Die Trucker-Bewegung in Kanada ist ein Reflex der Ablehnung der Null-Covid-Politik durch die Linke.
Marc Bonhomme
Die Bewegung der selbständigen LKW-Fahrer*innen ist eine rechtsextreme Bewegung, die – so kann man es sagen – die Frustration der Bevölkerung wegen des neoliberalen Pandemie-Managements „Alles für die Wirtschaft – nichts für die Gesundheit, die Toten sind uns egal“ durch die Bundes- und Provinzregierungen von Kanada aufgreift.
Die heterogenen Ideologien dieser extremen Rechten, von staatsfeindlichem Libertarismus über patriarchalisch-christlichen Fundamentalismus bis hin zu elitärer Esoterik und vor allem migrationsfeindlichem und rassistischem Identitarismus, ermöglichen ein weites Auswerfen der Netze. Dieses Abfischen ermöglicht es, unzufriedene und frustrierte Menschen unter der Führung so genannter charismatischer Führer*innen zusammenzuführen, die erbittert um den ersten Platz kämpfen. Auf jeden Fall „ist es eine zutiefst nicht-egalitäre Weltanschauung, die sich auf die ‚Aussonderung der Schwächsten‘ konzentriert“, analysiert Martin Geoffroy [Soziologe und Direktor von CEFIR]. „Wir haben da das ganze eugenische Denkmuster, das für die extreme Rechte typisch ist. Es ist das Gesetz des Stärkeren … oder von dem, der denkt, er sei der Stärkste!“, sagt er. […] „Das heißt: ‚Die Alten, lasst sie sterben!‘“ [1]
Ottawa, 12. Februar 2022 Foto: Maksim Sokolov |
Diese Bewegung kommt nicht aus dem Nichts. Von der tödlichen „Freiheit“ der Klimaleugner*innen zur „Freiheit“ der Gegner*innen von Corona-Maßnahmen als Reaktion auf das neoliberale Management dieser Krisen ist es nur ein Schritt. Er wird von den Führer*innen der extremen Rechten gegangen, deren soziale Basis die kleinen Unternehmer*innen sind, die vorgaukeln, für eine Mehrheit des Volkes zu sprechen. Hinzu kommt die stillschweigende Duldung durch die Polizei und die meisten rechtskonservativen Politiker:
„Der ‚Konvoi der Freiheit‘, der Ottawa seit Freitag lahmlegt, sieht nicht nur aus wie die ,United-We-Roll‘-Bewegung [Pro-Benzin- und Anti-Kohlenstoffsteuer von 2019, Anm. d. Aut.]: Er ist seine Fortsetzung. Tamara Lich, die die GoFundMe-Crowdfunding-Kampagne ins Leben gerufen hat, die inzwischen mehr als 10 Millionen US-Dollar eingebracht hat, und Patrick King, der Mobilisierer aus Alberta und Autor von viralen Tiraden über eine angelsächsische Rassenüberlegenheit, sind zwei der Veteranen der Gelbwesten-Bewegung, die laut kanadischem Anti-Hass-Netzwerk hinter dem aktuellen Konvoi stecken. Wie im Jahr 2019 eignet sich der ‚Konvoi der Freiheit‘ ein populäres und populistisches Anliegen an, um Unterstützung über sein eigenes Umfeld hinaus zu generieren. […]
Man erzählt uns jedoch immer noch, dass es sich um eine Bewegung von Truckern handele, auch wenn diese zu fast 90 % geimpft sind und der kanadische Truckerverband den Konvoi missbilligt. […] Indem sie Daumen-hoch-Fotos mit Demonstranten machten und der Belästigung von Bürgern und Journalisten freien Lauf ließen, haben die Polizeibeamten von Ottawa die Bewegung ermutigt, die nun plant, die Innenstädte von Toronto und Québec [und Vancouver, Anm. d. Aut.] in den kommenden Tagen zu blockieren. Und indem sie wiederholen, ohne es zu beweisen, dass dies eine Bewegung von und für Trucker sei, haben die Konservativen von Alt-Right geholfen, Millionen von Dollar aufzubringen, die sicherlich teilweise in ihre zukünftigen Projekte fließen werden.“ [2]
„Die Mobilisierung von Truckern diente als Katalysator, um die Führungskrise der Konservativen Partei Kanadas, der offiziellen Opposition in Ottawa, voranzutreiben, die mit ihrem schlechten Abschneiden bei den Bundestagswahlen 2021 begann. Deren Chef Erin O’Toole musste zurücktreten, nachdem er lange mit einem Treffen mit einer Trucker-Delegation abseits des Parlamentshügels gezögert hatte, was beide Flügel der Partei verärgerte. Die Fusion zwischen der traditionellen (widersprüchlich benannten) Progressive Conservative Party of Canada und der westkanadischen Canadian Alliance im Jahr 2003 hat die zwischen den ‚Red Tories‘ und der harten Rechten hin- und hergerissene konservative Partei nie wirklich vereint. Sofort kandidierte der doktrinär-libertäre finanzpolitische Sprecher Pierre Poilievre, der die Trucker eindeutig unterstützte, für die Führung“. [3]
Diese reaktionäre Bewegung füllt die Lücke des Schweigens der Linken, die nie für eine (Fast-) Null-Covid-Politik wie in Neuseeland eingesetzt hat (10 Covid-Todesfälle pro Million, verglichen mit 902 in Kanada und 1564 in Québec [Deutschland: 1430, Anm. d. Üb.], Stand 4. Februar 2022). Dennoch ist Neuseeland eine neoliberale Wirtschaft, die sehr offen ist, aber ihre Grenzen streng kontrolliert hat. Dieser Erfolg hat nichts damit zu tun, dass es sich um eine Insel handelt, wie uns der parlamentarische Arm der Unabhängigkeitsbefürworter*innen weismachen will, der immer nach Ausreden sucht, um die Katastrophe in Québec zu rechtfertigen. Dieses Land ist nicht das einzige, dem es besser geht als Québec. Neuseelands Leistung ist vergleichbar mit der von China (3), Taiwan (36), Südkorea (134), Japan (152) und deutlich besser als die von Norwegen (268) und Finnland (371). (Un)glücklicherweise schneidet Québec gut ab im Vergleich mit den USA, dem Klassenletzten (2708) unter den führenden Ländern, und etwas besser ab als die EU (2158), dem Klassenzweitletzten. Dieses tödliche Pandemiemanagement von Klassenletztem und Klassenzweitletztem, das mangels einer globalen Null-Covid- Strategie und der Aufhebung der Impfstoffpatente zulässt, dass sich immer neue Virus-Varianten vermehren, isoliert Neuseeland und andere, was diese zweifellos letztendlich zu einem schwierigen Kurswechsel verurteilen wird.
Todesfälle pro Kopf während der Omikron-Welle New York Times vom 2. Februar 2022 |
Um die pandemiebedingten Todesfälle zu rechtfertigen, sagen Zentristen von rechts und links, Wirtschaft und Gesundheit müssten ausbalanciert werden, und blenden dabei aber diejenigen aus, die aufgrund des überlasteten Gesundheitssystems und der Erschöpfung seiner Mitarbeiter*innen vorzeitig an anderen Ursachen sterben. Die Schätzung des Economist [4] zur Zahl der Übersterblichkeit gegenüber dem Normalwert ergibt eine Summe von 6 000 bis 10 000 Todesfällen pro Million oder 228 000 bis 380 000 Todesfälle insgesamt für Kanada gegenüber einem negativen Wert für Neuseeland wegen der Verringerung der sozialen Aktivitäten und der Hygienemaßnahmen. Dennoch waren die vom The Economist [5] berechneten sogenannten Normalaktivitätsindizes im Vergleich zur Situation vor der Pandemie in Neuseeland (und China) etwas höher als in Kanada. Es wäre schwierig, sich die Entstehung einer ablehnenden Reaktion auf Hygienemaßnahmen im Kontext einer erfolgreichen Gesundheitspolitik vorzustellen.
Diese Grafik aus der New York Times vom 2. Februar 2022 zeigt deutlich, dass Omikron tötet. Es ist eine Pandemie, die vor allem ältere und immungeschwächte Menschen tötet, und ja, die Ungeimpften, die jedoch von ideologischen „Impfverweigerern“ zu unterscheiden sind. Nicht vergleichbar mit einer einfachen Erkältung. Dies erfordert die Aufrechterhaltung von Hygienemaßnahmen in einem Null-Covid-Geist.
Wer dies nicht tut, macht sich am Mord mitschuldig. Die Regierungen von Kanada und noch mehr der USA und der EU sind mörderische Regierungen. Sie geraten immer mehr ins Schlepptau der extremen Rechten, die die „Freiheit“ der Ausbeutung und Unterdrückung beanspruchen, so wie es die kleinen Bosse wollen (mit der Unterstützung jener Beschäftigten, die sich im Stich gelassen fühlen). Diese sogenannte Mittelklasse steckt zwischen dem Hammer der Milliardäre und Milliardärinnen, die durch die Pandemie reicher denn je gemacht werden, [6] und dem Amboss der Jo-Jo-Pandemiepolitik der Regierungen, die sie verarmt und zugleich an ihren Nerven zerrt.
Von einer Null-Covid-Strategie ist bei QS (und auch bei der NDP/NPD auf Bundesebene) keine Rede. Dazu die Nachrichtenagentur La Presse canadienne [7]: „Wie der umstrittene Éric Duhaime [Führer der rechtsextremen Konservativen Partei von Quebec, die in Umfragen gerade einen kometenhaften Aufstieg erlebt, Anm. d. Aut.] glauben die Parti québécois (PQ) und Québec solidaire (QS), [8] es sei ‚nicht normal‘, so strenge Einschränkungen zu erdulden, wo doch so wenige Patienten ausreichen, das Gesundheitssystem zu überlasten.“ [9] Wenn sich QS in solch schlechter Gesellschaft befindet, dann deshalb, weil sie angesichts der Krise im Gesundheitssystem nichts anderes tun kann, als frühere Kürzungen zu verurteilen und gleichzeitig unausgegorene Korrekturen vorzuschlagen, von denen einige widersinnig sind wie die auf ihrer Website vorgeschlagenen „Ticket-Restaurants“. Ein Alternativplan hätte ein Gefühl der Hoffnung und einen Weg zur Mobilisierung geschaffen, was auch der psychischen Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung zugutegekommen wäre, die jetzt stattdessen vom Ruf der Rechtsextremen nach „Freiheit“ angelockt wird.
Welcher Alternativplan? Wir können/müssen die Pandemie nutzen, um den Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft zu beginnen und nicht zurück zu einer auf BIP-Wachstum basierenden Wirtschaft zurückzukehren Solange das Gesundheitssystem am Rande des Zusammenbruchs steht – und es wird noch einige Zeit dauern, bis die Pandemie unter Kontrolle gebracht und zur Endemie geworden ist – und sich die Todesfälle häufen, können/müssen wir alle nicht unverzichtbaren Produktionen und Dienstleistungen schließen (und 100 % der pandemiebedingten Extragewinne der unverzichtbaren besteuern, wenn sie nicht enteignet werden), um die freigewordenen Arbeitskräfte dauerhaft oder vorübergehend für die unverzichtbaren Produkte und Dienstleistungen umzusetzen.
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Wir denken zuallererst an die öffentliche Gesundheit: mehr Impfungen bis hin zu Hausbesuchen, Kontaktnachverfolgung (die nicht mehr durchgeführt wird), Neueinstellungen in Pflege- und Altenheimen sowie Krankenhäusern, von Pflegenden bis zu Wartung und Küche, Unterstützung für Kranke, Menschen in schlechter Verfassung und in Not unter der Aufsicht der kommunalen Gesundheitszentren und der Gemeinschaft, Produktion von Schutzausrüstung einschließlich FFP2-Masken für alle Beschäftigten in unverzichtbaren Tätigkeiten. Wir denken auch an die Schulen, einschließlich der Beschlagnahme von leerstehenden Räumlichkeiten, um angesichts mangelhafter Belüftung, an der bewusst gespart wurde, die Klassenstärken zu senken, an die Kindertagesstätten und nicht zuletzt an den Bau ökoeffizienter Sozialwohnungen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass wir angesichts der großen Ansteckungsgefahr in Schlachthöfen die Senkung der Fleischproduktion ins Auge fassen können/müssen, auch wenn dies eine Rationierung bedeutet, da ja Getreide, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse usw. zur Verfügung stehen.
Es geht nicht darum, die Wirtschaft, also die Gewinne der Unternehmer*innen, zu retten, sondern kurz- und langfristig Menschenleben zu retten. Solch eine an den Menschen orientierte Gesellschaft kann mit dem Kapitalismus nicht funktionieren. In Ottawa, Québec und Vancouver haben schon Petitionen und Gegendemonstrationen, auch von Beschäftigten des Gesundheitswesens in Vancouver, damit begonnen, sich zu organisieren, auch wenn dies nur sporadisch und in geringer Zahl stattfindet. Aber die Trucker der „Freiheit“ sind schließlich nur ein paar Tausend, deren angebliche Macht proportional zur Größe ihrer Trucks und ihrer dröhnenden Hupen ist.
6. Februar 2022 |
Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 2/2022 (März/April 2022) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz