Israel-Palästina-Konflikt/Schweden

Gaza-Solidarität an schwedischen Unis

Studierende in Schweden fordern ein Ende der Unterstützung Israels durch ihre Universitäten.

Schweden hatte kaum Zeit, nach Malmös mächtiger Solidaritätsbekundung für Palästina während der Genozidvision [1] Luft zu holen, bis es zur nächsten Phase der Protestaktionen kam. Die globalen Demonstrationen in Form von Zeltlagern haben nun Schweden erreicht und finden, während wir dies schreiben, unter anderem in Örebro, Lund, Uppsala, Göteborg, Karlstad, und in Stockholm an der Universität und der Königlichen Technischen Hochschule (KTH) statt.

Camp der Studierenden in Lund

Foto: Internationalen

 

Neben der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand unterstützen sie auch die wichtigste Kampagne des palästinensischen Widerstands: die Bewegung für Boykott, Desinvestition und Sanktionen, BDS. Die Student:innen fordern, dass Universitäten Investitionen aus Unternehmen mit Verbindungen zu Israel abziehen und dass sie die Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten beenden. Stattdessen fordern sie Kooperationen mit palästinensischen Universitäten und dass die Universitäten Student:innen aus Gaza unterstützen. Israel hat jede Universität in Gaza zerstört, mindestens 6000 Student:innen getötet und über 80 Prozent aller Schulen zerstört. Dies wird von den Vereinten Nationen als ein Akt von Scholastizid [2] bezeichnet: ein bewusster Versuch, palästinensische Bildung und Wissen durch Angriffe auf Schulen zu vernichten und Schüler:innen und Lehrer:innen zu verletzen, einzusperren und zu ermorden.

Die Universität Tel Aviv, mit der Uppsala eine Vereinbarung hat, forscht zusammen mit der israelischen Armee an Militärtechnologie und -strategie. Der universitätsnahe Think Tank Institute for National Security Studies (INSS) rühmt sich, die „Dahiya“-Doktrin entwickelt zu haben, die unverhältnismäßige Gewalt und Ermordung von Palästinensern vorschreibt. Darüber hinaus kooperiert Uppsala mit der Hebräischen Universität von Jerusalem, die sich in teilweise besetztem Gebiet befindet, und Technion, die Partneruniversität der KTH, ist tief in Israels militärisch-industriellen Komplex eingebunden. Es gibt viele Beispiele. Seit Jahrzehnten beteiligen sich israelische Universitäten an der Planung, Umsetzung und Rechtfertigung von Besatzung, Apartheid und Siedlerkolonialismus. Kann jemand die Zusammenarbeit mit solchen Institutionen verteidigen?

Bei BDS geht es um den Boykott mitschuldiger Institutionen und nicht um den Boykott von Einzelpersonen oder Austausch in der Wissenschaft, es sei denn, die Partner unterstützen offensichtlich Völkermord und Apartheid. Die Sorge, über die der linke Schriftsteller Somar Al Naher im Aftonbladet schreibt, dass BDS sie daran hindern würde, progressive Israelis wie Oren Yifthachel zu treffen, ist daher ungerechtfertigt. Darüber hinaus hat er in einem Artikel mit 240 anderen jüdischen und israelischen Forschern seine Unterstützung für BDS und seine drei Ziele zum Ausdruck gebracht: Ende der Besatzung, volle Rechte für Palästinenser:innen und Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge.

      
Mehr dazu
Ayse Tekin: Protestcamps an deutschen Unis: Meinungsfreiheit hat nicht viel Platz, Sozialistische Zeitung (1.6.2024)
Büro der Vierten Internationale: 76 Jahre nach der Nakba: Eine internationale Bewegung aufbauen!, die internationale Nr. 4/2024 (Juli/August 2024). Auch bei intersoz.org
Dan La Botz: Eine vorläufige Bilanz, die internationale Nr. 4/2024 (Juli/August 2024)
Dan La Botz: Pro-Palästina-Proteste weiten sich trotz Repression aus, die internationale Nr. 3/2024 (Mai/Juni 2024) (nur online). Auch bei intersoz.org
Dossier Gaza-Krieg, die internationale Nr. 3/2024 (Mai/Juni 2024)
Alex Fuentes: Malmö sagte Nein zum Völkermord!, die internationale Nr. 3/2024 (Mai/Juni 2024) (nur online)
Proteste an Universitäten, BIP-Aktuell (21.5.2024)
Hermann Dierkes: BDS-Bewegung wichtiger denn je, die internationale Nr. 2/2024 (März/April 2024)
 

Für diejenigen, die die BDS-Seite über die Studierendenproteste besuchen, gibt es viele Informationen, einschließlich der Frage, wie man die Bestrafung von Einzelpersonen vermeiden kann. BDS ist strikt gegen den Boykott von Personen aufgrund von Religion, „Rasse“ oder Hautfarbe. Die Kampagne lehnt Antisemitismus nachdrücklich ab, wie auch der palästinensische Widerstand und die Solidaritätsbewegung im Allgemeinen. Bekanntlich stehen Jüdinnen und Juden an der Spitze eines großen Teils der Studierendenproteste in den Vereinigten Staaten und die Gewalt, die stattgefunden hat, hat ihren Ursprung auf der anderen Seite; wie der Mob an der UCLA in Los Angeles, wo Israelfreunde und Rechtsextremisten die Student:innen stundenlang angriffen, bevor die Polizei auftauchte.

Kein Wunder, dass die Israelfreunde Angst vor BDS und den Studierendenprotesten haben. Fünfzig Universitäten in Spanien, sechs norwegische Universitäten, die Königliche Akademie der Künste in den Niederlanden, die Universität Gent in Belgien, die Universität Dublin, das Evergreen College in den USA, um nur einige zu nennen, haben die Beziehungen zu Israel abgebrochen oder werden sie abbrechen. Was wir erleben, wurde als ein möglicher „Südafrika-Moment“ für Israel bezeichnet, der Punkt, an dem die Apartheid fallen kann. Natürlich müssen sich Sozialist:innen aus ganzem Herzen den Studierendenprotesten anschließen und Informationen über BDS verbreiten. Diesen Moment zu verpassen, würde die Tötung der über 14 000 Kinder in Gaza noch unerträglicher machen.

Aber die Proteste rund um Palästina gehen auch Hand in Hand mit der Klimabewegung und die schwedischen Mobilisierungen injizieren eine dringend benötigte Dosis Zivilcourage und Verteidigung der Demokratie im heutigen erschreckenden rechtsregierten [3] Schweden. Die Palästina-Solidaritätsbewegung ist damit auch eine Hoffnung für die Linken.

Dieser Text erschien am 20.5.2024 als Leitartikel der schwedischen Zeitung Internationalen



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 4/2024 (Juli/August 2024) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Kunstwort aus „Genozid“ und „Eurovision“. Gemeint sind die Proteste gegen den Auftritt der israelischen Sängerin beim Eurovision Song Contest in Malmö.

[2] Kunstwort aus „scholastic“ (schulisch) und „zid“ (Tötung)

[3] 2022 gingen die Mitte-Rechts-Parteien ein Abkommen mit den rechtsextremen „Schwedendemokraten“ ein, die damit erstmals formalisierten Einfluss auf die Regierungspolitik erhielten, auch wenn sie nicht Teil der Regierung sind.