Palästina/USA

Israel und die USA – der erste gemeinsame Krieg

Im folgenden Beitrag erläutert Gilbert Achcar, wie die USA Israel im Krieg gegen Gaza durch Militärhilfe und Rückendeckung bei den Vereinten Nationen offen unterstützen, während sie gleichzeitig die Bemühungen um einen Waffenstillstand hintertreiben. Damit macht sich Washington mitschuldig an Israels Vorhaben, die Hamas durch eine gnadenlose Militäroffensive, die auf ein Massaker an der Zivilbevölkerung hinausläuft, zu vernichten.

Gilbert Achcar

Der Krieg der israelischen Streitkräfte gegen Gaza nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 ist Israels erster Krieg unter direkter Beteiligung Washingtons. Die USA unterstützen offen das erklärte Kriegsziel und sprechen sich in der UNO gegen einen Waffenstillstand aus, während sie Israel mit Waffen und Munition versorgen und versuchen, andere regionale Akteure davon abzuhalten, auf Seiten der Hamas in den Konflikt einzugreifen.

 

Moschee im Gaza-Streifen

Khan Younis, 8.10.2023 (Foto: Wafa)

Bei der Staatsgründung hatten die USA Israel noch nicht militärisch unterstützt. Sie traten zunächst als unparteiischer Vermittler zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn auf und verhängten für beide Seiten ein Waffenembargo, das bis zum Ende der Präsidentschaft von Dwight D. Eisenhower (1953–61) in Kraft blieb. So war Israel in seinen Anfangsjahren hinsichtlich Finanzierung und Bewaffnung auf Westdeutschland und Frankreich angewiesen. Das änderte sich erst, als John F. Kennedy angesichts des zunehmend radikalen arabischen Nationalismus unter der Führung Nassers in Ägypten und des schwindenden Einflusses der USA im Nahen Osten beschloss, verstärkt auf Israel zu setzen, und begann, es mit Waffen zu beliefern.

Das war der Anfang einer „besonderen Beziehung“: Zwischen seiner Gründung im Jahr 1948 und dem Beginn des Jahres 2023 erhielt Israel mehr als 158 Mrd. $ an US-Hilfe, darunter mehr als 124 Mrd. $ an Militärhilfe, womit es der größte Empfänger von US-Geldern seit dem Zweiten Weltkrieg ist. [1] Im Schnitt stellen die USA dem Staat Israel jährlich Militärhilfe von annähernd 4 Mrd. $ zur Verfügung.

Im Jahr 1967 unterstützte Washington den Krieg Israels gegen seine arabischen Nachbarn nicht offen (denn es konnte die Besetzung des Westjordanlands auf Kosten Jordaniens, eines anderen Verbündeten, nicht gutheißen). Während des Kriegs im Oktober 1973 führte die „besondere Beziehung“ zu Waffenlieferungen an Israel über eine Luftbrücke – allerdings mit dem Ziel, dem Land bei der Eindämmung der von Ägypten und Syrien begonnenen Offensive beizustehen. Erst nachdem es Israel gelungen war, die Lage zu seinen Gunsten zu verändern, übte Washington starken Druck auf Israel aus, die Feindseligkeiten zu beenden. Die USA waren auch nicht am israelischen Einmarsch in den Libanon 1982 beteiligt, sondern spielten bei der Evakuierung der Kämpfer der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) aus Beirut eine Vermittlerrolle. Sie unterstützten weder den Krieg, den Israel 2006 gegen den Libanon angezettelt hatte, noch die darauffolgenden Offensiven gegen Gaza.

Im aktuellen Konflikt jedoch unterstützen die USA Israel ohne Vorbehalte und in großem Maßstab. Unmittelbar nach dem 7. Oktober entsandte Washington zwei US-Flugzeugträger-Kampfgruppen (angeführt von den Flugzeugträgern USS Eisenhower und USS Ford) in das östliche Mittelmeer, sowie eine Marine-Eingreiftruppe, eine Amphibienangriffsgruppe unter Führung der USS Bataan im Schwarzen Meer und das mit Marschflugkörpern ausgestattete Atom-U-Boot USS Florida. Gleichzeitig versetzte Washington seine Luftwaffenstützpunkte in der Region in Alarmbereitschaft und lieferte umgehend militärische Ausrüstung an Israel, darunter Raketen für das Luftabwehrsystem Iron Dome.

      
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Gilbert Achcar: Erste Kommentare zur Gegenoffensive der Hamas im Oktober, die internationale Nr. 6/2023 (November/Dezember 2023) (nur online)
 

Damit erhielt Israel eine regionale Rückendeckung von Washington, sodass es den Großteil seiner Streitkräfte für den Krieg gegen Gaza einsetzen konnte, dessen erklärtes Ziel von Anfang an die Vernichtung der Hamas war. Dieses Vorhaben wurde von den USA und anderen westlichen Staaten ausdrücklich gebilligt. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die Zerschlagung einer Massenorganisation, die seit 2007 ein kleines, aber äußerst dicht besiedeltes Gebiet verwaltet, unrealistisch ist, ohne ein Massaker von völkermörderischer Dimension anzurichten. Das trifft umso mehr zu, als die israelische Armee die klare Absicht verfolgte, die Verluste in den eigenen Reihen während des Angriffs so gering wie möglich zu halten, was den intensiven Einsatz von Fernangriffen und die komplette Zerstörung städtischer Wohngebiete zur Vermeidung eines städtischen Guerillakriegs erforderte, wobei eine Unzahl an zivilen Todesopfern einkalkuliert wurde.

Für das Massaker tragen die USA auch insofern die Verantwortung, als sie Israel für diesen Zweck einen großen Teil der Mittel zur Verfügung gestellt haben. Bis Ende November hatte Washington seinem Verbündeten 57 000 Artilleriegranaten und 15.000 Bomben geliefert, darunter über 5400 Bomben vom Typ BLU-117 sowie 100 BLU-109-Geschosse (so genannte „bunker busters“), die jeweils 2000 Pound (fast eine Tonne) wiegen. [2] Die New York Times berichtete, dass sich Militärexperten über Israels „großzügigen“ Einsatz dieser 2000-Pound-Bomben, von denen jede einzelne einen mehrere Stockwerke hohen Turm zum Einsturz bringen kann, verwundert zeigten. Diese Geschosse trugen nicht unwesentlich dazu bei, dass sich Israels Krieg in Gaza zu einem Massaker „historischen Ausmaßes“ an der Zivilbevölkerung ausweitete. [3] Bis zum 25. Dezember hatten die USA Israel 244 Waffenlieferungen per Frachtflugzeug sowie 20 Lieferungen per Schiff zukommen lassen. [4] Darüber hinaus enthüllte der Guardian, dass Israel auf einen riesigen Vorrat an US-Waffen zurückgreifen konnte, die bereits vorsorglich im Land „geparkt“ waren. [5]

Zur Finanzierung all dieser Vorhaben beantragte die Regierung Biden am 20. Oktober beim Kongress zusätzliche Haushaltsmittel in der Höhe von 105 Mrd. $, darunter 61,4 Mrd. $ für die Ukraine (46,3 Mrd. $ Militärhilfe), 14,1 Mrd. $ für Israel (13,9 Mrd. $ Militärhilfe) und 13,6 Mrd. $ für die Bekämpfung der illegalen Einwanderung an den Grenzen. Der Präsident hoffte, er könne die republikanische Rechte dazu bewegen, grünes Licht für die Ukraine zu geben, indem er die (umstrittene) Hilfe für die Ukraine mit Anliegen verknüpfte, die den Republikanern am Herzen liegen; doch bis zum Ende des Jahres 2023 war es Biden immer noch nicht gelungen, seinen Antrag genehmigt zu bekommen. Die republikanische Rechte hat Bidens Strategie gegen ihn verwendet, indem sie noch drastischere Maßnahmen an der Grenze forderte und ihn damit in eine unangenehme Lage gegenüber seiner eigenen Partei brachte.

Um die israelischen Merkava-Panzer mit 45 000 Artilleriegeschossen für 500 Mill. $ auszustatten, hat die Regierung Biden den Kongress umgangen, indem sie am 9. Dezember ein Paket von 14 000 Geschossen für 106,5 Mill. $ als Sofortmaßnahme verabschiedete. Sie wiederholte dieses Manöver am 30. Dezember für 147,5 Mill. $ und zog sich damit den Unmut der Demokraten zu, die stärkere Kontrollen für Waffenpakete an Israel forderten. In all diesen Fällen trägt Biden eine direkte Mitverantwortung für das von den israelischen Streitkräften in Gaza verübte Massaker. Seine Ermahnungen an Israel, sich an „humanitäre Standards“ zu halten, klingen hohl und lassen sich von Kritikern unschwer als Heuchelei vom Tisch wischen. Seine Meinungsverschiedenheiten mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu über die Frage, wie es nach dem Krieg weitergehen soll, ändern nichts an der gemeinsamen Verantwortung der beiden Regierungen für den Krieg selbst. [6]

Letztendlich hat Biden, der 2020 im Zuge des Wahlkampfs versprochen hatte, den Kurs der ausgesprochen israelfreundlichen Politik seines Vorgängers zu ändern – insbesondere durch die Wiedereröffnung des US-Konsulats in Ost-Jerusalem und des PLO-Büros in Washington – seine Versprechen nicht umgesetzt. Stattdessen trat er in die Fußstapfen von Donald Trump, indem er sich zunächst darum bemühte, Saudi-Arabien zu bewegen, sich denjenigen arabischen Staaten anzuschließen, die unter Trumps Ägide diplomatische Beziehungen zu Israel aufgenommen hatten, und dann Israel bei seinem Überfall auf Gaza bedingungslos unterstützte. Damit ist es ihm gelungen, seine eigene Demokratische Partei zu verärgern, die laut einer am 19. Dezember veröffentlichten Umfrage eher mit den Palästinensern als mit den Israelis sympathisiert (34 % zu 31 %), ohne jedoch die Republikaner zufrieden zu stellen. Der gleichen Umfrage [7] zufolge sind 57 % der US-Amerikaner mit Bidens Umgang mit dem Konflikt nicht einverstanden.

22. Januar 2024
Übersetzung: E. F.



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[1] Congressional Research Service: U.S. Foreign Aid to Israel, CRS Report. Washington, 1. März 2023.

[2] Jared Malsin und Nancy A. Youssef: U.S. Sends Israel 2,000-Pound Bunker Buster Bombs for Gaza War. Wall Street Journal, 1. Dezember 2023.

[3] Lauren Leatherby: Gaza Civilians, Under Israeli Barrage, Are Being Killed at Historic Pace. New York Times, 25. November 2023.

[4] Harry Davies und Manisha Ganguly: 244 US cargo planes, 20 ships deliver over 10,000 tons of military equipment to Israel – report. Times of Israel, 25. Dezember 2023.

[5] Gaza war puts US’s extensive weapons stockpile in Israel under scrutiny. The Guardian, 27. Dezember 2023.

[6] Gilbert Achcar: Israeli far right‘s plans for expulsion and expansion. Le Monde diplomatique (englische Ausgabe), Dezember 2023.

[7] Jonathan Weisman, Ruth Igielnik und Alyce McFadden: Poll Finds Wide Disapproval of Biden on Gaza, and Little Room to Shift Gears. New York Times, 19. Dezember 2023.