Joseph Daher beleuchtet den regionalen und multipolaren Imperialismus sowie die Grenzen der iranischen Strategie im Nahen Osten und zeigt internationale Perspektiven zur Befreiung Palästinas auf.
Joseph Daher
Das Waffenstillstandsabkommen zwischen der Hamas und Israel (das seit über einem Jahr einen völkermörderischen Krieg gegen die Palästinenser:innen in Gaza führt) wirft strategische Fragen für den palästinensischen Befreiungskampf und seine Unterstützer:innen auf. Bisher bestand die bevorzugte Strategie darin, im Bündnis mit der sogenannten „Achse des Widerstands“ unter iranischer Führung militärisch gegen Israel vorzugehen. Angesichts der Übermacht Israels und der USA musste dieses Netzwerk jedoch verheerende Rückschläge hinnehmen.
![]() Hisbollah-Training 2023 (Foto: Tasnim News Agency) |
Israels wiederholte Morde an iranischen Führungspersönlichkeiten und seine direkten Angriffe auf den Iran selbst haben deutlich vor Augen geführt, wo die wunden Punkte für den Iran liegen und mit welchen Problemen er in der Region zu kämpfen hat. Der schonungslose Krieg Israels gegen den Libanon hat die Hisbollah, das Kronjuwel der iranischen Achse, schwer in Mitleidenschaft gezogen und die Menschen im Libanon, insbesondere das Fußvolk der Hisbollah in der schiitischen Bevölkerung des Landes, kollektiv bestraft. Der Sturz von Baschar al-Assad, dem anderen engen Verbündeten des Irans in der Region, hat die Achse weiter geschwächt. Nur die Huthis im Jemen haben die israelische Offensive relativ unbeschadet überstanden.
Dennoch hat Israel seine wichtigsten Ziele in Gaza, nämlich die Zerschlagung der Hamas und die ethnische Säuberung der Bevölkerung, nicht erreicht, und es wurde weltweit als völkermörderischer, kolonialer Apartheidstaat geächtet. Allerdings war auch der von der Achse getragene militärische Widerstand gegen Israel nur bedingt erfolgreich und hat sich letztendlich als unfähig erwiesen, Palästina zu befreien. Was können wir daraus lernen? Hat die Achse eine Zukunft? Wie verhält sich die Masse der Bevölkerung in der Region? Gibt es eine Alternative zur militärischen Strategie gegen Israel? Und wie sollte sich die internationale Linke in diesen strategischen Debatten positionieren?
In den 2000er Jahren konnte das iranische Regime seinen Einfluss im Nahen Osten vor allem mit Hilfe der Islamischen Revolutionsgarden ausdehnen. Dabei profitierte der Iran von der Niederlage, welche die USA und ihre Verbündeten im „Krieg gegen den Terrorismus“ im Nahen Osten und in Zentralasien erlitten hatten. Die Bemühungen von George Bush um einen regionalen Regimewechsel wurden durch den Widerstand gegen die US-amerikanische Besatzung im Irak und in Afghanistan vereitelt. Hingegen hat sich der Iran mit diversen fundamentalistischen Parteien und Milizen schiitisch-islamistischer Ausprägung, die teilweise auch in staatlichen Institutionen verankert sind, irakische Verbündete geschaffen und ist so zur einflussreichsten Regionalmacht aufgestiegen.
Auch im Libanon konnte der Iran seinen Einfluss ausbauen, vor allem durch sein Bündnis mit der Hisbollah, die aufgrund ihres Widerstands gegen die israelische Offensive im Libanon im Jahr 2006 an Popularität gewonnen hatte. Bereits seit Mitte der 1980er Jahren unterstützt Teheran die Hisbollah nicht nur finanziell, sondern auch mit Waffenlieferungen. In den 2010er Jahren intensivierte das iranische Regime seine Beziehungen zu anderen Akteuren in der Region, etwa zur Huthi-Bewegung im Jemen, und seit dem Krieg Saudi-Arabiens gegen den Jemen im Jahr 2015 gewährt der Iran den Huthis auch militärische Unterstützung. Nicht zuletzt ist Teheran ein enges Bündnis mit der Hamas in den besetzten palästinensischen Gebieten eingegangen.
Die regionale Bündnispolitik des Irans erreichte ihren Höhepunkt in den späten 2010er Jahren, als die Hisbollah die politische Bühne im Libanon beherrschte, die irakischen Milizen ihren Einfluss behaupten konnten, die iranischen Streitkräfte im Verbund mit der Hisbollah Assads Konterrevolution in Syrien unterstützten und die Huthis einen Waffenstillstand mit Saudi-Arabien erwirkten. Der entscheidende Akteur bei der Konsolidierung der Achse waren die Revolutionsgarden. Im Iran selbst sind sie bis zu einem gewissen Grad ein Staat im Staat. Neben ihrer militärischen Schlagkraft und ihrem politischen Einfluss kontrollieren sie auch die wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes. Mehrere bewaffnete Interventionen im Irak, in Syrien und im Libanon gehen auf ihr Konto.
Der Iran war bestrebt, ein regionales Gleichgewicht der Kräfte gegen Israel und die USA herzustellen, während er gleichzeitig seine eigenen militärischen und wirtschaftlichen Ziele in der Region verfolgte. Das Regime betrachtet jeden Angriff auf seinen Einfluss im Irak, im Libanon, im Jemen und im Gazastreifen – sei es durch Volksaufstände, durch Israel, durch andere Regionalmächte oder durch die USA – als Bedrohung seiner Interessen. Es geht ihm nicht um emanzipatorische Projekte; seine Politik folgt ausschließlich nationalen und kapitalistischen Interessen.
Das iranische Regime verweigert der eigenen werktätigen Bevölkerung das Grundrecht, sich zu organisieren, Kollektivverhandlungen zu führen und zu streiken. Das harte Vorgehen gegen Demonstrant:innen und die massenhafte Inhaftierung von Dissident:innen, die zu Zehntausenden als politische Gefangene in den Gefängnissen des Landes schmachten, sollen jeden Widerstand im Keim ersticken. Die nationalen Bestrebungen der Kurden sowie der Menschen in Sistan und Belutschistan wurden durch das Regime ausnahmslos brutal niedergeschlagen, was immer wieder zu Aufständen führte, zuletzt 2019. Die unerträglichen Lebensbedingungen und die systematische Unterdrückung von Frauen haben 2022 die Massenbewegung „Frau, Leben, Freiheit“ ausgelöst.
Teheran duldet auch keinen Widerstand gegen die Regierungen seiner Achsenverbündeten. So hat es die Massenproteste im Libanon und im Irak im Jahr 2019 verurteilt – unter dem Vorwand, die USA und ihre Verbündeten stünden hinter den Protesten, um „Unsicherheit und Unruhe“ zu verbreiten. Dem syrischen Regime hat der Iran neben seinen eigenen Streitkräften auch Kämpfer aus Afghanistan und Pakistan sowie die Milizen der Hisbollah als Bodentruppen zur Verfügung gestellt, während Russland seine Luftwaffe einsetzte, um Assad bei der konterrevolutionären Niederschlagung des demokratischen Aufstands von 2011 zu unterstützen.
Auch die Achsenverbündeten des Irans griffen gegen Protestbewegungen hart durch. Während der libanesischen Intifada im Oktober 2019 verbündete sich die Hisbollah, ungeachtet aller Meinungsverschiedenheiten, mit den anderen Regierungsparteien gegen die sozialen Bewegungen, die sich gegen die neoliberale und auf ethnischem Proporz beruhende staatliche Ordnung erhoben. Hassan Nasrallah, der Anführer der Hisbollah, erklärte, der Aufstand sei von ausländischen Mächten finanziert worden, und setzte seine Milizen ein, um die Demonstranten zu attackieren.
Im Irak wiederum wurden die Aufstände im Jahr 2019 von mit dem Iran verbündeten Milizen und Parteien, wie den Volksmobilisierungseinheiten, niedergeschlagen. Im Zuge einer gewaltsamen Operation gegen die Veranstalter von Kundgebungen, zivile Demonstranten und Journalisten wurden mehrere hundert Menschen getötet und mehrere tausend verletzt. Die Hisbollah und die irakischen Milizen rechtfertigten ihr hartes Vorgehen mit der Behauptung, die Unruhen seien von ausländischen Mächten angezettelt worden. In Wahrheit handelte es sich um den Aufschrei eines geknechteten Volks, das berechtigte Forderungen nach Reformen erhob, und nicht um die Umsetzung eines wie immer gearteten geheimen Plans einer fremden Macht. Aus gutem Grund skandierten die Aktivisten Slogans wie „Weder Saudi-Arabien noch Iran“ oder „Weder die USA noch der Iran“.
Der Iran ist weit davon entfernt, ein glaubwürdiger oder entschlossener Gegner des US-amerikanischen Imperialismus zu sein. So hat er etwa bei den Operationen der USA in Afghanistan und im Irak mit dem US-amerikanischen Imperialismus kollaboriert. Er ist auch kein zuverlässiger Verbündeter der Palästinenser:innen. Als die Hamas dem Assad-Regime bei der Niederschlagung des syrischen Aufstands im Jahr 2011 die Unterstützung verweigerte, stellte der Iran kurzerhand seine finanzielle Hilfe ein.
Dies änderte sich erst, als Ismail Hanija im Jahr 2017 Chalid Mesch’al an der Spitze der Hamas ablöste und wieder engere Beziehungen zwischen der palästinensischen Bewegung, der Hisbollah und dem Iran aufgenommen wurden. Die Unstimmigkeiten zwischen dem Iran und den Palästinenser:innen, vor allem in der Syrienfrage, waren damit keineswegs aus dem Weg geräumt. Zahlreiche Palästinenser:innen in den besetzten Gebieten und anderswo bejubelten den Sturz des iranischen Verbündeten Assad, der vielen als mörderischer Tyrann und Feind der palästinensischen Sache galt.
Das Bündnis der Hamas mit dem Iran wird von Teilen der Palästinenser:innen in Gaza kritisch betrachtet, selbst von jenen, die der Hamas nahestehen. So zerriss eine Gruppe von Palästinenser:innen im Dezember 2020 in Gaza-Stadt ein Plakat mit einem riesigen Porträt des verstorbenen Generals Qassem Soleimani, dem Befehlshaber der iranischen Quds-Truppe, wenige Tage vor dem ersten Jahrestag seiner Ermordung, obwohl die Hamas den Luftschlag Washingtons, der Soleimani 2020 in Bagdad getötet hatte, verurteilte und Hanija sich sogar nach Teheran begab, um an seiner Beerdigung teilzunehmen.
Für weite Teile der Palästinenser:innen ist Soleimani einfach ein Verbrecher. Mehrere andere Plakate und Transparente mit dem Porträt Soleimanis wurden ebenfalls beschädigt, und in einem Video wurde der iranische General als „Schlächter der Syrer und Iraker“ bezeichnet.
Der Iran und seine Verbündeten haben immer eine konterrevolutionäre Rolle in der Region gespielt und die Massenbewegungen für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und gleiche Rechte im Stich gelassen. Die angebliche Achse des Widerstands war von Anfang an nichts anderes als ein Bündnis, das ausschließlich der Selbsterhaltung seiner Mitglieder und der Durchsetzung regionaler Macht diente.
Die verhaltene Reaktion des Irans auf den Angriff der Hamas am 7. Oktober und auf den völkermörderischen Krieg Israels in Gaza ist dafür ein Beispiel. Trotz wiederholter Unterstützungserklärungen für die Hamas und die Palästinenser:innen achtete das iranische Regime aus Sorge um seinen eigenen Machterhalt stets darauf, eine Eskalation des Kriegs mit Israel und den USA zu vermeiden. Aus diesem Grund hat der Iran auf Israels wiederholte Schläge gegen iranische Ziele und gegen die Hisbollah in Syrien sowie auf die Ermordung hochrangiger iranischer Vertreter, auch im Iran selbst, immer äußerst zurückhaltend reagiert.
Zunächst hatte Teheran versucht, Druck auf die USA auszuüben, indem es den pro-iranischen Milizen im Irak und in Syrien grünes Licht gab, US-amerikanische Stützpunkte in Syrien, dem Irak und in geringerem Maß auch in Jordanien anzugreifen. Nach den Luftschlägen der USA im Februar 2024 reduzierte der Iran diese Angriffe jedoch auf ein Minimum. Lediglich die Huthis im Jemen nahmen weiterhin Handelsschiffe im Roten Meer ins Visier und feuerten einige Raketen auf Israel ab.
Zum ersten Mal seit der Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979 führte der Iran direkte Militäroperationen gegen Israel durch, wobei er stets darauf bedacht war, eine Eskalation zu vermeiden. Das lässt sich durch den regelmäßigen Kontakt zwischen den beiden Staaten belegen. Den israelischen Raketenangriff auf die iranische Botschaft in Damaskus am 1. April, bei dem 16 Menschen getötet wurden, darunter sieben Mitglieder der Revolutionsgarden und der Kommandeur der Quds-Truppe in der Levante, Mohammad Reza Zahedi, beantwortete der Iran mit der Operation True Promise.
![]() Revolution in Syrien Hama, 8.12.2024 (Foto: Voice of America) |
Allerdings gab der Iran, bevor er zurückschlug, seinen Verbündeten und Nachbarn eine Frist von 72 Stunden zum Schutz ihres Luftraums. Aufgrund dieser Warnung hatten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate Zeit genug, um Informationen mit Israel und den USA auszutauschen und so den Angriff zu entschärfen. Saudi-Arabien und der Irak genehmigten Tankflugzeugen der US-Luftwaffe, ihren Luftraum zu benützen, um die Patrouillen der USA und ihrer Verbündeten während der Operation zu unterstützen.
Erst danach feuerte der Iran 300 Drohnen und Raketen auf Israel ab, wobei auch dieser Angriff weitgehend symbolisch und bewusst darauf angelegt war, keinen größeren Schaden anzurichten. Die Drohnen erreichten erst nach mehreren Stunden ihr Ziel und konnten daher leicht identifiziert und abgeschossen werden. Der Iran verzichtete ausdrücklich darauf, seine Verbündeten, etwa die Hisbollah, dazu aufzurufen, sich dem Angriff anzuschließen. Nach der Operation erklärte der Oberste Nationale Sicherheitsrat des Irans, dass keine weiteren Militäraktionen geplant seien und dass er die „Angelegenheit“ als „abgeschlossen“ betrachte.
Mit anderen Worten: Der Iran hat den Schlag in erster Linie durchgeführt, um sein Gesicht zu wahren und Israel davon abzuhalten, seine Angriffe auf das iranische Konsulat in Damaskus fortzusetzen. Damit machte das iranische Regime deutlich, dass es einen regionalen Krieg mit Israel und vor allem eine direkte Konfrontation mit den USA vermeiden wollte. Es ging ihm also primär darum, den Schaden für sich und sein Netzwerk aus regionalen Verbündeten gering zu halten.
Am 1. Oktober griff Teheran mit fast 200 Raketen Israel erneut an, um die Morde an Hassan Nasrallah im Libanon und an Ismail Hanija, dem Anführer der Hamas, in Teheran zu „rächen“. Zweifellos nahm der Iran mit diesem Angriff eine weitere Eskalation in Kauf, wobei es ihm auch diesmal in erster Linie darum ging, seine Glaubwürdigkeit bei seinen libanesischen Verbündeten und den Anhängern der Hisbollah nicht zu verlieren. Auch dieser Angriff war begrenzt und darauf angelegt, die Gefahr einer Konfrontation mit Israel und den USA auf ein Minimum zu reduzieren.
Diese Abschreckung war so wenig überzeugend, dass Israel am 26. Oktober drei neue Angriffswellen gegen iranische Luftabwehrsysteme im Umkreis von Energieanlagen und Raketenfertigungsanlagen startete. Tel Aviv hatte ursprünglich sogar vor, iranische Atom- und Ölanlagen zu bombardieren, wurde aber von den USA zurückgehalten. Desgleichen weigerten sich mehrere arabische Länder, mit denen Israel direkte oder indirekte Beziehungen unterhält, israelische Bomber und Raketen über ihr Territorium fliegen zu lassen. Dennoch zeigten diese Angriffe einmal mehr die Verwundbarkeit des Irans.
Aufgrund ihrer Schwäche und ihrer abwartenden Haltung zu Israels völkermörderischem Krieg machten sich die regionalen Verbündeten des Irans ähnlich angreifbar. Daher waren auch die Vorstöße der Hisbollah im Norden Israels begrenzt und weitgehend symbolisch. Aber dann überraschte Israel seine Gegner mit einem brutalen staatsterroristischen Anschlag: Es brachte sogenannte Pager [Geräte, die von den Kadern der Hisbollah zur Kommunikation benutzt werden, Anm. d. Red.] gezielt zur Explosion und tötete dabei unzählige Zivilisten. Danach entfesselte es einen gnadenlosen Krieg im Südlibanon, der die militärische Schlagkraft der Hisbollah dezimierte, ihre Anhänger unter der schiitischen Bevölkerung kollektiv bestrafte und schließlich die Hisbollah erheblich schwächte.
Zudem verlor der Iran seinen wichtigsten Verbündeten, das Assad-Regime in Syrien, nachdem bewaffnete Kräfte das Regime nahezu kampflos gestürzt hatten. Assad war übrigens nie ein Partner im palästinensischen Befreiungskampf. Unter seinem Regime wurde der Frieden an den Grenzen zu Israel aufrechterhalten, und im Zuge seiner konterrevolutionären Offensive in Syrien wurden Palästinenser:innen im Flüchtlingslager Jarmuk [einem Stadtteil von Damaskus, Anm. d. Red.] und anderswo angegriffen. Kein Wunder, dass eine Mehrheit der Palästinenser:innen den Sturz des syrischen Regimes begrüßte.
Mit Assads Sturz hat der Iran seinen syrischen Stützpunkt für logistische Koordination sowie für die Produktion und Lieferung von Waffen verloren, was insbesondere die Hisbollah zu spüren bekam. Das alles hat Teheran sowohl intern als auch auf regionaler Ebene erheblich geschwächt. Folglich hat der Iran ein Interesse daran, Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes zu destabilisieren, indem er über seine verbliebenen Netzwerke ethnische Spannungen im Land schürt. Ein stabiles Syrien, das unter Umständen sogar mit den regionalen Rivalen des Irans ein Bündnis eingehen könnte, liegt nicht in seinem Interesse.
Der einzige Bündnispartner des Irans, der einigermaßen verschont blieb, sind die Huthis im Jemen. Vor dem Waffenstillstand bombardierte Israel wiederholt die Streitkräfte der Huthis, um die iranische Achse zu schwächen. Im Dezember 2024 verstärkte Tel Aviv seine Angriffe auf die von den Huthis kontrollierten Häfen von Hodeidah, As-Salif und Ras Isa, um ihnen ihre von Hafensteuern, Zöllen und Öllieferungen abhängige wirtschaftliche Basis zu entziehen, ihre militärische Schlagkraft zu schwächen und Waffenlieferungen aus dem Iran zu behindern.
Es war Israel auch wichtig, die Angriffe der Huthis auf Handelsschiffe zu minimieren. Die Huthis hatten regelmäßig die Schifffahrt in der Meerenge von Bab el-Mandeb zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden, durch die bis zu 15 % des Weltseehandels verlaufen, behindert, um die Hamas und die Palästinenser:innen zu unterstützen.
Das hatte unmittelbar zur Folge, dass Ägypten beträchtliche Einnahmen entgingen, da die internationale Schifffahrt vom Suezkanal auf andere Routen umgeleitet wurde. Desgleichen wurde der Hafen Eilat im Süden Israels lahmgelegt. Die USA, Großbritannien und Israel reagierten auf diese Bedrohung des globalen Kapitalismus mit Raketen- und Bombenangriffen auf Ziele der Huthis.
Obwohl der Iran geschworen hatte, sich an Israel zu rächen, hielt er sich auch diesmal zurück, um einem direkten Krieg mit Israel und den USA aus dem Weg zu gehen. Das unterstreicht einmal mehr, dass die Befreiung der Palästinenser:innen nicht im geopolitischen Interesse des Irans liegt, sondern dass er sie – vor allem in seinen Beziehungen zu den USA – bloß als Mittel zum Zweck benutzt.
Die halbherzige Reaktion des Irans auf Israels Krieg gegen den Libanon und auf die Ermordung führender politischer und militärischer Köpfe der Hisbollah durch Israel hat weiters gezeigt, dass es dem Iran vorrangig um die Wahrung seiner geopolitischen Interessen und um den Fortbestand des eigenen Regimes geht. Dazu gehört auch eine Art Modus Vivendi mit den USA. Daher streben Präsident Massoud Peseschkian und der Oberste Führer Ali Khamenei eine Vereinbarung mit Washington an, um eine Aufhebung der drückenden Wirtschaftssanktionen zu erreichen und die Beziehungen zu den USA zu normalisieren.
Aufgrund seiner geschwächten Position und in der Hoffnung, sein Regime zu erhalten, wurde der Iran immer enger in die Arme Russlands getrieben. Erst kürzlich unterzeichnete er ein 20-jähriges „Umfassendes strategisches Partnerschaftsabkommen“ mit Moskau, das eine Zusammenarbeit im Handel, bei militärischen Projekten und in den Bereichen Wissenschaft, Bildung, Kultur usw. vorsieht. Das Abkommen enthält zudem eine Klausel, die beide Partner dazu verpflichtet, weder Operationen, die die Sicherheit des anderen bedrohen würden, auf dem eigenen Hoheitsgebiet zuzulassen noch allfälligen Angreifern auf das jeweils andere Land Hilfe zu leisten.
Weiters enthält das Abkommen Passagen zum gemeinsamen Vorgehen gegen die Ukraine, zur Umgehung westlicher Sanktionen und zur Zusammenarbeit auf dem Nord-Süd-Korridor, der Moskauer Initiative zur Förderung des Handels zwischen Russland und Asien. Bereits vor dem Abkommen hatte der Iran Drohnen an Russland für dessen Angriffskrieg in der Ukraine verkauft, während Russland dem Iran technologisch hoch entwickelte SU-35-Kampfflugzeuge zur Verfügung stellte.
Zweifellos haben der Sturz Assads und Trumps Rückkehr als Präsident der USA den Abschluss dieses Abkommens beschleunigt, aber im Grunde war es die logische Konsequenz aus den zunehmenden Schwierigkeiten beider Länder im Lauf der letzten Jahre. Teheran hatte einen herben Rückschlag im Nahen Osten erlitten, während Moskaus geopolitische Position durch seine Unfähigkeit, im imperialistischen Krieg gegen die Ukraine einen endgültigen Sieg zu erringen, erheblich geschwächt wurde. Und beide Staaten leiden unter den Folgen beispielloser westlicher Sanktionen.
Nun suchen sie verzweifelt nach einem Ausweg aus ihrer misslichen Lage. Das Partnerschaftsabkommen ist Teil dieser Bestrebungen. Es soll „in einem objektiven Prozess zur Schaffung einer neuen, gerechten und nachhaltigen multipolaren Weltordnung“ beitragen. Die beharrliche Verwendung des Begriffs „Multipolarität“ ist ein Eckpfeiler der geopolitischen Strategie von Russland, China und dem Iran zur Rechtfertigung ihres eigenen kapitalistischen Wirtschaftsmodells, ihrer imperialistischen oder subimperialistischen Politik und ihrer reaktionären Sozialprogramme.
Leider haben einige linke Wortführer und Strömungen diese Rhetorik übernommen, um die Vision eines multipolaren Systems als Gegenentwurf zu einer in ihren Augen von den USA dominierten unipolaren Welt zu propagieren. Aber de facto handelt es sich beim Auftauchen neuer Großmächte und regionaler Akteure in einer multipolaren Welt kapitalistischer Staaten nicht um eine Alternative zur Unipolarität, sondern um ein neues und – offen gestanden – noch gefährlicheres Entwicklungsstadium des globalen Imperialismus. Während Washingtons konkurrenzlose Dominanz ein Horror war, trägt der sich zuspitzende Konflikt zwischen den imperialistischen Mächten (USA, China, Russland) und verschiedenen regionalen Kräften wie dem Iran das Risiko eines globalen Kriegs in sich. Es sei daran erinnert, dass die vorerst letzte multipolare Weltordnung einen Wettstreit rivalisierender imperialistischer Staaten um die Hegemonie über den globalen Kapitalismus und zwei Weltkriege ausgelöst hat.
Großmächte wie China und Russland, die von Multipolarität schwärmen, können weder dem globalen Süden noch den arbeitenden Klassen und den unterdrückten Völkern auf der ganzen Welt eine Alternative anbieten. Ihre kapitalistische Wirtschaftspolitik reproduziert überholte Muster der Unterentwicklung, verhindert die Industrialisierung von Entwicklungsländern, legt sie auf die Produktion von Rohstoffen fest, die vorwiegend für den Export nach China bestimmt sind, und zwingt sie im Gegenzug, chinesische Fertigprodukte zu kaufen. Während die herrschenden Klassen in den Entwicklungsländern von diesem Modell durchaus profitieren können, leidet die Masse der Bevölkerung unter prekären Beschäftigungsverhältnissen, Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung.
Im Allgemeinen stellen die Länder der sogenannten BRICS-Allianz (Russland, China, Brasilien, Indien, Südafrika und andere) die Hegemonie des globalen Nordens über Institutionen wie den IWF und die Weltbank und deren neoliberale Spielregeln nicht in Frage. Sie möchten lediglich den aus ihrer Sicht rechtmäßigen Platz am Tisch des globalen Kapitalismus einnehmen.
Nicht einmal die Erweiterung der BRICS um neue Staaten lässt sich als Alternative [zur unipolaren Weltordnung, Anm. d. Red.] interpretieren. Im Januar 2024 wurden Argentinien, Ägypten, Äthiopien, der Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate als neue Mitglieder aufgenommen. Aber niemand, der einigermaßen bei Verstand ist, würde etwa Argentinien unter Javier Milei (einem Anhänger Donald Trumps und der verwirrten Autorin Ayn Rand) zutrauen, eine Lösung für die arbeitende und unterdrückte Bevölkerung des globalen Südens zu haben. Anstatt die kapitalistische Weltwirtschaft in Frage zu stellen, konkurrieren die BRICS-Staaten im Rahmen des Systems um ihren Anteil am Kuchen.
Daher wäre es ein verhängnisvoller Fehler für die Linke, gleich welcher Schattierung, sich mit dem einem Lager kapitalistisch-imperialistischer Staaten gegen das andere zu verbünden. Damit wäre dem Antiimperialismus nicht gedient, ganz zu schweigen von den arbeitenden und unterdrückten Menschen, die – in welchem Staat auch immer – für ihre Rechte eintreten. Eine linke Politik sollte sich nicht an der vermeintlichen Alternative zwischen Unipolarität und Multipolarität orientieren. Vielmehr müssen wir uns in jedem einzelnen Fall an die Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten stellen und ihnen im Kampf gegen ihre Ausbeuter und Unterdrücker beistehen.
Wenn Vertreter der Linken den Drang von Russland, China und dem Iran nach einer multipolaren Weltordnung kritiklos akzeptieren, verbünden sie sich mit den herrschenden Klassen und autoritären Regimes kapitalistischer Staaten und fallen den Kämpfen der arbeitenden Klassen in diesen Ländern in den Rücken. Andererseits bedeutet die Solidarität mit diesen Kämpfen keineswegs eine Parteinahme für den US-amerikanischen Imperialismus und seine Verbündeten. Unsere Solidarität gehört nicht dem einen oder anderen Lager kapitalistischer Staaten, sondern den arbeitenden und unterdrückten Massen. Zweifellos wird jedes Lager versuchen, Volkserhebungen im anderen Lager zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Aber dieses Risiko darf nicht als Vorwand dienen, auf die Solidarität mit berechtigten Befreiungskämpfen zu verzichten.
Sollte eine internationalistische Politik – das Markenzeichen der Linken – auch heute noch von Relevanz sein, muss die Solidarität mit den arbeitenden Klassen in allen Ländern, unabhängig vom jeweiligen Lager, absolute Priorität haben. Nur Protestbewegungen von unten können einer repressiven und autoritären Politik trotzen und sie letztlich ersetzen. Das gilt für die USA ebenso wie für China und für jedes andere Land.
Wenn sich gewisse Regimes durch die berechtigten Protestbewegungen in ihrer Souveränität bedroht fühlen und ihnen zynischerweise unterstellen, vom Ausland gelenkt zu sein, müssen wir widersprechen, denn eine solche Position ist typisch für einen Rechtsnationalismus, aber hat mit sozialistischem Internationalismus nichts zu tun.
Ein internationalistischer Ansatz ist unerlässlich, gerade angesichts der Neuordnung der regionalen Kräfteverhältnisse im Nahen Osten und der Rückkehr von Trump an die Macht. Der Iran und seine Achse haben einen dramatischen Rückschlag erlitten, während die USA, Israel und ihre Verbündeten aus den Auseinandersetzungen gestärkt hervorgehen. Was künftige Verhandlungen mit Trump betrifft, befindet sich der Iran also in einer ungünstigen Position, zumal es mit seiner Wirtschaft unter dem Druck von Sanktionen und infolge seiner eigenen kapitalistischen Krise weiter bergab geht.
Angesichts dieses Problems wird Teheran seine regionale Strategie wahrscheinlich überdenken. Es könnte zum Schluss kommen, dass es am besten wäre, verstärkt auf Atomwaffen zu setzen, um sein Abschreckungspotenzial zu erhöhen und seine Position in künftigen Verhandlungen mit den USA zu verbessern.
Die Linke, insbesondere in den USA und in Europa, muss jeder weiteren Aggression Israels und der Vereinigten Staaten gegen den Iran oder andere regionale Akteure eine Absage erteilen. Auch ein Wirtschaftskrieg gegen den Iran ist zu verurteilen, da Sanktionen die arbeitende Bevölkerung des Landes unverhältnismäßig stark treffen würden. Keine linke Strömung sollte sich auf die Seite der USA und ihrer westlichen Verbündeten schlagen, die nach wie vor der größte Gegner eines weltweiten sozialen Fortschritts sind.
Gleichzeitig dürfen wir uns nicht von der Logik „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ täuschen lassen und Washingtons größten imperialistischen Rivalen, nämlich China, oder andere gegnerische Staaten der USA, etwa Russland, unterstützen. Deren unersättliche imperialistische Ambitionen stehen den USA um nichts nach, wie sich an Pekings Vorgehen in Xinjiang und Hongkong sowie an Moskaus verheerender Bilanz in Syrien und in der Ukraine ablesen lässt. Und niemand, der sich als links versteht, sollte das autoritäre, neoliberale, patriarchalische Regime des Irans und seine reaktionäre und repressive Politik gegen die eigene Bevölkerung und die Menschen in anderen Ländern, etwa in Syrien, gutheißen.
Die Islamische Republik Iran ist ein Feind der arbeitenden Klassen im eigenen Land wie in der ganzen Region und weit davon entfernt, sich für emanzipatorische Bestrebungen einzusetzen. Das gilt auch für die iranischen Verbündeten in der Region, wie die Hisbollah, die in ihren jeweiligen Ländern allesamt eine konterrevolutionäre Rolle spielen.
Israels völkermörderischer Krieg in Gaza hat deutlich gemacht, dass weder der Iran noch eine andere Kraft der sogenannten „Achse des Widerstands“ ein ehrliches Interesse an der Befreiung Palästinas hat. Gerade für den Iran war die palästinensische Frage bloß ein Vorwand für die Verfolgung seiner eigenen Ziele in der Region.
Vermutlich wird der US-amerikanische Imperialismus in der aktuellen Situation kurzfristig von der Schwächung des Irans und seines regionalen Netzwerks profitieren. Gleichzeitig fehlt es an echten Lösungen für die Krise des Kapitalismus in der Region: Die soziale Ungleichheit nimmt zu, und das Elend der arbeitenden Bevölkerung und der einfachen Leute wird von Tag zu Tag unerträglicher. Damit sind brandgefährliche Auseinandersetzungen wie in den letzten anderthalb Jahrzehnten praktisch unvermeidlich. Während wir also den US-amerikanischen Imperialismus und die imperialistischen Bestrebungen anderer Mächte, auch diverser regionaler Akteure, verurteilen, solidarisieren wir uns mit den sozialen Bewegungen in der Region, damit sie ihren demokratischen Handlungsspielraum und ihre Fähigkeit, sich selbst zu organisieren, erweitern und eine Gegenmacht zu ihren eigenen herrschenden Klassen und deren imperialistischen Hintermännern aufbauen können.
Nur durch die Mobilisierung der Massen besteht Aussicht auf eine schrittweise demokratische Umgestaltung der bestehenden regionalen Ordnung. Im Fall von Palästina ist das auch der Eckpfeiler einer alternativen Strategie zur gescheiterten iranischen Achse.
Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass Israel bei der Verteidigung seiner Kolonialherrschaft nicht nur auf die USA, seinen wichtigsten imperialistischen Verbündeten, angewiesen ist, sondern auch auf die umliegenden Staaten, die allesamt entweder ihre Beziehungen zu Israel normalisiert, De-facto-Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung geschlossen oder bestenfalls einen von Eigeninteressen geleiteten, halbherzigen und wenig glaubwürdigen Widerstand geleistet haben.
Washingtons Rivalen, China und Russland, haben sich ebenfalls als unzuverlässig erwiesen. Sie investieren in Israel, üben lediglich symbolische Kritik und haben der vom US-amerikanischen Imperialismus favorisierten, aber nie realisierten Zwei-Staaten-Lösung nichts entgegenzusetzen. Sollte diese Scheinlösung jemals angenommen werden, würde sie allenfalls die israelische Eroberungs- und Apartheidpolitik legitimieren. Daher können sich die Palästinenser:innen weder auf die Nachbarstaaten noch auf eine imperialistische Macht als ernsthafte Verbündete verlassen.
Andererseits können sie sich auch nicht ohne Hilfe von außen befreien. Israel ist als wirtschaftliche und militärische Großmacht den Palästinenser:innen weit überlegen. Und im Gegensatz zum Apartheidregime in Südafrika, das auf der Ausbeutung von schwarzen Arbeitskräften beruhte, ist Israel nicht auf palästinensische Arbeitskräfte angewiesen, die in seinem Prozess der Kapitalakkumulation nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Israels koloniales Siedlungsprojekt war von Beginn an darauf angelegt, palästinensische durch jüdische Arbeitskräfte zu ersetzen. Somit sind die palästinensischen Werktätigen – anders als die schwarzen Arbeiter in Südafrika – allein nicht in der Lage, das israelische Apartheidregime zu stürzen.
Wer sind also die logischen und zuverlässigen Verbündeten im palästinensischen Befreiungskampf? Es ist die einfache Bevölkerung in der Region. Angesichts ihrer eigenen Erfahrungen mit kolonialer Herrschaft identifiziert sich eine überwältigende Mehrheit mit den Anliegen der Palästinenser:innen. Zudem haben die ethnischen Säuberungen palästinensische Flüchtlinge in alle umliegenden Staaten zerstreut, was den Zusammenhalt zwischen den Menschen in der Region gestärkt hat. Und generell stehen die Massen im Nahen Osten und in Nordafrika ihren eigenen Regierungen, die mit Israel kollaborieren oder nur zögerlichen Widerstand leisten, ablehnend gegenüber.
Die Masse der Bevölkerung in der Region leidet samt und sonders unter repressiven Regimes und hat ein gemeinsames Interesse, diese loszuwerden. Es liegt in ihren Händen, die regionalen Volkswirtschaften, einschließlich der Ölindustrie, lahmzulegen und die gesamte Weltwirtschaft empfindlich zu treffen. Das verleiht der Solidarität einen enormen Auftrieb und könnte die Menschen in die Lage versetzen, sich von ihren jeweiligen Herrschern zu befreien. Das ist mehr als eine theoretische Denkmöglichkeit.
Die dialektische Beziehung zwischen der palästinensischen Befreiungsbewegung und den Volksaufständen in anderen Ländern der Region war im letzten Jahrhundert durchgängig zu beobachten. Als sich die Palästinenser:innen erhoben, entfesselten ihre Kämpfe regionale Aufstände, die wiederum den Kampf im besetzten Palästina beflügelten. Das Potenzial einer solchen regionalen Strategie wurde mehrfach unter Beweis gestellt. In den 1960er und 1970er Jahren löste die palästinensische Bewegung eine Zunahme von Klassenkämpfen in der gesamten Region aus, und im Jahr 2000 leitete die Zweite Intifada eine neue Welle des organisierten Widerstands ein, die schließlich 2011 mit den Revolutionen in Tunesien, Syrien und Ägypten ihren Höhepunkt erreichte.
Ermutigt von diesen revolutionären Aufständen demonstrierten Zehntausende Flüchtlinge im Mai 2011 an Grenzorten im Libanon, in Syrien, in Jordanien, im Westjordanland und im Gazastreifen, um der Nakba zu gedenken und das Recht auf Rückkehr zu fordern. Hunderte in Syrien lebende palästinensische Flüchtlinge konnten die Barrieren auf den Golanhöhen durchbrechen und Palästina betreten, wobei sie palästinensische Flaggen und Schlüssel zu ihren Häusern [in den von Israel besetzten Gebieten, Anm. d. Red.] schwenkten. Wenig überraschend gingen die israelischen Streitkräfte mit äußerster Brutalität gegen diese Proteste vor, wobei zehn Menschen in der Nähe der syrischen Grenze, zehn weitere im Südlibanon und einer in Gaza getötet wurden.
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Im Sommer 2019 organisierten Palästinenser:innen in den libanesischen Flüchtlingslagern wochenlange Massenproteste gegen die Entscheidung des Arbeitsministeriums, sie als Ausländer zu behandeln, was in ihren Augen nichts anderes als ein Akt rassistischer Diskriminierung war. Diese Proteste trugen nicht unwesentlich zum Ausbruch des libanesischen Aufstands im Oktober 2019 bei.
All diese Ereignisse zeugen von der enormen Sprengkraft einer revolutionären Regionalstrategie. Der gemeinsame Widerstand ist in der Lage, den gesamten Nahen Osten und Nordafrika zu verändern, Regimes zu stürzen, imperialistische Mächte zu vertreiben und Israel zu schwächen. Der rechtsextreme [israelische, Anm. d. Red.] Minister Avigdor Lieberman erkannte die Gefahr der regionalen Massenaufstände für Israel, als er im Jahr 2011 einräumte, dass die ägyptische Revolution, die Hosni Mubarak stürzte und das Tor zu einer Periode demokratischer Öffnung im Land auftat, eine größere Bedrohung für Israel darstellt als der Iran.
Die revolutionäre Regionalstrategie muss in den kapitalistischen Metropolen durch die Solidarität der arbeitenden Klassen gegen ihre eigenen imperialistischen Herrscher ergänzt werden. Das ist kein Akt der Nächstenliebe, sondern liegt im ureigensten Interesse der Menschen, deren Steuergelder von dringend benötigten Sozial- und Wirtschaftsprogrammen nach Israel umgeleitet werden und deren Leben in imperialistischen Kriegen und bewaffneten Interventionen zur Unterstützung Israels und zur Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung in der Region immer wieder aufs Spiel gesetzt wird.
Aber Solidarität entsteht nicht von selbst; die Linke muss sich politisch darum kümmern und in der Praxis dafür agitieren. Aktuell ist es die wichtigste Aufgabe der Linken, Gewerkschaften sowie fortschrittliche Gruppen und Bewegungen für die Kampagne für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) gegen Israel zu gewinnen, um die politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung des Imperialismus für Tel Aviv zu beenden. Die antiimperialistische Solidarität könnte die imperialistischen Mächte, Israel und alle anderen despotischen Regimes in der Region schwächen und Spielräume für einen massiven Widerstand von unten eröffnen.
Die einzige Alternative zur gescheiterten „Widerstandsachse“ des Irans liegt also in einer revolutionären Strategie auf regionaler und internationaler Ebene. Es gilt, eine echte Achse des Widerstands von unten aufzubauen: mit den Massen in Palästina und in der Region, unterstützt von den Menschen in den kapitalistischen Zentren, die ihre antiimperialistische Solidarität in sozialen Bewegungen und Arbeitskämpfen zum Ausdruck bringen. Nur mit einer solchen Strategie lässt sich eine Gegenmacht aufbauen, um Palästina, die Region und unsere Welt aus den Klauen des Imperialismus und des ihm zugrunde liegenden kapitalistischen Weltsystems zu befreien.
Aus: europe-solidaire.org
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Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 3/2025 (Mai/Juni 2025). | Startseite | Impressum | Datenschutz