Rechtsextremismus und Neonazismus im deutschen Anschlußgebiet

Manfred Behrend

Auf dem Weg zur Barbarei sind Rechtsextremisten und Neofa­schisten die Vorausabteilung. Trotz staatlicher Vertuschungsversuche ist bekannt, daß es auch in der DDR zu „realsozialistischen“ Zeiten derart extrem reaktionäre Kräfte gab. Der Autoritarismus der Politbürokratie und ihre Feindschaft gegenüber aufrechten Demokra­ten begünstigten die Fortdauer faschistischer Anschauungen und Tendenzen.

Als andererseits das SED-Zentralkomitee 1989 die Westgrenze öffnete, gab es damit zugleich westlichen Neonazis den Weg nach Osten frei. Weder unter der Regierung Modrow noch unter der de Maizieres ist der Aufbau brauner Organisationen in Stadt und Land ernstlich behindert worden.

Der Anschluß an die Bundesrepublik hatte auf der Grundlage dieser „Altlasten“ gleichwohl eine neue Qualität politischer Rechts­entwicklung zur Folge. Provokationen im Grenzgebiet zu Polen, verstärkte Umtriebe und neue Aufmärsche der Neonazis in Groß-, Mittel- und Kleinstädten, das eine Woche dauernde Pogrom in Hoyerswerda, eine ganz Deutschland erfassende Anschlagskampagne gegen „Fremdvölkische“ und wachsender Antisemitismus sind einige ihrer Charakteristika. Der Beifall vieler durch Honeckers pseudoso­zialistisches Volksbildungssystem erzogener Bürger für kriminell vorgehende Neonazis zeugt zusammen mit den beachtlichen Stim­mengewinnen für Deutsche Volksunion und Republikaner davon, daß die Sympathien für die extreme Rechte heute in ganz Deutschland wachsen. [1]

Ein Überblick über jüngste Entwicklungen ihrer politisch aktiven Hauptgruppen erweist, daß sich diese weiter ausbreiten. Nach einer Phase der Enttäuschung darüber, daß die ersten Früchte plötzlicher Wiedervereinigung Kohl und der CDU in den Schoß fielen, faßten die Rechtsextremen wieder Tritt. Sie gaben z. T. radikalere Parolen aus, und ihr formell verfassungstreues Gros ging, vor allem im Anschlußgebiet, engere Verbindung mit den offen verfassungsfeindlichen Elementen im eigenen Lager ein.

Mit insgesamt etwa 55 000 Mitgliedern repräsentieren Republikaner, NPD, DVU und deutsche Liga für Volk und Heimat die überwiegende Mehrzahl aller parteipolitisch organisierten Rechtsextremisten in der BRD. Für all diese Kräfte ist charakteristisch, daß sie die Hitler-Diktatur und den zweiten Weltkrieg mehr oder minder zu rechtfertigen versuchen, NS-Verbrechen leugnen oder entschuldigen und auf eine neue volksgemeinschaftliche Ordnung in den Grenzen von 1937 hinsteuern. Trotz wachsender Militanz geben sie bislang vor, verfassungs- und gesetzestreu zu sein. Den Republikanern wird das auch abgenommen, weshalb sie nicht als Rechtsextreme im Verfassungsschutzbericht er­scheinen.

Die militant faschistischen Gruppen, welche dort als „nationalsozialistisch“ verzeichnet sind, schrecken dem­gegenüber nicht vor offener Staatsfeindschaft zurück. Sie sehen ihre Leitbilder in Hitler bzw. den Brüdern Strasser, fordern die Legalisierung der NSDAP und wollen deren Programm von 1920 verwirklichen. Großdeutschland soll zurückerobert werden. Neonazis dieser Richtung treten offen rassistisch und sozialdarwinistisch auf und wenden Terror gegen Andersdenkende durchgehend als legitimes Kampfmittel an.

Schon vor der sogenannten Wende waren solche Kräfte auch auf DDR-Gebiet tätig. Die Staatssicherheit wußte davon und hielt z. T. Verbindung. Nach dem 9. Oktober 1989 organisierten bundesdeutsche und österreichische Neonazi-Führer ihre Anhänger in der DDR und starteten dort erstmals größere Provokationen – so in Leipzig, in Berlin und an der deutsch-polnischen Grenze. Bis zu seinem Lebensende war der Chef der braunen „Bewegung“, Michael Kühnen, um die Verwirklichung eines „Arbeitsplanes Ost“ bemüht. Als erste neonazi­stische Organisation übertrug die von ihm gegründete „Deutsche Alternative“ ihre Strukturen auf die DDR.

Die Mitgliederzahl der militanten Verbände beträgt derzeit etwa 3100, davon 1500‑2000 im Anschlußgebiet, die Zahl der Sympa­thisanten rund das Zehnfache. Ungeachtet dieser Minderheitenposition ist diese Strömung die bekannteste und wirksamste. Sie steht hinter den braunen Aufmärschen vonDresden, Halle und Halbe, hinter Hausbesetzungen, Wehrsportübungen, der Anlage von Waffendepots und sogenannten Geldbeschaffungsmaßnahmen – Autodiebstahl, Raubüberfällen und Schutzgelderpressung. Sie ist unmittelbar für Überfälle auf polnische Touristen, sowjetische Soldaten und emigrier­te Juden, auf deutsche Sozialistenund Demokraten, auf Homosexuelle und Prostituierte, für Brandanschlägegegen Asylantenheime, die brutale Verfolgung von Menschen aus Europa, Afrika und Asien, für Mißhandlungen, Morde und die Pogromwoche im September 1991 in Hoyerswerda verantwortlich. Mit Nazisymbolen und der Reichskriegsflagge provoziert sie gesetzeswidrig die Öffentlichkeit. Trotz allem blieben ihre Aktivitäten weitgehend unbehelligt.

Ohne nennenswerten Widerstand zu finden, waren im Herbst 1989 auch die offen Hitler- oder Strasser-faschistischen Gruppen in die DDR eingedrungen. 1990 wurde mit den mitteldeutschen Nationalde­mokraten zugleich die Deutsche Alternative zur Wahl zugelassen. Die mit ihr eng verbundene Nationale Alternative erlangte in Berlin ebenfalls die Legalität. Damals von den Kühnen-treuen Österreichern Gottfried Küssel und Günter Reintaler, Funktionären der „Volkstreuen außerparlamentarischen Opposition (VaPO)“ dirigiert, ist die NA hauptverantwortlich für viele Provokationen und Gewalttaten 1990 in Ostberlin. Sie residierte in einem Haus in der Lichtenberger Weitlingstraße, dessen Besetzung durch Neonazis die kommunale Wohnverwaltung zeitweise vertraglich billigte. Die damals 200 Mitglieder umfassende Nationale Alternative hat sich inzwischen durch den Ausschluß allzu provokant-aggressiver und krimineller Kameraden in einen 30 Mann starken Kaderverband verwandelt. Anders als sie legt die Deutsche Alternative weiterhin Wert auf großen Anhang. Das bedeutet in der Praxis die Bereitschaft, auch mit Leuten zu kooperieren, die aus der Sicht prominenter Faschisten anrüchig sind. In Dresden wirkte Rainer Sonntag, Chef eines „Sonderkommandos Sicherheit“ zur Gegnerbekämpfung, für die DA. Er war in dunkle Geschäfte und Zuhälterei verwickelt und wurde von dem damals führenden Neonazi Kühnen als möglicher Kameradenmörder ver­dächtigt. Durch die Polizei der Elbestadt toleriert und unterstützt, ging Sonntag mit seinem Rollkommando gegen Hütchenspieler und das Rotlichtmilieu vor. Gleichzeitig bemühte er sich darum, Schutzgelder zu kassieren. Am 31. Mai 91 erschoß ein Zuhälter ihn mit einer Waffe, die Sonntag ihm selbst verkauft hatte. Die Trauerfeierlichkeiten für ihn gediehen zur bisher größten faschistischen Demonstration in der Ex-DDR. Im braunen Walhall avanciert Sonntag zum zweiten Horst Wessel. [7]

Die ausländerfeindliche Pogromwoche ab dem 18. September 1991 hat die Deutsche Alternative dirigiert. Ihre Führer waren zeitweise zugegen. Die Schmutzarbeit wurde – wie üblich in der braunen Szene – durch z. T. unorganisierte Skinheads besorgt. Mitte November feierte der Gau Sachsen der DA in Hoyerswerda den „Sieg zur Rettung des Reiches in der ersten ausländerfreien Stadt Deutsch­lands“. [8]

Als Spitzenkräfte der zuvor von Kühnen geführten brauen Bewegung sind nach dem Tod des Chefs der österreichische VAPO-Funktionär Gottfried Küssel, Christian Worch und Arnulf Priem hervorgetreten. Letzterer war nach seinem Freikauf 1968 aus der DDR als Provokateur und Schläger in Freiburg und Westberlin tätig. Heute ist er „Bereichsleiter Ost“ der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front.

Mit der sächsischen Nationalen Liste hat Ende August 1991 auch Worchs Nationale Liga einen östlichen Ableger bekommen. Dieser ist gleichzeitig die erste von fünf geplanten ostdeutschen Landesparteien der Deutschen Alternative. Sie sollen formell selbstständig sein, um mögliche Verbotsmaßnahmen zu erschweren, an die derzeit aber niemand denkt.

Die nationalistische Front Meinolf Schönborns ist vor allem in mittleren Städten der früheren DDR organisatorisch aktiv geworden. Ihr Einfluß reicht von Eberswalde über Königs Wusterhausen bis nach Guben und Forst. Weitere Gruppen bestehen in Jena und Arnstadt. Die Hallesche Deutsche Jugend (HDJ), geführt von „Gauleiter“ Thomas Hanke, betätigt sich in ähnlicher Weise politkriminell wie Sonntags Sonderkommando in Dresden. Zudem besetzte sie im Juli 1991 in der Halle-Neustadter Kammstraße ein Haus, das – unter der Reichskriegsflagge zur Festung ausgebaut – künftig der Nationalistischen Front als neues Zentrum dienen soll. [9]

      
Mehr dazu
Hanna Behrend: „Zeiten der Hoffnung – Zeiten des Zorns“ (Manfred Behrend), die internationale Nr. 412/413 (März/April 2006)
Alf Zachäus: Rassismus in der zweiten Klasse des Deutschlandexpress', Inprekorr Nr. 356 (Juni 2001)
B.B.: Wie sich die FaschistInnen in Ostdeutschland organisieren konnten, Inprekorr Nr. 351 (Januar 2001)
Manfred Behrend: Ursachen von Neonazismus und Rassismus in Ostdeutschland, Inprekorr Nr. 271 (Mai 1994)
Ernest Mandel: Der sozioökonomische Hintergrund für das Wiederaufleben von Faschismus und Rassismus, Inprekorr Nr. 254 (Dezember 1992)
David Müller: Rassismus und Antirassismus, Inprekorr Nr. 241 (November 1991)
Hans-Jürgen Schulz: Für eine antifaschistische Aktion, Inprekorr Nr. 241 (November 1991)
 

Von Bayern aus rückte unterdessen die 1990 gegründete „Natio­nale Offensive“ in Thüringen ein. Die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP)“ und die mit ihr eng verbundene Wiking-Jugend, Nachfolgeorganisation der Hitlerjugend und eine der ältesten neonazistischen Verbände überhaupt, gewinnen ebenfalls im Osten an Boden. In Erfurt taten sich FAP-nahe Kreise bei Straßenschlachten hervor, nach Ansicht von Experten ist der Einfluß der FAP in der ehemaligen DDR inzwischen ähnlich groß wie der der Deutschen Alternative.

Die beiden eben genannten Gruppen befehden einander nach wie vor. Doch zeigte insbesondere die fremdenfeindliche Terrorwelle 1991 von Baden-Württemberg bis Rügen, daß zwischen Neonazis verschiedener Couleur ein hohes Maß an Kooperation besteht. Nach generalstabsmäßig festgelegtem Plan reisten Trupps von Brandstif­tern und Schlägern durch ganz Deutschland. Bisweilen konzentrierten sie sich an bestimmten Schwerpunkten. Die Trupps mußten für ihre Gewaltakte an- und eingewiesen, sie mußten mit Reisemöglichkeiten und z. T. auch mit Verpflegung versorgt wurden. Leider funktionierten die braune Kommandoebene und Logistik nur allzu gut.

Einen Bundesgenossen haben die deutschen Neonazis im Klu Klux Klan. Der deutsche Ableger dieser US-Terrororganisation trat kürzlich mit einem vom Fernsehen aufgenommenen Feuerritual bei Königs Wusterhausen an die Öffentlichkeit. Zum Klan, der Schwar­zen-, Juden-, Kommunisten- und generell fortschrittsfeindlich ist, haben sowohl die Nationale Alternative als auch die Nationalistische Front Kontakt.

Allgemein befinden sich die Rechtsextremisten und Neofaschisten insbesondere in Ostdeutschland im Auftrieb. Bei weiterem Fortschrei­ten der politisch bedingten Anschlußkrise in der Ex-DDR und mit dem Ende der Konjunktur in Westdeutschland dürfte dieser Trend noch stärker werden.


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 247 (Mai 1992). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Bei der Wahl zur Bremer Bürgerschaft am 29.9.91 erhöhte die DVU ihren Anteil von 3,4 (1987) auf 6,18 %. Sie errang sechs Parlamentssitze statt vorher einem. Bei den Kommunalwahlen am 6.10.91 in Niedersachsen wurden zwar nur 0,8 % der Stimmen für die Republikaner abgegeben, das aber nur, weil die REP nur in wenigen Orten angetreten waren. Wo sie es taten, gewannen sie Mandate. Sie zogen in fünf Kreistage, sieben Stadträte und einen Gemeinderat ein.

[2] Gründungsprogramm der Mitteldeutschen Nationaldemokraten, Leipzig, vom 24.3.1990

[3] Die „Nationale Front“ war in der DDR der Zusammenschluss aller Parteien, inklusive der neben der SED geduldeten „Blockparteien“, die mit einer gemeinsamen Liste zu den Wahlen antraten – Anm. d. Web-Red.

[4] Die Andere, Berlin, 13.11.1991

[5] Frankfurter Allgemeine, 17.10.1991

[6] Innere Sicherheit, Bonn, 8.5.91

[7] Die Andere, 19. und 26.6.1991

[8] Berliner Zeitung, 18.11.1991

[9] Die Andere, 15.10.1991. Im Freitag, Berlin, 25.10.1991 nennt derselbe Autor die FAP als künftigen Nutznießer des besetzten Hauses in Halle-Neustadt.