Dänemark

Gibt es jemals einen „guten Haushalt”?

Die dänische Regierung hat sich an die linke Opposition gewandt, um den Haushalt für 1997 zu verabschieden. Aber dieser unerwartete Schwenk bedeutet keine generelle Wende nach links. Auch ist sie nicht Ergebnis des Drucks der Gewerkschaften oder anderer sozialer Bewegungen. Das Problem der Regierung war nur, daß der rechten Opposition der Haushalt zu gemäßigt war.

Åge Skovrind

Schon früher im Jahr hatte der sozialdemokratische Ministerpräsident Poul Nyrup Rasmussen Vertreter aller Parteien zu Verhandlungen über seinen Haushaltsentwurf eingeladen. Da die dänische Wirtschaft nach kapitalistischen Maßstäben ganz ordentlich läuft und die Kriterien der Europäischen Währungsunion bereits erfüllt, enthielt der Entwurf keine harten Austeritätsmaßnahmen [1], „nur” einige Kürzungen bei Gesundheits-, Sozial- und Kulturprogrammen.

Die Einladung richtete sich vor allem an die beiden großen rechten Parteien, die Konservativen und die Liberalen (Venstre). Die Haushaltsvereinbarung für 1996 war Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokraten und Konservativen gewesen und eine der schlimmsten, unter denen die Arbeiterklasse in den letzten Jahren gelitten hat: ein drastischer Angriff auf das Recht auf Arbeitslosenunterstützung, Ausschluß junger Arbeiter von der Arbeitslosenunterstützung, völlige Streichung der Steuer auf persönliche Vermögen. Unglücklicherweise gab es keine außerparlamentarischen Mobilisierungen gegen dieses Paket.

Dieses Mal hatte die Regierung ihr Abkommen mit den Konservativen schon fast erneuert. Ende September stimmten die Sozialdemokraten einer neuen Serie von Austeritätsmaßnahmen zu, darunter einer größeren Steuerreform und Einschnitten in verschiedene Sozialbudgets.


BRUCH MIT DER TRADITION


Doch plötzlich scherten die Konservativen aus und verschärften ihre Forderungen. Sie drohten, gegen den Haushalt zu stimmen, wenn die Regierung nicht Maßnahmen vorschlüge, die für die Mehrheit der Abgeordneten akzeptabel seien. Das ist etwas Neues für Dänemark, wo es übliche Praxis für eine „verantwortungsbewußte” Opposition ist, in der Debatte gegen den Haushalt zu sprechen, ihm dann aber doch zuzustimmen, statt die Legitimität einer Minderheitsregierung (wie der jetzigen der Sozialdemokratie) in Frage zu stellen. Entsprechend dieser Tradition muß eine Regierung, die keine Zustimmung für ihren Haushalt bekommt, unmittelbar zurücktreten.

Die Sozialdemokratische Partei hat 62 Mandate und mit zwei kleineren Koalitionspartnern kontrolliert sie nur 75 der 175 Sitze im Parlament. Ihre Fähigkeit zu regieren besteht darin, daß es keine Mehrheit gegen sie gibt. Die Konservativen und Liberalen stehen rechts von der Koalition, Socialistisk Folkeparti und die rot-grüne Enhedslisten Sie zog 1994 erstmals mit sechs Abgeordneten ins Parlament ein, darunter mit Søren Søndergaard ein Mitglied der Vierten Internationale – vgl. Inprekorr Nr. 277. links von ihr.

Mit dem Auszug aus den Verhandlungen hatten die Konservativen sicher gehofft, Neuwahlen auszulösen. Jüngste Meinungsumfragen sagten ihnen zusammen mit den Liberalen eine Mehrheit in einem neuen Parlament voraus, allerdings nur in Zusammenarbeit mit zwei kleinen rechtsextremen Parteien.

Die Konservativen fühlen einen starken Druck von rechts. Die Unterstützung für die Liberalen wuchs rasant in den 80erJahren unter der Führung des fotogenen Uffe Ellemann Jensen (Außenministers der konservativen Regierung 1982-92). Jensen hat jüngere Wähler angezogen und den Konservativen einen Teil ihrer Wählerschaft in den Städten abgenommen. Und als die Konservativen mit den Sozialdemokraten einen Pakt zur Verabschiedung des 1996er Haushalts schlossen, haben sie die Rechte wirkungsvoll gespalten.


RÜCKZUG – ODER GESPRÄCHE MIT DER EXTREMEN LINKEN


Während die Liberalen und Konservativen ich darauf einstellten, den Haushalt abzulehnen, begannen die Sozialdemokraten Gespräche mit der kleinen Socialistisk Folkeparti. Diese Linksreformisten haben die letzten Jahre im regen gestanden. Nun hat Premierminister Rasmussen ihnen angeboten, wieder Einfluß auf die dänische Politik zu nehmen.

Die andere linke Oppositionspartei, Enhedslisten –de rød-grønne (Einheitsliste – die Rot-Grünen), hatte nicht für den 1996er Haushalt gestimmt. Aber im August 1996 erklärte sie, daß sie die Regierung stützen würde, auch bei der Schlußabstimmung, wenn fünf Haushaltsforderungen erfüllt würden, darunter die Garantie eines echten Arbeitsplatzes für alle Erwerbslosen, bevor sie ihre Arbeitslosenunterstützung verlieren (seit dem 1996er Haushalt werden die Zahlungen nach fünf Jahren eingestellt).

In der Enhedslisten gab es wachsende Opposition gegen diese Ankündigung, aus prinzipiellen Gründen (denn niemand glaubte ernsthaft, die Regierung würde diese Forderungen erfüllen). „Können wir jemals für den Haushalt eines kapitalistischen Staates stimmen, und wenn ja, unter welchen Umständen?”, fragten die Mitglieder.

 

Enhedslisten

Die Enhedslisten –de rød-grønne (Einheitsliste – die Rot-Grünen) wurde 1989 auf Initiative der Linkssozialisten (Venstresocialisterne), der Kommunistischen Partei (DKP) und der Socialistisk Arbejderparti (SAP – dänische Sektion der IV. Internationale) gegründet. Im Mai 1991 schloß sich die ex-maoistische KAP an.

Seither hat sich die Enhedslisten zu einer unabhängigen Organisation ohne besondere Privilegien für eine der Gründungsorganisationen entwickelt. Trotz ihres Namens ist niemals eine „grüne” Organisation beigetreten.

Im Dezember 1990 kandidierte die Enhedslisten erstmals bei Parlamentswahlen und erreichte 1,7%, knapp unter der 2%-Sperrgrenze. Im September 1994 erreichte sie dann 3,1% und sechs Sitze im Parlament. Ende 1996 hatte sie 1273 Mitglieder (bei 5 Mio. Einwohnern).

Im Oktober fragte die Leitung der Socialistisk Arbejderparti (SAP), der dänischen Sektion der IV. Internationale: „Wie ernsthaft ist die Opposition gegen die Armee, wenn man für ihre Ausgaben stimmen kann? Und was ist mit den jungen Arbeitern, deren Lebensverhältnisse durch den letzten Haushalt angegriffen wurden? Der Staatshaushalt ist die Totalität bürgerlich sozialdemokratischer Politik und aus diesem Grund können die Ankündigungen der Enhedslisten den Überzeugung untergraben, daß eine glaubwürdige Alternative zum herrschenden Elend existiert.”


ZEIT FÜR REALPOLITIK


Dies war die Situation im November, als die Enhedslisten ihren Jahreskongreß abhielt. Wenn sich ihre Abgeordneten bei der Haushaltsabstimmung enthalten würden, könnte die Regierung überleben. Die Frage des Abstimmungsverhaltens war nicht länger eine Frage von Prinzipien, sie war eine Frage realer Politik geworden. Die Delegierten betraten den Saal mit Zeitungen in der Hand, die Schlagzeilen trugen wie „Schicksal der Regierung entscheidet sich an diesem Wochenende” oder „Alle warten auf Enhedslisten”.

Diskutiert wurde die Alternative, gegen den Haushalt zu stimmen oder sich zu enthalten. Die Delegierten äußerten eine Reihe verschiedener Meinungen , aber es zeichneten sich keine klaren Strömungen auf der Konferenz ab. Der genaue Inhalt des Haushaltsentwurf war noch unklar und Gegenstand von Verhandlungen.

Die Konferenz überließ die endgültige Entscheidung der nationalen Leitung, nahm aber einmütig eine Stellungnahme an, in der es hieß: „Es gibt keinen Zweifel, daß die Enhedslisten gegen den Haushalt ist, der sich jetzt abzeichnet, und mit Nein stimmen wird. Auch wenn die Enhedslisten für einzelne Punkte stimmen sollte, bleiben wir bei unserer Opposition zu einem Staatshaushalt im ganzen, der substantiell eine Fortsetzung der früheren [sozialdemokratischen] Haushalte ist, die in Zusammenarbeit mit Konservativen und Liberalen verabschiedet wurden.”

Dann hieß es weiter: „Doch wenn das Verhalten in der Schlußabstimmung über das Überleben der Regierung entscheiden würde, soll die nationale Leitung zusammentreten und entscheiden, wie die Enhedslisten abstimmen soll. Eine Enthaltung kommt für die Enhedslisten nur in Frage ... wenn der Haushalt Verbesserungen gegenüber dem letzten Jahr enthält.”

Die Konferenz nahm auch ein überarbeitetes politisches Programm an, das die Ziele der Enhedslisten in radikaleren Worten (Revolution, Arbeitermacht, geplante Wirtschaft ...) beschreibt. Im Abschnitt über Parlamentsarbeit heißt es, daß die „Enhedslisten gegen jeden Einschnitt in Sozialprogramme stimmen wird. Die Enhedslisten kann daher nur für einen solchen Staatshaushalt insgesamt stimmen, der einen entscheidenden Bruch mit bürgerlicher Politik ausdrückt und keinerlei Verschlechterung der Lebensverhältnisse einschließt.”


ZÜNGLEIN AN DER WAAGE


In den Tagen nach der Konferenz überschlugen sich die Ereignisse. Die Konservativen blieben bei ihrem Nein, und die Regierung kam zu einer Vereinbarung mit der Socialistisk Folkeparti. Dies beinhaltete einige kleinere Verbesserungen und den Verzicht auf alle geplanten Sozialkürzungen.

An diesem Punkt schlug die Enhedslisten-Parlamentsfraktion der nationalen Leitung vor, sich bei der Schlußabstimmung zu enthalten und so den Haushalt passieren zu lassen. Würde man zusammen mit der bürgerlichen Opposition dagegenstimmen, würde der Haushalt scheitern und die „wichtigen” Zugeständnisse könnten nicht realisiert werden, war ihr Argument.

Dazu gehörten neue Studienplätze, „grüne” Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Programme für nicht-fossile Energien und mehr Geld für Programme für Kinder in Armut. Andererseits bedeuteten diese Maßnahmen Ausgaben von 500 Millionen dänischen Kronen (125 Mio. DM), etwa 0,2% des gesamten Haushalts.

Nach der Debatte entschied sich die nationale Leitung mit 17:3 für Enthaltung. Die drei Mitglieder der Vierten Internationale in der Leitung stimmten mit der Mehrheit.


UND NUN?


Das von der Novemberkonferenz angenommene politische Programm verpflichtet die Enhedslisten auf einen entscheidenden Bruch mit der bürgerlichen Politik. Aber was soll das genau heißen? Kann die Enthaltung beim Staatshaushalt überhaupt in diesem Licht gesehen werden?

      
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Die Regierung war abhängig von den Stimmen der Linken, und sie bezahlte einen Preis, indem sie die meisten arbeiterfeindlichen Bestandteile aus ihrem Haushalt strich. Im Ergebnis bleibt der allgemeine Eindruck, daß ein ernsterer Rückschlag vermieden und einige soziale und ökologische Erfolge errungen werden konnten. Es steht zu hoffen, daß dieser Eindruck die Aktivität von Arbeitern, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen fördern und sie ermutigen wird, für ihre Forderungen aktiv zu werden.

Die Debatte in der Enhedslisten wird weitergehen. Im Frühjahr wird es eine allgemeine Debatte über den Staatshaushalt geben. Niemand möchte noch einmal in so einer Situation stecken, wie bei der Entscheidung über den 1997er Haushalt.

Åge Skovrind ist führendes Mitglied der SAP.
Übers.: Björn Mertens.



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 305 (März 1997).


[1] Austerität: Politik von Haushaltskürzungen und massivem Sozialabbau.

[2] Sie zog 1994 erstmals mit sechs Abgeordneten ins Parlament ein, darunter mit Søren Søndergaard ein Mitglied der Vierten Internationale – vgl. Inprekorr Nr. 277.