Erfahrungen der Widerstandskomitees und der revolutionären Bewegung
Muzan Alneel
Die Berichte über die sudanesische Revolution in den regionalen Medien und Schlagzeilen sind derzeit voller Formulierungen wie „Perspektivlosigkeit“, „untaugliche Lösungen“ oder „politische Krise“ und widerspiegeln damit die Sicht der Machthaber und der Eliten auf die Ereignisse. Die herrschende Klasse des Sudans besteht aus der Armeeführung und den bürgerlichen, bestenfalls reformistischen Parteien, die Komplizen der Unterdrückung sind, sowie aus ihren internen und externen Verbündeten. Sie alle befinden sich in einer unsicheren Lage und sind mit einer neuen Situation konfrontiert, die es ihnen nicht erlaubt, auf ihre üblichen Methoden und Manöver zurückzugreifen.
Auch mehr als vier Monate nach dem Staatsstreich vom 25. Oktober 2021 ist die Putschführung nicht in der Lage, eine Regierung zu bilden oder die anhaltenden Proteste auf den Straßen des Sudan zu stoppen. Mit dem gestürzten Premierminister, der sich später dem Putsch anschloss, wurde ein Abkommen unterzeichnet, das sich als Fehlschlag erwies. Es zeigte keinerlei Auswirkungen auf die Straßenproteste, außer dass der Slogan „Rücktritt oder nicht – der Zeitplan gilt“ auftauchte, eine Losung, die sich auf den Demonstrationskalender bezieht, den die Koordinationen der lokalen Widerstandskomitees ausgearbeitet haben.
Während die totalitären Machthaber die Situation als Krise betrachten, haben die freiheitshungrigen Menschen einen anderen Blick auf die Dinge. In ihren Augen unternimmt der Sudan einen noch nie dagewesenen Schritt in Richtung Revolution. Der Organisationsgrad der Bewegung ist hoch und begünstigt weitere Proteste. Er ermöglicht sogar, dass die Widerstands- und Organisationsformen sowie die Ausrichtung und die Ziele weiterentwickelt werden. All dies ist eine direkte Folge der Ereignisse, die der Bewegung ab 2018 Auftrieb verliehen haben, um dann in ein revolutionäres Fest zu münden. Dessen Protagonistin ist eine Bevölkerung, die sich organisiert, um ihr Existenzrecht zu verteidigen.
Die Demonstrationen in den Städten und Dörfern des Sudans laufen nach Plänen ab, die von den örtlichen Widerstandskomitees beschlossen werden. Letztere wurden während der revolutionären Welle im Dezember 2018 mit dem Ziel gegründet, dezentrale Proteste zu organisieren. Die Komitees bestanden jeweils aus Bewohnerinnen und Bewohnern, die im selben Stadtbezirk wohnten und sich für den Sturz des Regimes von al-Baschir einsetzten.
Die Idee dazu stammt aus den Protesten von 2013. Sie wurde damals allerdings nur in begrenztem Umfang verwirklicht und war keineswegs mit dem Aufschwung Anfang 2019 vergleichbar, als der Ruf nach dezentralen, gleichzeitigen Protesten gegen die Repressalien des Regimes immer lauter wurde. Die Gründung der Komitees in zahlreichen Stadtvierteln in allen Bundesstaaten des Landes erfolgte vor allem durch Jugendliche unter 20 Jahren. Sie organisierten in ihren Stadtbezirken Demonstrationen, beobachteten die Sicherheitskräfte der Regierung und richteten auf dem Land Gesundheitszentren ein. Außerdem planten und schützten sie Demonstrationen, lokale Sitzblockaden, politische Versammlungen und andere Widerstandsaktionen.
Die offiziellen Facebook-Seiten der Komitees vervielfachten sich. Die Menschen folgten ihnen ab Dezember [2018] oder den folgenden Monaten, um die Routen zu erfahren und sich über die Proteste, die Verletzten und andere Neuigkeiten aus dem Widerstand zu informieren. Dank ihrem direkten Kontakt zu den Stadtteilen und ihrer Unterstützung für die Revolution gewannen die Komitees an Popularität und Legitimität. Bis im April 2019 organisierten sie den Widerstand in ihren Gebieten mit der Abhaltung von „Kommando-Sitzblockaden“, die rund um das Hauptquartier der Armee in 14 Städten des Sudans stattfanden. Die größte Blockade war jene vor dem Generalkommando des Militärs in Khartum, wo die Komitees auch die Aufgabe übernahmen, die Demonstrationszüge zusammenfließen zu lassen und die Sitzblockade zu organisieren und zu schützen.
Die zweite Änderung in den Aufgaben der Komitees erfolgte nach dem Massaker vom 3. Juni 2019, als die Sicherheitskräfte der Regierung an einem einzigen Tag Sitzblockaden angriffen und Hunderte von Menschen töteten, vergewaltigten und sogar ertränkten. Dem Massaker folgte ein Monat mit gewalttätigen Übergriffen der Regierungskräfte auf den Straßen und der vollständigen Abschaltung des Internets im ganzen Land. Mit dieser Gewalt versuchte die Führung des Militärrats den Widerstand zu brechen und in die Knie zu zwingen. Doch die Komitees wurden dadurch eher angespornt, ihre Aktivitäten vor Ort zu intensivieren und sich zu vernetzen, um den Widerstand fortzusetzen, zivilen Ungehorsam zu leisten und die Bevölkerung zu schützen und zu versorgen. Weniger als einen Monat nach dem Massaker bei der Auflösung der Sitzblockaden vor dem Generalkommando kündigten die Widerstandskomitees den „Marsch der Millionen“ von Juni gegen das Militärregime an. Dabei überwanden sie die Internetsperre, indem sie Mauern beschrifteten, Flugblätter verteilten, Reden auf Märkten hielten und andere innovative Mittel einsetzten. Den Höhepunkt bildete der 30. Juni 2019, an dem Millionen von Demonstrierenden in verschiedenen Städten des Sudans „zivil“ skandierten und damit ihrer Ablehnung der Militärregierung Ausdruck verliehen.
Im Gegensatz zum Widerstand, der standhaft blieb, haben die politischen Führungskräfte kapituliert. Sie folgten dem „Marsch der Millionen“ am 30. Juni 2019, nur um sich dann doch auf Verhandlungen mit dem Militärrat einzulassen. Das Ergebnis war ein schlechtes Dokument, das eine Partnerschaft zwischen den politischen Führern der Opposition von 2018 und dem Militärrat als Übergangsregierung vorsah. Dieser politische Führungsstab und seine Anhänger versuchten sich zu rechtfertigten und scheuten weder Zeit noch Mühe, um die sudanesische Bevölkerung, insbesondere die Demonstrierenden, davon zu überzeugen, dass man durch diese Partnerschaft Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit – die Slogans der sudanesischen Revolution – erreichen könne. Sie behaupteten, es gehe um „Politik“ und es sei notwendig, mit der Armee zu verhandeln. Das Ganze wurde als Erfolg dargestellt, obwohl die sudanesische Revolution noch nicht obsiegt hatte. Aber sie nahm einen neuen Anfang.
Im Zuge dieser starken Veränderung der politischen Lage machten die Komitees Erfahrungen, die ihnen ermöglichten, über die neue Situation nachzudenken. Zu Beginn der Übergangszeit wurden die Komitees häufig als Schutzschild der halbzivilen Regierung angesehen. Die politischen Führungsstäbe erklärten, die Aufrechterhaltung der Partnerschaft sei Aufgabe der Widerstandskomitees und es gehe darum, einen möglichen Militärputsch zu verhindern.
Die Widerstandskomitees gerieten dadurch in eine schwierige Lage: Sie waren hin- und hergerissen zwischen der Verteidigung der revolutionären Ziele und dem Ausbalancieren ihrer Beziehung zur halbzivilen Regierung. Es wurde befürchtet, dass jeglicher Widerstand gegen die halbzivile Regierung als Vorwand für einen Militärputsch dienen könnte. Diese heikle Beziehung wurde mehrfach gestört, unter anderem durch Demonstrationen, die Widerstandskomitees in Talodi (im Bundesstaat Südkurdufan) weniger als zwei Monate nach der Ernennung der Übergangsregierung organisierten. Die Proteste richteten sich gegen die Fortsetzung des umweltschädlichen Bergbaus in diesem Gebiet. Der Abbau der Bodenschätze wird durch Gesellschaften betrieben, die den offiziellen Milizen und den staatlichen Sicherheitsapparaten angehören. Die Komitees entrollten Transparente, die sich direkt an den zivilen Premierminister richteten und auf denen stand: „Unser Leben ist mehr wert als Gold, Hamdok!“ Die Demonstrierenden mussten sich dabei den bewaffneten Sicherheitskräften der Unternehmen entgegenstellen. Noch am selben Abend reagierte die Regierung auf den Protest mit einer Erklärung, in der sie den Angriff auf den Firmensitz und das Eigentum der Unternehmen verurteilte.
Es gab noch eine Reihe ähnlicher Ereignisse, bei denen Widerstandskomitees aktiv wurden, um die Ziele der Revolution und die Forderungen der lokalen Bevölkerung zu verteidigen. Jedes Mal wandte sich die Regierung gegen diese Anliegen, im Interesse der Investoren, der Armee, ihrer Milizen oder der regionalen und internationalen Verbündeten.
Die Übergangszeit war also eine Phase des intensiven Ringens um die Festlegung der politischen Position der Komitees, zwischen der oben erwähnten Verteidigung der revolutionären Ziele und dem Schutz der zivilen Regierungshälfte, die sich allerdings bald von diesen Zielen entfernte. Natürlich war die politische Ausrichtung der Komitees nicht immer einheitlich. Die nach geografischen Gesichtspunkten gebildeten Gruppen widerspiegeln in hohem Maße die Interessen, Wünsche und Positionen der Menschen in den jeweiligen Regionen, mit ihren klassenspezifischen und historischen Unterschieden, ihren unterschiedlichen Einkommensquellen, Prioritäten, sozialen Problemen usw. Dennoch war klar, dass die große Mehrheit der Komitees geschlossen hinter der Forderung nach Gerechtigkeit für die Opfer der Revolution stand. Diese Forderung verband die meisten großen Demonstrationen der Komitees und wurde später um die Forderung nach einem Parlament ergänzt – das aber bis zum Staatsstreich am 25. Oktober 2021 immer noch nicht existierte. Die Komitees glaubten, das Parlament könne für die Bevölkerung ein Mittel sein, um ihre Forderungen durchzusetzen.
Die Forderung nach Gerechtigkeit für die Opfer, insbesondere des Massakers vom 3. Juni 2019, wurde in der revolutionären Situation zum „Ausgangspunkt“ für Verhandlungen. Da der Militärrat, dessen Einsatzkräfte das Massaker verübt hatten, Teil der Regierung ist, konnte sich diese nicht selbst vor Gericht stellen. Andererseits wurde der Ruf nach einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Anfang 2020 immer lauter, sodass ein weiterer „Ausgangspunkt“ entstand. Denn die Regierung ist von den Interessen internationaler und regionaler Akteure abhängig, einschließlich der Fortsetzung der wirtschaftlichen Sparpolitik, die zur Revolution gegen das Regime von Baschir geführt hatte.
Die Übergangsregierung versuchte, die Widerstandskomitees zu Hilfskräften des Staates zu machen, indem sie sie zu „Komitees für Dienstleistungen und Wandel“ ernannte. Sie sollten unter oder in Koordination mit den lokalen Behörden helfen, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Die Widerstandskomitees beschlossen darauf, den Widerstand nicht aufzugeben, aber parallel dazu gewisse Aufgaben in den Stadtbezirken zu übernehmen. Einige Komitees bildeten Büros für Wandel und Dienstleistungen, entweder innerhalb ihrer Strukturen oder parallel dazu. Sie kontrollierten die Verteilung von Mehlrationen an die Bäckereien und von Benzin an die Tankstellen und organisierten sogar mit eigenen Kräften den Unterhalt von Schulen und anderen Einrichtungen, während sie weiterhin Demonstrationen veranstalteten und revolutionäre Forderungen stellten. Die letzten zentralen, von den Widerstandskomitees noch vor dem Staatsstreich angekündigten Kundgebungen fanden am 21. Oktober 2021 statt, also vier Tage vor dem Putsch des Militärs. Die Protestierenden forderten dabei ein Parlament und Gerechtigkeit für die Opfer. Viele Komitees skandierten sogar den Slogan „Lasst die Blutspartnerschaft fallen“, um ihr Missfallen gegen die Partnerschaft mit dem Militär auszudrücken.
Nach dem Staatsstreich vom 25. Oktober rückten die Komitees definitiv in den Vordergrund. Von ihnen stammt auch der dreifache Slogan gegen den Putschrat: „Keine Verhandlungen, keine Partnerschaft, keine Legitimität“. Die Komitees veröffentlichten Monats- und Wochenkalender für Kundgebungen und Widerstand und stellten sich gegen alle Versuche, den Putsch zu legitimieren. So verfügt der Staat bis heute weder über eine Regierung noch über einen Premierminister.
Dank der Organisation der Sudanesinnen und Sudanesen in den Widerstandskomitees konnten die Aktionen gegen den Staatsstreich vervielfacht werden. Die Komitees nutzten ihre in der Übergangsphase gesammelten Erfahrungen in der Selbstorganisation, der Veranstaltung von Demonstrationen und Nachbarschaftsdebatten sowie der Koordination zwischen den Komitees auf regionaler und städtischer Ebene. In dieser Zeit entstanden „Koordinationen der Widerstandskomitees“, die andere Aufgaben hatten. Sie sollten eine umfassendere Organisation als nur auf der Ebene eines Stadtbezirks ermöglichen und entstanden aus dem Bedürfnis nach einer neuen Führung resp. einem Abbruch der Beziehung zur politischen Führung, die sich auf Verhandlungen eingelassen hatte.
Hier muss darauf hingewiesen werden, dass die Regierungseliten und ihre Wortführer im In- und Ausland auch in der Zeit nach dem Staatsstreich Lügenmärchen über die aktuelle Lage erzählten und weiterhin so taten, als wüssten sie nichts von der Existenz dieser Bürgerinitiativen. Die Nachrichtensender beispielsweise berichteten den ganzen November und Dezember über immer wieder, die anhaltenden Proteste seien vom sudanesischen Berufsverband oder vom Bündnis „Kräfte für Freiheit und Wandel“ – dem zivilen Flügel der Übergangszeit – organisiert worden. Tatsächlich hatten diese Gruppen auf der Straße aber kein Gewicht. Es waren die Komitees, die zu den Demonstrationen aufriefen.
Der revolutionäre Aufschwung nach dem Staatsstreich wirkte sich auf die politische Situation und die Zusammensetzung der Komitees aus. Die Stärke der regionalen Koordinationen nahm zu und viele Komitees erneuerten ihre internen Strukturen, um der veränderten Situation und den damit verbundenen Aufgaben gerecht zu werden. Komitees, deren Zusammenhalt sich gelockert hatte, wurden wiederbelebt, und in Gebieten, in denen die Bevölkerung eine aktive Rolle im Kampf gegen den Staatsstreich spielen wollte, wurden neue Komitees gegründet. Die Mehrheit der Mitglieder war damals jung und männlich. Doch aufgrund der beachtlichen Beteiligung der Frauen am Widerstand auf der Straße und der Erinnerung an die Lektion von 2019 – die Präsenz der Frauen auf der Straße hatte keine Auswirkung auf die Zusammensetzung der Übergangsregierung oder auf deren Eintreten für die Interessen der Frauen – wurde die Kampagne „#Tritt dem Komitee bei“ lanciert. Sie rief die Frauen dazu auf, in den Komitees mitzuarbeiten, um sicherzustellen, dass ihre Forderungen und Interessen gehört würden. Die Frauen wehrten sich gegen die Verhaltensweisen und Strukturen, die einer Mitgliedschaft im Wege stehen, wie etwa nächtliche Sitzungen, an denen junge Frauen wegen sozialer Hindernisse nur schwer teilnehmen können. Verschiedene Gesellschaftsgruppen bemühten sich in dieser Zeit darum, von den Widerstandskomitees vertreten zu werden.
In den folgenden Monaten konnten die Organisationsinstrumente und Grundideen der Widerstandskomitees von anderen Massenorganisationen genutzt werden, die angesichts der steigenden Zahl an Konfliktfronten mit dem Militärputsch und an Angriffen auf verschiedene Teile der Bevölkerung aus der Not heraus gegründet worden waren. Auch die Landwirte im Nordstaat [Bundesland im Norden] griffen auf das Instrument der Komitees zurück. Sie nutzten dieses schon seit Langem, um ihre Kundgebungen zu planen und sich selbst zu organisieren, nachdem die aus dem Putsch hervorgegangene Regierung eine Erhöhung der Strompreise angekündigt hatte. Diese Verteuerung war für die Bauern und Bäuerinnen fatal, weil ihre Landwirtschaft auf elektrische Pumpen angewiesen ist. Sie protestierten gegen die Preiserhöhung und leisteten im ganzen Norden Widerstand, indem sie die Straße nach Ägypten, die durch ihre Städte und Dörfer führt, an über 25 Stellen sperrten. Sie richteten Blockadekomitees ein, um die Sperren zu schützen, ihre Stellungnahmen zu verfeinern und unter den Bauern und Bäuerinnen Diskussionen über die politischen Positionen und die wirtschaftlichen Forderungen zu organisieren. Die Blockadekomitees vernetzten sich untereinander und bündelten ihre Kräfte auch in Kämpfen, die umfassende, über den Strompreis hinausgehende Probleme betrafen. Unter anderem ging es dabei um die Auswirkungen des Bergbaus auf ihre Region und um die Forderung nach einem Anteil an dem Gold, das auf ihrem Land abgebaut wird. Zudem forderten sie Gesundheitseinrichtungen und mehr Straßenunterhalt, um die Zahl der vielen tödlichen Unfälle in ihrem Bundesstaat zu reduzieren. Trotz des Zugeständnisses der Putschregierung, die Preiserhöhung einzufrieren, gingen die Blockaden im Norden weiter, wobei die Protestierenden eine vollständige Streichung der Erhöhung forderten. Einige Komitees erklärten, dass sie keinerlei Erhöhungen oder Streichungen seitens der Putschregierung anerkennen würden, und bekräftigten stattdessen ihre Grundforderung nach einer zivilen Regierung.
Die Blockadekomitees im Norden unterschieden sich in ihrer Zusammensetzung deutlich von den Widerstandskomitees in den Stadtteilen, einschließlich jener im Nordstaat. An den Blockadekomitees beteiligten sich vor allem Männer über 30, hauptsächlich Landarbeiter. Dieser Unterschied macht deutlich, dass die Strukturen des Widerstands aus den Gruppen hervorgehen, die am stärksten von der Politik betroffen sind, gegen die sie kämpfen. Die sudanesische Revolution war keine Revolution der Jugend, sondern eine Revolution gegen eine Politik, die Jugendliche und Frauen besonders hart trifft. Deshalb waren im Widerstand mehrheitlich Frauen und eine wachsende Zahl an jungen Menschen vertreten. Im Norden waren die Männer über 30 am stärksten von den steigenden Kosten für landwirtschaftliche Produktionsmittel betroffen. Deshalb engagierten sie sich auch in den vordersten Reihen der Blockadekomitees, um die Aneignung der auf ihrem Land gewonnenen Rohstoffe zu stoppen. Die blockierte Straße führt durch ihr Land und der Ertrag aus dessen Bodenschätzen fließt an eine Regierung, die die Bevölkerung durch ihre feindliche Wirtschaftspolitik verarmen lässt.
Wir erlebten den Rückgriff auf die Organisationsform des Komitees auch beim Sitzstreik von Studentinnen im Studentenwohnheim Hajjar, wo es zu einer Vergewaltigung gekommen war. Da die Verwaltung den Mantel des Schweigens über dieses Verbrechen breiten wollte, kündigten die Studentinnen eine Sitzblockade an und bauten ab dem 25. Januar 2022 ein Komitee im Wohnheim Hajjar auf. Sie forderten eine faire und transparente Untersuchung, pochten auf ihr Recht auf Grundversorgung und verlangten die Einrichtung eines neuen Wohn- und Versorgungssystems, das für alle Studierenden im Sudan zugänglich ist und ihr Grundrecht auf Zugang zu Bildung gewährleistet. Diese erfolgreiche Organisationsform hat sich mittlerweile in Teilen der sudanesischen Bevölkerung verbreitet und wird je nach Bedarf und Anliegen auf innovative Weise eingesetzt.
Gleichzeitig mit den Organisationsformen entwickelten sich auch die politischen Positionen. Die Widerstandskomitees sind seit dem Putsch hin- und hergerissen zwischen ihrer Weigerung, mit dem Putsch zusammenzuarbeiten oder zu verhandeln, und der Position der Eliten im In- und Ausland, die neue Verhandlungen mit dem Militär suchen. Zu den Manövern der herrschenden Eliten gehörte eine Vereinbarung zwischen dem Militärrat und dem Premierminister der gestürzten Regierung. Trotz internationaler Unterstützung konnten die Proteste gegen die Militärherrschaft und für eine vollständig zivile Regierung mit diesem Abkommen nicht gestoppt werden. Weniger als zwei Monate später wurde es für null und nichtig erklärt, als der Premierminister zurücktrat und es noch immer keine Regierung gab.
Es gab auch zahlreiche Manöver konterrevolutionärer Parteien auf regionaler oder internationaler Ebene, darunter die Mission der Vereinten Nationen im Sudan, die den Komitees nahelegt, einen Prozess des Dialogs mit der Armee einzuleiten. Die UN-Mission rief zu Treffen und Konsultationen auf. Die meisten dieser Appelle wurden zurückgewiesen oder weckten Zweifel oder es kam die Forderung, diese Treffen live zu übertragen. Die Mission lehnte dies jedoch entschieden ab und zeigte damit, dass sie Transparenz ablehnt und Manöver hinter verschlossenen Türen unterstützt. Diese verschiedenen Pressionsversuche führten zu umfassenden Diskussionen in der Öffentlichkeit über eine neue politische Charta und einen neuen Fahrplan, der die Forderungen und Strukturen des Widerstands umreißen würde. Die Komitees begannen, politische Chartas zu entwerfen. In den letzten Monaten wurden dazu mehrere Vorschläge von Widerstandskomitees in mehreren Staaten veröffentlicht. Die Mayerno-Widerstandskomitees im südöstlichen Bundesstaat Sannar veröffentlichten im Dezember 2021 den Vorschlag für einen Fahrplan, der die Bildung lokaler Räte von Widerstandskomitees und Gewerkschaften vorsieht, gefolgt von Staatsräten und dann dem Nationalrat, der einen Ministerpräsidenten wählt. Auf diesen Vorschlag folgte im selben Monat der Vorschlag des Al-Saliha-Quartierkomitees in der Hauptstadt, das eine politische Charta entwarf und zur öffentlichen Diskussion und Abänderung vorlegte.
Im Januar 2022 veröffentlichten die Madani-Widerstandskomitees im Zentralstaat al-Dschazira einen detaillierteren Vorschlag für eine politische Charta. Diese enthielt eine Analyse der wirtschaftlichen und historischen Probleme des Sudans, die sich aus den kolonialen renditeorientierten Wirtschaftsstrukturen ergeben haben, und betonte die Notwendigkeit eines revolutionären Entwicklungsprogramms, um wirtschaftliche Gerechtigkeit erreichen und die Macht des Volkes und sein Recht auf realen Wohlstand umsetzen zu können. Der Vorschlag der Madani-Widerstandskomitees wurde geschätzt und für seine Analyse gelobt, die die Realität und die wirtschaftlichen Prioritäten der Massen widerspiegele, er wurde aber auch dafür kritisiert, Begriffe zu verwenden, die „an die Sprache der Kommunisten erinnern“.
Den Madani-Widerstandskomitees wurde öffentlich vorgeworfen, ihr Vorschlag sei von der sudanesischen Kommunistischen Partei ausgearbeitet worden. Die Komitees wiesen diese Herabwürdigung ihrer Fähigkeiten und den Vorwurf, sie seien „Muskeln eines kopflosen Widerstands“, zurück. Dieser Vorwurf gegen die Komitees zielt eigentlich auf die Vergangenheit und den gegenwärtigen Zustand der sudanesischen Kommunistischen Partei, die gar nicht radikal genug ist, um einen solchen Vorschlag vorlegen zu können. Sie hat in der jüngeren und älteren Vergangenheit ein Modell der Bündnisse mit der herrschenden Bourgeoisie oder dem „nationalen Kapitalismus“ vertreten, anstatt daran zu arbeiten, die alternative Macht der Massen zu festigen. Diese Linie hat die sudanesische Kommunistische Partei immer noch nicht überwunden, selbst nachdem sie sich im ersten Jahr mit der Übergangsregierung und der Regierungskoalition überworfen und diese verlassen hatte, und sogar noch nach dem Putsch. Die neue Position der Kommunistischen Partei gegenüber den bürgerlichen Eliten besteht unseres Erachtens darin, sich zwar zu weigern, sie als Bündnisse oder Blöcke anzuerkennen, aber dennoch getrennten Verhandlungen mit diesen zuzustimmen. Dies zeigt, dass die Kommunistische Partei zwar aus der Übergangsperiode neue Verhandlungstaktiken gelernt hat, aber noch weit davon entfernt ist, ihre prinzipielle Position zu überdenken. Diese besteht darin, Forderungen der Massen und der Umstrukturierung des Staates im Interesse der Massen auf später hinauszuschieben, um die Führung des „nationalen Kapitalismus“ beizubehalten. Der Vorwurf, die Madani-Komitees hätten ihren Vorschlag von der Kommunistischen Partei ausarbeiten lassen, ist für letzere eine unverdiente Ehre.
Der Vorschlag des Madani-Komitees wurde von Widerstandskomitees in mehreren Staaten akzeptiert. Anfang Februar kündigten sie einen Vorschlag mit dem Titel „Revolutionäre Charta der Volksmacht“ an, der sich auf den Vorschlag der Madani-Komitees, die Mayerno-Roadmap und einen Entwurf eines Ehrenkodex der Komitees im Staat Kurdufan stützte. Die geänderte Charta wurde von den Koordinationen der Widerstandskomitees von sieben Staaten unterzeichnet.
Die Widerstandskomitees in Khartum veröffentlichten Ende Februar 2022 auch einen Vorschlag für eine politische Erklärung mit dem Titel „Charta für die Gründung der Volksmacht“. Viele Mitglieder der Widerstandskomitees der Hauptstadt erachten die Erfahrungen, die mit der Vorbereitung dieses Vorschlags gemacht wurden, als wichtig und zentral für die Schulung der über 800 Komitees der Hauptstadt in Diskussionen und der Koordination untereinander. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung des Landes lebt in Khartum. Der Charakter der Hauptstadt, ihre hohe Bevölkerungsdichte, ihre Nähe zur Zentralregierung und die Heterogenität der wirtschaftlichen Interessen nach Bevölkerungsgruppen spiegelten sich in den Schwächen der Erklärung wider. Ihre Lösungen waren weniger kohärent, angesichts der strukturellen Probleme weniger radikal und ihr fehlte im Vergleich zum Vorschlag der Revolutionären Charta eine integrierte Analyse der Lage im Sudan. Das gilt insbesondere für die wirtschaftliche Analyse und die Ernennung der Regierung von oben nach unten, beginnend beim Ministerpräsidenten.
Dies unterstreicht einmal mehr die Frage nach der geografischen Ausrichtung der Komitees, die ihre Fähigkeit einschränkt, revolutionäre Positionen einzunehmen, die über ihr Wohngebiet, ihre Bevölkerung und ihr Umfeld hinausgehen. Nichtsdestotrotz arbeiten die Komitees in Khartum daran, diese Schwächen zu überwinden, indem sie sich für Diskussionen und Änderungsanträge über ihre Vorschläge und auch über ihre Vorentwürfe öffnen und zu öffentlichen Diskussionen und Stellungnahmen von Fachleuten einladen, um breitere Kreise in die Kritik und Ausformulierung einzubinden. In diesen Diskussionen zeigt sich auch, wie wichtig die vielen Vorschläge sind, damit sich der revolutionäre Horizont der Massen erweitert und damit sie ihre Fähigkeit vertiefen können, die Auswirkungen von Regierungsformen auf ihr Leben zu erkennen und über Alternativen nachzudenken, die der Verwirklichung des Prinzips „Alle Macht und aller Reichtum für das Volk“ besser entsprechen.
Die Diskussionen über die Vorschläge für politische Chartas werden fortgesetzt, parallel zu den Diskussionen darüber, wie das Feuer der anhaltenden Proteste aufrechterhalten werden kann, etwa die wöchentlichen Proteste vor dem Palast der Republik und den Staatssekretariaten. Es kommt dabei zu Zusammenstößen mit den Repressionskräften, zu Toten, Verwundeten und Verhafteten, ohne dass die Revolution dadurch gestoppt wird. Daneben gibt es die Streiks der sudanesischen Arbeiter*innen und Massen und ihre Sitzblockaden gegen die repressive Militärherrschaft, niedrige Löhne und eine Wirtschaftspolitik, die zur Verarmung führt. Dazu gehören: die Mobilisierungen der Arbeiter*innen des Generalinspektorats für das ägyptische Bewässerungssystem, die eine Erhöhung ihrer Gehälter fordern, der LehrerInnenstreik im Bundesstaat Kassala, die Weigerung der Angestellten des Ibrahim-Malik-Krankenhauses in der Hauptstadt, die von der Putschregierung angekündigten Erhöhungen der Pflegetarife umzusetzen, die Weigerung des Widerstandskomitees des Bezirks Al Taif in Karthum, die von den Behörden verordnete Schließung des Stadtteilmarkts durchzusetzen und seine Verteidigung der informellen ArbeiterInnen und ihres Rechts auf Arbeit und ein menschenwürdiges Leben, aber auch andere organisierte Widerstandsfronten, die immer häufige entstehen, je repressiver und ungerechter die Politik wird.
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Die grundlegende gemeinsame Lehre, die die sudanesische Revolution jetzt zu ziehen versucht, antwortet auf zwei Fragen: Was ist unsere Charta, d. h. unser revolutionärer politischer Weg? Und wie setzen wir den friedlichen Widerstand gegen den bewaffneten Putsch fort? Die Antwort auf diese beiden Fragen liegt in der Stärkung der Organisationen in den Wohnvierteln und Arbeitsorten aller Regionen und Sektoren des sudanesischen Staates. Was erreicht werden kann, wenn Vorschläge für Chartas diskutiert werden, die sich nicht auf eigene Erfahrungen und Experimente stützen, ist begrenzt. Wir müssen die Vorschläge dem Praxistest unterziehen, mit der Umsetzung ihrer Grundsätze beginnen, sie ändern und auf der Grundlage der Erfahrungen weiterentwickeln. Die Organisation in den Wohnvierteln und Arbeitsorten öffnet das Feld für verschiedene Formen des Widerstands, und zwar durch die Ausübung der Volksmacht vor Ort und die Umwandlung des Widerstands von einem Druckmittel auf die Mächtigen zu einem Mittel, die Macht im Interesse des Volkes zu ergreifen.
Wenn die sudanesische Revolution diesen Weg beschreitet – erfreulicherweise bewegt sie sich in diese Richtung –, wäre sie nicht nur in der Lage, den Staatsstreich zu besiegen, sondern auch ein elitäres renditeorientiertes System zu Fall zu bringen, das seit der anglo-ägyptischen Kolonialisierung besteht und unter mehreren Regierungen aufrechterhalten wurde. Sie könnte neue Formen der Organisation des Lebens im Interesse der Massen etablieren, wo die Waffen der Soldaten unnütz sind und allein der revolutionäre Pazifismus der Bevölkerung triumphiert.
Dies erfordert zweifellos den Aufbau einer revolutionären Organisation, die sich auf die Methode einer revolutionären Analyse der Realität stützt. Neben den Organisationsformen an den Wohnorten und Arbeitsplätzen ist sie eine zweite unverzichtbare Säule des Widerstands, um revolutionäre Positionen voranzutreiben und von der Entwicklung der Massenorganisationen zu profitieren sowie Lösungen anzubieten, die nicht durch geografische Loyalitäten oder Gruppenzugehörigkeiten beschränkt sind. Diese symbiotische Beziehung, der heute ein Element fehlt, ist für die Stärkung der sudanesischen Revolution von entscheidender Bedeutung. Angesichts der Entwicklung des Selbstorganisationsprozesses und der politischen Stellungnahmen denken wir, dass diese revolutionäre Organisation unweigerlich entstehen wird.
9. März 2022 |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 4/2022 (Juli/August 2022). | Startseite | Impressum | Datenschutz