Die Strategie und die politischen Konzepte der bürgerlichen Parteien können dem Rechtspopulismus – und speziell der AfD – nicht das Wasser abgraben.
Jakob Schäfer
Linke setzen falsch an, wenn sie ausschließlich auf die Verteidigung „der“ Demokratie setzen, erst recht, wenn „die Demokratie“ mit der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gleichgesetzt wird. Der Rechtspopulismus gewinnt auch in anderen Ländern unaufhaltsam an Popularität – und zwar nicht aufgrund von Vermittlungsproblemen oder weil die „Demokraten“ unachtsam sind. Um der Stärkung der Rechten auf den Grund zu gehen, müssen zwei Fragen erörtert werden. Erstens: Was sind die sozialpsychologischen Dispositionen, an denen Rechtspopulist:innen andocken. [1] Zweitens: Was sind die objektiven Grundlagen dafür, dass dies heute besser gelingt als vor etwa 50 oder 60 Jahren?
![]() „500 € für unsere deutschen Kinder“ Pegida Dresden, 2015 (Foto: blu-news.org) |
Zunächst wollen wir kurz umreißen, wodurch sich Rechtspopulist:innen auszeichnen. Weidel, Orban, Meloni, Trump und andere präsentieren sich als Verfechter:innen des Volkswillens: Sie sind gegen die „Eliten“, gegen Ausländer:innen (die dem „Volk“ Arbeitsplätze, Wohnungen und Geld wegnehmen), gegen ökologische Politik (weil, wie sie meinen, dafür zu sehr an anderer Stelle gespart werden muss), gegen die Medien (die zu oft ein „Für und ein Wider“ präsentieren, wo man doch für einfache Lösungen sein muss). Rechtspopulist:innen sind anti-pluralistisch und strategisch immer dann erfolgreich, wenn sie auf vermeintliche oder tatsächliche Gefahren hinweisen und diese in ein grelles Licht stellen können. Mit ihrer uneingeschränkten Negativität, also der kompromisslosen Ablehnung des Liberalismus, bieten sie ihren Anhängern das Gefühl einer Einheit gegenüber dem Feind.
Die Zuhörer:innen (Wähler:innen) werden als „Opfer“ einer „Überfremdung“ und eines Raubs durch fremde Mächte und die Elite angesprochen. Deswegen identifizieren sich Weidel, Trump und Co. mit dem „Volk“ und sprechen grundsätzlich von „Wir“. Das Volk ist demnach rechtschaffen und wird von der fernen EU-Bürokratie drangsaliert. Söder, der in vielen Punkten die Strickmuster der Rechtspopulisten übernimmt, verweist gerne auf den ehrlichen, hart arbeitenden Handwerker. Auch Merz nutzt diese Argumentationsweise, wenn er sagt, dass wir uns den Sozialstaat „so nicht mehr leisten“ können. Vor allem Söder macht deutlich, dass die Grenzen zur AfD fließend sind. So reiht er sich mit der Betonung des Bayrischen umstandslos bei denjenigen ein, die auf Identität versus linken Globalismus setzen.
Eng verknüpft damit ist das Ansprechen von Gefühlen, wobei nur die eigenen Moralvorstellungen zählen. Für die moralischen oder kulturellen Werte der Anderen gibt es kein Verständnis, weder in Genderfragen noch beim Flüchtlingsschutz oder beim Kampf gegen die ökologische Krise. Rechtspopulist:innen nutzen die Zukunftsangst der Menschen und propagieren ein archaisches Weltbild. Sie setzen auf Patriotismus, Identität, Nation, Familie, christliche Religion, Führerkult und Autoritarismus. Feinde sind die linken Globalisierer, die Gleichmacher und natürlich alle Linken, Feministinnen usw., weil diese die Identität zerstören. „Populistische Parteien versprechen, ein Abwehrmittel gegen die schwindende Zusammengehörigkeit zu bieten […] Ihre Strategie ist es, einen Gegensatz zwischen dem »Wir« und dem »Sie« zu schaffen. Ein zweiter entscheidender Unterschied zu nicht populistischen Parteien ist, dass sie dem »Wir« der eigenen Gruppe Überlegenheit zuschreiben.“. [2]
Wenn Menschen sich nicht ernst genommen fühlen, übernehmen Emotionen das Kommando. Sie reagieren, „als wären sie einer physischen Bedrohung ausgesetzt“ (Buijssen: 207). Die Menschen lieben die einfache, nicht gekünstelte Sprache und kurze Botschaften und sehen in der Rückkehr zu früheren Zuständen ein Allheilmittel, gerade so, als ob früher alles besser gewesen wäre. Es liegt in der menschlichen Psyche, dass das Negative in der Vergangenheit eher ausgeblendet und das Positive überhöht wird. Die Verklärung der Vergangenheit ist zwar bei älteren Menschen ausgeprägter als bei jüngeren, aber grundsätzlich trifft dies für alle Altersgruppen zu. Die positiven Ereignisse besser im Gedächtnis zu behalten, ist ein psychischer Schutzmechanismus, der es den Menschen erleichtert, schlechte Ereignisse besser zu verarbeiten.
Für die Lösung von Problemen und zur Überwindung gefühlter Unsicherheit propagieren sie am liebsten den Weg zurück zu alten (vermeintlich) guten Zeiten und bedienen dabei vor allem die Vorstellung, dass es nur ein Gut und ein Böse gibt (ein manichäisches Weltbild). Nicht zufällig haben die US-amerikanischen Rechtspopulist:innen, angeführt von Trump, in ihrer zentralen Losung („Make America Great Again“ – MAGA) das „Again“ als wichtigen Bestandteil aufgenommen. Man will zurück zu angeblich alter Größe. Gauland betonte in seiner Rede vom 2. Juni 2018, Deutschland habe eine „ruhmreiche Geschichte“, die Zeit 1933–45 sei nur ein „Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“ [3]
Rechtspopulist:innen in den verschiedensten Ländern bedienen sich der folgenden fünf Muster im Sprachgebrauch. [4] a) Ihre Reden sind grundsätzlich gespickt mit Verweisen auf das Volk, etwa in der Form: „Ich möchte dem Volk eine Stimme geben“; b) rechtspopulistische Redner:innen sprechen gern vom Gegensatz von „Wir“ (dem Volk“) und den „Eliten“ (nicht selten auch in Verbindung mit den „Altparteien“), etwa mit Formulierungen wie „Wir geben euch, dem Volk, die Macht zurück“. Die Zuhörer:innen werden direkt angesprochen und der Redner/die Rednerin macht sich mit der mehrfachen Verwendung des „Wir“ zu einem/einer von ihnen. c.) Die Altparteien kümmern sich nicht um das Volk (etwa mit Formulierungen wie „das Volk wird von dieser Regierung betrogen“); d) dem politischen Gegner wird ein Etikett angehängt und es werden Ersatzformulierungen genutzt. So wird beispielsweise Brüssel gesagt statt: die EU. Dieses spezifische konkretisierende und vereinfachende Stilmittel erleichtert es den Rechtspopulist:innen, auf den vereinfachenden Gegensatz von Gut und Böse zu setzen. e) Grundsätzlich sind die Zuhörer:innen die Opfer, mit denen sich der Redner/die Rednerin voll und ganz identifiziert. Damit fühlen sich die Zuhörer:innen (d. h. die für den Rechtspopulismus offenen Menschen) ernst genommen, erkennen sich in den rechten Politiker:innen und nehmen deren Empörung für bare Münze.
Wir können hier keine erschöpfende Massenpsychologie des Rechtspopulismus leisten. Sie muss erst noch entwickelt werden. Aber wir wollen ein paar Elemente umreißen, die u. E. in einer erweiterten Analyse nicht fehlen dürfen. Der konkrete Verlauf des Aufstiegs der AfD macht deutlich, welche Entwicklungen dem Rechtspopulismus in die Hände spielen. Es sind vor allem die Faktoren Angst und Verunsicherung. Die AfD profitierte in den letzten zwanzig Jahren (ähnlich dem Rechtspopulismus in anderen Ländern) von der Wirtschaftskrise 2008/2009, der Pandemie, der hohen Inflation und seit einigen Jahren auch von der wachsenden Kriegsgefahr. [5] Merz dazu in der „Rheinischen Post“ vom 30.9.2025: „Ich will‘s mal mit einem Satz sagen, der vielleicht auf den ersten Blick ein bisschen schockierend ist, aber ich mein ihn genau, wie ich ihn sage: Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden.“ Es sind die belastenden und verunsichernden Krisen, die viele Menschen dazu bewegen, sich der AfD (bzw. einer sonstigen rechtspopulistischen Kraft) zuzuwenden.
Auf wirtschaftliche, soziale oder ökologische Krisen können politische Strömungen sehr unterschiedlich reagieren. unabhängig von der jeweils real umgesetzten Politik stehen ihnen grundsätzlich 6 moralische Fundamente zur Verfügung: [6] Fürsorge, Fairness, Freiheit, Loyalität, Autorität und Heiligkeit. Fortschrittliche (linke) Kräfte setzen eher auf die ersten drei genannten, während rechte Kräfte – je nach passender Gelegenheit – alle diese Fundamente nutzen. Es versteht sich, dass sie z. B. Freiheit anders definieren, als Linke und Fortschrittliche das tun, und dass sie Fürsorge grundsätzlich nur als „exklusive Solidarität“ (Dörre) begreifen. [7]
An dieser Stelle sollte betont werden, dass das rechte Wähler:innenspektrum keine festgefügte Einheit ist. Im Laufe der Veränderungen der politischen Konjunktur erweitert es sich (selten wird es kleiner). Mit der Zeit (je häufiger jemand die AfD gewählt hat) festigen sich die rechten Positionen dieser Menschen. So zeigte eine Studie, „dass selbst die extremen Pläne der AfD zur »Remigration« – also zur Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland – nur von knapp 29 Prozent der AfD-Wählenden abgelehnt wird.“ [8]
Rechte Wähler:innen (und erst recht die Mitglieder rechter Parteien) lassen sich ganz stark von moralischen Erwägungen leiten, weniger von objektiven, nachprüfbaren Fakten. Aber Rechtspopulist:innen und ihre Wähler:innen teilen nicht die bislang in der Gesellschaft mehrheitlich vertretenen Moralvorstellungen. Für sie ist gut und berechtigt, was der Wahrung der eigenen Identität und Sicherheit dient – ruhig auf Kosten der Anderen, der Fremden. Es zählt also nicht political correctness, im Gegenteil: Rechtspopulisten bezeichnen diese als „cancel culture“.
Kernthema der AfD ist die Zuwanderungsgegnerschaft. Wird man die Ausländer los (und kommen keine mehr rein), dann sind wir (fast) alle Probleme los. Die WSI-Studie 42 stammt vom August 2025 und stützt sich auf umfangreiche Befragungen und auf die Nachwahlanalyse zur Bundestagswahl 2025. „Im Detail sticht die überwältigende Relevanz des Themas Zuwanderungsbegrenzung heraus: ob unter Frauen oder Männern, jung oder alt, Ost wie West, einkommensreich oder -arm – die Begrenzung der Zuwanderung ist das Thema unter AfD-Wählenden, das mit der größten Wichtigkeit bewertet wird. Dieser Aspekt wird in der Forschung zu extrem rechten Parteien häufig anhand der zunehmenden Bedeutung des ‚Nativismus‘ […] eingefangen – einer Kombination aus nationalistischen Elementen und einer Furcht vor dem vermeintlich Fremden. Dieser Nativismus ist eng verknüpft mit einem Wohlfahrtschauvinismus, bei dem wohlfahrtsstaatliche Leistungen lediglich für die eigene – ethnisch sehr homogen verstandene – Bevölkerung eingefordert werden. Hinzu kommt, dass sich der Nativismus nicht nur gegen Zugewanderte, sondern auch gegen Erwerbslose richten kann (Rathgeb 2024). Vor allem bei der mit Abstiegsängsten belasteten Mittelschicht könne so Neid geschürt werden (ebd.).“ (WSI-Studie: 24)
Den Menschen, die zur AfD neigen, geht es nicht nur um den Stopp der Zuwanderung. „Auch in der hohen Wichtigkeitsbewertung der Bekämpfung von Kriminalität und der steigenden Lebenshaltungskosten, dem Erhalt des Industriestandorts Deutschland und der Verbesserung der medizinischen Versorgung sind sich AfD-Wählende einig – all den Themen wiesen 62 bis 79 Prozent der AfD-Wählenden die höchste Wichtigkeitsstufe zu. […]
Für all diese Themen gibt es ein Grundrezept, das die Rechtspopulist:inen ihren Anhängern empfehlen: Um sich zu behaupten, soll man am besten nach unten treten (und nicht etwa sich zusammenschließen, um sich aktiv gegen die Mächtigen im Land zur Wehr zu setzen). Der rechtspopulistische Politiker „lebt von der Panik im Kopf des Wählers“ (Buijssen: 205). Eng verknüpft mit der Angst ist das Gefühl vieler Menschen, nicht ernst genommen zu werden. Auf der einen Seite kommt hier eine emotionale, wenig begründete Empörung zum Ausdruck, auf der anderen Seite trifft es auch auf reale Verhältnisse zu, vor allem, was die Abgehobenheit staatlicher Politik von den realen Interessen der Menschen angeht.
Gegen das Angstgefühl hilft bei vielen Menschen nicht die Darlegung objektiver und nachprüfbarer Fakten, etwa dass die Kriminalitätsrate rückläufig ist oder dass Migrant:innen im Schnitt nicht gewalttätiger sind als „Bio-Deutsche“ usw. Schlagendes Beispiel: Trump behauptet wahrheitswidrig, in Washington, Chicago, Portland usw. steige die Kriminalitätsrate. Viele Menschen in den USA glauben ihm, wie auch in Deutschland viele Menschen der AfD glauben, weil sie eine vorgefasste und ausschließlich emotional begründete Position zu den Fragen der öffentlichen Sicherheit haben. Diese emotionale Einstellung ist die Grundlage dafür, dass Trump wohl Recht hat, wenn er sagt: „Ich könnte auf der Fifth Avenue stehen und jemanden niederschießen, und das würde mich keine Wählerstimme kosten.“ [9]
Die Erklärung für diese rechte Haltung zur öffentlichen Sicherheit ist komplex. Zum einen liegt heute die Schmerzgrenze niedriger, d. h. viele Menschen empfinden mehr Dinge als nicht hinnehmbar, als dies früher der Fall war. Zum anderen werden negative Vorfälle (vor allem Gewalttaten) viel intensiver in den Medien ausgeschlachtet. Denn dies ist ein einträgliches Geschäft (nicht nur für die Bildzeitung). Es steigert die Einschaltquoten und bereitet das Terrain für „Reality Shows“. „If it bleeds, it leads“. Wichtig: Das Gefühl der Unsicherheit darf nicht als eine Frage ausschließlich der vorhandenen Kriminalität betrachtet werden, sondern ist vor dem Hintergrund der steigenden allgemeinen Unsicherheit zu sehen. Und hier versagt die Betrachtungsweise von Buijssen, der (fast) alles mit psychologischen Faktoren (mit unseren Veranlagungen usw.) und der unklaren Sprache sowie den Verhaltensfehlern der Politiker:innen erklärt haben will
AfD-Anhänger:innen wollen nicht nur wahrgenommen werden, sie haben oft auch unterdrückte Ambitionen. Dass Menschen nicht das erreichen, was sie sich vorgenommen haben, gab es schon immer. Doch früher war man in eine bestimmte soziale Lage „hineingeboren“ und hat es als „natürlich“ angesehen, dass diese Konstellation sich im Wesentlichen so fortsetzt. Heute aber wird den Menschen pausenlos vorgespielt: Wer hart arbeitet, bringt es zu was und kann die soziale Leiter hochklettern. Dass dies in der großen Mehrzahl der Fälle gerade nicht gelingt, führt oft zu schwer oder nicht beherrschter Frustration.
Diese negativen Erfahrungen und Erkenntnisse oder auch dumpfen Gefühle werden von anderen Momenten begleitet: Die Menschen erleben oft – und zwar nicht nur am Arbeitsplatz, dass sie mehr als früher überwacht werden und dass ihre Autonomie zunehmend eingeschränkt wird. Unzufriedenheit beruht laut Buijssen (S. 155 ff) auf: relativer Deprivation (wir vergleichen uns mit anderen, die im Gegensatz zu uns ihren Wohlstand vermehren); VerlustAversion (Verluste werden höher bewertet als Gewinne); ungerechter Ungleichheit, normativer Überhöhung und Gewohnheit. Buijssen misst diesen Momenten unseres Erachtens zu viel Bedeutung bei, doch er hat Recht, wenn er auf S. 165 eine Magret Oostveen zitiert: „Je mehr Menschen damit übereinstimmen, sich nicht in die Gesellschaft integriert oder sich nicht geschätzt zu fühlen, desto mehr unterstützen sie populistische Parteien.“
Es zählen also nicht nur die materielle Lage und die Abstiegsängste, sondern auch Ausgrenzung usw.
Der Angst und der Verunsicherung stellen Menschen, die auf die rechtspopulistische Botschaft positiv reagieren, den Wunsch nach einem „ozeanischen Gefühl“ entgegen. Damit bezeichnete Romain Rolland den Eindruck oder den Willen, sich in Einheit mit dem Universum (oder mit dem, was „größer als man selbst“ ist) zu fühlen. Freud beschrieb das ozeanische Gefühl als einen seelischen Zustand unauflösbarer Verbundenheit mit dem Ganzen. Demnach sehnen sich viele Menschen nach einer intakten Welt, ohne Widersprüche und ständig neu auftauchende Probleme, und neigen dann leicht dazu, die Zeit zurückdrehen zu wollen. Menschen, die sich von Rechtspopulist:innen beeindrucken lassen, folgen recht schnell der Argumentation, dass alles besser wird, wenn die „Volksgemeinschaft“ biologisch, kulturell usw. wieder homogener wird.
Statt also die anderen Menschen und die anderen Kulturen als Bereicherung zu erleben, stimmen sie in den Chor ein, dass die „Anderen“, die Fremden „uns“ etwas wegnehmen, „uns“ gefährden usw. Das Gefühl der Verunsicherung kommt zwar nicht aus heiterem Himmel, aber es bleibt diffus und die Antwort darauf wird nur emotional geäußert. Es ist ein wesentliches massenpsychologisches Element des Rechtspopulismus, genau dies zu befördern und auszuschlachten. So lässt sich augenscheinlich recht gut von den realen Klasseninteressen ablenken und die Menschen in eine Sackgasse orientieren. Den Menschen zu vermitteln, dass sie Teil einer Gruppe (einer Gemeinschaft) sind, verleiht ihnen das Gefühl der Wertschätzung und der Sicherheit. Das funktioniert dann am besten, wenn es ein Gegenüber gibt, einen Feind, den man von dieser Gemeinschaft ausschließen kann. Das „Wir-gegen-sie“, dieses polarisierende Gruppengefühl, wird grundsätzlich kulturell, häufig auch biologisch begründet, zum Teil auch sozial, wenn es etwa um Menschen am unteren Ende der sozialen Leiter geht (Bürgergeldempfänger:innen usw.). Aber es wird niemals auf den Gegensatz von Kapitaleignern und Lohnabhängigen bezogen.
Mit dieser Polarisierung werden nicht zuletzt ungebundene Individuen angezogen, die keine verlässlichen (belastbaren) sozialen Beziehungen in ihrem Umfeld haben. Das von den Rechtspopulisten gepflegte „Wir-Gefühl“ hat so eine gewisse Sogwirkung. Die Verbindung der „Wir-Gemeinschaft“ mit der Botschaft der eigenen Überlegenheit fördert die Radikalisierung.
Sind die Kolleg:innen im Betrieb emotional auf die o. g. Wertungen fixiert, ist es schwierig, ihnen beispielsweise zu vermitteln, dass Migrant:innen nicht wegen der Sozialsysteme hierherkommen, sondern weil sie gute Arbeitsmöglichkeiten suchen.
Der Rechtspopulismus stärkt (leider erfolgreich) die Vorstellung, dass Bevölkerungsgruppen nur gewinnen können, wenn andere Gruppen verlieren (im Grunde ist dies ein Narrativ, das sich aus der Verinnerlichung der Mechanismen der kapitalistischen Wirtschaft, also der Konkurrenzgesellschaft ergibt).
Zwei Momente sind besonders ernüchternd. Zum Ersten: Die Trendstudie Jugend in Deutschland 2025 belegt, dass diese Jugend politisch fragmentiert ist. Viele junge Menschen legen eine tiefe Skepsis gegenüber den bestehenden Institutionen an den Tag, was für sich genommen positiv sein kann. Aber leider ist diese Skepsis häufig mit der Ablehnung jeglicher demokratischen Prozesse und der Sympathie für nationalistische Vorstellungen verbunden. Die AfD gewinnt vor allem bei jungen Männern, aber nicht nur: „Gleichzeitig ist der Frauenanteil unter den AfD-Neuwählenden (40,5 Prozent) und vor allem auch unter den neuen AfD-Anhänger*innen seit 2024/2025 (47,4 Prozent) deutlich höher als zuvor. Unter den zuletzt in 2024/2025 zur AfD gewechselten Befragten lässt sich also erstmalig kein Männerüberschuss mehr aufzeigen.“ (WSI-Studie: 16)
Zum Zweiten: Nicht nur Menschen aus unteren Schichten folgen den Rechtspopulist:innen. Laut einer Untersuchung von 2016 gehört ein Drittel der AfD-Wähler:innen zum reichsten Fünftel des Landes. [10] Das hat sich bis heute nicht wesentlich geändert und ist ein wesentlicher Unterschied zur Anhängerschaft der NPD (heute „Die Heimat“), bei der das ärmere Fünftel ein knappes Drittel der Wählerschaft ausmacht.
Dass viele Menschen auf Äußerlichkeiten emotional reagieren, sich beeindrucken lassen und von scheinbar einfachen Lösungen irreleiten lassen, ist nicht wirklich neu. Auch sollten vor allem die o. g. Momente der Erwartungen einer schnelleren Bedürfnisbefriedigung usw. nicht überbewertet werden. Sie spielen allerdings für die Taktik der Rechtspopulist:innen (von der AfD bis zu Trump) eine Rolle, genauso übrigens wie die heute viel ausgefeilteren Manipulationsmechanismen der Medien (von den sogenannten Qualitätsmedien wie der FAZ bis zu TikTok).
Die entscheidenden, durchgreifenden Faktoren liegen allerdings auf einer anderen Ebene, die von den meisten Soziologen – auch von den meisten Kultursoziologen – und Psychologen nicht beachtet werden: Der Charakter der Epoche hat sich im Vergleich zur Zeit des Wirtschaftswunders und der Jahre danach qualitativ geändert.
Wichtiger als alle anderen Momente ist die systembedingte größere soziale und allgemeine Unsicherheit. Die Durchsetzung neoliberaler Politik – vor dem Hintergrund gesunkener Profitraten und verschärfter Konkurrenz – hat nicht nur die sozialen Sicherungssysteme kontinuierlich und dauerhaft ausgehöhlt, sondern auch den Druck in den Betrieben erhöht. Weite Teile der Bevölkerung erleben das Geschehen in Politik und Gesellschaft als eine nicht enden wollende Reihe von Verschlechterungen der allgemeinen Lebensgrundlagen. Viele empfinden dies dumpf als eine Systemkrise, zu der die „Altparteien“ keine Alternative bieten. Diverse Studien belegen: Die Mehrheit der Lohnabhängigen geht davon aus, dass es den eigenen Kindern und Kindeskindern nicht besser gehen wird als einem selbst. Das Gefühl der Unsicherheit ist also sehr tiefgreifend und existentiell.
Ein weiteres Beispiel ist der Klimawandel: Vor allem Menschen, die von Abstiegsängsten geprägt sind, fühlen sich von den Anpassungsmaßnahmen und den daraus für sie entstehenden Kosten und Unannehmlichkeiten genervt. Darauf reagieren viele entweder mit der Leugnung des Klimawandels oder aber mit dem Wunsch, dass andere dafür zahlen sollen, „nicht wir“. „Es gibt keine liberale Vision für eine Umstellung der Lebensweise weg vom intensiven Energie- und Materialverbrauch. […] Diese politische Lücke wird von der extremen Rechten besetzt. Ihre Botschaft ist einfach, aber wirkungsvoll. Sie lautet: »Niemand braucht sich für diese Lebensweise zu schämen oder sich schuldig zu fühlen. Wir machen weiter wie bisher.« Der Autoritarismus ist also die reaktionäre Antwort auf die Verteidigung des gefährdeten Status quo und unsere Freiheiten mit allen Mitteln. […] Trump bietet eine willkommene Abwechslung von den Schuldgefühlen, der Resignation und der Lähmung, die sich mit der Klimakrise breitmachen. […] Von Studien über Autoritarismus wissen wir, dass es schwierig wird, wenn Menschen glauben, dass sie die Dinge nicht mehr unter Kontrolle haben. Und die Klimakrise ist eine Situation, in der die Dinge zunehmend außer Kontrolle geraten. Das erklärt den autoritären Wunsch nach einer Führung, die behauptet, alles im Griff zu haben.“ [11]
Cara Daggett beschreibt in ihrem Beitrag recht gut die Situation, benennt aber nicht das Subjekt, das in der Lage ist, dem Autoritarismus Einhalt zu gebieten, nämlich die organisierte Kraft klassenbewusster Arbeiter:innen. Der Hinweis, dass „soziale Ungerechtigkeit und Klimakrise untrennbar miteinander verbunden sind“ (a. a. O. S. 57) reicht da nicht.
Von der Leugnung des Klimawandels ist es nicht mehr weit zur Annahme, dass man die eigenen Interessen am besten durch das Treten nach unten durchsetzen kann. Für diese Einstellung sind bestimmte Persönlichkeitsdispositionen besonders empfänglich, doch eine klare Abgrenzung gibt es nicht. So manche beginnen ihre Entwicklung des Abgleitens zu rechtsextremen Positionen mit dem Schimpfen auf Maßnahmen gegen den Klimawandel (etwa die CO2-Steuer) und öffnen sich mit der Zeit zunehmend für andere „Argumente“ und Forderungen des Rechtspopulismus. Die WSI-Studie offenbart, dass diese Menschen mit der Zeit nach rechts rücken, je länger sie sich im Dunstkreis der AfD aufhalten oder die AfD wählen. Dort treffen sie auf die Menschen, die – unabhängig von der eigenen materiellen Lage oder von Abstiegsängsten – sowieso schon rassistisch waren und diese Einstellung schon früh (etwa von Vertretern der älteren Generation) übernommen hatten. Der Grundstock an Fremdenfeindlichkeit (Rassismus) ist in Deutschland traditionell sehr hoch [12] und findet in der heutigen Periode leicht neue Verbündete.
Zu diesen ökonomischen und politischen Ausgangsbedingungen kommt in den letzten Jahren ein weiteres, sehr bedeutendes Moment hinzu: die wachsende Kriegsgefahr. Die Politik der Ampel und jetzt der Merz-Regierung zielt auf die Herstellung von Kriegstüchtigkeit (gewaltige Ausgaben für das Militär, Erhöhung der Spannungen durch Verlegung von Truppen nach Osteuropa usw.). Dies verstärkt das Gefühl der allgemeinen Verunsicherung. Nun ist die AfD gewiss keine pazifistische Partei, sondern eine Partei, die sich für den deutschen Imperialismus starkmacht, aber sie wird von vielen Menschen als Gegnerin genau dieser Konfliktverschärfung in der Ukraine und an der „Ostflanke der NATO“ wahrgenommen.
Vielen Menschen, die nicht für linke Alternativen offen sind, bietet sich in dieser Situation nur an, gegen die Bankrotteure von Union und SPD die AfD zu bevorzugen.
Welche Kraft stellt sich der herrschenden Politik entgegen? Besonders gravierend bei der Verschlechterung der politischen Lage: Die deutschen Gewerkschaften haben sich von der Organisierung eines gesellschaftlichen Widerstands gegen die Maßnahmen von Kabinett und Kapital verabschiedet.
Wenn also auf der gewerkschaftlichen und politischen Ebene keine Kraft wirkt, die gesellschaftlich wahrnehmbar ist oder zumindest erkennbar für eine fortschrittliche Systemalternative kämpft und dafür eine relevante Unterstützung erfährt, wenn die bürgerlichen Parteien (von der CSU bis zu den Grünen) der AfD in der scheinbaren Schlüsselfrage deutscher Politik Recht geben (dass nämlich die Verschärfung der Flüchtlingspolitik der Weg zur Besserung der allgemeinen Lage ist), dann kann dies die AfD nur weiter stärken. Warum sollten die Menschen die Kopie wählen, wenn doch das Original existiert. In dieser Konstellation des zunehmenden Gefühls der Systemkrise müsste die Partei Die LINKE für eine in sich stimmige antikapitalistische Alternative werben. Das würde gewiss zwar nicht auf Anhieb für viele Wähler:innenstimmen sorgen, aber es wäre langfristig die einzige wirksame Perspektive im Kampf gegen den Rechtspopulismus, weil nur so eine glaubwürdige gesellschaftliche Gegenmacht aufgebaut werden kann. Das Auftreten der Partei auf Bundesebene, Landesebene und in den meisten Kommunen wird – zu Recht – als nicht grundsätzlich systemoppositionell wahrgenommen.
Das Eintreten für ein AfD-Verbot ist ein falscher Weg zur Bekämpfung des Rechtspopulismus. Aus der oben geschilderten Gemengelage von objektiven und subjektiven Faktoren ergibt sich, dass nicht die Existenz der AfD viele Menschen zu Anhängern einer rechtspopulistischen Politik macht. Bürgerproteste gegen eine Flüchtlingsunterkunft, Ausländerhass und Agitation gegen „Sozialschmarotzer“ gibt es auch ohne Zutun der AfD. Die Jagd auf Ausländer findet in vielen Regionen zumindest passive Unterstützung. Kurz: Alle Gründe, die einen bedeutenden Teil der Bevölkerung für rechtes Gedankengut empfänglich machen, bleiben nach einem AfD-Verbot bestehen. Dies wird auch an dem „Normalisierungsprozess“ deutlich, der das Gedankengut der AfD längst zu einer „vertretbaren“ Position gemacht hat, selbst bei denen, die diese Position nicht teilen.
In den USA ist die politische Spaltung quer durch die Bevölkerung (und selbst durch viele Familien) bedeutend weiter vorangeschritten, was mit der besonderen, polarisierenden Form des trumpistischen Rechtspopulismus zusammenhängt. Trump hat ein „Bauchgefühl“ für das, was bei vielen verunsicherten Menschen ankommt. In Deutschland (wie in Italien, Frankreich und vielen anderen Ländern) denken die Anhänger:innen der AfD, dass das Land unter der Führung der „Altparteien“ den Bach runtergeht. Deswegen setzen sie bewusst auf eine ihrer Ansicht nach radikale Alternative und lassen sich von Einschätzungen des Verfassungsschutzes in keiner Weise beeindrucken. Die AfD wird nicht trotz, sondern wegen ihrer migrationsfeindlichen Positionen gewählt (WSI-Studie: 54).
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Mit einem Verbot der AfD würde sich nichts zum Besseren wenden, eher würde das Gegenteil eintreten: Wird die AfD zu einer Märtyrerin gemacht, wird dies die rechtspopulistischen und faschistischen Anhänger (sie stellen einen Großteil der Mitgliedschaft und des sonstigen Anhangs) nicht bekehren, sondern ihre Wut nur steigern und sie eher motivieren, noch rechtere Positionen zu vertreten. Hinzu kommt, dass das Rufen nach dem Staat dessen Legitimität und Autorität beim Verbieten von Verbänden und Parteien (auch aus der Linken) nur stärkt.
In allen gesellschaftlichen Bereichen und auf den unterschiedlichsten Ebenen muss eine konsequente Argumentation gegen die Grundorientierung des Rechtspopulismus entwickelt und offensiv vertreten werden. Demos gegen die AfD, die nur den rassistischen, halbfaschistischen Kern der AfD-Politik kritisieren und sich auf die Darstellung der Parallelen zur Politik des Hitlerfaschismus beschränken, bleiben wirkungslos, so auch die großen Massendemos, die in zwei Wellen von bürgerlichen Politikern angestoßen und beherrscht wurden.
Einzig und allein die Propagierung eines Gegenprogramms – also gegen die AfD und gegen die Politik der Herrschenden – kann eine Orientierung bieten und zum Nachdenken und Umdenken führen, nämlich für solidarisches Handeln gegen diejenigen, die von der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung profitieren und die Lebensgrundlagen gegen die Wand fahren. Dies erfordert eine klare Positionierung in der Klassengesellschaft. Ohne einen begründeten Standpunkt im und für den Klassenkampf von unten und ohne eine Vision der Gesellschaftsordnung, für die es sich zu kämpfen lohnt, ist eine widerspruchsfreie Argumentation gegen den Rechtspopulismus nicht möglich. Nur dann kann mittel- und langfristig eine fortschrittliche Kraft als Alternative zu allen Rechten und zum Kapitalismus aufgebaut werden.
Aber: Auch eine konsequente linke Propaganda reicht nicht. Entscheidend ist, ob es solidarischen Bewegungen gelingt, wenigstens hier und da Teilsiege zu erringen, die deutlich machen können, was der herrschenden Politik entgegenzusetzen ist. Auf den bürgerlichen Staat zu bauen, ist eine trügerische Versuchung, die nur von der eigentlichen Aufgabe ablenkt. Es gilt die Parole „Gegen rechts hilft nur links“ in der täglichen Auseinandersetzung in gesellschaftlichen Kämpfen mit Inhalten und wirklicher Bewegung zu füllen.
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Jakob Schäfer ist Mitglied der Redaktion der Zeitschrift die internationale, langjähriger Gewerkschaftsaktivist und aktiv in der VKG |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 6/2025 (November/Dezember 2025). | Startseite | Impressum | Datenschutz