Debatte

Plan und Markt: Antwort auf Ernest Mandel

Alec Nove

Ich bin Ernest Mandel für seine ernsthafte Kritik meiner Ideen über den „Marktsozialismus“ dankbar. Zufällig habe ich am selben Tag einen Text erhalten. der einen Angriff auf meine Auffassungen seitens der Neuen Rechten darstellt: Socialism. The Grand lllusion von Crozier und Selden. Die Autoren bedauern, wie Mandel, die Vermengung von Plan und Markt, aber natürlich von einem entgegengesetzten Standpunkt. Ich sage dies mit der Absicht, deutlich zu machen, daß ich kein Anhänger des Laisser-faire bin und daß ich mir völlig der Unzulänglichkeiten und Grenzen des Marktes bewußt bin. Eine minimale Rolle des Staates und die grenzenlose Suche nach privatem Profit sichern nicht den Wohlstand der Gesellschaft, und tatsächlich müssen diejenigen, die derartige Konzepte verteidigen, die wirklichen Ideen von Adam Smith verfälschen, während sie sich auf seinen Namen berufen.

 

Markt und Sozialismus

Fortsetzung der Debatte um Plan und Markt

Im Jahre 1985 veröffentlichte Alec Nove, Profes­sor an der Universität Glasgow, sein Buch The Economics of Feasible Socialism („Die Wirt­schaft des machbaren Sozialismus“, Allen & Un­win). Wie er im Vorwort selbst erklärt, ist Nove der Sohn eines nach der Revolution von der bolschewi­stischen Regierung inhaftierten Menschewiken und in der Emigration in einem reformistischen Milieu aufgewachsen. Während eines Vierteljahrhunderts hat er die Probleme der Sowjetunion studiert, und sein Buch ist weitgehend das Ergebnis dieser Stu­dien. Ein großer Teil dieses Buches analysiert eben auch die Probleme und Widersprüche der bürokrati­schen Übergangsgesellschaft der Sowjetunion, während sich ein anderer Teil mit „Reformmodel­len“ befaßt, d.h. mit den Erfahrungen von Ungarn, Jugoslawien, Polen und China. Der letzte Teil skiz­ziert die wesentlichen Züge dessen, was Nove den „realisierbaren Sozialismus“ nennt, den er sowohl dem „real existierenden Sozialismus“, als auch dem von Marx konzipierten Sozialismus, den Nove für utopisch hält, gegenüberstellt. Noves Entwurf greift in der Tat im großen und ganzen die früheren Vor­stellungen der sozialdemokratischen Parteien aus der Zeit auf, ehe diese jeglichen noch so geringen ernst­haften reformistischen Anspruch auf dem Altar poli­tischer Selbstbeschränkung geopfert hatten. Wie der in dieser Ausgabe von Inprekorr leicht gekürzt ver­öffentlichte Artikel beweist, verwirft Nove jede Möglichkeit des Aufbaus eines anderen Wirtschafts­systems als das der Marktwirtschaft, und er akzeptiert politisch die Wertvorstellungen und Mechanis­men der bürgerlichen Demokratie.

Noves Buch hat ein beachtliches Echo gefunden und zahlreiche Diskussionen ausgelöst. Die von ihm angesprochene Problematik ist kürzlich infolge des von der sowjetischen Bürokratie unter Gorbatschow eingeschlagenen Reformkurses wieder ins Blickfeld geraten. Wir bestreiten nicht, daß dabei echte Pro­bleme angesprochen werden. Aber eine Klärung tut not. Man kann und man muß in der Arbeiterbewe­gung diskutieren, in welchem Maße und in welchen Formen der Markt in einer Phase des Übergangs er­setzt werden soll. Es sei daran erinnert, daß Trotzki in seiner Auseinandersetzung mit der Konzeption und der Praxis der Stalinschen Industrialisierung und Kollektivierung selbst im gegebenen Rahmen eine Ausweitung des Marktes ins Auge gefaßt hatte. Aber das hat nichts zu tun mit der Herangehensweise je­ner, die wie Nove über die historische Überlegenheit und Unersetzlichkeit der Marktwirtschaft theoreti­sieren. Nove und alle, die seine Auffassung teilen, umgehen das wesentliche Problem, nämlich die Frage welche Klasse die Macht ausübt.

In Nr. 200 von Inprekorr haben wir eine Kritik von Ernest Mandel an dem Buch von Nove veröffent­licht. Die englische Fassung dieser Kritik war zuvor in Nr. 150 von New Left Review erschienen, in Nr. 161 erschien eine Antwort von Nove. Wir brin­gen im folgenden diese Antwort sowie eine erneute Erwiderung von Ernest Mandel, welche in Nr. 169 von New Left Review veröffentlicht wurde.

Mandel leugnet nicht, daß sich der Warenaustausch unmittelbar nach einer antikapitalistischen Revolution als notwendig erweisen kann und daß in dieser Phase Plan und Markt in „hybriden Übergangsformen“ koexistieren können. Für ihn, wie auch für Marx, scheint der Übergang zum Sozialismus somit durch ein graduelles Verschwinden des Marktes gekennzeichnet zu sein. Darin liegt unsere Meinungsverschiedenheit. Möglicherweise hat sie ihren Ursprung in einem definitorischen Mißverständnis von seiner Seite. Er hat völlig Recht, wenn er behauptet, daß in der Epoche des „Spätkapitalismus“ gigantische Gesellschaften existieren, mit verschiedenen Abstufungen vertikaler Integration, innerhalb derer die „direkte“ hierarchische „Zuteilung“ den Markt ersetzt. Ich habe dieses Problem selber in meinem Buch The Economics of Feasible Socialism behandelt und dabei betont, daß zur gleichen Zeit Tausende und Abertausende kleiner und mittlerer Unternehmen fortbestehen. Wir müssen von der Auffassung ausgehen, daß die Ökonomie der Staffelung – auf dem Gebiet der Technologie, der Informatik und der Organisation – zahlreiche Varianten kennt und dasselbe sich sehr wahrscheinlich auch im Rahmen des Sozialismus, den man sich in realistischer Weise vorstellen kann, fortsetzen wird. Deshalb erscheint es uns korrekt, mehrere Kategorien von Produzenten in Betracht zu ziehen. Aber Mandel irrt sich, wenn er die Trennungslinie zwischen Plan und Markt, zwischen ex ante und ex post zieht. Selbstverständlich wird eine große Zahl von Gütern vor der Bestellung produziert! Und sicherlich ist die Trennlinie zwischen Plan und Markt nicht gleich der Trennlinie zwischen Konfektionsware und auf Bestellung gefertigter Kleidung! Mandel sagt, daß nicht der Markt, sondern das geplante Ziel der Produktion von Lkws die Anzahl der Teile bestimmt, die hergestellt werden müssen. Jedes Lehrbuch erklärt uns jedoch, daß die Nachfrage nach Einzelteilen (oder anderen Bestandteilen) von der Nachfrage nach Lkws auf dem Markt abhängt. Offensichtlich ist eine Planung im voraus, d. h. eine Vorwegnahme ex ante, die Regel in einer kapitalistischen Marktwirtschaft, die auf Marktanalysen oder vorher ausgehandelten Verträgen basiert. Auch in einer sozialistischen Wirtschaft kann man sich vorstellen, daß Schiffe und die technische Einrichtung in den Elektrizitätswerken auf Bestellung hergestellt werden und daß andererseits Schuhe, Hemden und Gemüse in Hinblick auf eine angenommene Nachfrage der Konsumenten produziert werden, wobei sich diese Annahmen als falsch erweisen können und eine Überprüfung ex post erfordern werden. Natürlich existieren der Markt und die Warenproduktion, wenn Güter für den Markt, für den Tausch und nicht für den Gebrauch produziert werden, und dies ist unabhängig vom Grad der vertikalen Integration im Produktionsprozeß des einen oder anderen Produkts.

Mandel fragt: ist es zulässig, Beweise anzuführen, die aus der sowjetischen Erfahrung abgeleitet sind? Gewiß haben einige spezielle russische oder sowjetische Faktoren – die Rückständigkeit, die „schlechte bürokratische Herrschaft“ – eine Rolle gespielt. Aber es sind Lehren aus den Erfahrungen zu ziehen, die (z. B.) den Grad, das Ausmaß und die Komplexität der Konflikte zwischen den Sonderinteressen und den Allgemeininteressen betreffen, die Indikatoren der Planerfüllung, die Investitionskriterien, die Preise vom theoretischen wie vom praktischen Gesichtspunkt aus, die Arbeitsanreize, die Ungleichgewichte in der Landwirtschaft, der Einfluß der Verbraucherwünsche auf die Pläne und den Produktionsausstoß, die Rolle der regionalen Politik usw. Während die sowjetische Bilanz bei der Behandlung dieser und auch anderer Probleme (einschließlich der Umweltverschmutzung) viel zu wünschen übrig läßt, wäre es absurd, die sowjetische Erfahrung zu ignorieren, weil man sich im voraus entschlossen hat, sie als „nichtsozialistisch“ zu bezeichnen.

Wenn es heute in der Sowjetunion mehrere Typen und Varianten von Gütern und Dienstleistungen gibt, die von Hunderttausenden von Unternehmen (aus den Bereichen Industrie, Bau, Landwirtschaft, Transport usw.) hergestellt und geliefert werden, und wenn die bloße Komplexität einer Planung ohne Markt sowohl die Bürokratie als auch die Ineffizienz hervorruft, so ist es tatsächlich nicht sehr sachdienlich, an die „Demokratie“ als Heilmittel zu appellieren. Das Recht verschiedener gesellschaftlicher Schichten, sich in pressure groups zu organisieren, so wünschenswert es an sich auch ist, kann die Aufgabe der Planung nur noch mehr komplizieren. Mandel erklärt uns, daß die meisten Menschen in Wirklichkeit ihre Wahl nicht zwischen Millionen von Gütern und Dienstleistungen treffen und daß die Ansprüche der Leute dieselben bleiben und weitgehend voraussehbar sind. Sicher, eine totale Unvorhersehbarkeit würde das Leben in jeder Gesellschaft unmöglich machen! Aber man muß sich folgende Frage stellen: warum gibt es in der Sowjetunion (und im Westen) Millionen von Produkten? Das Problem besteht darin, daß, während Mandel und ich selbst nicht zwischen Tausenden von Schuhen und Tausenden von Urlaubsorten wählen, diese Tausende von Schuhen und Urlaubsorte tatsächlich für andere zur Auswahl da sind. Sobald die Wirtschaft über die Ebene der Subsistenz hinausgeht, wünschen die Leute eine vielfältigere Ernährung (um einen Gedanken von Mandel selbst aufzugreifen), und gleiches gilt hinsichtlich der Schuhe und des Urlaubs usw. Je größer die Vielfalt der Outputs (Produkte) ist, umso größer ist die Vielfalt der Inputs (der Produktionsmittel) und umso schwieriger sind die Aufgaben der zentralen Planer. Mandel fragt: warum der zentralen Planer? Warum mein Beharren auf die Staffelung im allgemeinen? Wissen wir nicht, daß sich das Ganze aus mehreren Teilen zusammensetzt, denen die Entscheidung zukommt? In dieser Frage glaube ich, daß Mandel und diejenigen, die so wie er denken, an einer besonderen Art der Blindheit leiden. Ich werde es im folgenden erläutern.

Zunächst gibt es in einer modernen industriellen Wirtschaft mit ihren vielfältigen Verflechtungen eine Logik der Zentralisierung der Planung auf der Grundlage einer bewußten Einschätzung der Bedürfnisse der „assoziierten Produzenten“. Die Entscheidungen, die sich hinsichtlich der Produktion und der Zuteilung ergeben, müssen (mit welchen Mitteln auch immer) die von der „Gesellschaft“ oder ihren Repräsentanten festgelegten Prioritäten widerspiegeln. Sind die Entscheidungen einmal getroffen, so müssen sie durchgeführt werden, was den Einsatz von in zahlreichen Regionen eines Landes oder außerhalb des Landes produzierten Ressourcen beinhaltet. Wenn man nicht von der Hypothese ausgeht, daß der „Überfluß“ bereits existiert und das Problem der alternativen Wahl sich somit nicht stellt, muß ein Organismus existieren, der die Ressourcen zuteilt und sich dabei zwischen alternativen Einsätzen der Ressourcen entscheidet. Ja, es ist der Markt, der dies tut, und er tut es in einer unvollkommenen Weise. Aber die Existenz zahlloser horizontaler, frei ausgehandelter vertraglicher Verbindungen befreit das Zentrum von einer andernfalls untragbaren Last, und es ist somit nicht erstaunlich, daß in diesem Sinne seitens der Gorbatschow am nächsten stehenden sowjetischen Reformer Vorschläge gemacht werden.


Tertium datur? (Gibt es eine dritte Lösung?)


Mandel kritisiert mich, weil ich nur zwei Alternativen in Betracht ziehe, die administrative Zuteilung und den Markt (Kauf und Verkauf). Er besteht darauf: tertium datur. Er unterstreicht auch, daß der Mensch sowohl Konsument als auch Produzent mit der freien Auswahl in beiden Fällen ist. Sicher, aber man muß sich der Implikationen bewußt sein. Es gibt bereits jetzt Tätigkeiten, die aufgrund ihrer eigenen Natur nicht dezentralisiert werden können, z. B. das Elektrizitäts- und das Eisenbahnnetz. Die „Selbstverwaltung“ auf lokaler Ebene (ein Elektrizitätswerk, der Abschnitt einer Eisenbahnlinie) muß aus augenscheinlichen Gründen rigoros begrenzt werden. Die Frage der Kenntnis, ob es einen Anstieg der Nachfrage nach Elektrizität oder Transport gibt und ob es nötig ist, entsprechende Entscheidungen zu ergreifen, muß einer viel höheren hierarchischen Ebene unterbreitet werden sowohl heute als auch in einer möglichen sozialistischen Gesellschaft. Das ist der Grund, warum ich diese Sektoren als Sektoren behandele, die zentral geplant werden müssen. Dennoch glaube ich, daß im wesentlichen die Wirtschaft in einer Weise dezentralisiert werden muß, daß die Leute sowohl als Verbraucher als auch als Konsumenten soweit wie möglich frei sind. Es ist erstaunlich, daß laut Mandel „der einfachste und auch demokratischste Weg, die materiellen Ressourcen mit den gesellschaftlichen Bedürfnissen in Einklang zu bringen, nicht ist, das Medium Geld dazwischenzuschalten, sondern herauszufinden, welche Bedürfnisse die Menschen haben, indem man sie danach fragt.“ Die Schwierigkeiten sind jedoch ziemlich offenkundig. Wie kann man durch dieses Mittel die relative Intensität der Bedürfnisse der Leute, die, wenn auch unvollkommen, durch die Absicht zu bezahlen enthüllt wird, herausfinden? Wie wird man mit dem vorhersehbaren Resultat umgehen, nach dem die Wünsche in ihrer Gesamtheit in Gefahr geraten, die zu ihrer Befriedigung nötigen Mittel zu übersteigen? Welche Lösung wird man den Bürgern anbieten, die der Meinung sind, daß ihre Bedürfnisse nicht befriedigt werden? Und welche Machtmittel werden den Planern erlauben, die Anwendung ihrer Entscheidungen sicherzustellen? Es ist keine Antwort zu sagen, daß manche dringende Bedürfnisse klare Prioritäten darstellen: Nahrungsmittel für Hungernde und Medikamente für Kranke müssen gegenüber Luxusgegenständen Vorrang haben. Absolut einverstanden. Aber die Welt ist ein wenig komplizierter. Wie Mandel selbst erklärt hat, haben wir gerne eine vielfältigere Nahrung.

(…) Betrachten wir die Logik eines dezentralisierten Entscheidungsmechanismus näher, unabhängig von der Tatsache, ob die Entscheidung dem Konsumenten, dem Produzenten, einer Gemeinde oder einem besonderen lokalen Planungsbüro zukommt. Sie haben alle eines gemeinsam, eine Anforderung: sie benötigen eine gewisse Anzahl von Inputs. Einige, z. B. Wasser oder elektrische Energie, können zentral in leicht voraussehbaren Mengen geliefert werden. Andere, Tausende und Abertausende von Inputs, müssen von einer Unmenge anderer Unternehmen produziert und geliefert werden. Diese können sie nur unter der Bedingung liefern, daß sie die erforderlichen Produktionsmittel erhalten und über eine Kontrolle der Güter und Dienstleistungen, die sie produzieren werden, in einer Weise verfügen, die es ihnen ermöglicht zu liefern, was der Kunde wirklich verlangt. In diesem Zusammenhang können wir die, an sich wichtige, Frage der Bedingungen, unter denen die Entscheidungen tatsächlich getroffen werden, den Grad der Selbstverwaltung oder der Beteiligung im Rahmen der Produktionseinheit, beiseite lassen. Der wesentliche Punkt ist, ob es sich um eine dezentralisierte Entscheidung handelt, die Inputs benötigt, um verwirklicht zu werden. Wie werden sie in Mandels Welt erlangt? Wie kann man die enormen Schwierigkeiten, die entstehen, nicht begreifen, wenn man in Rechnung stellt, daß jede Entscheidung zahlreiche verschiedene Inputs impliziert, die von einer gewissen Anzahl verschiedener Unternehmen geliefert werden, von denen jedes seinerseits verschiedene Inputs benötigt? Der Gebrauch von Computern kann die Berechnungen beschleunigen und helfen, ein materielles Gleichgewicht zu erreichen. Aber es sind menschliche Wesen und nicht Computer die über die Prioritäten und in bezug auf neue Vorschläge und Innovationen entscheiden werden. (…)

Sicher, der Mensch ist sowohl Konsument als auch Produzent. Deshalb habe ich mich in meinem Buch mit dem Konzept der „Präferenzen der Produzenten“ beschäftigt. Ja, es ist möglich, daß die Leute es vorziehen mehr Freizeit zu haben, wenn die menschliche Neigung, Dinge zu erlangen, nicht mehr seitens der kommerziellen Öffentlichkeit angereizt wird. (…) Mandel setzt voraus, daß selbst die begrenzte Existenz von Marktbeziehungen zu einer Reihe von unerwünschten Folgen führt. Ich will gerne zugeben, daß diese Gefahr existiert, genauso wie eine nicht auf dem Markt basierende Zuteilung eine bürokratische Deformation hervorrufen kann. In der Tat ist mein Argument, daß sie dies nicht nur kann, sondern daß sie sie hervorrufen muß. Wie ich in meinem Buch zu zeigen versucht habe, stellen so unterschiedliche Marxisten wie Charles Bettelheim und Isaak Rubin übereinstimmend fest, daß die „Warenproduktion“ eng mit der Autonomie, dem getrennten Charakter der Produktionseinheiten verbunden ist. Umso mehr der Plan vorgibt, alles zu umfassen, umso weniger ist es möglich, hinsichtlich der Inputs, der Outputs und der Partner auf der Ebene des Produktionsbetriebes zu wählen und dies gilt unabhängig vom Grad der Demokratie bei der Wahl der Versammlung, die über den Plan entscheidet. Jeder Bürger oder jede Gruppe von Bürgern, die es wünscht, auf eigenes Risiko ein Produkt oder eine Dienstleistung anzubieten, die sie für notwendig hält, muß grundsätzlich die Freiheit haben, in Besitz der dazu erforderlichen materiellen Mittel zu gelangen und im Falle des Erfolgs einen Gewinn (Profit) zu erzielen. Das ist ein integraler Teil von Rechten und Freiheiten als Produzent, Rechte, die verletzt werden würden, wenn man einer „sozialistischen Polizei“ befehlen würde, sie daran zu hindern. Wenn diese Güter und Dienstleistungen vom öffentlichen Sektor in zufriedenstellender Weise bereitgestellt würden, bestünde keine Möglichkeit, Profit daraus zu ziehen. Ich habe festgestellt, daß in der Sowjetunion die Bauern ihre Butter nicht auf dem Markt anbieten, wenn es genug davon zum offiziellen Preis in den staatlichen Läden gibt. (…)

Mandel erklärt richtigerweise, daß viele Erfindungen zum Wohle der Menschheit ohne den Anreiz durch Marktbeziehungen oder monetäre Entschädigungen gemacht worden sind, und ich bin damit einverstanden, daß Pasteur und Fleming von den edelsten Beweggründen angetrieben wurden. Auf viel niedrigerer Ebene führen weder Mandel noch ich diese Debatte mit dem Ziel, Geld zu verdienen. Jedoch erfordert die Anwendung von Entdeckungen im großen Maßstab und selbst die Produktion von New Left Review den Kauf und den Gebrauch materieller Mittel, Produktionsmittel, die einen alternativen Gebrauch zulassen. Mandel berührt niemals wirklich die Frage wie die Produktionsmittel produziert oder bereitgestellt werden können. Sicherlich kann man sich eine Versammlung von Delegierten vorstellen, die z. B. über die Verwendung von Leder diskutiert. Aber selbst ganz einfache Produkte erfordern eine ganze Reihe von oft sehr speziellen Elementen; wie könnte garantiert werden, daß eine Delegiertenversammlung, die über Tausende solcher Elemente zu befinden hat, ohne eine hierarchische Autoritätspyramide einen zusammenhängenden Input / Output des Ganzen gewährleistet – es sei denn, diese Einzelteile können gekauft werden, und die ganze Pyramide wird überflüssig? Leider, tertium non datur!

Wir brauchen nicht über die Bedeutung der Sektoren zu sprechen, wo das Kriterium des Profits nicht angewandt werden darf: das Gesundheitswesen, die Erziehung, die öffentlichen Bauten, die Post, der öffentliche Transport in den Städten, der Schutz der Umwelt, die Versorgung mit Wasser, die Beleuchtung und Reinigung von Straßen, die Parkanlagen usw. sind nicht dazu da (und sollten auch nicht dazu da sein), um damit Geld zu verdienen. Jedoch auch zu diesem Thema müssen wir feststellen, daß die öffentlichen Behörden über die notwendigen materiellen Mittel verfügen müssen um ihre demokratischen Entscheidungen umsetzen zu können. Wenn nicht, wie es in der Sowjetunion der Fall ist, entscheidet ein lokaler Sowjet über den Bau oder die Reparatur einer Schule, aber er findet nicht das erforderliche Baumaterial, da das Angebot begrenzt und von einer entfernten Behörde rationiert ist. (…)

      
Mehr dazu
Ernest Mandel: Zur Verteidigung der sozialistischen Planwirtschaft – Eine Kritik der Theorie des „Markwirtschaftlichen Sozialismus“, Inprekorr Nr. 200 (Februar 1988)
Ernest Mandel: Plan und Markt: Antwort auf Alec Nove, Inprekorr Nr. 209 (November 1988)
 

Irrtümer können in jedem System begangen werden. Darüber sind Mandel und ich einer Meinung. Ich bin auch damit einverstanden, daß ein ungeregelter Markt Zusammenbrüche großen Ausmaßes und eine große Arbeitslosigkeit hervorrufen kann, die zwar ruinöse Mittel sind, es aber erlauben, sich über begangene Irrtümer klar zu werden. Ich polemisiere deshalb u. a. mit den Ideologen der Chicagoer Schule und all jenen, die an der Krankheit der Privatisierung leiden. Aber es ist völlig phantastisch zu glauben, wie es Mandel tut, daß eine reale Demokratie garantiert, daß die Mehrheit sich für notwendige Korrekturen ausspricht. Dies setzt voraus, daß die erforderliche Handlungsweise klar ist. In einer zentralisierten Wirtschaft ist es äußerst schwierig zu wissen, wer oder was für diese oder jene Funktionsstörung verantwortlich ist, und die Korrekturen (bei Abwesenheit eines Überflusses) implizieren normalerweise einen Transfer der Ressourcen von einer Zuteilung zu einer anderen. Ohne Zweifel teilt Mandel die Illusion Bucharins, nach der die „assoziierten Produzenten“ klar verstehen werden, was auf der Basis der von den „nüchternen Daten der Statistik“ gelieferten Indikatoren getan werden muß. In Wirklichkeit ist es ein Rezept, das die Politisierung der konfliktgeladenen Nachfrage hinsichtlich der Ressourcen riskiert. Mandel jedoch setzt dem die Zerstörung entgegen, die er voraussieht, wenn „unabhängige Gesellschaften“ ihre Entscheidungen in bezug auf „zersplitterte spezifische Interessen“ treffen. Wenn die Interessen spezifisch sind – normalerweise sind sie es – und wenn die Leute auf der Grundlage eines notwendigerweise begrenzten und partiellen Verständnisses handeln, was ihnen als das Beste erscheint, werden daraus auf jeden Fall Widersprüche resultieren, und die Alternative zur Unabhängigkeit ist die Abhängigkeit, die hierarchische Unterordnung. Meiner Meinung nach ist dies in einem gewissen Grade unvermeidlich, aber ich sehe die Mittel, die Auswirkungen einer solchen Situation auf ein Mindestmaß zu begrenzen, in einer Autonomie in Zusammenhang mit dem Markt.

Mandel liebt die Konkurrenz nicht, die jedoch, wie ich des öfteren betont habe, eine unvermeidliche Folge der Wahlmöglichkeit für den Verbraucher ist. Die New Left Review konkurriert mit anderen Zeitschriften, um Leser zu gewinnen. Ein Restaurant, ein Theater, diejenigen, die Hemden produzieren oder elektronische Bestandteile, brauchen Kunden, und diese müssen das Recht haben, sich bei anderen zu versorgen, wenn sie nicht zufrieden sind. Mandel wartet ungeduldig auf die Abschaffung monetärer Anreize. Auch ich ziehe erhabenere Formen der Motivation wie Engagement, Fairneß, den Stolz auf eine gute Arbeitsleistung, das Gefühl, der Gemeinschaft zu dienen, vor. Ich teile mit ihm die Verachtung der Yuppie-Mentalität. Aber die Verfügbarkeit über die Kaufkraft ist und bleibt wahrscheinlich einer der wichtigsten Anreize, wenn nicht gar der einzige. Das Geld liefert auch eine unersetzliche Maßeinheit, um das Verhältnis zwischen den Kosten und dem Resultat sowie die Intensität der Bedürfnisse zu messen. Warum ist es „utopisch“, sich eine Kombination aus dem „Wunsch nach materiellem Gewinn“ und einer „freiwillig akzeptierten sozialen Verantwortung“ vorzustellen? Was mich betrifft, so fühle ich mich durch beides motiviert! Warum sollte ein fähiger und gewissenhafter Chirurg nicht sein Bestes tun, um seine Patienten zu versorgen, ohne zunächst zu fragen, wieviel sie ihm zahlen werden, während er gleichzeitig den Wunsch hat, mit seiner Familie Ferien auf Madeira zu verbringen? Mandel spricht von einer „sozialen Dividende“, die für das gesamte Gemeinwesen zunimmt, wenn gut gearbeitet wird. Dies kann für ein kleines Gemeinwesen zutreffen, in dem jede(r) jede(n) kennt. In einem Land mit hundert Millionen Einwohnern gibt es das Problem der Trittbrettfahrer; es gibt keine sichtbare Verbindung zwischen der Anstrengung und dem Resultat, und die Wirkung des Anreizes verflüchtigt sich.

Mandel glaubt, daß selbst ein begrenztes Vertrauen auf den Markt unerbittlich zu „Überkapazitäten, Überproduktion und Erwerbslosigkeit“ führt. Doch dies ist nicht notwendigerweise der Fall, wenn der Staat seine Möglichkeiten zur Planung bewußt einsetzt, um diese Gefahren zu vermeiden. Ich leugne nicht, daß diese Gefahren existieren. Und ich sehe auch nicht, warum „monetäre Zuwendungen für Manager“ zu „permanentem Festhalten an Posten und repressiven Verhalten“ fuhren sollten, insbesondere wenn die Manager gegenüber der Arbeitskraft verantwortlich sind (die bereit sein könnte, für einen guten Manager einen Extrabetrag zu zahlen!). In der UdSSR hat man betont, daß die relative Unterbezahlung von Managern es erschwert hat, Leute davon zu überzeugen, diese Tätigkeit anzunehmen. Mein Argument besteht darin, daß nur Belohnungen und Lohndifferenzierungen (ob nun für Manager, Mechaniker, Müllkutscher oder Professoren) die gewünschte Anstrengung hervorbringen, nicht mehr und nicht weniger. Letztlich ist die „Selbstherrschaft der assoziierten Produzenten“ im Rahmen eines großen Landes, und erst recht in der ganzen Welt, für mich eine Losung und kein praktisches Programm. In dieser ziemlich wesentlichen Frage haben wir weiter Meinungsverschiedenheiten. (…)


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 209 (November 1988). | Startseite | Impressum | Datenschutz