Bankenkrise

Welchen Charakter hat die neue Finanzkrise?

Hohe Nervosität und schon etwas Panik war zu spüren, als im März 2023 größere Banken gerettet werden mussten. Gerüchte gingen um und man fragte sich, welche Bank als Nächstes zusammenbrechen könnte.

Guenther Sandleben

Bankaktien brachen ein, erholten sich, um bei entsprechenden Gerüchten erneut einzubrechen. Zweifel an der Überlebensfähigkeit von Banken mussten rasch ausgeräumt und Vergleiche mit der Bankenpanik von 2008 kleingeredet werden. Regierungsvertreter, Notenbanker und Autoritäten der Finanzwelt setzten schließlich als herrschende Meinung die These durch, wonach unser heutiges Finanzsystem viel sicherer sei als damals und dass es sich bei den Konkursen um Sonderfälle mit hausgemachten Problemen handele. Lasst sie reden und untersuchen wir besser die Ereignisse selbst!


Was war passiert?


Die Silicon Valley Bank (SVB) wurde am 10. März 2023 geschlossen, nachdem Einleger an einem einzigen Tag bis zu 42 Mrd. US-Dollar abgezogen hatten. Dies war die größte US-Bankenpleite seit der Finanzkrise 2008.

 

Silicon Valley Bank

Hauptsitz in Santa Clara, Foto: Minh Nguyen

Einige Tage später drohte die Schweizer Großbank Crédit Suisse (CS) in Konkurs zu gehen. Regierungen und Notenbanken gaben den strauchelnden Banken im großen Stil Garantien und Notkredite. Im Falle der CS zimmerten Schweizerische Notenbank (SNB), Finanzmarktaufsicht und Regierung eine Auffanglösung: An den Aktionären und dem Kartellrecht vorbei drängte man den etwas größeren Konkurrenten UBS zur Übernahme. „Damit wird das Aktienrecht ausgehöhlt. Die Aktionäre der Crédit Suisse werden ohne Rechtsgrundlage faktisch enteignet“, kommentierte Peter Viktor Kunz, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern das seiner Meinung nach „skandalöse“ Vorgehen. [1]

Die SNB gewährte beiden Banken Liquiditätshilfen von insgesamt 200 Milliarden Franken und für Risiken im CS-Portfolio von Wertpapieren haftet der Bund mit neun Milliarden Franken. „Ein Konkurs der Crédit Suisse hätte schwerwiegende Folgen für die nationale und internationale Finanzstabilität und für die Schweizer Wirtschaft gehabt. Dies zu riskieren, wäre verantwortungslos gewesen“, rechtfertigte der SNB-Präsident Thomas Jordan die einschneidenden Maßnahmen. [2]


Horror vor dem großen Crash


Etliche Beobachter des Geschehens entdeckten sogleich Parallelen zur großen Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008. Dieser Vergleich ist umso verständlicher, als vieles an jene Zeit erinnerte, darunter die Plötzlichkeit, mit der die neue Finanzkrise auftrat, die Gefahren für das gesamte Finanzsystem, das Öffnen der Geldschleusen seitens der Notenbanken, die möglicherweise sehr kostspieligen Garantien der Regierungen und nicht zuletzt der lockere Umgang mit Rechtsprinzipien, der selbst vor dem Privateigentum nicht Halt machte.

Schon damals gerieten anfangs nur einzelne Banken und Unternehmen in Schwierigkeiten, bis schließlich sichtbar wurde, dass die Krise System hatte und große Rettungsschirme gespannt werden mussten, um die unheilvollen, blind wirkenden zerstörerischen Kräfte der kapitalistischen Produktionsweise zu bändigen, soweit das politisch machbar war. „Es gab Stimmen“, schrieb der damalige Finanzminister Peer Steinbrück, „die vom Ende des Kapitalismus sprachen“, und in seinem Buch Beyond the Crash (2011, S. 18) stellte der britische Premierminister Gordon Brown nüchtern fest: „Im September (2008) wurde mir klar, dass wir nur noch Tage von einem vollständigen Zusammenbruch entfernt waren.“


Beruhigungspillen werden verteilt


Angesichts dieser Erfahrung und dem Horror vor einem Zusammenbruch des Systems sind die große Nervosität, die Hektik und die Massivität verständlich, mit der Notenbanken, Finanzaufsicht und Regierungen im März intervenierten. Schon um sich selbst Mut zu machen, vor allem aber, um die Anleger zu beruhigen, keine weiteren Gelder von den ins Gerede gekommenen Banken abzuziehen, mussten sämtliche Autoritäten des Staates und der Finanzwelt die aktuelle Krise verharmlosen und den Vergleich mit 2008 zurückweisen.

US-Finanzministerin Janet Yellen meinte in ihrer Rede vor dem Bankenverband, dass beide Krisen nicht vergleichbar wären. Das heutige Finanzsystem sei wegen der gestärkten Eigenkapitalbasis der Banken und verschiedener Finanzreformen stabil.

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) Christine Lagarde bekämpfte ihren Schrecken mit den beruhigenden Worten, der Bankensektor sei „widerstandsfähig“ und verfüge über eine starke Kapital- und Liquiditätsausstattung. Für alle Fälle stehe der „gesamte Werkzeugkasten“ der Geldpolitik für den Fall zur Verfügung, dass das Finanzsystem des Euroraums Liquiditätshilfen brauche. Das europäische Bankensystem stehe robust da, meinte das deutsche Wirtschaftsministerium und Bundesbankpräsident Joachim Nagel versicherte mit ähnlichen Worten: „Wir stehen nicht vor einer Wiederholung der Finanzkrise von 2008“. (FAZ 23.3.23).

Doch die Unsicherheit wollte einfach nicht weichen. Die Krise schwelte weiter, ohne dass man die Brandstellen lokalisieren konnte. Beispielsweise blieben die Risikoprämien für Kredit-Ausfallversicherungen, sogenannte Credit Default Swaps (CDS), für Banken sehr hoch, die Hektik im Handel mit Bankaktien setzte sich fort und die einst fest entschlossenen Notenbanken, die Inflation durch weitere Leitzinsanhebungen konsequent zu bekämpfen, verloren mehr und mehr ihren Mut und wagten kaum noch zu erwähnen, dass sie neben höheren Zinsen auch noch den in ihren Bilanzen enthaltenen hohen Anleihebestand durch Verkäufe reduzieren wollten.


Europäische Zentralbank in der Zwickmühle


„Es gibt keinen Zielkonflikt zwischen Preisstabilität und Finanzstabilität“, hatte EZB-Präsidentin Lagarde immer wieder versichert. Andere Zentralbanken beruhigten mit ähnlichen Worten. Jedoch die März-Ereignisse enthielten eine andere Botschaft. Die EZB und andere Zentralbanken hatten im vorigen Jahr begonnen, die Geldvermehrung durch Anleihekäufe zu stoppen und die Zinsen zu erhöhen, gerade um die Inflation zu bekämpfen. Nun taten sie Gegenteiliges. Sie stellten umfangreiche Kredithilfen mit entsprechender Ausweitung ihrer Geldmengen zur Verfügung und ließen zinspolitische Zurückhaltung erkennen. So förderten sie die Inflation, die sie doch konsequent bekämpfen wollten. Strauchelnde Banken zwangen sie dazu. Sie hatten, wie der SNB-Präsident Thomas Jordan im Falle der Crédit Suisse gesagt hatte, schwerwiegende Folgen für die nationale und internationale Finanzstabilität abzuwehren. Sie mussten die Inflationsbremsen frühzeitig, d.h. ohne dass sie schon die erhoffte Wirkung erzeugt hatten, lockern, weil sie Banken ins Schleudern gebracht hatten.

Man erkennt die Zwickmühle: Zentralbanken, die höhere Zinsen als Mittel gegen die Inflation einsetzen, erschüttern Banken und Finanzmärkte. Sie richten hier Schaden an, sobald sie ihr Inflationsziel ernsthaft verfolgen.


Charakter der neuen Finanzkrise


Die Verwerfungen, zu denen die Zinserhöhungspolitik maßgeblich beigetragen hatte, zeigten sich sehr konkret im Zusammenbruch der Silicon Valley Bank. Die SVB war die bevorzugte Bank für Risikokapital- und Start-up-Unternehmen in Kalifornien. Etwa 50 Prozent der Silicon-Valley-Start-ups gehörten zu ihren Kunden. In den Jahren vor 2022 sammelten Risikokapitalfirmen Milliarden US-Dollar ein. Viele dieser Fonds legten das Geld bei der SVB an, um es später in Start-up-Unternehmen zu investieren. Die Guthaben verdreifachten sich von Anfang 2020 bis Ende 2022 auf 175 Mrd. US-Dollar. [3] Vorsichtig, wie sich die SVB verhielt, legte sie die hohen Einlagen überwiegend in Staatsanleihen und in Mortgage-backed Securities (hypothekarisch besicherte Anleihen) an. Toxische, hochspekulative Subprime-Papiere spielten hier überhaupt keine Rolle, sondern nur die als ganz sicher eingestuften, mit hohen Ratings versehenen Staatsanleihen.

Zwei Entwicklungen ruinierten die SVB: Erstens geriet die Tech-Industrie ins Stocken mit der Folge, dass wegen der verschlechterten Geschäftsaussichten der Strom neuer Einlagen zu versiegen begann. Was noch entscheidender war: Die Unternehmen zogen ihr Geld ab, da sie dringend Cash benötigten. Denn die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Tech-Industrie hatten das Vertrauen in ihre eigene Kreditwürdigkeit erschüttert. Sofortige Zahlung war angesagt. Zudem führten Stockungen im eigenen Geschäft zu einem höheren Geldbedarf. Die SVB konnte die abfließende Liquidität nur bereitstellen, wenn sie Wertpapiere verkaufte.

Hier nun kommt die zweite Entwicklung ins Spiel, die in einem Zusammenhang mit der großen Krise von 2008 und deren Nachwirkungen steht. Auch die Corona-Politik und vor allem die Inflation spielen eine Rolle. Ohne sich in Einzelheiten zu verlieren, soll hier nur festgehalten werden, dass neben der US-amerikanischen Notenbank Fed, der japanischen und britischen auch die Europäische Zentralbank bis Mitte 2022 die Zinsen extrem niedrig hielten. Vorangegangene Leitzinssenkungen und verschiedene Anleihekaufprogramme bewirkten derart hohe Kurssteigerungen am Markt für Anleihen, dass die Renditen sicherer Anleihen vielfach ins Minus rutschten – eine historisch einmalige Entwicklung. Erklärtes Ziel der großen Notenbanken war, ihre jeweilige Wirtschaft mithilfe extrem niedriger Zinsen zu fördern, um eine Deflation zu verhindern. Die Anleihekaufprogramme ermöglichten zudem den Regierungen, ihre krisenbedingt wachsenden Staatsausgaben mehr und mehr durch die Ausgabe neuer Wertpapiere zu finanzieren, die dann die Notenbanken mit frisch gedruckten oder elektronisch bereitgestellten Banknoten kauften, so dass die Zentralbankgeldmenge sprunghaft anstieg. Die EZB kaufte Wertpapiere von insgesamt fast fünf Billionen Euro.

Dieser große zinspolitische Zusammenhang bestimmte die Entscheidungen sämtlicher Finanzinstitute, auch die der SVB. Um die zugeflossenen Gelder sicher anzulegen, kaufte die SVB vor allem Staatsanleihen, obwohl deren Kurse viel zu hoch und die erzielbaren Renditen viel zu niedrig oder gar negativ waren. Hätte sie riskantere Geldanlagen mit höheren Renditen gewählt, wäre der Verdacht aufgekommen, sie würde leichtsinnig mit ihren Kundengeldern umgehen. Vorsicht war also angesagt.

Im Zuge steigender Inflationsraten stellten im vorigen Jahr verschiedene Notenbanken, darunter die Fed und die EZB, ihre Anleihekäufe ein und begannen, ihre Leitzinsen zügig anzuheben. Die Kurse sämtlicher Anleihen brachen daraufhin ein. Die SVB mit ihrem hohen Bestand an „soliden“ Staatsanleihen verzeichnete hohe Buchverluste. Diese wären wegen der üblichen buchtechnischen Verfahren kaum aufgefallen, wäre die SVB durch die Mittelabflüsse nicht gezwungen gewesen, die Verluste durch die Verkäufe von Anleihen zu realisieren. Sie musste verkaufen, um selbst zahlen zu können.

Am 8. März die Offenbarung: Nach Handelsschluss verkündete die SVB, sie werde einen Verlust von 1,8 Milliarden US-Dollar verbuchen. Es roch nach Bankrott. Verschärfend kam hinzu, dass nur sechs Prozent der Bankkunden ihre Einlagen durch die staatliche Einlagenversicherung bis zu einer Höhe von 250 000 US-Dollar garantiert sahen. Der Rest besaß höhere Einlagen. Die große Masse musste also mit hohen Verlusten und dazu mit größeren Verzögerungen rechnen, an ihre Einlagen zu kommen, um damit ihre eigenen Lieferanten und Beschäftigten zu bezahlen. Dies erklärt den besonders massiven Bank Run, der am 10.3. seinen Höhepunkt erreichte. Die ganze Dramatik, die darin steckte, zeigt uns, warum der US-Staat eine Komplettgarantie für sämtliche Einlagen geben musste.

Der Druck auf die entsprechenden Staatsabteilungen, auf Regierung, Notenbank und Finanzaufsicht, solche Garantien zu gewähren, wurde noch dadurch verstärkt, dass die Finanzinvestoren, deren Gelder als Einlage u. a. zur SVB geflossen waren, sowie die Silicon-Valley-Größen eine Kampagne mit der zentralen Aussage initiierten: Die Facebooks von morgen würden im Keim erstickt, wenn ihre nicht versicherten Guthaben nicht staatlich garantiert würden. (FAZ 21.02.23)

Die Kausalitäten sind bemerkenswert: Zuerst brachten die allgemeinen Verwerfungen der Zinspolitik, die wiederum ihre Voraussetzungen in der Wirtschaft hatten, und die besonderen wirtschaftlichen Verwerfungen des Tech-Sektors die SVB in Turbulenzen und nun sollte sie gerettet werden, um den Tech-Sektor zu stärken und um eine größere Finanzkrise mit negativen Folgen für die gesamte Wirtschaft abzuwenden. Es zeigte sich, wie Wirtschaftskrise, Finanzkrise und staatliches Management ineinander verschlungen sind und welche Anstrengungen Regierung und Notenbank unternehmen, um die kapitalistische Akkumulation einigermaßen aufrechtzuerhalten.

Staatlicher Eingriff in die Bankenlandschaft löst die Wirtschaftsprobleme nicht. Man fügt neue Probleme hinzu.

Die kleine Geschichte der Notenbankpolitik seit der großen Weltwirtschaftskrise von 2008 liefert Hinweise für Macht und Ohnmacht einer Notenbank: Sie kann durch das entschlossene Öffnen ihrer Geldschleusen die Panik dämpfen, die Wirkungen der Krise mildern, zusammen mit der Finanzpolitik eine Depressionsspirale verhindern, aber immer um den Preis, dass sie ihre späteren Handlungsmöglichkeiten untergräbt und Entwicklungen einleiten muss, die später die Wirtschaft schwächen. Das Problem ist nur in die Zukunft verschoben, wie die Zinspolitik gezeigt hat.

Neoliberale verdrehen später die Kausalitäten und klagen Notenbank und Regierung an, die gesamte Krise durch ihr Fehlverhalten, durch eine falsche Zins- und Ausgabenpolitik verursacht zu haben. [4] Denn ihrer Meinung nach sei die kapitalistische Produktionsweise eine krisenfreie Angelegenheit. Nur äußere Umstände könnten deshalb die ökonomischen Katastrophen herbeiführen. Die Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Akkumulation wird schon dadurch weggeleugnet, dass die Ware mit ihrem Gegensatz von Gebrauchswert und Tauschwert in ein Produkt, das dort entstehende Geld in einen bloßen Vermittler des Produktenaustauschs und schließlich die spezifisch kapitalistischen Bedingungen der Produktion in allgemeine, natürliche Bedingungen jeglicher Produktion verwandelt werden. [5] Diese Sichtweise blendet alle Krisenelemente aus, die auch nur einen Schatten auf die kapitalistische Produktionsweise selbst werfen könnten.

Was wäre passiert, wenn sich die Politik im März 2023 herausgehalten hätte und die Krisenprozesse so abgelaufen wären, wie sie sich notwendig aus den Widersprüchen und Gegensätzen der kapitalistischen Produktionsweise ergeben. Hätte der Staat das freie Spiel der Marktkräfte walten lassen, wäre ein Flächenbrand wahrscheinlich: Die Panik hätte zugenommen. Bankkunden hätten massenhaft versucht, ihre Einlagen von Banken abzuziehen. Da Banken ihre Einlagen in länger laufenden Anleihen und Krediten anlegen, die sogenannte Fristentransformation, wäre es notwendig zu massiven Anleiheverkäufen gekommen. Der Verkaufsdruck hätte die Wertpapierkurse purzeln lassen, also massenhafte Entwertung der Papiere, hohe Verluste für alle Banken, die ebenfalls verkaufen und die schon abgestürzten Wertpapierkurse weiter unterbieten müssten.

Die Kredit- und Bankenkrise hätte sich verallgemeinert, Bankkunden wären geprellt, Unternehmen reihenweise in Konkurs gegangen mit weiteren katastrophalen Folgen für das Finanzsystem. Der Kredit wäre zusammengebrochen. Nur bare Zahlung würde zählen. Sämtliche Geld-Reservefonds reichten nicht aus, die zuvor kreditgestützte Warenzirkulation mit Geld zu versorgen. Also Geldkrise als Moment der Wirtschaftskrise mit dem praktischen Zwang, alle verfügbaren Waren panisch auf den Markt zu werfen, um selbst zahlen zu können. „Dies plötzliche Umschlagen des Kreditsystems in das Monetarsystem“, schreibt Marx bezüglich der noch nicht staatlich gemanagten Krisen des 19. Jahrhunderts, „fügt den theoretischen Schrecken zum praktischen panic, und die Zirkulationsagenten schaudern vor dem undurchdringlichen Geheimnis ihrer eigenen Verhältnisse.“ (MEW 13, S. 123)

Man sieht, welche Bedeutung die Notenbanken haben in diesem Prozess der Kapitalentwertung. Als Kreditgeber der letzten Instanz verhindern sie erst einmal die Entwertungsspirale einfach dadurch, dass sie das gesetzliche Zahlungsmittel, die Möglichkeit zur baren Zahlung, vor allem den Banken als Kredit in der notwendigen Höhe zur Verfügung stellen. Technisch gesehen „drucken“ sie die Banknoten, die nun Banken erhalten und an ihre Geldeinleger und Kreditkunden weitergeben.

Nur der Haken dabei ist, dass die Krisenelemente gerade nicht ausgeräumt, sondern nur in die Zukunft verschoben werden und sich dort mehr und mehr auftürmen. Eine anschwellende „permanente Krise“ ist die Folge [6], weil Regierung und Notenbank durch ihre fiskal- und geldpolitischen Interventionen die für den konjunkturellen Aufschwung notwendige Bereinigungsfunktion der Krise zu einem großen Teil verhindern: Staatliche Konjunkturprogramme stützen die einbrechende Nachfrage und Subventionen, Sonderzahlungen etc. verhindern Pleiten und die Kredite an die in die Klemme geratenen Banken blockieren eine Verallgemeinerung der Kredit- und Bankenkrise. Statt dass Kapital in seinen verschiedenen Formen, als produktives Kapital, Warenkapital und fiktives Kapital (Anleihen, Aktien, Derivate) massenhaft entwertet wird, existiert es dank staatlicher Interventionen fort. Eine „Zombifizierung“ der Wirtschaft, sich auftürmende Kreditpyramiden, anschwellende Staatsschulden und sprunghaft steigende Notenbankbilanzen sind die Folgen. Solange Notenbanken noch in der Lage sind, durch Anleihekäufe den staatlichen Kreditbedarf zu finanzieren, gehen Staaten nicht Pleite, so dass ökonomisches Krisenmanagement möglich bleibt.

Nun lieferte die Pleite der SVB den praktischen Beweis, dass die Geldpolitik bereits in ein Stadium getreten ist, wo sie viel Unheil anrichtet. Nullzinspolitik einerseits und die inflationsgetriebenen, beinahe panisch erfolgten Zinsanhebungen andererseits haben keineswegs nur der SVB Probleme bereitet. Hohe Kursverluste bei Anleihen und die höheren Finanzierungskosten als Folge des Zinsanstiegs belasten Finanzinstitute aber auch produzierende Unternehmen. [7] Für Zombies sind niedrige Zinsen überlebensnotwendig, denn verschiedene Geschäftsfelder und Projekte geraten im Zuge höherer Finanzierungskosten in Schieflage. Zudem hängt die Expansionsfähigkeit bedeutender Teile der Wirtschaft direkt an der Höhe des Zinses. So bricht beispielsweise der Bauwirtschaft die Nachfrage weg, weil sich viele Bauvorhaben auch zinsbedingt nicht mehr lohnen. Kreditkrisen mit Zahlungsausfällen sind vorprogrammiert. Da sich Kredite im Bankensektor konzentrieren, folgen Bankenkrisen den Kreditkrisen.

Die Geldpolitik hat also in den verschiedensten Bereichen der Wirtschaft Minen zurückgelassen, die vor allem dann explodieren, wenn zusätzlich die wirtschaftliche Entwicklung ins Stocken gerät. Genau diese Konstellation führte die SVB in den Konkurs und sie könnte sich auch für andere als Fallstrick erweisen.


Europäische Zentralbank mit hohen Verlusten


Das Desaster bei der SVB wirft seinen Schatten selbst auf die großen Notenbanken. Auch sie besitzen in ihren angeschwollenen Bilanzen erhebliche Bestände an Anleihen, vor allem an „sicheren“ Staatsanleihen, die nun allesamt hohe Verluste aufweisen. Die SNB verlor 2022 etwa 130 Mrd. Franken, die US-amerikanische Notenbank Fed geschätzt 100 bis 150 Mrd. US-Dollar, die Bank von England etwa 150 Mrd. Pfund und auch die EZB sowie die nationalen Notenbanken des Eurosystem verzeichneten hohe Verluste, sodass sie ihre Risikovorsorge anzapften. [8] Zu den Kursverlusten auf die Wertpapierbestände kommen Zinsverluste hinzu, die darauf beruhen, dass ihre Anleihen nur niedrige Renditen abwerfen, während die Einlagen, die Geschäftsbanken als überschüssige Liquidität bei ihnen halten, mit inzwischen 3 % verzinst werden. Je höher der Leitzins, desto mehr Zinsen müssen Notenbanken zahlen.

Dass die Notenbanken trotz der hohen Verluste kein vergleichbares Desaster wie die SVB erlebten, hat einen einfachen Grund: Sie drucken selbst die Banknoten, also die in der Krise so sehr begehrte „bare Zahlung“, so dass sie daran gerade keinen Mangel haben, der sie in die Liquiditätskrise führen könnte. Anders als die SVB mussten sie deshalb die Kursverluste ihrer Anleihen nicht realisieren. Da die Goldeinlösungspflicht aufgehoben ist, sind sie durch ihre Banknoten auch nicht verpflichtet, Gold oder andere Aktiva gegen die Banknoten herzugeben. Selbst wenn hohe Verluste ihr Eigenkapital aufzehrten, müssen sie keineswegs Konkurs wegen Überschuldung anmelden. Und dennoch besteht ein Problem, wenn etwa die EZB hohe Verluste macht.

Gerade weil die Goldeinlösungspflicht nicht mehr existiert, ist das Vertrauen, das man ihr gibt, den Euro stabil zu halten, essentiell. Kann das Stabilitätsversprechen der EZB noch glaubwürdig sein, wenn sie selbst ökonomisch instabil ist, hohe Verluste macht, überschuldet ist und nach allgemeinen Maßstäben ihren Konkurs anmelden müsste? Drückt sich diese ökonomische Schieflage bereits im derzeitigen Inflationsschub aus? Längst fürchten Warenbesitzer, dass sie Einbußen erleiden, wenn sie den in Euro realisierten Wert ihrer verkauften Ware für den Kauf anderer Waren verwenden. Wie schnell Vertrauen verspielt wird, bewies die Pleite der SVB: Für den Umschlag in allgemeines Misstrauen bedurfte es nur einer Verlustmeldung.


Sozialismus oder Barbarei


Die neue Finanzkrise verläuft bislang mehr im Verborgenen und bricht erst an wenigen Stellen aus. Ihre Gefährlichkeit für das kapitalistische System besteht weniger in den zyklischen Krisenelementen, die sich u. a. im High-Tech-Sektor und in der Bauwirtschaft zeigen, sondern vor allem in dem Krisenpotenzial, das sich überzyklisch aufgebaut hat. Die „permanente Krise“ ist ein großes Risiko. Darin ist das Unheil eingeschlossen, das die Geldpolitik inzwischen anrichtet. Die wirtschaftspolitisch verschleppten Bereinigungskrisen haben die Voraussetzungen für eine noch nicht dagewesene, gigantische Entwertungsspirale geschaffen.

      
Mehr dazu
Interview mit Michael Roberts: Banken auf der Kippe? Ursprung, Natur und Verlauf der Krise, die internationale Nr. 3/2023 (Mai/Juni 2023)
Michael Roberts: Irgendwie geht alles schief, die internationale Nr. 6/2019 (November/Dezember 2019)
 

Anders als noch während der großen Krise 2008 ist der Hort für Stabilität, die Notenbank, ökonomisch angeschlagen. Zusehends verliert sie an Kraft, die Brandherde der neuen Finanzkrise mit ihrer selbst produzierten Liquidität zu ersticken. Sie steckt in einer Zwickmühle: Bekämpft sie die Inflation, produziert sie Verwerfungen im Finanzsektor, die sie inzwischen selbst treffen. Versucht sie, Banken zu retten, so verspielt sie das Vertrauen, die Inflation konsequent zu bekämpfen.

Ein allgemeiner Vertrauensverlust hätte schwerwiegende Folgen für das heutige Geldsystem. Denn bislang fingen die Notenbanken den Umschlag des Kreditsystems ins Monetarsystem auf, indem sie ihre Geldschleusen öffneten und die notwendige bare Zahlung bereitstellten. Was geschieht, wenn Inflation und Vertrauensverlust das Geldsystem stärker erschüttern? Wenn die Banknoten, die die Notenbank druckt, ihren Geldcharakter zu verlieren beginnen und man sie als bare Zahlung kaum noch akzeptiert? Das aus den heutigen Banknoten bestehende Monetarsystem würde den Zusammenbruch des Kredits kaum noch auffangen können. „Werthaltiges“ Geld, die Geldware selbst und direkt darauf bezogene Wertzeichen kämen ins Spiel. An die Stelle des dahinschwindenden Vertrauens in die Notenbanken und deren Banknoten könnte mehr und mehr das Gold treten, so dass der Umschlag des Kreditsystems ins Monetarsystem weiter reichen würde als bislang.

Gesellschaftspolitisch wäre dieser Umschlag mit seinen nun ungebremsten Krisenprozessen eine Katastrophe. Die Gesellschaft fände sich „plötzlich in einen Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt“, wie Marx und Engels 1848 bezogen auf die klassischen, staatlich nicht gedämpften periodischen Überproduktionskrisen vermerkten. (MEW 4, S. 468) Und diese „momentane Barbarei“ würde außerordentlich gesteigert durch die bislang blockierten Bereinigungskrisen, deren zurückgestaute Kapitalvernichtung nun ohne staatliche Entwertungsbremsen in vollem Umfang wirksam würde. Die Alternative wäre wieder da: Sozialismus oder Rückfall in tiefe Barbarei.

5.4.2023



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 3/2023 (Mai/Juni 2023). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/credit-suisse-uebernahme-durch-die-ubs-ist-nicht-ohne-ironie-18763121.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

[2] https://www.nau.ch/news/wirtschaft/snb-chef-cs-konkurs-zu-riskieren-ware-verantwortungslos-gewesen-66456740

[3] Wie gefährdet sind Amerikas Banken?, FAZ 21.3.23

[4] Dazu zählt Hans-Werner Sinn. Da aus seiner Sicht die kapitalistische Produktionsweise in sich stabil sei, führt er sämtliche Krisen auf äußerliche Einflüsse zurück, auf eine fehlgeleitete Geschäftspolitik großer US-Investmentbanken, auf Fehlentscheidungen von Regierungen und vor allem von Notenbanken. So habe die EZB „ihre Mandatsgrenzen vielfach gedehnt, wenn nicht überschritten“ (Die wundersame Geldvermehrung, Verlag Herder, S. 63) „Nicht nur die Null- und Negativzinspolitik, die durch die Wertpapier-Kaufprogramme umgesetzt wurde, war falsch. […] Auch hat die Politik hat falsch auf die Pandemie reagiert. Ihr mit einer staatlichen Schuldenpolitik, also mit Maßnahmen zur Nachfrageausweitung entgegenzutreten, hat nur die Inflation angetrieben.“ (Handelsblatt, 24.3.23, Nr. 60)

[5] Mehr dazu: Marx, MEW 26.2, S. 501 ff.

[6] Zu den Einzelheiten, wie aus den Krisen von 2007 und 2008/09 eine permanente Krise werden konnte, vergleiche Guenther Sandleben/Jakob Schäfer, Apologie von links, Neuer ISP Verlag 2013, S. 121ff.

[7] „Forscher der New York University haben kürzlich errechnet, dass die US-Banken wegen der Zinswende auf bislang unrealisierten Verlusten von 1,7 Billionen Dollar sitzen – fast soviel wie das gesamte Eigenkapital von 2,1 Billionen Dollar im US-Bankensystem.“ https://www.capital.de/geld-versicherungen/ezb--hohe-verluste-bei-banken-werden-fuer-notenbank-zum-problem-33335662.html

[8] Capital 02/23: „Die große Abrechnung“. Die FAZ schätzt die Fed-Verluste „zwischen 80 Milliarden und 100 Milliarden Dollar“. Darin seien die „gewaltigen Buchverluste“ noch nicht enthalten: „Die während der Quantitative-Easing-Phase aufgebauten Anleihen im Fed-Portfolio haben mit den steigenden Zinsen an Wert verloren. Auf rund eine Billion Dollar werden diese nicht realisierten Verluste geschätzt. Die operativen Verluste allein übersteigen dieses Jahr rein rechnerisch das Eigenkapital der Notenbank. Das würde für private Finanzinstitute die Insolvenz bedeuten.“ („Das Finanzloch in der Federal Reserve“, in: FAZ 10.3.23)