Deutschland/Nachruf

Hans-Jürgen Schulz (1933-1998)

Hans-Jürgens Tod am 15. Juli 1998 ist ein schmerzhafter Verlust für uns und unsere Organisation, den RSB, die IV. Internationale und für die gesamte revolutionäre Linke.

Heinrich Neuhaus

Hans-Jürgen hat den politisch bewußten Teil seines Lebens unermüdlich und unbeirrt dem Einsatz für eine humane, das heißt sozialistische Gesellschaft gewidmet: Als Basisaktivist und als Leitungsmitglied der IV. Internationale und ihrer deutschen Sektion, als Redakteur und als Autor, als Redner und als Zuhörer, als revolutionärer Organisator und als Mensch.

Vieles von dem, was Hans-Jürgens Persönlichkeit kennzeichnet, ist in seiner Kindheit und Jugend angelegt. Am 7. Juni 1933 wird er in Pommern als erstes von vier Kindern des Ehepaars Schulz geboren. Seine Eltern leben in dem kleinen Dorf Schlawe. Sein Vater Johannes ist dort als Gutsverwalter tätig. Seine Mutter Margarete ist die dominierende Person der Familie. Sie sorgt vor dem Hintergrund eher karger Lebensverhältnisse für eine strenge Erziehung der Kinder und legt großen Wert auf deren Schulbildung.


Flucht


Nach dem Besuch der Dorfschule muß Hans-Jürgen die sogenannte Napola, die nationalsozialistische politische Lehranstalt, besuchen. Der Verlauf des Zweiten Weltkriegs beendet seine traumatischen Erfahrungen mit den Erziehungsmethoden der Nazis vorzeitig. Das Vorrücken der sowjetischen Armee auf Hitlerdeutschland läßt auch Hans-Jürgen zum Flüchtling werden. Er lernt konkret verstehen, was Krieg ist. Er sieht das brennende Wismar. Er sieht die schrecklichen Folgen des von den Nazis entfachten Gemetzels insbesondere für die Zivilbevölkerung mit eigenen Augen. Hier liegen die Wurzeln von Hans-Jürgens späterer antimilitaristischer und antifaschistischer Überzeugung.

Nach der militärischen Niederlage der NS-Diktatur lebt die Familie Schulz zunächst in der Nähe von Kiel, dann zieht sie nach Altenau in den Harz. Hans-Jürgen hilft, den Lebensunterhalt seiner Eltern und seiner Geschwister als Zeitungsausträger zu sichern. Der frühe Zugang zu Presseerzeugnissen regt ihn an, sich mit dem politischen Zeitgeschehen auseinanderzusetzen. Der Besuch des Gymnasiums in Clausthal-Zellerfeld wird mehrfach von einer schweren Tuberkulose-Erkrankung unterbrochen. Im Sanatorium liest er viel, vor allem historische Romane.

Ein Schlüsselerlebnis ist für ihn die Lektüre des „Kommunistischen Manifests“ etwa ein Jahr vor dem Abitur. Die Gliederung des Manifests ist einfach und suggestiv. Die Sprache beeindruckend: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“ Und: „Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder vereinigt Euch!


Kapitalismus


Die Analyse des Kapitalismus durch Karl Marx und Friedrich Engels, ist derart visionär, daß sie erst 150 Jahre nach ihrer Niederschrift vollständig bestätigt wird: „Die Bourgeoisie,“ heißt es im Manifest, „wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle … idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat … kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühlose 'bare' Zahlung … Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt … Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.“

Wie sollten derartige Passagen nicht einen Achtzehnjährigen beeindrucken, der nach Erklärungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit sucht, der nach Antworten auf die vielen Fragen sucht, die sich ihm stellen?

Nach dem Abitur 1952 zieht es Hans-Jürgen aus der Enge des Elternhauses und der niedersächsischen Provinz weg in die norddeutsche Metropole Hamburg. Er entschließt sich, Volkswirtschaft zu studieren. Seine Berührung mit dem Marxismus hat ihm zu der Überzeugung verholfen, daß er damit die Welt besser verstehen kann.


Sozialist


1954, als der politische Niedergang der westdeutschen Linken bereits unbestreitbar ist, tritt er der damaligen Hochschulorganisation der SPD bei – dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) – und wenig später den Jungsozialisten, der sozialdemokratischen Jugendorganisation. Aufgrund seiner Fähigkeiten und seines Engagements wird Hans-Jürgen sehr schnell die Funktion des zweiten und dann des ersten Vorsitzenden des Hamburger SDS angetragen. Die XI. Bundesdelegiertenkonferenz des SDS Ende Oktober 1956 wählt Hans-Jürgen für 12 Monate in den Beirat, die bundesweite Leitung des SDS.

Er beginnt sich auf dem linken Flügel der Partei und des SDS einzumischen: in den zentralen Auseinandersetzungen der 50er Jahre um die Remilitarisierung der Bundesrepublik, in den Debatten um eine Atombewaffnung der neugegründeten Bundeswehr und im Streit um die politische und programmatische Anpassung der SPD an den restaurierten Kapitalismus der Adenauer-Ära, die im Godesberger Programm von 1959 gipfelt.

Hans-Jürgen lernt, was es heißt, politisch gegen den Strom zu schwimmen – nicht nur im antikommunistischen Treibhausklima der damaligen Bundesrepublik, sondern auch in der eigenen Partei. Eine Episode mag das belegen. Hans-Jürgen beteiligt sich mit dem späteren Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Dieter Wunder, und einigen wenigen anderen Parteilinken an dem Versuch, in Hamburg eine Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USP) zu gründen. In einer Nacht- und Nebel-Aktion verschaffen sie sich Zugang zur Mitgliederkartei, sortieren die Anschriften von etwa 700 als links eingestuften Partei-Genossinnen und -Genossen aus und rufen diese per Brief auf, ihr USP-Projekt zu unterstützen. Die Resonanz ist mehr als ernüchternd. Lediglich sieben Sozialdemokraten reagieren positiv. Doch damit nicht genug. Bevor die Post die Briefe an die Empfänger ausgeliefert hat, weiß der Hamburger SPD-Vorstand schon von dieser konspirativ organisierten Rebellion und lädt das Häuflein der Initiatoren zu einer hochnotpeinlichen Befragung ein.

Im November 1961 faßt der Parteivorstand der SPD seinen berühmt-berüchtigten Unvereinbarkeitsbeschluß: SPD-Mitglieder dürfen nicht mehr gleichzeitig im SDS organisiert sein. Für die sozialdemokratische Führung ist der Studentenbund wegen seiner linken Positionen nicht mehr tragbar. Es kommt, wie es kommen muß. Hans-Jürgen, der inzwischen Mitglied eines Hamburger SPD-Kreivorstandes ist, läßt sich lieber aus der Partei ausschließen, als aus dem SDS auszutreten. Als Mitglied der „Sozialistischen Förderer-Gesellschaft“, des späteren „Sozialistischen Bundes“ um Wolfgang Abendroth, Fritz Lamm und anderen Anhängern einer „Neuen Linken“, hält er in der Folgezeit Kontakt zu linkssozialistischen Kreisen.

Der Mensch lebt nicht von der Politik allein. Auch Hans-Jürgen nicht. Und deshalb sei an dieser Stelle eine kurze Rückblende gestattet. 1956 zieht es eine junge Göttinger Studentin der Germanistik und der Geschichte für ein Semester an die Universität Hamburg. Sie heißt Barbara Meusel, sympathisiert mit dem SDS und engagiert sich für dessen Ziele. Auf einer politischen Veranstaltung trifft sie zufällig Hans-Jürgen. Aber dies bleibt keine Zufallsbekanntschaft. Gemeinsam beteiligen sie sich an einem Austausch von Studentinnen und Studenten der Universitäten Hamburg und Leipzig. Nachdem Hans-Jürgen sein Studium mit dem Diplom abgeschlossen hat, heiraten sie am 21. Dezember 1959. Die Partnerschaft mit Barbara ist für Hans-Jürgen Zeit seines Lebens eine Quelle der Kraft, der kritischen Ermutigung und der Solidarität. Sohn Jörn, dem er alle Freiheiten für eine eigenständige Entwicklung läßt, ist ihm insbesondere in den letzten Jahren eine unverzichtbare Stütze.


Revolutionär


 

Hans-Jürgen Schulz

Foto: privat

1961 ist nicht nur wegen des Ausschlusses aus der SPD für Hans-Jürgens weitere politische Entwicklung ein Wendepunkt. Ihm fällt eine Schrift aus dem Jahr 1936 in die Hände, deren theoretische Bedeutung auch heute noch weitgehend ignoriert wird – Leo Trotzkis Analyse der stalinistischen Konterrevolution in der UdSSR. In der „Verratenen Revolution“ zieht Trotzki aus seiner Untersuchung der bürokratischen Diktatur den Schluß, daß eine neue, eine politische Revolution der sozialistischen Demokratie in der Sowjetunion zum Durchbruch verhelfen muß – oder, daß die sowjetische Übergangsgesellschaft in den Kapitalismus zurückfällt und damit einen gewaltigen geschichtlichen Rückschritt einleitet.

Hans-Jürgen ist von Trotzkis Argumentation beeindruckt. Er beginnt, sich am revolutionären Marxismus zu orientieren. Wenig zu beeindrucken vermag ihn allerdings die seit Anfang der 50er Jahre betriebene Fraktionsarbeit der IV. Internationale, die sogenannte Entrismus-Politik, in den stalinistischen und sozialdemokratischen Massenparteien. Aufgrund seiner negativen Erfahrungen mit der SPD will er sich nicht der deutschen Sektion der IV. Internationale anschließen, die noch bis Ende der 60er Jahre innerhalb des organisatorischen Rahmens der Sozialdemokratie in revolutionärem Sinne aktiv ist.

Seine berufliche Tätigkeit als Angestellter führt Hans-Jürgen 1965 in das gewerkschaftseigene Unternehmen „Neue Heimat“. Ein weiterer kennzeichnender Strang in Hans-Jürgens Leben wird sichtbar. Fünfzehn Jahre lang setzt er sich als Betriebsrat und aktives Mitglied der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen für die Interessen seiner Kolleginnen und Kollegen ein – sehr zum Mißfallen der Gewerkschaftsmanager, denen es trotz der Zuarbeit des sogenannten Verfassungsschutzes nicht gelingt, ihn aus dem Unternehmen zu drängen. Fünf Jahre versucht Hans-Jürgen zudem als Belegschaftsvertreter im Konzernaufsichtsrat, dem Vorstand der „Neuen Heimat“ auf die Finger zu schauen. Dabei lernt er das Gebaren von Spitzenfunktionären des Gewerkschaftsapparats aus eigener Anschauung kennen.

Der „kalte Krieg“ befördert seit den frühen 50er Jahren weltweit das atomare Wettrüsten. In der Bundesrepublik findet 1960 das Vorbild der britischen Kampagne für atomare Abrüstung Nachahmung. Die Ostermarschbewegung entsteht. Neben der verbotenen KPD wird sie von Pazifisten, linken Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und unabhängigen Sozialisten getragen. Einer von ihnen ist Hans-Jürgen. In der Ostermarschbewegung Hamburgs und Schleswig-Holsteins spielt er mit seinen Genossinnen und Genossen aus dem „Sozialistischen Bund“ eine führende Rolle. Trotz massiver polizeilicher Schikanen und der Anfeindungen durch die bürgerliche Politik werden die Ostermärsche zum Kristallisationspunkt der außerparlamentarischen Bewegung.

Ab Mitte der 60er Jahre vertiefen sich die Risse in der Fassade des politisch befriedeten Wirtschaftswunderlandes. Die Proteste gegen den US-Krieg in Vietnam, gegen die Notstandsgesetze und die Medienhetze des Springerkonzerns erreichen nach der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 durch einen Berliner Polizisten eine neue Qualität. Der Funke der Rebellion springt nach Westdeutschland über. Unter Mitwirkung Hans-Jürgens gelingt es, trotz Verbots auch in Hamburg eine Protestdemonstration zu organisieren.

Der 2. Juni ebnet den Weg zur 68er Jugendrevolte. Nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke erlebt die Republik an Ostern 1968 das bisher massivste Aufbegehren gegen das „Establishment“. Hans-Jürgen ist vier Tage fast ohne Pause unterwegs, um den Widerstand in Hamburg und Umgebung zu koordinieren. Die APO erreicht ihren Höhepunkt mit den Anti-Springer-Blockaden und dem Sternmarsch gegen die Notstandsgesetze. Beflügelt vom revolutionären Aufruhr des französischen Mai '68 und dem erfolgreichen Widerstand gegen den US-Imperialismus in Vietnam radikalisieren sich weltweit Millionen meist junger Menschen. Che Guevaras Worte „Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche!“ werden zum Motto einer ganzen Generation auf allen fünf Kontinenten.

Für den zu dieser Zeit fast 35-jährigen Hans-Jürgen ist die „68er Bewegung“ die entscheidende und prägende politische Erfahrung seines Lebens. Nie zuvor und nie danach verknüpfen sich für ihn radikale Theorie und Praxis derart intensiv. Er versteht sich seitdem bewußt als Revolutionär. Er weiß nun aufgrund des eigenen Erlebens, was es heißt, persönliche Risiken im Kampf gegen die herrschende Ordnung einzugehen.


IV. Internationale


Hans-Jürgen zieht seine Schlußfolgerungen. Er will sich in Zukunft in den Reihen der IV. Internationale, die mittlerweile den Entrismus aufgegeben hat, für eine sozialistische Gesellschaft einsetzen. Es ist eine kleine Ironie unserer Geschichte, daß ihn 1969 die Mehrheit der Hamburger Gruppe zunächst nicht aufnehmen will. Erst auf Beschluß der Leitung der deutschen Sektion wird er zugelassen.

Aufgrund seiner politischen Erfahrungen und seiner persönlichen Qualifikationen spielt Hans-Jürgen bald eine führende Rolle in der GIM – der Gruppe Internationale Marxisten, wie die Sektion damals heißt. Er trägt von Hamburg aus maßgeblich zur Entwicklung der praktischen Politik des revolutionären Sozialismus und ihrer analytischen und theoretischen Begründung bei. Ob in den 70er Jahren in der antimilitaristischen Arbeit oder im „Aktionskreis Leben – Gewerkschafter gegen Atom“, ob in der Antikriegsbewegung der 80er oder in der Antirassismus- und Antifaschismusbewegung der 90er Jahre.

Hans-Jürgen unterstützt die Vereinigung von GIM und KPD 1986 zur VSP, der Vereinigten Sozialistischen Partei. Aber als er sieht, daß dieses Experiment keinen Beitrag zur Stärkung einer revolutionären sozialistischen Linken leisten kann, wendet er sich Ende der 80er / Anfang der 90er Jahre mit einigen Genossinnen und Genossen von der VSP ab. Aus dieser Zeit des erneuten Niedergangs der westdeutschen Linken und der scharfen innerorganisatorischen Auseinandersetzungen rühren sicherlich die schmerzhaftesten politischen und persönlichen Verletzungen her. Hans-Jürgen gibt nicht auf, obwohl er seit Herbst 1988 gegen eine schwere Krebserkrankung ankämpfen muß.

      
Mehr dazu
Hans-Jürgen Schulz: Aus der Geschichte der Friedensbewegung, Inprekorr Nr. 323 (September 1998)
Redaktion: Hans-Jürgen Schulz (7. Juni 1933 - 15. Juli 1998), Inprekorr Nr. 323 (September 1998)
Hans-Jürgen Schulz: Deutsche Soldaten – weltweit, Inprekorr Nr. 283 (Mai 1995)
Hans-Jürgen Schulz: Rüstung, Krieg und Frieden, Inprekorr Nr. 282 (April 1995)
Hans-Jürgen Schulz: Die Geschichte wird ihn nicht freisprechen (E.Honecker), Inprekorr Nr. 255 (Januar 1993)
Hans-Jürgen Schulz: Konterrevolution und Restauration, Inprekorr Nr. 239 (September 1991)
Hans-Jürgen Schulz: Deutschland in der Neuen Weltordnung, Inprekorr Nr. 236/237 (Juni/Juli 1991)
 

Trotz aller Widerstände läßt sich Hans-Jürgen nicht abhalten, auch in der DDR den Aufbau eines revolutionär-sozialistischen Kerns zu organisieren. Über die Gruppe Avanti leistet er einen maßgeblichen Beitrag zur Neuformierung der deutschen Sektion, die schließlich im Oktober 1994 zur Gründung des RSB führt und damit die Kontinuität der IV. Internationale in der BRD sichert.


Internationale Solidarität


Die Gründe für Hans-Jürgens gelebten Internationalismus liegen weit zurück. In den 50er Jahren lernt er mehrere Monate lang als Werksstudent das neue Jugoslawien kennen. Hans-Jürgen arbeitet in der Bus- und Lastwagen-Fabrik von Maribor. Die Arbeiter lassen den Deutschen keinen Haß, sondern Herzlichkeit und Offenheit spüren. Sie versuchen ihm, ihr Land nahezubringen, obwohl die Verbrechen der Nazis nicht vergessen sind. Das beeindruckt ihn tief.

Hans-Jürgen engagiert sich in der Vietnamsolidarität, er unterstützt die antistalinistische Opposition in der CSSR um Petr Uhl, er organisiert materielle und politische Hilfe für den Versuch, in Polen eine vom Staat unabhängige Arbeiterbewegung aufzubauen, er setzt sich ein für die Befreiung Kurdistans und insbesondere für den Kampf unserer Genossinnen und Genossen der NSSP Sri Lankas, er beteiligt sich aktiv am Aufbau der „Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung“ – es wären noch mehr Beispiele für Hans-Jürgens selbstlosen internationalistischen Einsatz zu nennen.

Hans-Jürgen (und natürlich Barbara) bringen für eine Solidarität ohne Grenzen nicht nur materielle Opfer – im November 1982 werden sie in der DDR wegen des Transports von Untergrundmaterialien der IV. Internationale nach Polen verhaftet und für 18 Tage gefangengehalten. Stasi-Chef Mielke läßt sich persönlich über den aktuellen Stand der Verhöre informieren. Erst eine internationale Kampagne führt zur Freilassung von Barbara und Hans-Jürgen.

Karl Karew, Fred Sommer oder kurz HJS hinterläßt uns zahllose Artikel und Aufsätze in unserer deutschen und internationalen Presse. Die Spanne der Themen reicht von der kritischen Auseinandersetzung mit dem historischen Anarchismus bis hin zur Bewertung der aktuellen bürgerlichen Politik. In mehreren Büchern und Broschüren analysiert er den Militarismus in Deutschland, der UdSSR und den USA, er untersucht das Wirken von Geheimdiensten und faschistischen Organisationen, er seziert den Untergang des Stalinismus in der DDR ebenso wie die Entwicklung des neoliberalen Kapitalismus in der BRD und auf internationaler Ebene. Markenzeichen all seiner fundierten und akribisch recherchierten Veröffentlichungen ist eine knappe, schnörkellose Sprache. Es ist eine unsere Verpflichtungen gegenüber Hans-Jürgen, diesen Nachlaß eines revolutionären Intellektuellen zu sichten und insbesondere der jüngeren Generation zugänglich zu machen.

Es ist unsere Aufgabe, Hans-Jürgens unermüdliches Engagement für eine Welt ohne Hunger, ohne Krieg und Umweltzerstörung als Ansporn für uns selbst zu verstehen. Es liegt an uns, den organisierten Kampf gegen die kapitalistische Barbarei und für den revolutionären Sozialismus, für eine weltweite Gesellschaft ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Ausgrenzung fortzuführen. Mit all dem, was Hans-Jürgen uns vermittelt: Radikalität, Beharrlichkeit, Aufrichtigkeit, Bescheidenheit, Ernsthaftigkeit und Menschlichkeit – trotz alledem!

Hamburg, 25.7.98



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 323 (September 1998). | Startseite | Impressum | Datenschutz