Im Kampf gegen den Klimawandel setzt der Kapitalismus auf Pseudoreformen, die die Reichen immer noch reicher machen, während er die Lasten auf die Arbeiter*innen in Form von Steuern abwälzt, die ihnen den „rechten Weg“ weisen sollen. Die Gelbwestenbewegung aber zeigt uns, dass viele Arbeiter*innen genug haben von diesen Moralvorschriften, mit denen der Kapitalismus den Klimawandel vermeiden will.
Andreas Malm
Wenn es noch einer Lektion bedürfte, wie man den Klimawandel nicht eindämmen kann, muss man sich bloß Macron anschauen. Erst die Reichen von der Steuer entlasten und dann die Benzinsteuern erhöhen – so stellt man sich selbst ein Bein auf dem Weg in eine grünere Zukunft. Die kapitalistische Umweltpolitik hat natürlich bereits in den letzten beiden Jahrzehnten glänzende Beispiele für solche Pseudoreformen geliefert, die Illusionen schürten und zugleich kontraproduktiv waren. Dabei haben sie es immer geschafft, die tatsächlichen Lasten letztlich den Armen aufzubürden, sei es, dass sie Ackerland für die Erzeugung von Biosprit umwidmeten und so die Nahrungsmittelpreise nach oben trieben oder dass sie als Kompensation für zu hohe CO2-Emissionen in Uganda oder in einem anderen fernen Land Bäume pflanzen und dafür die einheimischen Bauern von ihrem Land vertreiben ließen. Oder aber den einfachen Verbrauchern im eigenen Land zu erzählen, dass sie selbst für den zu hohen CO2-Ausstoß verantwortlich seien und sie daher ihre Konsumgewohnheiten ändern (und dafür zumeist mehr Geld ausgeben) müssten. Die neueste Wunderwaffe heißt Geo-Engineering und ist geeignet, das ohnehin schon gefährdete Leben von Millionen von Menschen gänzlich zu zerstören, nur um noch ein Weilchen länger business-as-usual betreiben zu können.
Der jüngste Held in dieser traurigen Geschichte kapitalistischer Klimapolitik heißt Macron. Als selbsternannter Hüter des Pariser Abkommens hat er sich eine Aura als letzter Gralshüter auf der Welt verschafft, der die Kosten für geringere Emissionen im Auge behält. Aber damit kommt er zu spät, weil die Art von Regierungspolitik, die er so sehr schätzt, schon längst ihren Offenbarungseid geleistet hat. Dafür mussten erst die Gelbwesten auftauchen, um ihn – zumindest für den Moment – aus seinen Träumen zu wecken: Der Klimawandel lässt sich nicht bekämpfen, indem man den Reichen noch mehr freie Hand lässt, sich weiter zu bereichern, und dann der lohnabhängigen Bevölkerung die Quittung serviert, damit sie, als einzige Klasse in dem System, den rechten Weg ergreifen. Das hat so noch nie funktioniert und wird es auch weiterhin nicht.
Leider hält sich diese Illusion noch immer unter der tonangebenden bürgerlichen Strömung der Umweltschutzbewegung: Grüne Lobbyisten auf dem COP24 nahmen Macrons Entscheidung, die „Ökosteuer“ auf Benzin auszusetzen, konsterniert zur Kenntnis. „Wenn Frankreich die CO2-Steuer bremst, dann bremst er die Energiewende und sendet ein ungutes Signal aus“, meinte Pierre Cannet, der Verantwortliche für Klima- und Energiepolitik bei WWF in Frankreich (wobei der Verband wohl später – so wie Macron – bemerkte, dass er auf dem Holzweg war, und sich in einer Pressemitteilung von dieser Steuer distanzierte).
Maxime Combes von Attac Frankreich hat sehr überzeugend dargelegt [1], dass diese Steuer völlig ungeeignet ist, so etwas wie eine „Energiewende“ auf den Weg zu bringen. Frankreichs Automobilflotte wäre dadurch nicht frei von Abgasschwaden geworden, sondern nur die ärmsten unter den Verbraucher*innen hätten dies in ihrem Portemonnaie zu spüren bekommen, weil sie sich nicht einfach ein neues, „sauberes“ Auto kaufen können.
Nichtsdestotrotz müssen die Autos dringend aus den Straßen verschwinden – bloß wie? Indem wir zunächst den öffentlichen Personenverkehr in den Städten und auf dem Land massiv ausbauen, alternative Transportmittel (E-Bikes, Car-Sharing mit Elektroautos) auf breitester Ebene bereitstellen, private Benziner und Diesel in den Städten verbieten, die Arbeitsplätze und Gewerbegebiete wieder in die Stadt zurückholen, um eine weitere Zersiedelung zu vermeiden und die dann noch notwendigen Fahrzeuge schnell auf Elektroantrieb umstellen. Kurzum, öffentliche Investitionen und Planungsschritte, die in Höhe und Zeitrahmen der drohenden Klimakatastrophe angemessen sind. Dabei wäre es schon hilfreich, in Frankreich und woanders die Autoindustrie zu zwingen, ihre Produktion nach den Erfordernissen dieses Strukturwandels umzustellen, so wie dies im II. Weltkrieg der Fall war, als die US-Industrie Panzer statt Autos produzieren musste.
Alle diese Maßnahmen erfordern keinerlei Opfer an Arbeitsplätzen oder Lebensstandard unter der arbeitenden Bevölkerung, sondern können beides sogar verbessern, wobei den Superreichen natürlich die Flügel gestutzt werden müssten. Nun macht Macron nicht gerade den Eindruck, als würden ihn solche Gedanken beim abendlichen Zubettgehen plagen. Der Präsident der Reichen lässt lieber andere bis zum Abwinken für die Sünden der Besitzenden büßen. Aber die Zeiten sind vergangen, in denen derlei Maßnahmen auch nur den Eindruck erwecken könnten, sie würden am Klimawandel etwas ändern. Mit anderen Worten: Die Zeit ist um, wo man die kapitalistische Klasse noch in Frieden lassen kann. Jeder Schritt dorthin, den totalen Klimakollaps zu vermeiden, erfordert nunmehr, dass wir ihre Paläste stürmen.
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Darin besteht die zweite und nutzbringendere Lektion der vergangenen Wochen, nämlich wie wir dafür kämpfen können. Jeder Fortschritt an der „Klimafront“ läuft nur über den Kampf, sei es dass der Verkehr blockiert oder der Schulunterricht bestreikt wird, Hauptverkehrsstraßen besetzt oder die umweltschädlichsten aller Konsumformen frontal angegangen werden, nämlich die demonstrative Verschwendung und die Luxusorgien der Reichen. Oder – und warum eigentlich nicht – die Autos in Brand stecken. Da weder Macron noch irgendein anderer Präsident eines kapitalistischen Staates dazu bereit ist, das zu tun, was getan werden muss, müssen diese Staaten eben dazu gezwungen werden, durch genau solche Aktionen, mit denen die Gelbwesten die Macht der Straße gezeigt haben.
Natürlich gibt es auch Umweltbewegungen, die in diesem Sinne aktiv sind, namentlich „Ende Gelände“, von denen sich Ende Oktober 2018 etwa 6000 Aktivist*innen (darunter etliche aus Frankreich) zu den Eisenbahnschienen aufmachten, auf denen Stein- oder Braunkohle, diese schädlichsten aller fossilen Brennstoffe, von den Bergwerken zu den Kraftwerken im Zentrum der deutschen Industrie transportiert werden. Dort befördern die Schornsteine zweierlei: endlose CO2-haltige Abgasschwaden und ordentliche Profite für die Besitzer. Dem war nicht mehr so, als die Aktivist*innen die Gleise besetzten und so mit ihren Körpern den Kohletransport verhinderten, um dadurch den Druck auf Angela Merkel, Macrons Vorgängerin als Schutzpatronin kapitalistischer Umweltpolitik, zu erhöhen, die Bergwerke ein für allemal zu schließen.
Als basisorganisierte Initiative hat „Ende Gelände“ ohne polizeiliche Genehmigung und in weißen Overalls statt in gelben Westen zwar nicht solche Massen mobilisiert und auch nicht den Aufstand so weit vorangetrieben wie die Gelbwesten, aber dies ist nur ein Grund mehr, von diesen zu lernen. Im Zentrum von Paris konnte man umgekehrt unter den Losungen bei den Protesten als Grafitti auf den Mauern auch die folgende lesen: Die Klimakrise ist ein Krieg gegen die Armen. Dabei könnte man sich wünschen, dass unter den Gelbwesten mehr Umweltaktivist*innen offensiv vertreten wären. Das genau ist dringend geboten – ein Zusammengehen der bestehenden Kämpfe.
Ungeachtet des Ausgangs lässt sich bereits eine Lektion aus der Gelbwestenbewegung ziehen: Wenn mehr Völker als nur das französische eine solche Protestkultur hätten und zu kämpfen verstünden, dann würden wir heute nicht auf einem so fürchterlich heißen Planeten leben.
Übersetzung: MiWe |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 1/2019 (Januar/Februar 2019). | Startseite | Impressum | Datenschutz