Bankenkrise

Banken auf der Kippe? Ursprung, Natur und Verlauf der Krise

Der Bankensektor wurde von einer Reihe von Zusammenbrüchen, staatlichen Rettungsaktionen und Übernahmen erschüttert. Die Krise dieser Banken hat die Aktienmärkte auf der ganzen Welt ins Taumeln gebracht. Wodurch wurde dies alles verursacht? Ist das eine vorübergehende Krise? Welche Auswirkungen wird es auf die Realwirtschaft haben? Ashley Smith interviewte Michael Roberts für Spectre und stellte ihm diese und andere Fragen über das Finanzkapital und den globalen Kapitalismus heute.

Interview mit Michael Roberts

 Ashley Smith: Was waren die unmittelbaren Ursachen für diese Reihe von Bankenzusammenbrüchen?

Michael Roberts: Die unmittelbare Ursache für die jüngsten Bankenzusammenbrüche war wie immer ein Verlust an Liquidität. Was meinen wir damit? Einleger bei der Silicon Valley Bank (SVB) und bei der First Republic sowie bei der Kryptowährungsbank Signature begannen, ihr Bargeld in großem Stil abzuheben, und diese Banken verfügten nicht über genug liquides Bargeld, um die Nachfrage der Einleger zu befriedigen.

Weshalb? Zwei Hauptgründe. Erstens war ein Großteil der Barmittel, die bei diesen Banken eingezahlt worden waren, in Vermögenswerte reinvestiert worden, die im letzten Jahr enorm an Wert verloren hatten. Zweitens hatten viele der Einleger bei diesen Banken, vor allem kleine Unternehmen, festgestellt, dass sie keine Gewinne mehr erzielten oder zusätzliche Finanzmittel von Investoren erhielten, aber sie mussten immer noch ihre Rechnungen und ihr Personal bezahlen. Also begannen sie, Bargeld abzuheben, anstatt es aufzubauen.

 

Silicon Valley Bank

Hauptsitz in Santa Clara, Foto: Minh Nguyen

Warum haben die Vermögenswerte der Banken an Wert verloren? Dies hängt mit dem allgemeinen Zinsanstieg im Finanzsektor zusammen, der durch die Maßnahmen der US-Notenbank, ihren Leitzins scharf und schnell anzuheben, um angeblich die Inflation zu kontrollieren, vorangetrieben wird. Wie funktioniert das?

Nun, einmal angenommen, Banken bieten, um Geld zu verdienen, den Einlegern 2 Prozent pro Jahr Zinsen auf ihre Einlagen an. Sie müssen diese Zinsen decken, indem sie entweder Kredite zu einem höheren Zinssatz an Kunden vergeben oder die Barmittel der Einleger in andere Vermögenswerte investieren, die einen höheren Zinssatz verdienen. Diese höheren Erträge können Banken erzielen, wenn sie finanzielle Vermögenswerte kaufen, die mehr Zinsen abwerfen oder die sie (aber weit riskanter) mit Gewinn verkaufen könnten wie Unternehmens- und Hypothekenanleihen oder Aktien.

Banken können Anleihen kaufen, die sicherer sind, weil die Banken ihr Geld am Ende der Laufzeit der Anleihe – sagen wir fünf Jahre – vollständig zurückbekommen. Und jedes Jahr erhält die Bank einen höheren festen Zinssatz als die 2 Prozent, die ihre Einleger bekommen. Sie erzielt diesen höheren Zinssatz, weil sie ihr Geld nicht sofort zurückfordern kann, sondern warten muss, sogar viele Jahre.

Die sichersten Anleihen, die es zu kaufen gibt, sind Staatsanleihen, da Vater Staat (wahrscheinlich) nicht nach fünf Jahren mit der Rückzahlung der Anleihe in Verzug gerät. SVB-Manager dachten also, sie seien sehr umsichtig mit dem Kauf von Staatsanleihen. Aber hier ist das Problem. Kauft man eine Staatsanleihe für 1000 $, die in fünf Jahren „fällig“ wird (d. h. man erhält seine Investition in fünf Jahren vollständig zurück) und beispielsweise mit 4 Prozent pro Jahr verzinst wird, dann verdient man Geld, wenn die Einlagekunden nur 2 Prozent pro Jahr erhalten.

Wenn aber die Federal Reserve ihren Leitzins um 1 Prozentpunkt erhöht, müssen die Banken auch ihre Einlagenzinsen entsprechend erhöhen oder Kunden verlieren. Der Gewinn der Bank wird gemindert. Aber schlimmer noch, der Preis Ihrer bestehenden 1000 $-Anleihe am Sekundäranleihenmarkt (der so etwas wie ein Gebrauchtwagenmarkt ist) fällt. Warum das? Obwohl Ihre Staatsanleihe immer noch jedes Jahr 4 Prozent abwirft, hat sich die Differenz zwischen Ihren Anleihezinsen und den laufenden Zinsen für Bargeld oder andere kurzfristige Vermögenswerte verringert.

Wenn Sie Ihre Anleihe auf dem Sekundärmarkt verkaufen müssen, wird kein potenzieller Käufer Ihrer Anleihe bereit sein, 1000 $ dafür zu zahlen, sondern vielleicht nur 900 $. Das liegt daran, dass der Käufer, indem er nur 900 $ zahlt und die 4-Prozent-Zinsen erhält, jetzt eine Zinsrendite von 4/900 oder 4,4 Prozent erhalten kann, was es lohnender macht, zu kaufen. SVB hatte eine Menge Anleihen, die sie „zum Nennwert“ (1000 $) gekauft hatte, die aber auf dem Sekundärmarkt weniger wert waren (z. B. 900 $). Sie hatte „nicht realisierte Verluste“ in ihren Büchern.

Aber warum spielt das eine Rolle, wenn man sie nicht verkaufen muss? SVB hätte warten können, bis die Anleihen fällig werden, und hätte dann ihre gesamte Investition plus Zinsen über fünf Jahre zurückbekommen. Aber hier kommt der zweite Teil des Problems für die SVB. Mit den Zinserhöhungen der US-Notenbank und der Konjunkturabschwächung in Richtung Rezession, insbesondere im Start-up-Tech-Sektor, auf den sich die SVB spezialisiert hatte, verloren ihre Kunden Gewinne und waren daher gezwungen, mehr Bargeld zu verbrennen und ihre Einlagen bei der SVB abzubauen.

Schließlich verfügte die SVB nicht über genügend liquide Mittel, um die Abhebungen zu bedienen; stattdessen hatte sie viele Anleihen, die noch nicht fällig geworden waren. Als dies für die Einleger offensichtlich wurde, gerieten diejenigen, die nicht von der staatlichen Einlagensicherung abgedeckt waren (alles über 250 000 Dollar) in Panik und es gab einen Ansturm auf die Bank. Dies wurde deutlich, als die SVB ankündigte, einen Großteil ihrer Anleihenbestände mit Verlust verkaufen zu müssen, um Abhebungen zu bedienen. Die Verluste schienen so groß zu sein, dass niemand neues Geld in die Bank stecken wollte und die SVB Insolvenz anmelden musste.

Aus einem Mangel an Liquidität wurde also – wie immer – Insolvenz. Wie viele kleine Unternehmen mussten schon erleben, dass sie, wenn sie nur ein wenig mehr von ihrer Bank oder einem Investor bekommen hätten, einen Mangel an Liquidität hätten beseitigen und im Geschäft bleiben können? Ohne weitere Hilfe mussten sie stattdessen aufgeben. Das ist im Grunde das, was bei der SVB passiert ist, und dann bei Signature, der Einzahlungsbank für Kryptowährungen, und jetzt bei First Republic, einer Bank für mittelständische Unternehmen und reiche Menschen in New York.

 Was haben die USA und andere Staaten getan, um die Finanzkrise zu stoppen? Kann das helfen, andere Bankenzusammenbrüche zu verhindern und die Aktienmärkte zu beruhigen?

Es sind zwei Dinge, die die Regierung, die US-Notenbank und die großen Banken getan haben. Erstens haben sie Gelder angeboten, um die Nachfrage der Einleger nach ihrem Bargeld zu befriedigen. Obwohl in den USA Bareinlagen von über 250 000 Dollar nicht von der Regierung gesichert werden, hat die Regierung auf diesen Schwellenwert verzichtet und gesagt, dass sie als Notfallmaßnahme alle Einlagen garantieren wird.

Zweitens hat die Fed ein spezielles Kreditinstrument namens Bank Term Funding Program eingerichtet, bei dem Banken Kredite für ein Jahr erhalten können, indem sie die Anleihen als Sicherheiten zum Nennwert einreichen, um Bargeld für Abhebungen von Einlegern zu bekommen. Sie müssen also ihre Anleihen nicht unter dem Nennwert verkaufen. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, den „Paniksturm“ auf die Banken zu stoppen. Aber natürlich lösen sie nicht die zugrunde liegenden Probleme, in denen die Banken stecken, weil die Zinssätze steigen und die Gewinne der Unternehmen, die diese Banken nutzen, sinken.

Einige meinen, dass die SVB und die anderen Banken kleine Fische und eher Spezialinstitute seien. Sie spiegelten also keine umfassenderen systemischen Probleme wider. Aber das lässt sich bezweifeln. Erstens war SVB keine kleine Bank, selbst wenn sie sich auf den Technologiesektor spezialisierte – sie war die sechzehntgrößte in den USA und ihr Zusammenbruch war der zweitgrößte in der US-Finanzgeschichte. Darüber hinaus zeigt ein aktueller Bericht der Federal Deposit Insurance Corporation, dass die SVB nicht als einzige in ihren Büchern riesige „unrealisierte Verluste“ hat. Die Gesamtsumme aller Banken beläuft sich derzeit auf 620 Milliarden Dollar oder 2,7 Prozent des US-BIP. Das ist der potenzielle Schaden für die Banken oder die Wirtschaft, wenn diese Verluste realisiert werden müssen.

Tatsächlich haben 10 Prozent der Banken größere nicht erfasste Verluste als die SVB. Auch war die SVB nicht die am schlechtesten kapitalisierte Bank, denn 10 Prozent der Banken haben eine noch niedrigere Kapitalisierung als die SVB. Eine aktuelle Studie ergab, dass der Marktwert der Vermögenswerte des Bankensystems 2 Billionen Dollar niedriger ist als der Buchwert der Vermögenswerte, die die bis zur Fälligkeit gehaltenen Darlehensportfolios bilanzieren.

Die zu Marktpreisen notierten Bankaktiva sind in allen Banken um durchschnittlich 10 Prozent zurückgegangen, wobei das untere fünfte Perzentil [die untersten 5 % aller Fälle] einen Rückgang von 20 Prozent verzeichnete. Schlimmer noch: Wenn die US-Notenbank die Zinsen weiter anhebt, werden die Anleihekurse weiter fallen; die nicht realisierten Verluste werden zunehmen und noch mehr Banken werden mit einem Mangel an Liquidität konfrontiert sein.

Die Sofortmaßnahmen reichen also möglicherweise nicht aus. Derzeit wird behauptet, dass zusätzliche Liquidität durch größere und stärkere Banken finanziert werden könne, die die Schwachen übernehmen und die Finanzstabilität wiederherstellen, ohne dass die arbeitende Bevölkerung davon betroffen sei. Dies ist die Marktlösung, bei der die großen Geier das tote Aas kannibalisieren – zum Beispiel wurde der britische Zweig der SVB von der HSBC für 1 £ gekauft. Im Fall der Credit Suisse versuchen die Schweizer Behörden, eine Übernahme durch die größere UBS-Bank zu einem Preis von einem Fünftel des aktuellen Marktwertes von CS zu erzwingen.

Wenn die gegenwärtige Krise jedoch wie 2008 systemisch wird, würde das nicht ausreichen. Stattdessen würde es eine Vergesellschaftung der Verluste der Bankenelite durch die staatlichen Rettungsaktionen geben, wodurch die (bereits rekordhohen) Schulden des öffentlichen Sektors weiter in die Höhe getrieben würden, was auf Kosten des Restes von uns durch erhöhte Steuern und noch mehr Sparmaßnahmen bei öffentlichen Sozialausgaben und Dienstleistungen getragen werden müsste.

 Werden die US-Notenbank und andere Zentralbanken weiterhin die Zinssätze erhöhen, um die Inflation zu bekämpfen, oder werden sie sich zurückhalten, um weitere Bankenkrisen zu verhindern?

Es scheint sehr wahrscheinlich, dass die Zentralbanken die Zinssätze in ihrem aussichtslosen Streben, die Inflation zu kontrollieren, weiter anheben werden. Sie werden damit nur aufhören, wenn es eine weitere Serie von Bankenzusammenbrüchen gibt. Dann könnten sie sogar gezwungen sein, ihre restriktive Geldpolitik rückgängig zu machen, um den Bankensektor zu retten.

Aber im Moment zeigen sie ein mutiges Gesicht und behaupten, das Bankensystem sei sehr „widerstandsfähig“ und in einer viel besseren Verfassung als 2008. Eine Umkehr der restriktiven Geldpolitik wäre für die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken katastrophal, da sie die Tatsache offenlegen würde, dass die Zentralbanken die Geldmenge, die Zinssätze oder die Bankentätigkeit nicht kontrollieren – ganz im Gegenteil.

 Was sind die tieferen Ursachen für Inflation und finanzielle Instabilität heute?

Nehmen wir zuerst die finanzielle Instabilität. Kapitalismus ist eine monetäre oder Geld-Wirtschaft. Die Produktion ist nicht für den direkten Verbrauch an Ort und Stelle bestimmt. Die Produktion von Waren dient zum Verkauf auf einem Markt, wo sie gegen Geld eingetauscht werden sollen. Und Geld ist notwendig, um Waren zu kaufen.

Geld und Waren sind nicht dasselbe, daher ist die Zirkulation von Geld und Waren von Natur aus Zusammenbrüchen ausgesetzt. Die Inhaber von Bargeld können sich zu jedem Zeitpunkt entscheiden, die Waren zu den aktuellen Preisen nicht zu kaufen und es stattdessen zu horten. Dann müssen die Verkäufer*innen von Waren die Preise senken oder können sogar pleitegehen. Viele Dinge können diesen Zusammenbruch im Austausch von Geld und Waren oder Geld gegen finanzielle Vermögenswerte wie Anleihen oder Aktien auslösen – fiktives Kapital, wie es Marx nannte. Und dies kann plötzlich passieren.

Aber die Hauptursache wird die Überakkumulation von Kapital in den produktiven Sektoren der Wirtschaft sein, oder mit anderen Worten, die sinkende Rentabilität von Investitionen und Produktion. Bei den Technologieunternehmen als Kunden der SVB hatten die Gewinne zu fallen begonnen und sie erlitten einen Rückgang der Finanzierung durch sogenannte Risikokapitalgeber (venture capitalists, Investoren in Start-ups), weil die Investoren einen Gewinnrückgang erwarten mussten. Deswegen mussten die Tech-Firmen ihre Bareinlagen abschmelzen. Dies zerstörte die Liquidität der SVB und zwang sie, einen Notverkauf ihres Anleihevermögens anzukündigen.

In der Finanzkrise von 2008 wurde die Liquiditätskrise durch den Zusammenbruch des Immobilienmarktes verursacht – und nicht – wie jetzt – durch den im Technologiesektor. Viele Kreditgeber erlitten schwere Verluste bei Hypothekenpfandbriefen, und die Derivate dieser Anleihen vervielfachten die Wirkung im gesamten Finanzsektor und international. Aber der Zusammenbruch des Wohnungsmarktes selbst war auf einen Rückgang der Rentabilität der produktiven Sektoren der Wirtschaft von 2005 bis 2006 zurückzuführen, der schließlich einen völligen Rückgang der Gesamtgewinne verursachte, die den Immobiliensektor umfassten.

Diesmal wurde der monetäre Zusammenbruch durch den weltweiten Inflationsschub nach dem Ende der COVID-Pandemie ausgelöst. Dieser war hauptsächlich auf den enormen Anstieg der Energie- und Lebensmittelkosten zurückzuführen, da die internationalen Lieferketten während der COVID-Pandemie zusammenbrachen und sich nicht erholten.

Wiedereröffnete Unternehmen mussten feststellen, dass sie die wiederauflebende Nachfrage nicht decken konnten; sie konnten Schiffe, Container, Häfen und Ölplattformen nicht wieder ordentlich in Betrieb nehmen. Die Nahrungsmittel- und Energieversorgung versiegte und die Preise stiegen, noch bevor der Russland-Ukraine-Krieg den Zusammenbruch der Lieferketten bei wichtigen Rohstoffen verschärfte. Über Nahrungsmittel und Energie hinaus hat sich die generelle Inflation aufgrund des allgemein geringen Produktivitätswachstums in den wichtigsten Volkswirtschaften beschleunigt: Kapitalistische Unternehmen konnten nach COVID nicht genügend qualifiziertes Personal finden und hatten nicht in neue Kapazitäten investiert, sodass das Wachstum der Arbeitsproduktivität nicht ausreichte, um die wiederbelebte Nachfrage zu decken.

Klar ist, dass die Beschleunigung der Inflation nicht durch höhere Arbeitskosten (d. h. steigende Löhne) verursacht wurde. im Gegenteil, die Arbeitenden waren (und sind) beim Streben nach einem Lohnausgleich weit hinter der ausufernden Inflation zurückgeblieben. Stattdessen ermöglichten steigende Rohstoffkosten und Lieferengpässe Unternehmen mit Preismacht, d. h. großen multinationalen Konzernen, die Preise zu erhöhen und die Gewinnmargen auf Rekordhöhen zu steigern, insbesondere für Energie- und Lebensmittelunternehmen. Es war eine Profit-Preis-Spirale.

Trotzdem haben die Währungsbehörden überall ignoriert oder geleugnet, dass die wachsende Inflation ein angebotsseitiges Problem war (wie es unter der kapitalistischen Produktionsweise normalerweise der Fall ist). Stattdessen behaupteten sie, dass sie auf eine übermäßige Nachfrage zurückzuführen sei, die eine Lohn-Preis-Spirale auslöste. Ihre Antwort war also, die Zinsen anzuheben, ihre bisherige Politik der Quantitativen Lockerung (QE) in Quantitative Straffung (QT) umzukehren und die Liquidität (billiges Bargeld und Kredite) zu reduzieren. So sind die Kreditkosten für Firmen, die investieren, oder Haushalte, die Hypotheken und so weiter bezahlen, stark gestiegen und haben nun das Bankensystem erschüttert.

Die Ironie ist, dass die Erhöhung der Zinsen weiterhin kaum direkte Auswirkungen auf die Inflationsraten haben wird; stattdessen drückt die Politik Gewinne und Löhne und beschleunigt so den Einbruch der sich abkühlenden Volkswirtschaften – genau wie es unter dem Zentralbankchef Volcker in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren geschah, was zu der sehr tiefen Rezession von 1980–82 führte.

 Wie unterscheidet sich diese Krise von der Krise von 2008 und der Großen Rezession [nach 2009]? Was hat damals das Wachstum wiederbelebt? Stehen den Kapitalisten und ihren Staaten diese Mittel heute zur Verfügung?

Kapitalistische Produktion und Investitionen leiden unter regelmäßigen und wiederkehrenden Rezessionen. Sie sind ein notwendiges Mittel, um die Tendenz der mit der Zeit fallenden Profitabilität zu korrigieren. Rezessionen beseitigen das tote Holz und lassen die Stärkeren die Märkte der Schwachen übernehmen, indem sie die Arbeitskosten durch höhere Arbeitslosigkeit senken und so die Grundlage für eine höhere Rentabilität und wirtschaftliche Erholung legen. Dieser Prozess wird bisweilen als „schöpferische Zerstörung“ bezeichnet.

Die Große Rezession 2008–2009 hat das teilweise erreicht – aber nur teilweise. Die Rentabilität des Kapitals in den wichtigsten Volkswirtschaften blieb unter dem Stand Ende der 1990er Jahre. Dies hat die Investitionen in produktive Sektoren schwach gehalten. Unternehmen waren auf billige oder fast kostenlose Kredite angewiesen, um weiterzumachen – der Anteil der „Zombie-Unternehmen“, die nur durch immer mehr Schulden überleben, hat jetzt rund 20 Prozent erreicht. Die Rezession 2020 im Zuge der Pandemie hat gezeigt, dass ein depressiver und stagnierender Kapitalismus sich nicht erholt hat – also noch keine schöpferische Zerstörung.

 Welche Lösungen bietet das kapitalistische Establishment heute? Werden sie funktionieren?

Die etablierte Lösung für Bankenzusammenbrüche ist immer die gleiche: bessere Bankenaufsicht. Selbst die radikalsten etablierten Ökonomen wie Joseph Stiglitz oder Politiker wie Bernie Sanders und Elizabeth Warren vertreten diese Lösung. Und doch funktioniert die Regulierung eines von Natur aus instabilen und spekulativen Finanzsektors einfach nicht.

Die Geschichte der Bankenaufsicht ist eine Geschichte von Ignoranz, Ausweichen und Lügen. Nehmen wir die SVB: Die Bankenaufsicht hat das Zinsrisiko, das der SVB-Vorstand beim Kauf so vieler Anleihen eingegangen ist, trotz Warnungen aus verschiedenen Quellen nicht aufgegriffen. Und immer wieder haben Bankenskandale Versäumnisse von Aufsichtsbehörden aufgezeigt.

Anstelle einer Aufsicht ist es erforderlich, die großen Banken und Finanzinstitute in öffentliches Eigentum zu bringen und sie demokratisch zu führen und von den Beschäftigten in diesen Institutionen und in der Wirtschaft insgesamt zu beaufsichtigen. Spekulative Investmentbanken wie Goldman Sachs oder Investmentgiganten wie BlackRock müssen geschlossen werden. Wir müssen die grotesken Gehälter und Boni der Bankmanager und Händler im Investmentbanking beenden.

Das Bankwesen sollte ein öffentlicher Dienst wie Bildung oder Müllabfuhr sein, kein Zentrum für Wetten im Finanz-Casino mit unserem Geld. Ah, manche sagen, selbst wenn die staatlichen Banken nur Einlagen annehmen und diese dann Unternehmen für Investitionen und Haushalte für große Anschaffungen leihen würden, könnten Sie immer noch von den Einlegern überrannt werden.

Ja, vielleicht. Aber das ist sehr unwahrscheinlich, wenn die Einleger wissen, dass ihr Geld sicher ist, weil der Staat hinter der Bank steht und die Banken nicht mehr spekulieren und sie demokratisch und transparent geführt werden. Wenn die Zinssätze steigen und dies dazu führt, dass staatseigene Banken Verluste bei ihren Staatsanleihenbeständen erleiden, würden diese Verluste gleichmäßig von der Gesellschaft und nicht von den arbeitenden Menschen getragen, um reiche Einleger und Unternehmen auf Kosten des Restes von uns zu retten. Aber das öffentliche Eigentum am Bankwesen ist tabu für alle politischen Strömungen, sogar sozialistische.

 Wie sieht die wahrscheinliche Entwicklung des globalen Kapitalismus aus?

Die ersten zwei Jahrzehnte dieses Jahrhunderts haben gezeigt, dass der Kapitalismus sein Verfallsdatum überschritten hat. Das Wirtschaftswachstum hat sich verlangsamt; die Volkswirtschaften haben zwei große Einbrüche erlitten (2008/09 und 2020), darunter die größte Finanzkrise in der Geschichte. Investitionen in wertschöpfende Sektoren, die das Einkommen erhöhen und die Arbeitszeit senken könnten, wurden nicht getätigt.

      
Mehr dazu
Guenther Sandleben: Welchen Charakter hat die neue Finanzkrise?, die internationale Nr. 3/2023 (Mai/Juni 2023)
Michael Roberts: Irgendwie geht alles schief, die internationale Nr. 6/2019 (November/Dezember 2019)
Michael Roberts: Keynes oder Marx?, Inprekorr Nr. 4/2015 (Juli/August 2015)
 

Die globale Erwärmung und der Klimawandel wurden nicht eingedämmt, und wir steuern auf eine existenzielle Katastrophe zu. Die Armut im sogenannten globalen Süden verschärft sich, und die Ungleichheit bei Einkommen und Wohlstand nimmt überall zu. Der Kapitalismus steckt in einer langen Stagnation oder Depression.

Sie wird nur überwunden werden (und auch dann nur vorübergehend), wenn das Kapital den Lebensstandard der Arbeitnehmer ausreichend zerstört, um die Rentabilität zu steigern und das Investitionswachstum wiederherzustellen. Aber jeder Versuch, dies zu tun, könnte einen beispiellosen Klassenkonflikt provozieren. Die Strategen des Kapitals haben sich also bisher dafür entschieden, stattdessen weiter zu improvisieren und den Schmerz von Liquidierung und schöpferischer Zerstörung zu vermeiden. Aber es gibt Kräfte, die das immer mehr wollen.

Michael Roberts ist der Autor von The Long Depression: Marxism and the Global Crisis of Capitalism (Haymarket 2016) und, zusammen mit Guglielmo Carchedi, Capitalism in the 21st Century (Pluto 2022). Er schreibt regelmäßig Kommentare und Analysen auf seinem Blog The Next Recession.
Ashley Smith ist sozialistischer Schriftsteller und Aktivist in Burlington, Vermont. Er schreibt in zahlreichen Publikationen wie Truthout, International Socialist Review, Socialist Worker, ZNet, Jacobin, New Politics, Harpers und vielen anderen Online- und Print-Publikationen. Derzeit arbeitet er an einem Buch für Haymarket mit dem Titel Socialism and Anti-Imperialism.
Quelle: Spectre, 20. März 2023
Übersetzung: Björn Mertens



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 3/2023 (Mai/Juni 2023). | Startseite | Impressum | Datenschutz