung der Menschheit erfordert. Auch soll er einen Klassenstandpunkt und entsprechende Mobilisierungsbereitschaft einnehmen und aufzeigen, dass die ökologischen Forderungen ernsthafte Konflikte hervorrufen werden und dass es unmöglich ist, Kompromisse mit den Kapitalist*innen zu schließen.
Übersetzung aus l’Anticapitaliste la revue vom November 2020: MiWe |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 1/2021 (Januar/Februar 2021). | Startseite | Impressum | Datenschutz