Palästina/Israel/Zionismus

Mythos und Wirklichkeit

Der folgende Artikel wurde Ende 1969 verfaßt. Wir halten ihn für eine kurze und präzise Darstellung des Palästina-Problems und drucken ihn darum ab. Es wurden nur unwesentliche Kürzungen vorgenommen, die sich auf Quellenangaben in Zeitungen und zeitbe­dingte Beispiele beziehen.

Nathan Weinstock


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Der Antisemitismus ist eine rassistische Ideolo­gie, die sich gegen die Juden richtet. Er muß mit der Ausrottung der wirtschaftlichen, sozialen, politischen und psychologischen Ursachen des Rassismus, der in der Gesellschaft wurzelt, bekämpft werden. Der Rassismus ist nichts Schicksalgegebenes, Unver­meidliches oder Geheimnisvolles und der Antise­mitismus ist lediglich eine Variante davon. Die Zigeu­ner, die in zahlreichen Ländern noch immer gede­mütigt werden, wurden von den Nazis ebenfalls massenweise ausgerottet. Heute kann in Westeuropa ein Wiedererwachen des Rassismus festgestellt werden, der vor allem gegenüber den ausländischen Arbeitern besonders ausgeprägt ist (Spaltungs­versuch der Arbeiterklasse und Nachgeruch aus der Kolonialzeit). Den Rassismus wirksam bekämp­fen, heißt, die gesellschaftlichen Strukturen zerstören, die ihn hervorbringen …


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Antizionismus heißt Kampf gegen die zionisti­sche Bewegung (von Zion, Name eines Hügels in Jerusalem). Diese Strömung entstand im 19. Jahr­hundert und hat zum Ziel, die Juden wieder in Palästi­na zu sammeln, um dort auf Kosten der eingeborenen palästinensischen Bevölkerung einen jüdischen Staat zu gründen. In der Praxis heißt Zionismus Auswei­sung oder Verjagung eines Großteils der palästinensi­schen Bevölkerung, die so zu Flüchtlingen degradiert wird. Diese Politik wird auch heute noch weitergeführt …, wie folgendes Zitat von J. Weitz, Direktor der Abteilung für Kolonisierung der jüdischen Agentur für Israel (…) beweist:

„Die einzige Lösung besteht in der Schaffung eines Palästinas, wenigstens Westpalästinas, ohne Araber (…) und es gibt keine andere Möglichkeit, als alle Araber in die Nachbarländer umzusiedeln, sie alle hier rauszuholen. Kein einziges Dorf, kein einziger Stamm sollte intakt bleiben. Die Umsiedlung sollte vor allem nach Syrien und dem Irak erfolgen.“

Der Kampf gegen die Strukturen und die Politik Israels ist demnach ein antikolonialistischer Kampf, um den Palästinensern ihre nationalen Rechte und ihre Heimat wieder zurückzugeben.


3
Jeder Kolonialismus ist vor allem Rassismus. Der Kampf gegen den zionistischen Kolonialismus ist folglich das logische Pendant zum Kampf gegen den Rassismus im allgemeinen und besonders zum Kampf gegen den Antisemitismus. All die zahlreichen Aktivisten jüdischer Abstammung haben das verstanden, die innerhalb und außerhalb Israels es entweder aus revolutionärer Überzeugung oder ganz einfach aus humanitären oder religiösen Motiven heraus ableh­nen, Komplizen des zionistischen Unternehmens zu sein und sich mit dem nationalen Befreiungskampf des unterdrückten palästinensi­schen Volkes solidarisieren. Eric Rouleau schrieb in Le Monde vom 5. Juli 1969: „Mitglieder des ‚Matzpen’ – antizionistische linke Orga­nisation Israels – sind durch die Straßen marschiert und haben gerufen: Wir sind alle palästinensische Araber.“

Letztes Jahr unterzeichneten ungefähr hundert Intellektuelle ein Manifest, in welchem es unter anderem heißt: „Jedes Volk, das ein anderes unterdrückt, verliert notwendigerweise seine eigene Freiheit. Jüdischer Bürger! Denke an die mutigen ‚goyim’ (Ungläubige), die sich in unserer Not auf unsere Seite stellten. Wirst Du abseits stehen, wirst Du schweigen vor dem Unglück, das das arabische Brudervolk trifft?“


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Der Zionismus und der Staat Israel haben mit der jüdischen Religion oder dem Judentum im allgemeinen nichts zu tun. Übrigens waren die orthodoxen Juden, besonders jene Palästinas, dem Zionis­mus lange überaus feindlich gesinnt, wie heute noch die Jerusalemer Bewegung Néturé Karta (die Stadtwächter). Es ist zutiefst bedauer­lich, daß zahlreiche geistige Führer jüdischer Gemeinschaften mit ihrer moralischen Autorität die kolonialistische und rassistische Poli­tik Israels decken und damit den Glauben Moses vor dem Imperialis­mus erniedrigen.


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Israel unterdrückt nicht nur die palästinensischen Araber, son­dern trägt auch nichts zur Bekämpfung des antijüdischen Rassismus bei. Zuerst einmal hat der Antisemitismus nichts mit dem Bestehen oder Nichtbestehen eines jüdischen Staates zu tun (wie auch das Bestehen der mächtigen Volksrepublik China die in Indonesien leben­den Chinesen nicht vor den Verfolgungen der lokalen Reaktion zu schützen vermag). Aber das ist noch nicht alles: die zionistischen Führer geben in Tat und Wahrheit dem Antisemitismus Auftrieb, indem sie sich unmäßig als Vertreter des Weltjudentums ausgeben – während sechs Siebtel aller Juden außerhalb Israels leben – und indem sie in der internationalen Öffentlichkeit die These von der bedingungs­losen Solidarität aller Juden der Welt mit Israel verbreiten. Dies trifft besonders für die arabischen Länder zu, wo jeder militärische Sieg Israels der Reaktion Gelegenheit bot, die einheimischen jüdischen Gemeinschaften zu belästigen, die damit wider Willen in die imperia­listische Politik des hebräischen Staates verwickelt wurden.


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Israel ist nicht aus den Hitler-Verfolgungen hervorgegangen. Die Grundsteine der zionistischen Kolonisierung Palästinas wurden im letzten Viertel des 19. Jh. gelegt (die ersten Einwanderer kamen 1882). Palästina hätte übrigens niemals die 6 Mio. vom Nazi-Regime ausgerotteten Juden aufnehmen können. Die jüdische Gemeinschaft in Palästina ist nicht deswegen vom Völkermord verschont geblieben, weil sie im Heiligen Land lebte, sondern weil – dasselbe gilt für die amerikanischen oder englischen Juden – Hitler den Nahen Osten glücklicherweise nicht erobern konnte. Die wirklichen Verantwortli­chen des Völkermordes sind die westlichen „Demokratien“, die es abgelehnt haben, den Opfern des Faschismus ihre Grenzen zu öffnen. Die zionistischen Führer haben stets ohne Zögern mit den antisemiti­schen Anführern Pakte geschlossen, um ihre Ziele zu erreichen (Gespräche zwischen Herzl und von Plehve, Organisator der Pogrome im zaristischen Rußland; Jabotinskis Kollaboration mit dem Henker der Petliura-Juden; Kontakte zwischen den „revisionistischen“ Zioni­ sten und Mussolini und Pilsudski; „Haavara“-Abkommen der zionistischen Organisationen mit dem Dritten Reich bezüglich der Eva­kuierung des Eigentums deutscher Juden).


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Der groteske Mythos über die angeblichen historischen Rechte der Juden auf Palästina muß ebenfalls widerlegt werden. Schon vor der Eroberung Judäas durch die Römer (70 n. Chr.) lebten drei Viertel der jüdischen Bevölkerung außerhalb Palästinas. Die dort ansässige jüdi­sche Gemeinschaft wurde im Laufe der Jahrhunderte von den Nachbarstaaten aufgesogen, wie z. B. den Philistern, Phöniziern und anderen Völkern des Alten Orients. Daraus ergibt sich das Paradox, daß die heutigen Palästinenser in Wirklichkeit in einem gewissen Maß (es gab zahlreiche Vermischungen mit anderen Gemeinschaften) die Nachfahren der Hebräer sind! Wenn die Juden ein Anrecht auf Palästina haben, warum sollten die Araber nicht auch ein Anrecht auf Spanien oder Sizilien haben, die einst Teile des islamischen Reiches waren?


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Der palästinensische Widerstand gegen die Kolonisation (die Levantiner Juden eingeschlossen, die übrigens am syrisch-palästinen­sischen Kongreß von 1919 teilgenommen haben) begann mit dem zionistischen Unternehmen und besonders von 1908 an (…) Die jüdischen Kolonien wurden von Fellachen bedrängt, die aus ihrem Gebiet verjagt worden waren. 1920 und 1921 fanden Meutereien statt, als Teil des allgemeinen Aufstandes der arabischen Welt (Syrien, Irak, Ägypten) gegen die französisch-englische Herrschaft. Bei den Unru­hen von 1929 flammte dieser Widerstand erneut auf und fand in den dreißiger Jahren in Form von Streiks und Straßendemonstrationen gegen die zionistische Politik Großbritanniens seine Fortsetzung. Seinen Höhepunkt erreicht er 1936–39 – sechsmonatiger General­streik, der von einem allgemeinen Aufstand auf dem Lande gefolgt war – dann wurde er von englischen Truppen, die von zionistischen Milizen wirksam unterstützt wurden, blutig niedergeschlagen (siehe Prof. Y. Bauer …), der folgendermaßen endete: „Der arabische Auf­stand der Jahre 1936–39 war der letzte Versuch des arabischen Volkes Palästinas, das Eindringen der Juden gewaltsam zu verhindern (…). Die Voraussetzungen für den Sieg von 1948 wurden während des arabischen Aufstands geschaffen.“

Das palästinensische Volk brauchte eine ganze Generation, um sich von diesem schrecklichen Aderlaß zu erholen (die Toten gingen in die Tausende). Aus diesem Grund blieb die palästinensische Oppo­sition nach dem zweiten Weltkrieg zersplittert und erlebte erst von 1965 an wieder einen gewissen Aufschwung.


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Wenn die zionistische Bewegung in Palästina Fuß fassen konnte, so vor allem dank der Unterstützung durch türkische und britische Behörden (Erklärung von Balfour vom 2. Nov. 1917), und dann seit 1947 der Amerikaner (während einiger Zeit mit Unterstüt­zung der UdSSR). Die israelische Gemeinschaft wurde demnach während eines kolonialen Prozesses gebildet, wobei die einheimische Bevölkerung gewaltsam umgesiedelt wurde: „Ohne Stahlhelm und Kanonen könnten wir keinen Baum pflanzen und kein Haus bauen.“ (Moshe Dayan).

 Literatur zum Thema:

Abraham Léon: Judenfrage & Kapitalismus, trikont, München 1971

Isaac Deutscher: Die ungelöste Judenfrage, Rotbuch, Berlin 1977

Jakob Taut/Michel Warschawski: Aufstieg und Niedergang des Zio­nismus, isp-Theorie 8, Frankfurt 1982

Jakob Taut: Judenfrage und Zionismus, isp, Frankfurt 1986

John Bunzl (Hrsg.): Israel/ Palästina. Klasse‚ Nation und Befreiung im Nahost-Konflikt, Junius, Hamburg 1980

Aber die heutigen jüdischen Einwohner Israels können für die von ihren zionistischen Führern begangenen Verbrechen nicht verant­wortlich gemacht werden; man kann sie heute dafür auch nicht bezahlen lassen. Die Zerstörung der Kolonialstrukturen des zionisti­schen Staates kommt weder der Verstoßung noch der Unterdrückung der israelischen Juden gleich. Im Palästina von morgen – das hoffent­lich bei der Vereinigung der durch die Kolonialmächte balkanisierten arabischen Welt neu erstehen wird – muß ihnen die Möglichkeit gegeben werden, ihr nationales Schicksal in brüderlicher Allianz mit den arabischen revolutionären Kräften im allgemeinen oder mit den palästinensischen Kräften im besonderen frei zu wählen.


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Es gibt kein israelisches Wunder! Nachdem die zionistischen Führer während mehreren Jahrzehnten die Unterstützung des briti­schen Kolonialismus genossen, setzten sie ihre technische und militärische Überlegenheit ein, um die Teilung Palästinas durchzusetzen, von dessen Bevölkerung jedoch nur ein Drittel Juden waren (von der Uno genehmigter Teilungsplan vom 29. Nov. 1947). Lange vor der Proklamation des Staates Israel vom 15. Mai 1948 hielten die zionisti­schen Armeen bereits einen großen Teil jenes Gebietes besetzt, das die UNO den palästinensischen Arabern zugeteilt hatte (…). Nebenbei sei erwähnt, daß die UNO-Resolution gefaßt wurde, ohne die Palästinen­ser zu konsultieren und trotz ihrer formellen Opposition gegen die Teilung des Landes. Und wenn sich Israel seit damals halten konnte, so nur dank eines Kapitalzuflusses aus dem Ausland …


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Israel hat nichts von einem „kleinen friedlichen Staat“. Seit 1947 und 1948 verjagen die terroristischen Einfälle seiner Armee die palästinensische Bevölkerung aus ihren Städten und Dörfern (…). Es hat nie aufgehört, sich der Rückkehr der entwurzelten Flüchtlinge in ihre Dörfer gewaltsam zu widersetzen und steigert ständig die blutigen „Strafexpeditionen“ in die Nachbarländer, um so die arabischen Regime nicht ohne Erfolg dazu zu zwingen, die „Polizei“ bei den Flüchtlingen selbst zu spielen. 1956 hat es an der französisch-briti­schen Kolonialexpedition gegen Ägypten teilgenommen, um Nasser für die Verstaatlichung des Suezkanals zu bestrafen; bei dieser Gele­genheit traten seine expansionistischen Gelüste klar zutage. Im Jahre 1967 ist es Israel gelungen, die Weltmeinung davon zu überzeugen, es führe einen Defensivkrieg, währenddem man heute weiß, daß „die Militärübung Ägyptens im Sinai am Vorabend des Krieges defensiver Natur war“ (Levi Eshkol, …), daß Nasser „bluffte“ und nicht die Absicht hatte, Israel anzugreifen (General Rabin, …) und daß die Generäle Dayan und Yaariv (…) eine massive Verhetzungs-Kampag­ne organisiert haben, um den Ministerrat zum Krieg zu zwingen und zweifellos auch, um eine sogenannte Koalition der nationalen Einheit durchzusetzen, die die extreme Rechte mit einschloß (…).


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Die Opposition der arabischen Massen gegen den zionistischen Staat – ein Druck, der sich auf deren Regierung auswirkt – hat demnach nichts mit einem antijüdischen Vorurteil gemein. Es handelt sich hier um einen bloßen Verteidigungs- und Solidaritätsreflex mit einem unterdrückten Brudervolk, der durch das kriegerische Gebaren Israels und seinen seit Juni 1967 offen zugegebenen Expansionismus noch verstärkt wird.

Außerdem rechtfertigt auch die Außenpolitik Israels, die sich durchwegs gegen die arabische Revolution richtet, diese Feindselig­keit (die britische Royal Air Force überflog nach der irakischen Revolution von 1958 israelisches Gebiet, die Unterstützung Frank­reichs während des Algerienkrieges, usw.). Diese Beispiele beweisen, daß Israel den „Polizisten“ des Westens spielen will, selbst wenn seine Eigeninteressen keineswegs auf dem Spiel stehen. Im Nahen Osten gab es übrigens vor der Entstehung der zionistischen Bewegung keine antijüdische Strömung, was um so bemerkenswerter ist, als die Kolo­nialmächte seit langem die konfessionellen und ethnischen Rivalitä­ten dieser Region anheizten.


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Israel kämpft nicht allein. Es wird von den Vereinigten Staaten, Westdeutschland, Großbritannien und Frankreich reichlich mit Waf­fen, Munition und Devisen – das Geld ist der Nerv des Krieges! – versorgt (…). Obwohl die Großmächte zeitweise ihre Unzufriedenheit über gewisse Initiativen Israels Ausdruck geben, die ihre globalen Interessen in dieser Region gefährden könnten (indem sie die „Stabi­lität“ unterminieren), unterstützen sie die zionistischen Strukturen des jüdischen Staates.


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Israel ist kein kleines und schwaches Land ohne Waffen. Es ist im Gegenteil die bedeutendste Militärmacht dieser Region, die bei einer Mobilmachung ebensoviele Soldaten bereitstellen kann wie die drei wichtigsten Nachbarländer zusammen (…), die mehr Panzerfah­rer und Piloten zählt als alle arabischen Länder zusammen (…), die über eine mächtige Luftwaffenindustrie verfügt (…) und Atombomben herstellen kann (…). Wie die drei israelisch-arabischen Kriege gezeigt haben, ist Israels militärische Überlegenheit über seine Nachbarländer im wahrsten Sinne des Wortes erdrückend.


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1967 ist Israel mit der Besetzung Cisjordaniens [Westbank], des Gazastrei­fens, der Golanhöhen und der Sinai-Halbinsel zu einer Kolonialmacht im eigentlichen Sinn geworden. Der Kampf der Bewohner der besetz­ten Gebiete ist ein normaler und legitimer Kampf gegen fremde Ein­dringlinge, die überdies die Arbeitskraft und die Reichtümer dieser Region ausbeuten, indem sie ein wirtschaftliches System errichten, das die israelische Wirtschaft begünstigt, und politische Strukturen schaffen, mit deren Hilfe jeder bescheidene Versuch nationaler Eigen­ständigkeit brutal liquidiert wird (…). Die zahllosen „Konferenzen der Milliardäre“ beweisen, daß diese Ausbeutung mit dem Segen des internationalen Großkapitals weiter andauert.


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Israel ist kein „sozialistischer“ Staat; im Gegenteil, es ist die stärkste Stütze des Kapitalismus im Mittleren Orient. Seine Wirtschaft wird von den großen Kapitalgruppen beherrscht und 10 % der Israelis verfügen über einen gleich großen Teil des Nationaleinkommens wie 50 % der Bevölkerung, die die Basis der sozialen Pyramide bilden (…).

Die Kibbuzim – Kollektivsiedlungen, die lediglich 3 % der Bevöl­kerung umfassen – sind keine kommunistischen Oasen, zu denen sie durch eine vereinfachende Propaganda hochstilisiert werden. Da sie stark von den Banken abhängig sind (Kredite!), beruht ihre Wirtschaft auf der Ausbeutung der Lohnarbeit und oft arabischer Arbeitskräfte; übrigens eine Tendenz, die sich seit 1967 verstärkt hat. Diese kollek­tivistische Ausbeutung spielt bei der Verteidigung und Besetzung der eroberten Gebiete eine Schlüsselrolle. Dutzende von Kibbuzim, die in den besetzten Gebieten erstellt wurden und unter militärischer Bewa­chung stehen, beweisen es.

Die Histadruth-Gewerkschaft ist ebensowenig eine Errungenschaft der Arbeiterklasse, als die sie gewöhnlich hingestellt wird. Es handelt sich um eine nationalistische Organisation, die in den zwan­ziger Jahren gegründet wurde, um die Einstellung von Arabern zu bekämpfen. Ihr Ziel ist die totale Integration der Arbeiter in das kapitalistische System. Überdies ist sie der größte Arbeitgeber des Landes. Die Histadruth führt einen unerbittlichen Kampf gegen jede autonome Organisationsform der arbeitenden Massen. Alle großen Streiks wurden gegen ihren Willen durchgeführt und, ebenso wie deren Führung, sabotiert. Sie unterstützt die geplanten Antistreikge­setze und schließt mit den Unternehmern regelmäßig Lohnstopp­abkommen ab.


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Israel ist kein demokratischer Staat; Israel ist ein rassistischer und klerikaler Staat, der auf der Vertreibung der einheimischen Bevöl­kerung und der Institutionalisierung des Rechts jedes Juden auf „Rückkehr“ gründet (während dies den palästinensischen Flüchtlin­gen verweigert wird), sowie auf die Unterdrückung der arabischen Minderheit, die im Land geblieben ist. Die Araber unterstehen einer Notstandsgesetzgebung aus dem Jahre 1945, den Defence (Emergency) Regulations, die von der britischen Kolonialmacht übernommen und seither verstärkt worden ist. Sie ermächtigt die Militärbehörden, jeden Bürger auszuweisen oder unter Hausarrest zu stellen, sowie die administrative Einkerkerung und die Enteignung von Grundstücken: die Gouverneure der israelischen Armee machen davon intensiven Gebrauch (ganz abgesehen von den gesetzwidrigen Sprengungen von Häusern, die „Verdächtigen“ gehören, den Folterungen usw.) …

      
Mehr dazu
Jakob Taut: Über den Charakter des Zionismus und der palästinensischen Befreiungsbewegung, Inprekorr Nr. 342 (April 2000).
Jakob Taut: Das Ziel muss ein geeinigter Staat sein, Inprekorr Nr. 267 (Januar 1994).
Position der IV. Inter­nationale zur Palästina-Frage, Inprekorr Nr. 29 (1. März 1974).
Nathan Weinstock: 25 Jahre zionistischer Staat, Inprekorr Nr. 27 (1. Juli 1973).
Interview mit Arie Bober: Der Kampf von „Matzpen“ in Israel, Inprekorr Nr. 4 (15. Juni 1971).
 


18
Israel will keinen „Frieden“ … außer man versteht darunter die Anerkennung seiner Eroberungen, der Vertreibung der Palästinenser und seines rassistischen und kolonialistischen Regimes. Mit anderen Worten: „Frieden“ ist gleichbedeutend mit „Befriedung“, die alle Unterdrücker wollen. Er hat mit Pazifismus nichts zu tun und ist das Resultat einer Politik des „fait accompli“.


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Der Zionismus und die Strukturen des israelischen Staates bieten der jüdischen Bevölkerung Israels keine andere Zukunft als Krieg. Die Lösung für die hebräische Gemeinschaft Palästinas, die das Recht hat, ihre nationale Zukunft selbst zu bestimmen, ist ihre Integra­tion in eine arabische Welt ohne Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Eine Lösung kann nur gefunden werden, wenn sie sich diesem Kampf für eine gemeinsame Zukunft in einem sozialistischen und vereinigten Mittleren Osten anschließt, der die Folgen der impe­rialistischen Herrschaft abgeschüttelt hat. Unter solchen Vorausset­zungen wird sich die israelische Gemeinschaft wie alle anderen nicht arabischen Minderheiten des Nahen Ostens (Kurden, Südsudane­sen) mit den arabischen Völkern brüderlich vereinen können, allen voran mit den Palästinensern, die ihnen schon heute ein Zusammen­leben in einem gemeinsamen weltlichen und demokratischen Staat vorschlagen.


20
Die palästinensische Sache ist deshalb Gegenstand eines gerechten antikolonialistischen Kampfes, ist integrierender Bestand­teil des großen Kampfes der arabischen Welt gegen den Imperialismus sowie des Kampfes auf Weltebene gegen den Imperialismus, an dessen Spitze die USA stehen. Das palästinensische Erwachen bedeu­tet, daß ein neues Bataillon Verdammter dieser Erde aufrecht steht, die Waffe in der Hand und bereit, sich sein Schicksal, das Schicksal eines freien Menschen, selbst zu schmieden. Wir sind mit diesem Kampf vollkommen solidarisch, denn er kündigt einen neuen Tag für die arabische Welt an, deren Avantgarde diesen Kampf bereits heute führt. Hier schließt sich der Kreis: ihr Kampf ist ein Teil der Befreiung der ganzen Menschheit.


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Die Dynamik der palästinensischen Revolution stellt sämtli­che reaktionären bürgerlichen und pseudoprogressiven Strukturen des Nahen Osten in Frage. Sie bedroht alle volksfeindlichen Regime (daher die zahlreichen Versuche, sie einzudämmen, wenn nicht zu ersticken). Durch ihre Logik deckt sie das Einverständnis zwischen den Kräften, die an der Macht sind und dem Imperialismus schonungslos auf und stellt damit nicht nur die kolonialistischen Strukturen Israels, sondern auch jene der arabischen Welt in Frage. Schon heute bekun­det ein marxistischer Flügel der palästinensischen Bewegung offen seinen Willen, diesen Kampf zu Ende zu führen, d. h. bis zur sozialistischen Revolution.


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 239 (September 1991). | Startseite | Impressum | Datenschutz