Vierte Internationale

Unser Genosse Rudolf Klement

Bespitzelt, entführt, ermordet, zerstückelt

Die Zeitschrift Lettre International hat in ihrer Nr. 130 (vom Herbst 2020) eine überaus sorgfältig recherchierte „politische Kriminalgeschichte“ von Philippe Videlier mit dem Titel „Wie Klement verschwand“ in deutscher Übersetzung veröffentlicht. [2]

Helmut Dahmer

Videlier (Jg. 1953) ist Historiker und Literat, lebt in Lyon und forscht am Centre national de la recherche scientifique. Er schrieb unter anderem über Babel, Bakunin, Blücher (den 1937 erschossenen General der Roten Armee), Che Guevara, Gorki, Maria Spiridonowa (die 1941 erschossene Führerin der mit den Bolschewiken verbündeten „Linken Sozialrevolutionäre“) und Mao Zedong. [3]

Sein kleiner historischer Roman über Klement erinnert an den großen Roman Paduras, [4] der vor zehn Jahren die Wiederentdeckung Trotzkis durch die linken kubanischen Intellektuellen und Studenten einleitete. [5]

Videlier lässt den deutschen Revolutionär Klement (1908-1938) [6] aus dem dichten Nebel von Verleumdung und Vergessenheit auftauchen – nicht ohne Ironie, in der die Distanz sich geltend macht, die den Historiker (einen „rückwärtsgekehrten Propheten“ [7]) und seine heutigen Leserinnen und Leser von der Welt trennt, in der Klement sich in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts bewegte.

Videlier zitiert aus einem nur für Mitglieder der trotzkistischen Organisation bestimmten Dossier: „Der Name ,Adolphe’ bezeichnet Rudolf Klement, einen deutschen Emigranten aus Hamburg, der in der Türkei und in Frankreich mit Trotzki zusammengelebt hat. Sein Name muss unbedingt geheim gehalten werden […]“. Und weiter, nun aus dem Bericht eines Sympathisanten, der ,Adolphe’ für einige Zeit als Gast bei sich aufnahm: „Klement kam um ein Uhr nachmittags zu uns… […] Um acht schrieb er immer noch Artikel auf der Maschine, um die Weltrevolution vorzubereiten … Tack-tack-tack … Internationales Inneres Bulletin – Nur für Mitglieder – Tack-tack-tack … Sorgt dafür, dass es nicht in die Hand unserer Feinde fällt …“ [8]

Betrachten wir näher, was es mit dem im Juli 1938 „verschwundenen“ Klement und seinen „Feinden“ auf sich hatte. Er studierte zunächst in Hamburg (und an anderen Universitäten) Sprach- und Literaturwissenschaft und war seit 1932 politisch in der deutschen Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (LO) aktiv. [9]

Einem Vorschlag von Georg Jungclas folgend, der die Hamburger Gruppe der LO leitete, reiste Klement Ende April 1933 nach Prinkipo (der größten der „Prinzeninseln“ im Marmarameer), um den kleinen, unbezahlten Stab von Sekretären, Übersetzern und Leibwächtern zu verstärken, die den im Februar 1929 aus Russland in die Türkei ausgewiesenen und dort isolierten Trotzki unterstützten.

Trotzki war zunächst im Januar 1928 für ein Jahr nach Alma Ata nahe der sowjetisch-chinesischen Grenze verbannt und dann in die Türkei abgeschoben worden, wo er vier Jahre zubringen sollte. Die russische Staatsangehörigkeit war Trotzki im Februar 1932 aberkannt worden, und vorläufig fand sich kein anderes Land, das ihm Asyl gewährt hätte. [10]

Das ihm aufgezwungene Exil nutzte der Revolutionär und Literat zum einen dazu, eine internationale, antistalinistische Opposition zu organisieren, zum andern, um seine beiden Hauptwerke als marxistischer Historiker zu verfassen: die Autobiographie Mein Leben und die zweibändige Geschichte der russischen Revolution[11]

Nach dem Bankrott der stalinisierten Komintern, die die KPD, ihre deutsche Sektion, in den Untergang manövriert hatte, rief er am 15. Juli 1933, kurz vor seiner Ausreise nach Frankreich, zur Bildung neuer kommunistischer Parteien und einer neuen, revolutionären Internationale auf. [12]


Prinkipo, Barbizon, Paris


In Trotzkis letztem Jahr auf Prinkipo machte sich Klement, der als zurückhaltend und zuverlässig galt, mit den Gegebenheiten von Haushalt, Sekretariat und Archiv vertraut und freundete sich mit Trotzki, seiner Frau Natalia Sedowa und den Genossinnen und Genossen an, die als Übersetzer und Leibwächter fungierten und den Kontakt mit den internationalen Oppositionsgruppen hielten.

Fotos zeigen ihn auf Prinkipo mit Trotzki, Jean van Heijenoort und Pierre Frank und, wenig später, schon im französischen Saint-Palais-sur-Mer (an der Atlantikküste), in einer um Yvan Craipeau, Jeanne Martin und Sara Weber, die russische Sekretärin, erweiterten Gruppe. [13]

Mit Sara Weber, Jean van Heijenoort und Max Shachtman begleitete Klement die beiden Trotzkis auf der einwöchigen Schiffsreise nach Marseille (17.‑24. Juli 1933), blieb auch in Saint-Palais-sur-Mer bei ihnen und – ab November – in dem näher an Paris gelegenen Barbizon. Am Rande dieses Künstler-Städtchens kam die kleine Gruppe im November inkognito in der Villa „Ker Monique“ unter.

Trotzki, der von dort aus auch Gelegenheit fand, in Paris mit Genossen zusammenzutreffen, begann mit der Arbeit an seiner (unvollendet gebliebenen) Lenin-Biographie. [14]

Klement pendelte als Kurier zwischen Barbizon und Paris. Bei einer dieser Fahrten mit einem geliehenen Motorrad wurde er von einer Polizeistreife gestoppt, weil dessen Beleuchtung nicht intakt war. Des Diebstahls verdächtigt, untersuchte man ihn, und die verdutzten Polizisten fanden in seiner Tasche neben diversen fremdsprachigen Zeitschriften Briefe aus aller Welt an … Trotzki.

 

„Auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört.“

(Walter Benjamin) [1]

Es folgte am 14. April 1934 eine Haussuchung in der Villa „Ker Monique“, und Trotzkis mit der Sicherheitspolizei vereinbartes Inkognito [15] flog auf. Faschistische Gruppen und die stalinistische KP forderten daraufhin Trotzkis Ausweisung, und die unter Druck geratene Regierung Doumergue setzte einen vor Trotzkis Einreise aus der Türkei außer Kraft gesetzten Ausweisungsbefehl aus dem Kriegsjahr 1916 wieder in Kraft. Dieser konnte freilich nicht vollstreckt werden, da es noch immer kein Land gab, dessen Regierung den Revolutionär aufnehmen wollte.

Der oft von van Heijenoort begleitete Trotzki fand, nach zweimonatigem Herumirren auf der Suche nach einem neuen Asyl, schließlich noch einmal für fast ein Jahr ein Quartier in Domène (bei Grenoble), ehe er Mitte Juni 1935 nach Norwegen ausreisen konnte.

Mit der Affäre von Barbizon beginnt Videliers Erzählung. Es folgt ein Abschnitt über den Fall des abtrünnigen NKWD-Agenten Agabekow und die Schicksale von Klements Genossen Moulin (d. i. Hans David Freund), Erwin Wolf und Andreu Nin, die 1937 in Katalonien „verschwanden“, nämlich vom NKWD ermordet wurden. [16] Was Klement selbst angeht, heißt es bei Videlier (S. 66) zunächst nur vielsagend: „Der in Paris untergetauchte deutsche Student bereitete [seit 1934] die Vierte Internationale vor.“ Daraufhin geht der Chronist gleich zu den Ereignissen vom Sommer 1938 über.

Auf Prinkipo, in Barbizon und in den folgenden Jahren in Paris absolvierte Klement ein kurzes, intensives Studium marxistischer Theorie und Politik. Sein Lehrer urteilte aus dem fernen Mexiko: „Adolphe [Klement] war vor ein paar Jahren eher ein Grünschnabel, aber jetzt ist er ein ausgebildeter Marxist. Er schreibt sehr gut in drei Sprachen und kennt sechs andere.“ [17]

Seit dem Sommer 1935 war Klement in Paris [18] (zeitweilig auch in Brüssel) als Organisationssekretär für das Internationale Sekretariat der in Bildung begriffenen IV. Internationale tätig und arbeitete – mit Erwin Wolf und Jan Bur (d. i. Walter Nettelbeck) – auch im Auslandskomitee der IKD, der späteren deutschen Sektion der IV. Internationale.

Er perfektionierte seine Russisch-Kenntnisse, sodass er Briefe, Dokumente und ganze Bücher ins Deutsche übertragen konnte. Unter dem Pseudonym Walter Steen übersetzte er 1936 „Trotzkis kompliziertestes Buch“ (Deutscher), die klassische Analyse des Niedergangs der russischen Revolution, [19] und half – unterstützt von Erwin Wolf und Van Heijenoort – Leo Sedow, Trotzkis älterem Sohn, bei der Analyse des ersten der Moskauer Schauprozesse gegen Sinowjew, Kamenjew und weitere 14 Angeklagte im August 1936. [20]

1938 entwarf er die Statuten der neuen Internationale und übertrug deren Gründungs-Dokument, das „Übergangs-Programm“, ins Deutsche. [21] Als Organisationssekretär war er in die – oft von getarnten, in die trotzkistischen Organisationen eingeschleusten GPU- bzw. NKWD-Agenten angeheizten – Auseinandersetzungen um die Frage des Eintritts trotzkistischer Gruppen in die französische und andere sozialdemokratische Parteien („Entrismus“), um die Einschätzung der spanischen POUM und um die Praxis des „revolutionären Defaitismus“ nichtstalinistischer Arbeiterorganisationen [22] im bevorstehenden Zweiten Weltkrieg verstrickt. [23] „Er hielt alle Fäden in der Hand […]“, schreibt Videlier (S. 70), und hatte den Überblick über Kader und Sympathisanten der (nach Tausenden zählenden) Trotzki-Anhänger in aller Welt. Das alles machte ihn zu einem bevorzugten Ziel der NKWD-Mordaktionen, denen neben Trotzkis Familienangehörigen auch eine Reihe seiner Sekretäre zum Opfer fielen. [24]


Stalin/Jeschows politischer Genozid


Der Mord an dem Leningrader Parteisekretär Kirow am 1. Dezember 1934 gab Stalin Anlass, einen „politischen Genozid“ [25] (Deutscher) in die Wege zu leiten. Ihm fielen in den Jahren 1936-38 unter Ägide der NKWD-Chefs Jagoda (der das Lagersystem GULag organisierte und den Stalin im März 1938 erschießen ließ) und Jeschow (der multiple „Verschwörungen“ und die „Troika“-Schnellge­richte ersann und den Stalin im Februar 1940 ebenfalls beseitigen ließ) Hunderttausende zum Opfer. [26]

Stalins mörderische Kampagne diente der völligen Ausrottung jeglicher Opposition. [27] Ihr fielen ein Großteil der längst stalinisierten Partei samt einem Teil der Stalin-Anhänger zum Opfer, ferner Diplomaten und die Komintern-Führung, die Anhänger früherer kommunistischer Oppositionsgruppen, die nun als „Volksfeinde“, „Terroristen“, „Faschisten“ figurierten, immer neue Gruppen von „unzuverlässigen“ KGB-Leuten und Diplomaten, die die gefürchteten „Rückrufe“ nach Moskau erhielten, schließlich die Generalität und das Offizierskorps der Roten Armee, die der „Verschwörung mit Reichswehr und Gestapo gegen Stalin“ beschuldigt wurden, zudem Wirtschaftsführer („Saboteure“), „Kulaken“, Angehörige „illoyaler“ Nationen, Künstler und zahllose Zivilisten zur Auffüllung der Zwangsarbeitslager …

Der Schatten dieser Schreckenszeit, deren Spuren nach Möglichkeit getilgt und deren Andenken alsbald tabuisiert wurde, liegt auch heute noch, acht Jahrzehnte später, über der Gesellschaft der Russischen Föderation und ihrer Nachbarstaaten. Der internationalen Öffentlichkeit blieb der stalinistische Massenterror – abgesehen von den drei spektakulären Schauprozessen im August 1936, Januar 1937 und März 1938 gegen die bolschewistischen Führer der Revolutionszeit – weitgehend verborgen. Verhandelt wurde dabei gegen 55 sorgsam ausgewählte, „geständige“ Angeklagte, die vor Gericht Schuld-„Bekenntnisse“ repetierten, die ihnen, in der Regel unter Folter, abgepresst worden waren, woraufhin die meisten von ihnen zum Tode verurteilt und erschossen wurden. [28]

In Abwesenheit wurden – adressiert an die sowjetischen und internationalen Leser und Radiohörer – auch die angeblichen Inspiratoren und Organisatoren all der projektiv herbeifantasierten antistalinistischen „Verschwörungen“, „Attentats- und Terrorpläne“ mitangeklagt: Trotzki und sein Sohn und wichtigster Mitarbeiter, Leo Sedow, [29] sowie deren Unterstützer, zu denen, abgesehen von den todgeweihten Moskauer Angeklagten, ihren „Mitverschwörern“, natürlich auch Menschen wie Klement und die anderen Sekretäre Trotzkis sowie mit ihnen sympathisierende oder kooperierende kommunistische Dissidenten und „Überläufer“ gehörten.


Ein „Kinto“ an der Macht


Stalin war seit 1922 Generalsekretär der KPdSU (B) und bahnte sich mit wechselnden Bundesgenossen in der Parteiführung (zuerst Sinowjew und Kamenjew, dann Bucharin) und durch gezielte Personalpolitik als „Herr der Dossiers“ zielstrebig den Weg zur Alleinherrschaft.

Im Herbst 1924 konvertierte er zum Nationalkommunismus („Sozialismus in einem Lande“), und 1929 war seine Machtstellung so weit gefestigt, dass er das Land in das Abenteuer der Zwangskollektivierung und einer forcierten Industrialisierung stürzen konnte.

In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre vernichtete er dann mit Hilfe der Geheimpolizei die Veteranen der Revolutionszeit und ihre internationalistische Tradition und nahm mehr und mehr das Gehabe eines Großkhans oder Gottkönigs an. Trotzki nannte ihn einmal den „Negus im Kreml“… [30]

Im Kampf gegen die Linke Opposition innerhalb und außerhalb von Partei und Komintern bediente er sich einer Reihe von vernichtenden Diskriminierungsformeln.

Rudolf Klement und Leo Trotzki

 

Zunächst bezichtigte er sie der seit 1921 verpönten „Fraktionsbildung“. Dann erfand er im Verein mit Sinowjew und Kamenjew das „Trotzkismus“-Label, wobei „Trotzkismus“ als Abweichung von der Lenin-Orthodoxie oder als deren Widerpart, nämlich als „Menschewismus“ („sozialdemokratische Abweichung“) galt.

In den dreißiger Jahren bezeichnete er sie dann nur mehr als „Terroristen“, „Volksfeinde“ oder „Faschisten“, und nicht nur seine angst- und hasserfüllten Papageien im Politbüro, im Zentralkomitee und in der damals 2-3 Millionen Mitglieder zählenden Partei plapperten ihm das eilfertig nach, sondern der riesige Propagandaapparat der Komintern verbreitete diese Sprachregelungen weltweit.

Er selbst dürfte seine Diffamierungen und Verdammungsurteile zunächst wider besseres Wissen, also als taktische Waffe, im Kampf gegen „Konkurrenten“ eingesetzt haben, die im Fall von Krise oder Krieg als Alternativ-Führung hätten fungieren können. [31] Doch wie – nach Lenins Tod im Januar 1924 – der „großrussische Chauvinist“ in ihm zum Durchbruch kam, so erlag er nun, zehn Jahre später, dem Echo der von ihm selbst zwecks Machtsicherung in Gang gesetzten Propaganda.

Um seine „Taktik“ vor sich selbst, seinen Paladinen, den Parteimitgliedern, der Weltöffentlichkeit und der „Geschichte“ zu legitimieren, begann er, den von ihm erhobenen wüsten Anschuldigungen Glauben zu schenken. Aus Taktik wurde (Verfolgungs-) Wahn. [32]

Wahnbildungen enthalten immer ein Stück verhohlener (innerer) Wahrheit, und weil seine wahren Motive dem „Autor“ des Wahns unzugänglich (weil schwer erträglich) sind, werden sie projiziert, also anderen zugeschrieben. Dem entsprechend lassen sich Stalins Mord- und Verrats-Phantasien als „Geständnisse“ lesen: Der „Kinto an der Macht“, [33] auf den (abgesehen von einem von Berija simulierten) nie ein Attentat verübt wurde, wähnte, sein Widersacher Trotzki hecke ständig Mordkomplotte gegen ihn und seine Kumpane aus, während er selbst – eine Art Re-Inkarnation des „Alten vom Berge“ [34] – eine GPU-Todessschwadron nach der andern in Marsch setzte, um Trotzki und seine Anhänger zu „liquidieren“. Er, der seit 1937 ein Bündnis mit Hitlerdeutschland anstrebte, zieh Trotzki und die anderen Oppositionellen des Verrats und der Kumpanei mit der Gestapo.

Jeder Wahn aber kollidiert auch mit der inneren und äußeren Realität und muss darum stets aufs Neue beglaubigt werden. Die großen Schauprozesse und die NKWD- Kommandos, die zur gleichen Zeit im ganzen Land ihre Opfer suchten, um vorgegebene „Quoten“ von erschossenen oder zu Zwangsarbeit verurteilten „Volksfeinden“ zu erfüllen, waren ein ungeheuerlicher Versuch, den Beweis zu führen, dass es sich bei den Anklagen gegen die als „Konterrevolutionäre“ diffamierten Oppositionellen und bei deren erpressten „Geständnissen“ nicht um Albträume, sondern um Wirklichkeit handele.

„Die stenographischen Protokolle der Verhandlungen [der großen Schauprozesse] wurden Tag für Tag als Fortsetzungsroman in der Prawda abgedruckt und erschienen wenig später auch in Buchform. Sie wurden in größter Eile in 13 Sprachen übersetzt und in riesigen Auflagen verbreitet. In der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts ist die große Verschwörungs-Trilogie, die Stalin, Wyschinski und Radek konzipierten und redigierten, noch nicht gewürdigt worden. Dutzende literarisch weniger begabte Ko-Autoren (,Angeklagte‛) wurden […] inhaftiert und zur Mitarbeit an dieser Kriminalgeschichte einer ,trotzkistisch-faschistischen’ Verschwörung gegen Stalin, seine Helfershelfer und die Sowjetunion gepresst. Die meisten von ihnen wurden zum Lohn für ihre phantastischen Erzählungen erschossen. Während des gesamten Verfahrens war die Grenze zwischen Fiktion und Realität aufgehoben. Ziel war die systematische Fiktionalisierung der Wirklichkeit (beziehungsweise die Plausibilisierung einer Fiktion). Am Ende ließ Stalin seine Phantasmagorien durch den Henker (W. M. Blochin, den Obervollstrecker in der Lubjanka, und seinesgleichen) beglaubigen.“ [35]


Internationalisierung des Terrors


Dem Despoten im Kreml genügte es nicht, über die verstaatlichten Produktionsmittel des Riesenreichs zu verfügen. Sein „diabolischer Plan“ [36] griff aus in Raum und Zeit. Er wollte sich zum Herrn der (Revolutions-)Geschichte aufwerfen, indem er eine neue, eigene Version dieser Geschichte [37] an die Stelle der wirklichen setzte.

Das begann mit den von Trotzki nachgewiesenen Fälschungen der Parteigeschichte, [38] dem Verbot und der Beschlagnahme von Büchern, der periodischen „Korrektur“ oder Löschung von Enzyklopädie-Artikeln, dem Retuschieren von Fotos und der Produktion von pseudohistorischen Filmen, und führte schließlich zur Ausrottung einer ganzen Generation von Zeugen der wirklichen Geschichte.

Stalins GPU bzw. NKWD internationalisierte, gestützt auf die Komintern-Sektionen, den Terror gegen „trotzkistische“ und „anarchistische“ Oppositionelle, gegen „Abweichler“ (wie Willi Münzenberg) und „Überläufer“ aus der eigenen Organisation (wie Ignaz Reiss oder Walter G. Krivitzky). [39] Mit nahezu unbeschränkten Finanzmitteln ausgestattete Killerkommandos jagten Stalingegner, die die Deutschland-Politik der Komintern, die zur Niederlage der deutschen Arbeiterorganisationen geführt hatte, ebenso anprangerten wie das Desaster der Zwangskollektivierung oder Stalins Politik in Spanien, und die nun nachwiesen, dass es sich bei den Moskauer Prozessen um fantastische Inszenierungen handelte.

Das „Jagdrevier“ der Stalinschen „Killerati“ waren vor allem Staaten, die widerstrebend Emigranten aus Hitlerdeutschland und Osteuropa Asyl gewährten. Diese retteten sich in jene Länder, in denen (wie in Frankreich und Spanien) „Volksfront“-Regierungen oder linksnationalistische (wie in Mexiko zur Zeit des Präsidenten Cárdenas) an die Macht gekommen waren.

Da der Moskauer Despot nichts so sehr fürchtete wie die Entstehung eines neuen sozialistischen Staats, der sich seiner Kontrolle entzöge, wütete das NKWD besonders im republikanischen Spanien, wo 1937 in Barcelona ein „Hochverrats“-Prozess im Moskauer Stil gegen die „trotzkistische“ POUM (die „Arbeiterpartei der marxistischen Einheit“) angestrengt wurde, [40] deren Führer, Andreu Nin, von einer speziell auf ihn angesetzten NKWD-Mörderbande entführt, gefoltert und umgebracht wurde.

Die Moskauer Prozesse basierten, worauf einer der Angeklagten, Karl Radek, die Aufmerksamkeit richtete, ausschließlich auf den „Geständnissen“ der Angeklagten, da die Anklage keinerlei Dokumente vorweisen konnte, mit denen sie die „Untaten“ der bolschewistischen Führer und ihres vermeintlichen Auftraggebers Trotzki hätte beweisen können.

Der Verschwörungsroman, den Stalins Generalstaatsanwalt Wyschinski aus den Folter-„Geständnissen“ der Angeklagten komponiert hatte und den Stalin persönlich redigiert hatte, wies, wo es um die für die Anklage entscheidenden „terroristischen“ Anweisungen Trotzkis und Sedows und um deren Übermittlungswege ging, absurde Orts- und Zeitangaben und zahllose Widersprüche auf.

Ließen sich in Stalins Herrschaftsbereich nur problematische oder falsche Zeugen auftreiben, so mussten bessere im „Ausland“ gefunden werden. Sofern man „echte“ antistalinistische Kommunisten nicht (wie Ignaz Reiss oder Kurt Landau) einfach umbrachte, wurde wieder und wieder vergeblich versucht, sie – wie die Angeklagten der Moskauer Prozesse – durch Folter und Todesdrohungen dazu zu bringen, falsches Zeugnis gegen Trotzki, Sedow und ihre Anhänger abzulegen. [41] Der Öffentlichkeit konnte man sie freilich, anders als im „Oktobersaal“ des Moskauer Gewerkschaftshauses, nicht präsentieren, sondern musste sie in jedem Fall umbringen, gleichviel, ob sie sich weigerten, irgendein Lügen-„Geständnis“ abzulegen, oder ob sie in Todesnot taten, was von ihnen verlangt wurde.


Ein gefälschter Brief und die Furie des Verschwinden-Lassens


 

Ergänzende Literaturhinweise [58]

Besymenski, Lew, Stalin und Hitler, Das Pokerspiel der Diktatoren, Berlin (Aufbau-Verlag)2002.

Broué, Pierre, Léon Sedov, fils de Trotsky, victime de Staline, Paris (Les Éditions Ouvrières) 1993.

Cahiers Léon Trotsky, Nr. 13, Numéro Special, „Léon Sedov (1906-1938)”, Grenoble (Institut Léon Trotsky) März 1983.

Cahiers Léon Trotsky, Nr. 53, „L’Opposition de gauche en URSS,“ a. a. O., April 1994.

Conquest, Robert, Der große Terror, Sowjetunion 1934-1938, München (Langen Müller-Verlag) 1990.

Dahmer, Helmut, Freud, Trotzki und der Horkheimer-Kreis, Münster (Westfälisches Dampfboot) 2020.

Fenichel, Otto, „Über Trophäe und Triumph“, in: Fenichel, Aufsätze (hg. von Klaus Laermann), Olten (Walter-Verlag) 1981, Bd. II, S. 159-182.

Glotzer, Albert, Trotsky, Memoir & Critique, Buffalo, New York (Prometheus Books). 1989.

Gorkin, Julián, Stalins langer Arm, Die Vernichtung der freiheitlichen Linken im spanischen Bürgerkrieg, Köln (Kiepenheuer & Witsch) 1980.

Hedeler, Wladislaw (Hg.), Chronik der Moskauer Schauprozesse 1936, 1937 und 1938. Planung, Inszenierung und Wirkung, Berlin (Akademie-Verlag) 2003.

[Jungclas, Georg], Von der proletarischen Freidenkerjugend im Ersten Weltkrieg zur Linken der siebziger Jahre, Georg Jungclas (1902-1975), Eine politische Dokumentation, Hamburg (Junius) 1980.

Malet, Léo,Abattoir ensoleillé, Paris (Édition Fleuve noir) 1970.

Marie, Jean-Jacques, Le fils oublié de Trotsky, Paris (Éditions du Seuil) 2012.

Naville, Pierre, „Sur l‘assassinat de Rudolf Klement (1938), Avec deux lettres inédites de Trotsky”, in: Cahiers Léon Trotsky, Nr. 2, Paris (Institut Léon Trotsky) April-Juni 1979), S. 71-77.

Rogowin, Wadim S., 1937, Jahr des Terrors, Essen (Arbeiterpresse Verlag) 1998.

Ders., Die Partei der Hingerichteten, ebd. 1999.

Stettner, Ralf, ,Archipel GULag‛, Stalins Zwangsarbeitslager – Terrorinstrument und Wirtschaftsgigant, Entstehung, Organisation und Funktion des sowjetischen Lagersystems 1928-1956, Paderborn (Schöningh-Verlag) 1996.

Rudolf Klement zwangen seine Entführer im Juli 1938, einen von ihnen vorgefertigten Brief an Trotzki abzuschreiben, in dem er sich als „enttäuschten Anhänger“ Trotzkis präsentierte, der soeben „entdeckt“ habe, dass Trotzki mit den Hitlerfaschisten gegen Stalin kooperiere. [42] Dieser in deutscher Sprache abgefasste Brief, von dem vier maschinengeschriebene Kopien auch an Klements französische Genossen gingen und dessen Original Trotzki am 1. August in Coyoacan erhielt, wies so viele Ungereimtheiten auf, dass er leicht als Fälschung entlarvt werden konnte. [43] Gut möglich, dass Klement einige Schnitzer in den Text dieses Briefs hineinschmuggelte, um seinen Genossen auf diese Weise ein Zeichen zu geben …

Trotzki, der noch immer versuchte, den nur allzu gut kaschierten Mord an seinem Sohn Leo Sedow (Mitte Februar 1938) aufzuklären, [44] veröffentlichte sogleich auch eine gründliche Analyse des an ihn adressierten Briefs, den die NKWD-Mörder Klement zugeschrieben hatten. [45]

Nur Trotzki und Leo Sedow waren – als Zeitzeugen und Akteure, Historiker und Soziologen – in der Lage, Stalins Phantasmagorie, der viel zu viele Zeitgenossen Glauben schenkten, detektivisch ad absurdum zu führen. [46] Was sie nicht wissen konnten, war, dass Stalin und Jeschow, der im September des Jahres durch Berija „abgelöst“ wurde, zwischen März und Mai 1938 an die 3 000 in Workuta im Nord-Ural konzentrierte „Trotzkisten“ (darunter auch Leo Sedows jüngeren Bruder Sergei) hatten erschießen lassen. [47]

Trotzkis Analyse des Klement aufgezwungenen Briefs fand bald eine grässliche Bestätigung, als in der Seine zwei Pakete auftauchten, die Teile einer fachmännisch sezierten Leiche enthielten, deren Kopf nie gefunden wurde. Genossen von Klement konnten bestätigen, dass es sich um den Körper ihres Freundes handelte.

Wie ihr Meister im Kreml waren dessen Agenten besessen von der Furie des Verschwinden-Lassens. Manche ihrer Opfer wurden nie gefunden, von anderen (wie den Opfern der Moskauer Prozesse) wurden die Orte, an denen man sie verbrannt oder verscharrt hatte, erst nach Jahrzehnten bekannt. [48]

Klement hatte im Internationalen Sekretariat nicht nur mit dem Mitte September 1937 in Barcelona „verschwundenen“ Erwin Wolf, Trotzkis Sekretär in Norwegen in den Jahren 1935/36, sondern auch mit Mark Sborowski („Étienne“) zusammengearbeitet. Diesen hatte das NKWD im Frühjahr 1935 in die trotzkistische Organisation eingeschleust, wo er bald zu Leo Sedows engstem Vertrauten und Mitarbeiter geworden war.

Sborowski war einer von Stalins Meisterspionen. Er mimte erfolgreich jahrelang den überzeugten Trotzki-Anhänger, gab nach Sedows Ermordung das Bulletin der Opposition heraus und lieferte als NKWD-Informant Reiss, Sedow, Klement und andere ans Messer. [49] Beim Gründungskongress der IV. Internationale im September 1938 trat er als Repräsentant der ausgerotteten russischen Sektion auf. Mit seiner Hilfe war Stalin stets auf dem Laufenden über die trotzkistischen Organisationen, Trotzkis und Sedows Korrespondenzen und Trotzkis neueste Artikel. Die Verratene Revolution, die Trotzki in Norwegen, wo er seit Juni 1935 Asyl gefunden hatte, schrieb und am 5. August 1936 abschloss, konnte Stalin zum Beispiel schon wenig später in einer Kopie des russischen Typoskripts lesen …

Sborowski wurde von einigen Pariser Trotzkisten verdächtigt, ein GPU- bzw. NKWD-Agent zu sein, doch Trotzki vertraute auf die Urteilsfähigkeit seines Sohnes Leo Sedow. Es ist möglich, dass Klement unter anderem deshalb „aus dem Weg geräumt“ wurde, weil er Sborowski auf die Spur gekommen war. [50]

Auch Ramón Mercader, der künftige Trotzki-Mörder, tauchte im Sommer 1938 unter falschem Namen in Paris am Rande der trotzkistischen Gruppe auf, gab sich „politisch uninteressiert“ und mimte den Liebhaber der Übersetzerin Sylvia Ageloff, der er später nach Mexiko folgte, wo sie ihm arglos Zugang zum Hause Trotzkis verschaffte. [51]

Der von Klement abgeschriebene und unterzeichnete Brief-Text enthielt unter anderem eine bunte Liste von Namen, in der – Seite an Seite – GPU/NKWD-Agenten (wie Well) und deren Opfer (wie Nin), sowie Sympathisanten und Mitglieder der IV. Internationale figurierten, die sich wegen politischer Meinungsverschiedenheiten von ihr getrennt hatten. Dies Verwirrspiel des NKWD endete am Schluss des Briefes mit einer kaum verhüllten Drohung: „Ich gehe weg und räume meinen Platz für Walter Held ein.“ [52] In einem anderen, schaurigen Satz des Briefes, in dem scheinbar nur vom schlechten Zustand der IV. Internationale die Rede war, „gestanden“ die NKWD-Agenten zudem unfreiwillig, was sie mit dem Leichnam von Klement vorhatten: „Wegen Ihrer [Trotzkis] Führung hat die 4. Internationale mehrere Amputationen erlitten und ist jetzt nichts als ein Krüppel […].“ [53]

Tatsächlich teilte Stalins Geheimpolizei mit der Mafia die Praxis, ihre Opfer entweder – als Machtdemonstration – einfach (wie Reiss) am Straßenrand liegen oder sie auf geheimnisvolle Art „verschwinden“ zu lassen. Klements Leichnam wurde in Stücke zerteilt, diese in mit Gewichten beschwerte Bündel verpackt und in die Seine versenkt. Der Fluss gab aber diese Bündel bald wieder frei, und so kam das Verbrechen an den Tag. Der Kopf des Revolutionärs wurde nie gefunden, sei es, dass seine Henker ihn als Trophäe mitnahmen, sei es, dass ein Einschussloch allzu deutlich auf die übliche NKWD-Praxis hingewiesen hätte, sich der „Volksfeinde“ zu entledigen. [54]

Klements Ermordung war ein weiterer schwerer Schlag der Stalinisten gegen die Führung der IV. Internationale. Ein Jahr später schrieb Trotzki an James P. Cannon, den Führer der nordamerikanischen Socialist Workers Party (SWP): „Seit der Ermordung Klements hat unsere internationale Organisation praktisch aufgehört, zu existieren: Es gibt keine Bulletins, keinen Pressedienst, keine Rundschreiben – nichts.“ [55]


Vereeken und Trotzki über Klement


Georges Vereeken, der sich wegen der „entristischen“ Taktik, der Kritik an der spanischen POUM und der Gründung der Internationale mit Trotzki (und Klement) überwarf und den IS-Sekretär auch persönlich nicht mochte, hat sich Jahrzehnte später noch einmal ausführlich mit Klements „Verschwinden“ und dem gefälschten Brief auseinandergesetzt. Er kam zu dem Schluss, Klement sei entweder „GPU-Agent“ oder aber ein „Feigling“ gewesen. [56]

      
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Doch Klement war weder das eine, noch gar das andere. Wie die alten Revolutionäre, die unter Folter und in Angst um ihr Leben und das ihrer Angehörigen in den Schauprozessen für Stalins Staatsanwalt absurde „Geständnisse“ aufsagten, hoffte er, dass kein vernünftiger Mensch seinem „Brief“ an Trotzki Glauben schenken würde. Schweigend in den Tod zu gehen, ist heroisch, aber mehr, als Mit- und Nachwelt von einem Menschen verlangen können …

Hören wir noch, was Trotzki Klements Angehörigen im November 1938 über seinen Genossen zu sagen wusste:

„Rudolf war für einige Zeit (in der Türkei und in Frankreich) mein Mitarbeiter. Danach unterhielt ich einen freundschaftlichen Briefwechsel mit ihm. Rudolf blieb seiner Sache immer treu, und darum haben seine Feinde ihn getötet. […] Rudolf war sehr begabt. Wissenschaftlich hat er in den vergangenen acht Jahren viel zuwege gebracht. Er schrieb ausgezeichnete Artikel und kannte fast alle Sprachen der zivilisierten Welt. Er war uneigennützig und tapfer. Ich war sicher, er würde künftig noch eine bedeutende Rolle spielen. Der schreckliche Schlag [dem er zum Opfer fiel] hat mich und alle seine Freunde deshalb sehr erschüttert. Mehr kann ich Ihnen im Augenblick unglücklicherweise nicht sagen…“ [57]

(Wien, 1. Dezember 2020)



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 2/2021 (März/April 2021) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Benjamin, Walter, Über den Begriff der Geschichte, Werke und Nachlass, Kritische Gesamtausgabe, Bd. 19, Berlin (Suhrkamp) 2010,S. 18 f.

[2] Videlier, Philippe, „Wie Klement verschwand, Agenten, Verschwörer, Revolutionäre – eine politische Kriminalgeschichte“, Lettre International, Nr. 130, 2020, S. 59-73.

[3] „Videlier hat das Genre des historischen Romans [neu] erfunden; er erzählt die Wahrheit, als handele es sich um eine Fiktion“, schreibt der Verlag über Videliers Dernières nouvelles des bolcheviks, Paris (Gallimard) 2017.

[4] Padura, Leonardo, Der Mann, der Hunde liebte, Zürich (Unionsverlag) 2011.

[5] Vgl. dazu meinen Bericht über den im Mai 2019 in Havanna abgehaltenen Internationalen Trotzki-Kongress: „Cuba Libre in Havanna, Die Wiederentdeckung Trotzkis auf Kuba“, Theoriebeilage zuAvanti² von Juli/August 2019, S. 1-7.

[6] Lubitz, Wolfgang und Petra, „Rudolf Klement“, Bio-Bibliographical Sketch, 2005 (last rev. June 2016), https://trotskyana.net/Trotskyists/Bio-Bibliographies/bio-bibl_klement.pdf.

[7] Schlegel, Friedrich, 80. Athenäums-Fragment, in: Schlegel, Werke in zwei Bänden, Berlin, Weimar (Aufbau-Verlag) 1980, Bd. 1, S. 199.

[8] Videlier, a.a.O. (Anm. 2), S. 67. Bei dem Sympathisanten handelte es sich um Léo Malet. Vgl. dazu Malet (1988), S. 145-151 („Die Rudolf Klement-Affäre“).

[9] Zur LO vgl. Alles, Wolfgang, Zur Geschichte und Politik der deutschen Trotzkisten ab 1930, Köln (Neuer ISP-Verlag) 1994².

[10] Der frühere Labour-Politiker J. Ramsay MacDonald (der als „Vater der Appeasement-Politik“ gilt), hatte 1931 mit den Konservativen und einigen Liberalen eine nationale Koalitionsregierung gebildet. Von ihm wird der Ausspruch überliefert: „In Konstantinopel kommt [Trotzki] uns nicht ins Gehege […]. Wir haben alle vor ihm Angst.“ (Deutscher, Isaac, Trotzki, Bd. III, „Der verstoßene Prophet“, Stuttgart [Kohlhammer] 1963, S. 32.)

[11] Diese drei Bände erschienen, übersetzt von Alexandra Ramm-Pfemfert, 1929 und 1931/32 im Berliner S. Fischer-Verlag.

[12] Trotzki, Leo (1933), „Man muß von neuem kommunistische Parteien und eine Internationale aufbauen“, in: Trotzki, Schriften über Deutschland, Frankfurt (Europäische Verlagsanstalt) 1971, Bd. II, Text 52.

[13] Feferman, Anita Burdman, From Trotsky to Gödel, The Life of Jean van Heijenoort, Natick, Mass. (A. K. Peters, Ltd.) 1993, S. 69 und 91.

[14] Trotzki, L., Der junge Lenin, Wien (Molden) 1969.

[15] Henri Molinier, ein Genosse, „hatte nur mit einigen wenigen [Beamten der] Sicherheitspolizei verhandelt, und Trotzkis Aufenthaltsort tauchte auch nur in wenigen Dossiers auf. Nur ein oder zwei hohe Funktionäre kannten ihn […].“ van Heijenoort, Jean, Sept ans auprès de Léon Trotsky, De Prinkipo à Coyoacan. Paris (Les Lettres nouveaux/Maurice Nadeau) 1978, S. 99.

[16] Vgl. dazu Broué, Pierre und Témime, Émile, Revolution und Krieg in Spanien, [ins Deutsche übersetzt und bearbeitet von A. R. L. Gurland], Frankfurt (Suhrkamp) 1968, S. 374 f.

[17] Trotzki, zitiert nach Videlier, a. a. O. (Anm. 2), S. 67.

[18] Trotzkis französischer Anwalt hat uns einen Blick auf Klements Pariser Milieu werfen lassen: „Nach der Ausweisung Trotzkis blieb Klement in Frankreich und leistete eine überaus nützliche Arbeit. Er half bei der Sicherung der internationalen Verbindungen, vor allem mit den deutschen [Trotzkisten]. Untergebracht war er bei Freunden, die der Organisation nahestanden. Das war [zum Beispiel] der charmante Musiker Robert Caby, Eric Saties Meisterschüler, der den Komponisten der Parade und des Sophocle jede Nacht zu Fuß zu seinem Haus in Arcueil zurückbegleitet hatte. Caby, dem Pottiers und Degeyters berühmte Internationale überhaupt nicht gefiel, hatte eine Hymne auf die IV. Internationale komponiert. Zu diesem Kreis gehörte auch der Surrealist Léo Malet.“ (Rosenthal, Gérard, Avocat de Trotsky, Paris (Robert Lafont) 1975, S. 276.) [Das Libretto zu dem „realistischen“ Ballett Parade schrieb Jean Cocteau 1916/17; es wurde von Tänzern der Truppe Diaghilews, „Ballets Russes“, inszeniert. Apollinaire fand in seinen Programmnotizen zu Parade (anders als Cocteau), es handele sich um ein „sur-réales“ Stück. Auch Cocteaus La Danse de Sophocle (1912) hat Satie vertont. – Malet gesellte sich in den dreißiger Jahren als Lyriker zu den Surrealisten um Breton und wurde später als Autor einer ganzen Serie von Kriminalromanen bekannt, die in Paris spielten und deren Held der Privatdetektiv „Nestor Burma“ war.]

[19] Trotzki, Verratene Revolution, Was ist die UdSSR und wohin treibt sie? Überarbeitet und kommentiert in: Trotzki, Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur, Schriften Bd. 1.2 (1936-1940), Text 36, Hamburg (Rasch und Röhring) 1988, S. 687-1011.

[20] Sedow, Leo, Rotbuch über den Moskauer Prozeß [1937], Dokumente, gesammelt und redigiert von L. Sedow, Frankfurt (ISP-Verlag) 1988. Rudolf Klement hat das Rotbuch ins Deutsche übersetzt. (Vgl. Alles, W., a. a. O. [Anm. 9], S. 248.) – Nach dem Mord an Ignaz Reiss riet der besorgte Klement Trotzki und Natalia in einem Brief (vom 5.11.1937), ihren Sohn, L. Sedow, aus Paris nach Mexiko in Sicherheit zu bringen. (Vgl. Deutscher, Trotzki, Bd. III, a. a. O. [Anm. 10], S. 365 und S. 520.)

[21] Trotzki, Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale,Das Übergangsprogramm, in: Trotzki, Das Übergangsprogramm, Essen (Arbeiterpresse Verlag) 1997, Teil II.

[22] Klement (W. Steen) hatte in der ersten Ausgabe der von ihm ins Leben gerufenen Theorie-Zeitschrift Der einzige Weg einen Artikel „Zu den Aufgaben des Proletariats im Kriege“ veröffentlicht, in dem er die Kriegspolitik der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Organisationen in verschiedenen Konstellationen kriegführender Staaten umriss – im Fall eines Krieges unter imperialistischen Mächten, eines Krieges zwischen imperialistischen Staaten und der Sowjetunion (oder anderen „Arbeiterstaaten“), eines Kolonial- oder Unabhängigkeitskrieges beziehungsweise einer Kombination solcher Konflikte. Trotzki empfahl allen Sektionen der Internationale die Übersetzung und Publikation von Klements Artikel: Trotzki, „An excellent article on defeatism“ (26.1.1938), in: Writings of Leon Trotsky [1937-38], New York (Pathfinder Press) 1970, S. 153 f. – Klement knüpfte an einen Artikel Trotzkis aus dem Jahr 1934 und an dessen Erklärung zur Defaitismus-Frage vor der Dewey-Kommission (1937) an: Trotzki, Der Krieg und die IV. Internationale, in: Trotzki, Linke Opposition und IV. Internationale (1928-1934), Schriften, Bd. 3.3. Köln (Neuer ISP-Verlag) 2001, Text 102. – The Case of Leon Trotsky, Report of the Hearings on the charges made against him in the Moskow Trials (1937), New York (Merit Publishers) 1968, 8. Sitzung, S. 287-300.

[23] Victor Serge erinnerte sich 1951 an ein Zusammentreffen mit Klement im Februar 1937, beim Begräbnis von Leo Sedow: „Ein magerer und blasser, ärmlich gekleideter junger Mann mit länglichem Gesicht [drückte mir] die Hand; er trug einen Kneifer vor den durchdringenden und zurückhaltenden grauen Augen. Ich hatte diesen jungen Doktrinär in Brüssel gekannt, und wir hatten uns nicht verstanden […]. Er entfaltete, um eine schwache Organisation ins Leben zu rufen, eine fanatische Tätigkeit, nicht ohne dabei grobe politische Fehler zu begehen […].“ (Serge, Victor, Beruf: Revolutionär, Erinnerungen 1901-1917-1941, Frankfurt (Fischer) 1967, S. 88.)

[24] Vgl. dazu Trotzkis Artikel „La Police Française ne cherche pas la vérité“ (24.8.1938), Punkt 11, in: Trotsky, Œuvres, Bd. 18, o. O. [Grenoble] (Publications de l’Institut Léon Trotsky) 1984, S. 251 f.

[25] Deutscher, Trotzki, Bd. III, a. a. O. (Anm. 10), Kap. 5, S. 388 f.

[26] Jeschows Nachfolger seit November 1938, L. P. Berija, ebenfalls ein sadistischer Folterknecht, der u. a. für das Katyn-Massaker (im April/Mai 1940) an polnischen Kriegsgefangenen und für Zwangsumsiedlungen „illoyaler“ Nationalitäten verantwortlich war, ereilte erst im Dezember 1953 das Schicksal seiner Vorgänger.

[27] Die (seit den neunziger Jahren mit den Angaben in russischen Archiven vergleichbaren) Schätzungen der Anzahl der Opfer der „Jeschowschtschina“ – und der Stalin-Diktatur insgesamt – gehen noch immer weit auseinander. Im „Großen Terror“ der Jahre 1936-38 wurden (mindestens) eine (oder gar anderthalb) Million(en) Menschen erschossen, 1.5 oder 2.5 Millionen verhaftet. Hinzu kamen ungezählte Opfer bei den Gefangenentransporten in die Verbannungsgebiete und bei der Zwangsarbeit. Die zivilen Opfer der Stalinära (1929-1953) in Friedenszeiten werden auf 15 bis 25 Millionen Menschen geschätzt.

[28] Vgl. dazu meine Broschüre Die Moskauer Prozesse 1936-1938 und Stalins Massenterror, Pankower Vorträge, Heft 124, Berlin (Helle Panke) 2008. Dass. in: Dahmer, Helmut, Divergenzen, Münster (Westfälisches Dampfboot) 2009, S. 488-520.

[29] Gegen Ende des ersten der großen Schauprozesse im August 1936 gab Stalin – von seinem Urlaubsort Sotschi aus – seinem Vertrauten, dem Politbüro-Mitglied L. M. Kaganowitsch, Anweisung, die vom Gerichtsvorsitzenden W. W. Ulrich formulierten Urteile „stilistisch aufzupolieren“: „In einem eigenen Absatz muss darauf hingewiesen werden, dass Trotzki und Sedow ebenfalls der Prozess gemacht werden soll oder sie vor Gericht gestellt werden sollen oder etwas in dieser Art. Das ist von großer Bedeutung für Europa, für die Bourgeoisie und die Arbeiter …“ (Zitiert nach: Rayfield, Donald, Stalin und seine Henker, München [Karl Blessing-Verlag] 2004, S. 336.)

[30] „Die IV. Internationale und die UdSSR“ (8.7.1936); in: Trotzki, Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur, 1929-1936. Schriften, Bd. 1.1, Hamburg (Rasch und Röhring) 1988, Text Nr. 35, S. 676 f.

[31] P. A. Sudoplatow, der mit der Ermordung Trotzkis beauftragte NKWD-Agent – und Agentenführer Leonid (Naum) Eitingons – berichtete (1994) über ein Gespräch mit Berija und Stalin im März 1939 im Kreml: „Berija regte an, mir die Koordination sämtlicher antitrotzkistischer Operationen des NKWD anzuvertrauen, um der Leitung der trotzkistischen Bewegung den Todesstoß zu versetzen.“ Er sagte, „,Trotzki und seine Anhänger stellten eine erhebliche Herausforderung für die Sowjetunion dar, da sie mit uns um die Führung der kommunistischen Weltrevolution wetteiferten.’“ Stalin bemerkte dazu: „In der trotzkistischen Bewegung gibt es neben Trotzki selbst keine bedeutenden politischen Größen. Mit seiner Beseitigung ist auch die Gefahr beseitigt.“ (Sudoplatow, P. A., und Sudoplatow, A., Der Handlanger der Macht, Enthüllungen eines KGB-Generals, Düsseldorf [Econ-Verlag] 1994, S. 108.) – Entsprechend hatte Stalin sich schon im November 1937 gegenüber dem Generalsekretär der Komintern, Georgi Dimitroff, und dem chinesischen Kommunisten Wang Ming, einem jungen Rivalen Mao Zedongs, über die chinesischen Trotzkisten geäußert: „Die Trotzkisten muss man ständig jagen, sie erschießen, ausrotten. Das sind weltweit [operierende] Provokateure, die übelsten Agenten des Faschismus.“ (Kotkin, Stephen, Stalin, Bd. II; New York, London [Penguin Random House] 2017, S. 469. Entsprechend Marie, Jean-Jacques, Trotsky, Révolutionnaire sans frontières, Paris (Payot & Rivages) 2006, S. 502.)

[32] „Wahnbildungen haben eine Struktur, die der von Halluzinationen ähnlich ist. Sie sind Fehlurteile über die Realität, die auf Projektionen beruhen. […] Wie bei den Halluzinationen handelt es sich bei ihnen gelegentlich um Wunscherfüllungen, häufiger aber sind sie schmerzhaft und beängstigend. Da sie einen Versuch darstellen, die verlorenen Teile der Realität zu ersetzen, enthalten sie oft Elemente dieser zurückgewiesenen Realität, die nichtsdestoweniger wiederkehren […].“ Fenichel, Otto, Psychoanalytische Neurosenlehre, Olten/Freiburg (Walter Verlag) 1975, Bd. II, S. 327.

[33] „Kintos“ wurden Ganoven aus der Tifliser Unterwelt genannt. Trotzki schrieb in seiner Stalin-Biographie: „Im Jahre 1927 wurden die offiziellen Sitzungen des Zentralkomitees [der KPdSU] zu widerlichen Schaustellungen. […] Der Regisseur war Stalin. […] Bei einer solchen Gelegenheit erinnerte sich jemand daran, wie Philipp Macharadse, einer der alten Mitarbeiter Stalins, diesen einmal charakterisiert hatte: ,Er ist einfach ein ,,Kinto’’!’“ Trotzki, Stalin, Eine Biographie, Bd. II. Reinbek (Rowohlt) 1971, Nachtrag II („Ein Kinto an der Macht“), S. 261.

[34] „Der Alte vom Berge“, Raschid ad-Din Sinan, war ein Anführer der ismailitischen Assassinen in Syrien, der zur Zeit des 3. Kreuzzugs im 12. Jahrhundert zwischen dem sunnitischen Sultan Saladin und den Kreuzfahrern lavierte. Gefürchtet waren die auf ihre Aufgabe sorgsam vorbereiteten, religiös motivierten Attentäter, die Sinan aussandte, um seine jeweiligen Gegner umzubringen. Sie warteten oft Jahre als „Schläfer“, erschlichen sich „Vertrauen und Zugang“ und konnten „jederzeit aktiviert werden. Der Tod der Attentäter, die meist an öffentlichen Plätzen mit Messern zuschlugen, war Teil des Kalküls der Verbreitung von Terror und Abschreckung.“ Wikipedia-Artikel „Raschid ad-Din Sinan“ (Version vom 7.11.2020). – Der neue „Sinan“ im Kreml übertraf seinen historischen Vorgänger bei weitem. In der Zeit des „Großen Terrors“ pflegte er mit Molotow und ein paar anderen Kumpanen Exekutionslisten zu unterzeichnen, in denen mitunter Hunderte, manchmal auch Tausende von Namen aufgeführt waren …

[35] Dahmer, Prozesse, a. a. O. (Anm. 28), S. 13 und ders, Divergenzen, a.a.O. (Anm. 28), S. 496.

[36] So Alfred Rosmer in einem Brief (vom 8.8.1938) an Trotzki nach dem „Verschwinden“ von Klement. Trotsky, Léon, Rosmer, Alfred et Marguerite, Correspondance 1929-1939, Paris (Gallimard) 1982, S. 246.

[37] Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki), Kurzer Lehrgang, Moskau 1938.

[38] Trotsky, Leon, The Stalin School of Falsification, (hg. von Max Shachtman), New York (Pioneer Publishers) 1962.

[39] Vgl. dazu Trotzkis Aufruf zu einer „Offensive gegen den Stalinismus“ vom 2.11.1937: „Es ist Zeit, international gegen den Stalinismus vorzustoßen, Brief an alle Arbeiterorganisationen“, in: Trotzki, Sozialismus oder Barbarei! Eine Auswahl aus seinen Schriften, Wien (Promedia) 2005, S. 118-123 (und S. 159). Ferner: Trotsky, „The Comintern and the GPU, The attempted assassination of May 24 and the Communist Party” (17.8.1940), in: Writings of Leon Trotsky[1939-40], New York (Pathfinder Press) 1973, S. 348-391.

[40] Vgl. dazu Tosstorff, Reiner, Die POUM in der spanischen Revolution, Karlsruhe (Neuer ISP-Verlag) 2006.

[41] Darum ging es Stalins Killern, die 1937 in Spanien Andreu Nin und Erwin Wolf umbrachten, ebenso wie ihren russischen NKWD-„Kollegen“, die im Frühjahr 1938 im Lager Workuta Trotzkis früheren Sekretär Posnanski vergeblich „auf abscheuliche Weise folterten, um von ihm Aussagen zu erlangen, die Trockij kompromittieren könnten“. (Marie, Jean-Jacques, „Der Widerstand der Trotzkisten im GULag 1936 bis 1938: Der Hungerstreik und das Massaker in Vorkuta“; in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung, Berlin [Aufbau-Verlag] 2007, S. 134.) Auch der NKWD-Truppe, die im Juli desselben Jahres Rudolf Klement in Paris kidnappte und verschwinden ließ, ging es um ein „Zeugnis“ der Komplizenschaft Trotzkis mit den Nazis.

[42] Zwei Jahre später gab sich dann auch der stalinistische Agent und Trotzki-Mörder Ramon Mercader für einen „enttäuschten“ Trotzki-Anhänger aus. Wie der tote Klement sollte der lebende Mercader den phantastischen Anschuldigungen, die Stalins Wyschinski in den Moskauer Schauprozessen gegen die Revolutionsführer von 1917 erhoben hatte, so etwas wie „Glaubwürdigkeit“ verleihen.

[43] Der gefälschte Brief an Trotzki wurde mit einem Kommentar in der Emigrations-Zeitung der IKD Anfang Oktober 1938 vollständig dokumentiert: „Das neue G.P.U.-Verbrechen in Paris: Die Entführung des Genossen Rudolf Klement“, Unser Wort, Zeitung der I.K.D., 6. Jg., Anfang Oktober 1938, S. 2 und 3.

[44] Trotsky, „L’enquête sur la mort de Leon Sedov“ [au juge Pagenel], (19.7.1938), „La police française ne cherche pas la vérité” [au juge Pagenel] (24.8.1938), in: Trotksy, Œuvres, Bd. 18, a. a. O. (Anm. 23), S. 153-159 und S. 246-253.

[45] Trotsky: „La disparition de Rudolf Klement” (18.7.1938), „Une ,lettre‛ de R. Klement?“ (1.8.1938), „La prétendue lettre de Klement“ (4.8.1938), in: Trotsky, Œuvres, Bd. 18, a. a. O. (Anm. 24), S. 144 f., S. 215 f. und S. 218-229.

[46] Trotzki, Stalins Verbrechen, Zürich (Jean Christophe-Verlag) 1937.

[47] Marie, Jean-Jacques, a. a. O. (Anm. 41), S. 117-136. – Broué, Pierre, Communistes contre Staline, Massacre d’une génération, Paris (Fayard) 2003, Kap. 20-22. Broué schätzt (S. 337) die Zahl der in Magadan und Workuta umgebrachten politischen Häftlinge, die als „Trotzkisten“ bezeichnet wurden und in ihrer Mehrheit auch wirklich Trotzki-Anhänger waren, auf 6 000.

[48] Stalins Geheimpolizei hat den Kollaps der Sowjetunion überlebt. Ihre Nachfolgeorganisation, der FSB, residiert noch immer im alten Zentrum des Schreckens, der Moskauer Lubjanka, in der ungezählte Opfer gefoltert und erschossen wurden, und hält mit Hilfe von etwa 350 000 Agenten die Russische Föderation unter Kontrolle. Der FSB hat auch Jagodas und Berijas Arsenal (Gift, Dolch, Revolver, Handgranaten) geerbt und um Spezialitäten wie Polonium und Nowitschok bereichert. Einer aus ihren Reihen hat sich zum Beherrscher Russlands aufgeschwungen. Er leidet zwar nicht, wie Stalin, an Verfolgungswahn und führt auch nicht wie jener Krieg gegen die eigene Bevölkerung; doch setzt er, wie in alten Tagen, seine Attentäter auf Oppositionelle an, die er für gefährlich hält (Anna St. Politkowskaja, Boris J. Nemzow, Alexei A. Nawalny …), und auf „Verräter“ und „Überläufer“ (wie Alexander W. Litwinenko oder Sergei W. Skripal). Vgl. dazu auch meine Artikel „Nachrichten aus Russland“ und „Auftragskiller unterwegs“, in: Dahmer, Helmut, Interventionen, Revolutionen, Regressionen, Interpretationen, Münster (Westfälisches Dampfboot) 2012, S. 153-157.

[49] Sborowski, der „Meistersimulant“ (Deutscher, Trotzki, Bd. III, a. a. O. [Anm. 10], S. 457), wurde erst in den fünfziger Jahren in den USA enttarnt. (Vgl. dazu das Kapitel 26 [„Étienne“] in Gérard Rosenthals Avocat de Trotsky, a. a. O. [Anm. 18], S. 261-273.)

[50] Léo Malet hatte einen anderen Verdacht: „Es darf angenommen werden, dass Rudolf Klement aus Zufall oder aus Intuition etwas über [Ramón Mercader] herausgefunden hatte und dass man ihn zum Schweigen brachte, um nicht die Durchführung [eines] Plans von höchster Wichtigkeit, der erst in seinen Anfängen steckte“ – nämlich die Ermordung Trotzkis – „aufs Spiel zu setzen.“ (Malet, Léo, Stoff für viele Leben, Autobiographie, Hamburg [Edition Nautilus, Verlag Lutz Schulenburg] 1990, S. 151.)

[51] Isaac Don Levine (ders., The Mind of an Assassin, New York (Farrar, Straus and Cudahy) 1959, S. 53) und Isaac Deutscher, Trotzki, Bd. III, a. a. O. [Anm. 10], S. 458) verdächtigten Mercader, den im Spanischen Bürgerkrieg zum Nahkämpfer ausgebildeten NKWD-Agenten, der bei Bekannten mit seinen Tranchier- und Sezierkünsten und seiner Zuschlagkraft prahlte, des Mordes an Klement. Sudoplatow nannte 1994 (a. a. O. [Anm. 31], S. 333) Alexander Taubman („Semjonow“) als „einen der Helfer bei der Liquidation von Rudolf Klement in Paris 1938“. In der amerikanischen Originalausgabe des Buches von Sudoplatow verweist er auf einen weiteren NKWD-Agenten, „einen früheren Offizier der türkischen Armee“, der in Paris bereits gemeinsam mit Aleksander Korotkow den abtrünnigen NKWD-Mann Agabekow umgebracht hatte: „Unser junger Agent Ale Taubman […], ein litauischer Jude, war anderthalb Jahre lang Klements Assistent.“ Eines Abends lud er Klement zu einem Essen (in einer Wohnung am Boulevard St. Michel) ein, „wo ihn der Türke und Korotkow erwarteten. Der Türke erdolchte ihn und schnitt ihm den Kopf ab …“ (Pavel Sudoplatov, Anatoli Sudoplatov, Jerrold L. Schecter, Leona P. Schecter, Special Tasks: The Memoirs of an Unwanted Witness — A Soviet Spymaster, Boston (Little, Brown and Company) 1994, S. 48.) Die Seiten 47-49 fehlen in der deutschen Ausgabe der Sudoplatow-Memoiren. (Für den Hinweis darauf danke ich Horst Lauscher.) Über die Identität des „Türken“ ist weiter nichts bekannt … 51 Walter Held (d. i. Heinz Epe), einer der besten Köpfe der neuen Internationale, war 1935/36 Mitarbeiter Trotzkis in Norwegen. Als Hitlers „Wehrmacht“ das Land besetzte, floh er nach Schweden und „beging [Anfang 1941] den tödlichen Fehler, sich dazu überreden zu lassen, wie […] andere Flüchtlinge über die UdSSR nach Amerika zu gelangen“, schrieb Natalia Sedowa (zitiert nach Serge, Victor, LeoTrotzki, Leben und Tod, Wien (Europaverlag) 1978, S. 314 f.). Broué teilt mit, dass Held (mit seiner Frau und ihrem kleinen Sohn) in Saratow aus dem Zug geholt wurde und dass Stalin dann das längst von Hitler über Held verhängte Todesurteil vollstrecken ließ. (Broué, Pierre, „Quelques proches collaborateurs de Trotsky“, in: Cahiers Léon Trotsky, Nr. 1, 1979, S. 83 f.)

[52] Walter Held (d. i. Heinz Epe), einer der besten Köpfe der neuen Internationale, war 1935/36 Mitarbeiter Trotzkis in Norwegen. Als Hitlers „Wehrmacht“ das Land besetzte, floh er nach Schweden und „beging [Anfang 1941] den tödlichen Fehler, sich dazu überreden zu lassen, wie […] andere Flüchtlinge über die UdSSR nach Amerika zu gelangen“, schrieb Natalia Sedowa (zitiert nach Serge, Victor, LeoTrotzki, Leben und Tod, Wien (Europaverlag) 1978, S. 314 f.). Broué teilt mit, dass Held (mit seiner Frau und ihrem kleinen Sohn) in Saratow aus dem Zug geholt wurde und dass Stalin dann das längst von Hitler über Held verhängte Todesurteil vollstrecken ließ. (Broué, Pierre, „Quelques proches collaborateurs de Trotsky“, in: Cahiers Léon Trotsky, Nr. 1, 1979, S. 83 f.)

[53] Die Zitate aus „Klements“ Brief an Trotzki werden hier nach der Dokumentation dieses (in deutscher Sprache abgefassten) Schreibens in dem nicht gezeichneten Artikel „Das neue G.P.U.-Verbrechen in Paris …“, a. a. O. (Anm. 43) angeführt.

[54] NKWD-Chef Jeschow war im August 1936 Zeuge der Erschießung von Sinowjew, Kamenjew und I. N. Smirnow. Nach seiner Verhaftung am 10.4.1939 „entdeckte das NKWD […] grauenhafte Andenken: vier benutzte Revolverkugeln, eingewickelt in Papier mit der Aufschrift ,Kamenev‘, ,Sinowjew‘, ,Smirnow‘ (auf den man zwei Mal geschossen hatte.“ (Rayfield, Donald, a. a. O . [Anm. 29], S. 404.) – Entsprechend Montefiore, Simon Sebag, Stalin, Am Hof des roten Zaren. Frankfurt (Fischer) 2005, S. 339. – Wie Stalin und Berija im November 1941, als Hitlers Truppen weit in die Sowjetunion vorstießen, sicherstellten, dass von Christian G. Rakowski, dem alten Freund und Mitkämpfer Trotzkis, keine Spur bleibe, schildert Broué: Im Gefängnis von Orjol wurden 170 überlebende politische Gefangene, unter ihnen Rakowski, gefangen gehalten, die nun zum Tode verurteilt und am 11.9.1941 von NKWD-Truppen außerhalb der Stadt erschossen wurden. Unter ihnen waren auch Trotzkis Schwester, Olga D. Kamenjewa, und die Altbolschewistin und Trotzkistin Warsenika D. Kasparowa. „Rakowski starb aufrecht. Da man nie vorsichtig genug sein kann, war er geknebelt worden. Es gab genaue Anweisungen, wie weiter zu verfahren sei: Der Leichnam sollte entkleidet und der Körper in mehrere Stücke zerteilt werden; diese sollten dann so verstreut werden, dass niemand sie finden könne …“ (Broué, Pierre, Rakovsky ou la Révolution dans tous les pays, Paris [Fayard] 1996, S. 383 f. Siehe auch: Broué, a. a. O. [Anm. 47], S. 338 ff.)

[55] „Propositions pour l’Internationale“ (26.7.1939), in: Trotsky, Œuvres, Bd. 21, S. 313 f.

[56] Vereeken, Georges, The GPU in the Trotskyist Movement, New York (New Park Publications) 1975, S. 318.

[57] „No doubts about Rudolf Klementʾs fate” (29.11.1939), in: Writings of Leon Trotsky, Supplement (1934-40), New York (Pathfinder Press) 1979, S. 816 f. Trotzkis Briefe vom 29.11.1939 und vom 2.8.1940 waren an Margarethe Ruthe, die Schwester von Klements Mutter, gerichtet.

[58] Artikel und Bücher, die in den Anmerkungen zu diesem Text nicht angeführt sind. (H. D.)