Imperialismus

Rüstung, Krieg und Frieden

Der kalte Krieg ist zu Ende, Frieden aber ist nicht eingekehrt. 1993 gab es weltweit 34 Kriege. Formal waren das alles „innere Angelegenheiten“ einzelner Staaten (siehe Auswahl in der Tabelle). Die Auseinandersetzungen nahmen eher die Form ethnischer denn sozialer Konflikte an.

Hans-Jürgen Schulz

Damit hat die Bedrohung des Weltfriedens heute einen anderen Charakter als vor dem Zusammenbruch des „realen Sozialismus“. Das heißt natürlich nicht, daß soziale Konflikte oder andere Gegensätze nicht bald wieder vorherrschen könnten. Für die nächsten Jahre ist das jedoch unwahrscheinlich. Und diese Lage muß darum näher untersucht werden. Für die Daten werden dabei im wesentlichen die Angaben des schwedischen Friedensforschungsinstituts Sipri zugrunde gelegt.


Rückgang der Rüstungslast


Das Wettrüsten führte zu gigantischen Rüstungsausgaben, die vor allem die Sowjetunion niederdrückten, aber auch die USA und andere Länder sehr stark belasteten. Sie waren nicht durchzuhalten. Schon Mitte der 80er Jahre setzte mit der Entspannung ein Rückgang der Ausgaben ein.

Der Höhepunkt der weltweiten Rüstungsausgaben war 1986 mit gut 1000 Mrd. Dollar erreicht. Heute sind es in damaligen Preisen 650 Mrd. Dollar (in laufenden Preisen etwa 800 Mrd. Dollar). Das hört sich gut an, ist aber im wesentlichen eine Folge des Zusammenbruchs des Warschauer Paktes.

Dessen Anteil an der weltweiten Rüstungslast betrug einst 35 % (Nato: 45 %), heute aber nur noch gut 10 %. Die Aufwendungen der osteuropäischen Staaten sanken seit der Wende von gut 23 Mrd. Dollar auf 6 Mrd. (laufende Preise) in 1993. Für Rußland dürften das vielleicht noch 50 Mrd. von einst über 200 Mrd. Dollar sein. 75 % davon entfallen auf Personalkosten (früher 25 %). Die Modernisierung der Ausrüstung, die Entwicklung neuer Waffen ist weitgehend eingestellt worden. Die Ausgaben für Beschaffung dürften nicht einmal reichen, den technischen Stand Ende der 80er Jahre aufrechtzuerhalten. Rußland bleibt eine große Militärmacht. Für die Nato aber ist sie keine Bedrohung mehr. Selbst wenn die russische Wirtschaft stabilisiert wäre und wieder wachsen würde und damit die wirtschaftliche Basis für eine neue Aufrüstung gegeben wäre, würde es länger als ein Jahrzehnt dauern, ehe an die alte Größe angeknüpft werden könnte.

Über die Rüstungsausgaben der SU-Nachfolgestaaten liegen keine zuverlässigen Angaben vor. Für China betrugen sie 1993 etwa 45 Mrd. Dollar.

Die Nato hat unter diesen Umständen um-, aber nicht abgerüstet. Das schlägt sich auch in unverändert hohen Aufwendungen für die Rüstung nieder, auch wenn diese seit 1987 – der Höhepunkt für die Nato – real um 14 % sanken. Der Anteil der Nato an den Rüstungsausgaben der Welt liegt bei gut 50 % ist damit höher denn je. Dabei gab es allerdings eine differenzierte Entwicklung, wie die folgende Übersicht deutlich werden läßt.

Rüstungsausgaben 1993 in Mrd. Dollar (Preise von 1985)

Land

Ausgaben

rückläufig seit

Anteil am BSP

USA

229,1

1986

4,9

Frankreich

21,1

1991

3,4

Britannien

19,1

1985

3,8

BRD

16,8

1983

2,6

Italien

9,5

1989

2,0

Nato

322,0

1987

Die Rüstungsausgaben der BRD, wirtschaftlich der weitaus stärkste Staat Europas, liegen damit deutlich unter denen der Atommächte Frankreich und Britannien. Aber auch die Truppenstärke der BRD ist geringer als einiger anderer Staaten:

Truppenstärke von Nato-Staaten in Tsd. 1993

USA

1800

Türkei

811

Frankreich

506

Italien

450

BRD

398

Britannien

273

Die BRD gab 1993 für die Rüstung 64 Mrd. DM aus. Das war real etwa so viel wie 1980. Nach dem „Bundeswehrplan 1994“ soll dieser Betrag für das nächste Jahrzehnt auf dieser Höhe gehalten werden, real also nicht steigen. Obwohl die BRD zur Zeit von niemandem militärisch bedroht wird, bleibt sie eine gewaltige Militärmacht. Die Senkung der Ausgaben um etwa 16 % seit 1983 ist im wesentlichen eine Folge verringerter Truppenstärke um gut 100 000 Mann. Es erfolgt also eine Umrüstung, nicht eine Abrüstung.

Deutlich wird freilich aus diesen Daten, daß die grundlegende Orientierung des deutschen Imperialismus und damit seine Militärpolitik sich nicht ändert. Sie ist weiter im Rahmen der Nato geplant und knüpft nicht an 1945 an, wie manche auf der Linken meinen. Sollte das auch nur angedacht werden, sollte die Änderung der Grenzen im Osten angestrebt, eine Aufteilung oder gar Beherrschung der Welt gewollt werden, erfordert das eine gewaltige Rüstung und Beschaffung von Atomwaffen. Eine starke Aufrüstung wäre notwendig. Dafür gibt es bisher kein Indiz. Es ist ein Imperialismus in und mit, nicht gegen die Nato und damit die USA oder Frankreich.


Rüstungsexport


Die Fähigkeit zur Kriegführung hängt im wesentlichen von der Versorgung mit Kriegsmaterial ab, das vorwiegend von den größeren Industriestaaten geliefert wird. Auch hier ist seit dem Ende des kalten Krieges ein grundlegender Wandel eingetreten – scheinbar.

Zwischen 1989 und 1993 sank der weltweite Rüstungsexport von 37,6 auf 22 Mrd. Dollar (in Preisen von 1990). Das ist aber zu 80 % eine Folge des Zusammenbruchs des Warschauer Paktes. Deren Lieferungen untereinander und in bestimmte Länder (Irak, Afghanistan, Nordkorea, Libyen) wurden faktisch eingestellt. Das Sonstige ist im wesentlichen auf den Friedensschluß mit Israel zurückzuführen. Im übrigen ist keine bedeutende Veränderung eingetreten, eine Abrüstung also unterblieben. Die wichtigste Änderung in dieser Beziehung gegenüber den 80er Jahren ist die Rolle der BRD.

Rüstungsexporte 1989-1993 in Mrd. Dollar Preisen von 1990

USA

56,6

Rußland

35,4

BRD

8,7

Frankreich

7,7

Britannien

6,6

China

5,7

Diese Reihenfolge bleibt auch bestehen, wenn nur die Daten von 1993 zugrunde gelegt werden. Die Angaben sind zumindest kein Indiz für eine konfliktvermeidende oder gar friedliebende deutsche Außenpolitik.


Atomtod


Völlig aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden ist die fast unverändert bestehende atomare Gefahr, die aus der folgenden Übersicht deutlich wird.

Strategische Atomwaffen (1993)

Rußland

9723

USA

8332

Frankreich

512

China

über 300

Britannien

300

 

Kriege 1993 (Auswahl)

Land

Ausbruch

Gegner

Tote bis 1993 (Tsd.)

Europa

Aserbaidschan

1988

Aserbaidschan-Karabach

10

Bosnien

1992

Bosnier/Serben/Kroaten

250

Asien

Afghanistan

1992

Regierung-Fundamentalisten

über10

Iran

1970

Regierung-Mudschaheddin/Kurden

kA

Türkei

1984

Regierung-PKK

15

Myanmar (Burma)

1948

Regierung-Karen u.a.

30

Philippinen

1968

Regierung-KP

50

Sri Lanka

1983

Regierung-LTTE

50

Tadschikistan

1991

Regierung/Rußland-Opposition

50

Afrika

Angola

1975

Regierung-Unita

150

Liberia

1989

Bürgerkrieg

25

Sudan

1980

Regierung-Südsudan

200

Amerika

Guatemala

1967

Regierung-URNG

50

Peru

1980

Regierung-Sendero/MRTA

50

kA – keine Angabe

Anmerkung: Die Angaben über die Todesopfer variieren und dürften teils zu niedrig angegeben sein.

Ein Teil der russischen Waffen ist zur Zeit noch im „nahen Ausland“ [1] stationiert. Die Waffen in Belarus und Kasachstan sollen sich tatsächlich unter russischer Kontrolle befinden und nach Rußland zurückgeführt werden. Prinzipiell gilt das auch für das Arsenal in der Ukraine, wo zwar Kontrolle und Rückführung vereinbart, aber durchaus noch nicht garantiert sind. Durch Abrüstungsvereinbarungen wollen die USA und Rußland zwar die Zahl der strategischen Waffen um fast zwei Drittel bis zum Jahr 2003 reduzieren. Gewaltig bleibt sie auch dann noch.

In diesem Zusammenhang werden immer die taktischen Atomwaffen vergessen, von denen es weltweit etwa 40 000 gibt. Im Durchschnitt hat jede von ihnen eine größere Sprengkraft als die Bombe von Hiroshima. Zusätzlich zu den bereits genannten Atommächten besitzen zumindest Israel und Indien derartige Instrumente.

Die atomare Bedrohung existiert damit unverändert. Abrüstung bedeutet nur, daß die Welt mit diesem Potential künftig vielleicht zehn- statt bisher zwölfmal ausgelöscht werden könnte. Rußland allein kann das drei oder viermal bewerkstelligen, was den Staat trotz seiner desolaten Lage immer noch zu einem Faktor macht.


Friedenszeiten?


Wenn man sich an die Diskussionen um die Ursachen des Zerfalls Jugoslawiens und die Rolle der BRD erinnert, dann scheinen viele auf der Linken zu glauben, der deutsche und andere Imperialismen würde wieder dort anknüpfen, wo sie 1945 aufhören mußten: bei der Neuaufteilung der Welt mit militärischen Mitteln. Das würde ein völlig irrationales Verhalten des deutschen Kapitals voraussetzen. Dafür gibt es keine Hinweise. Statt historischer Phantasien sollte besser die Imperialismustheorie aktualisiert werden.

Führende Kapitalisten wissen schon länger als manche „Marxisten-Leninisten“, daß Sozialismus wie Kapitalismus in einem Land und selbst in einem Staatenblock auf Dauer nicht überlebensfähig sind. Ein innerimperialistischer Kampf um die Neuaufteilung der Welt wie in den beiden Weltkriegen oder dessen Vorbereitung ist zur Zeit ausgeschlossen.

Das heißt nicht, der Kapitalismus wäre pazifistisch geworden. Auch die führenden Mächte werden ihre Interessen weiter mit militärischen Mitteln verfolgen. Sie tun es, wenn wichtige Interessen bedroht werden wie die Beherrschung der Ölförderung im Nahen Osten. Das wurde dem Irak im zweiten Golfkrieg deutlich gemacht. In Kleinstaaten wird „zur Aufrechterhaltung der Ordnung“ interveniert, wie das Frankreich in Afrika immer wieder vorexerziert.

Es werden auch Stellvertreterkriege geführt, um einen Staat oder eine Regierung zu schwächen. So wurde der Irak im ersten Golfkrieg, obwohl der Aggressor, wirtschaftlich und mit Waffenlieferungen gegen den Iran unterstützt, um die Attraktion des islamischen Fundamentalismus zu untergraben. Die langdauernden Bürgerkriege in Afghanistan, Angola und Mosambik waren Folge der militärischen Ausrüstung von Rebellen durch Westmächte. In diesen Fällen wollte man einen Bundesgenossen der SU treffen.

Beides wird auch künftig ein Mittel der Politik bleiben, wenn andere versagen. Aber es sind Ausnahmen geworden. Kaum noch einer der gegenwärtigen Kriege wird von außen von imperialistischen Mächten organisiert. Es handelt sich um soziale Befreiungsbewegungen (Kurdistan, Peru, Philippinen), meist aber um ungelöste ethnische Konflikte. Nur in wenigen Fällen wie im Irak (Kurden) hat das Kapital ein Interesse daran, sie zu schüren.

Die führenden Mächte wollen die Welt wirtschaftlich beherrschen und darum Destabilisierungen unterbinden. Folglich werden die Grenzen als unverletzlich garantiert und nationale Kriege mit allen Mitteln unterbunden. Wenn die Lieferung von Waffen oder auch nur Ersatzteilen gestoppt wird, dann kann kaum noch ein Land einen aufwendigen Krieg ein paar Wochen lang führen. Abschreckender sind vielleicht noch die wirtschaftlichen Sanktionen. Der Irak unterliegt seit vier Jahren einem Wirtschaftsembargo, obwohl der eigentliche Grund dafür längst entfallen ist. Die unkalkulierbaren wirtschaftlichen Folgen sind die eigentliche Abschreckung.

Zur Zeit wird die Weltordnung recht erfolgreich gewahrt. Mit der bedingten Ausnahme von Berg Karabach sind alle Kriege interne Angelegenheiten. Solange sie es bleiben, interessiert das die „Weltgemeinschaft“, das heißt die führenden imperialistischen Mächte, nicht. In Ruanda wurde eine halbe Million Menschen umgebracht, ohne daß befürchtet wurde, daß die Region destabilisiert würde. Darum erfolgte auch erst etwas, als das französische Klientel-Regime zusammenbrach – in diesem Falle erfolgte die Intervention zu spät – und als Millionen Flüchtlinge die Ordnung der Nachbarstaaten gefährdeten. Der blutige Kampf im Südsudan wurde ebenso ignoriert wie der Völkermord in Osttimor.


Krisenmanagement durch UN


Die Vereinten Nationen werden oft als überparteiliche Einrichtung mißverstanden. Dem leiten auch Forderungen wie die der der PDS nach Demokratisierung der UN Vorschub. Aus der falschen Einschätzung ergibt sich dann das noch fehlerhaftere Urteil, die UN habe in Bosnien oder anderswo versagt.

In Wirklichkeit sind die UN eine Einrichtung praktisch aller Regierungen der Erde, um ihre Interessen geltend zu machen und auszugleichen. Vertreten sind allein die herrschenden Klassen, Schichten oder Cliquen. Eine solche Einrichtung wird nicht nur die weltweiten Machtverhältnisse widerspiegeln, sie muß vielmehr zum Instrument der stärksten Mächte werden und ist es denn auch.

Wichtigstes Instrument ist der Sicherheitsrat, der in den letzten Jahren faktisch permanent tagte, um Konflikte beizulegen oder zu begrenzen. Zur Zeit kann er seine Rolle spielen, weil die Politik der neuen Weltordnung – und damit im wesentlichen die der USA – weder von Rußland noch von China behindert wird, die mit ihrem Veto manches blockieren könnten. Die machtpolitische Ohnmacht Rußlands und die Zurückhaltung Chinas werden jedoch nicht ewig dauern. Sind sie zu Ende, dann wird die Rolle der UN sich verändern.

Vorerst ist sie wenig mehr als eine Behörde des US-Außenministeriums. Sie hat keine eigenen Machtinstrumente, denn Truppen werden ihr von Mitgliedstaaten leihweise zur Verfügung gestellt und können jederzeit zurückgerufen werden. Sie hat auch keine eigenen Gelder und manövriert darum ständig am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Sie hat nicht einmal eigene Informationsquellen, von gelegentlichen Beobachtergruppen abgesehen. Ihre Aufgabe ist es, Konflikte durch Verhandlungen oder Drohungen zu unterbinden oder einzufrieren. Die Intervention erfolgt fast immer mit ausdrücklicher Zustimmung der Konfliktparteien, auch wenn sie meist erst nach massivem Druck erfolgte.

In der Beziehung ist die UN erfolgreicher als viele meinen. Es ist letztlich nicht ihr anzulasten, wenn die USA in Somalia unter ihrer Flagge Rambo-Aktionen ausführen. Verhindern kann sie das nicht und anklagen darf sie es nicht. Wenn die Großmächte an Ruhe und Ordnung wirklich interessiert sind, kann das aber mit Hilfe der UN leichter als durch fremde Mächte geschehen, wie sich in Kampuchea, Mosambik oder El Salvador zeigte. Wenn die beteiligten Mächte zum Frieden gezwungen werden, dann kann die Waffenstillstandslinie unter UN-Flagge eher garantiert werden, wie das teils seit Jahrzehnten in Kaschmir (seit 1948), Zypern (seit 1974) oder auch Kroatien (seit 1992) geschieht. Das ist auch das Ziel der UN in Bosnien. Es geht nie um einen gerechten Frieden, sondern um Waffenstillstand. Und es geht nur um bestimmte Staaten. Die UN unterhalten eine sogenannte Schutzzone der KurdInnen im Nordirak, nicht aber in Nordkurdistan, also auf türkischem Staatsgebiet.

Zur Zeit stehen 80 000 Soldaten unter UN-Flagge in 18 Ländern für solche Aufgaben im Einsatz. Kriege verhindern können und sollen sie nicht. Wofür soll sich ein Soldat aus Bangladesch in Bihac totschießen lassen? Wofür soll Bangladesch überhaupt Opfer bringen?

Solche „Friedensmissionen“ sind nur gegenüber kleinen oder mittleren Staaten möglich, und daß auch nur, wenn sie keinen Krieg mehr führen wollen oder können. „Frieden schaffen“, das heißt Kriegführung unter UN-Flagge, ist stets Betrug. In Wirklichkeit werden dann nationale Kontingente unter nationalem Kommando eingesetzt, um nationale Ziele zu exekutieren. Dafür ist der zweite Golfkrieg das typische Beispiel. Wer hierzulande für „friedensschaffende Missionen“ der UN unter deutscher Beteiligung eintritt, ist naiv oder lügt. Das wäre deutsche Machtpolitik unter blauer Fahne.

Was die USA sich herausnehmen, sollte für Rußland billig sein. Es setzt seine Truppen für „friedensschaffende Missionen“ in Tadschikistan und im Kaukasus, für „friedenswahrende“ in der Dnjestr-Republik und an den Grenzen im „nahen Ausland“, das heißt den Nachfolgestaaten der SU ein. Russische Waffen sollen die Stabilität dieser Region und damit die russische Vormacht garantieren. „Ich glaube, die Zeit ist reif, daß autoritative Organisationen unter Einschluß der UN Rußland Sondervollmachten als Garanten für Frieden und Stabilität der Region übertragen“, erklärte Boris Jelzin am 28.2.1993. Das wurde glatt abgelehnt. Die UNO bleibt ein Instrument der Nato. Wenn Rußland schon wieder Machtpolitik betreibt, dann soll das gefälligst nicht unter diesem betrügerischen Etikett erfolgen.


Nato und KSZE


Da eine Bedrohung Europas nicht einmal mehr behauptet wird, müßte die Nato an sich aufgelöst werden. Das ist genau so wenig gewollt wie eine wirksame Abrüstung. Damit wird bewiesen, daß Interessen weiterhin notfalls mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden sollen, und daß dies im Bündnis geschehen soll.

Da sie sich bedroht fühlen und nicht tschetschenisiert werden wollen, drängen die osteuropäischen Staaten in die Nato. Es ist unwahrscheinlich, daß dies geschieht. Einmal müßten dann auch deren Interessen und Konflikte berücksichtigt werden. Dann scheint die BRD daran Interesse zu haben, um im Bündnis mit diesen Staaten ein größeres Gewicht in der Allianz zu gewinnen. Daran wiederum ist niemand sonst interessiert.

Stattdessen laufen Bestrebungen, die KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), der mittlerweile 53 Staaten angehören, zu einer europäischen UN zu machen. In Konfliktfällen wie im Kaukasus sollen „Friedenstruppen“ entsandt werden. Entschieden werden soll das von der Ratstagung, einer Art Vollversammlung mit gleichem Stimmrecht.

Vordergründig klingt das demokratisch. Infolge des russischen Vetorechts kann die UN genau so wenig im Gebiet der ehemaligen SU intervenieren wie auf der anderen Seite etwa in Panama. Um das zu unterlaufen und die russische Macht zu begrenzen, soll die KSZE umorganisiert werden. Ein russisches Vetorecht darf es da nicht geben. „Neutrale“ Truppen sollen an seinen Grenzen stehen. Aufforderungen, unter anderem deutsche Truppen nach Georgien und Berg Karabach zu entsenden, gibt es seit längerem.

      
Mehr dazu
Jean-Louis Michel: Die neue NATO: ein Instrument der Pax Americana, Inprekorr Nr. 314 (Dezember 1997)
Thies Gleiss: Nationalismus, Krieg und internationales Kapital – einige notwendige Anmerkungen, Inprekorr Nr. 284 (Juni 1995)
Hans-Jürgen Schulz: Deutsche Soldaten – weltweit, Inprekorr Nr. 283 (Mai 1995)
Ernest Mandel: 25 Thesen zur Antikriegsbewegung, Inprekorr Nr. 172 (September 1985)
Vereinigtes Sekretariat: Kampf gegen die Remilitarisierung des Imperialismus, für den Frieden und Sozialismus, Inprekorr Nr. 140 (Januar 1982)
 

Wenn das geschieht, dann mögen keine wirtschaftlichen Interessen dafür maßgebend sein, wohl aber machtpolitische. Dann soll der Einfluß Rußlands auf dessen Kernland zurückgedrängt werden. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn es um die Selbstbestimmung der betroffenen Völker gehen würde. Tatsächlich aber wird dann im Kaukasus eine Gegenmacht unter dem Patronat Deutschlands oder zumindest der Nato errichtet. Das aber liegt auf Dauer weder im Interesse der Menschen dort noch hier. Es geht um Macht, nicht um Frieden oder Menschenrechte.


Bedrohte Weltordnung


Das Wettrüsten, das die Welt jahrzehntelang in Atem hielt, ist schon vor dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes abgebrochen worden, weil der Gegner nicht mehr mithalten konnte. Doch die Großmächte bleiben hoch gerüstet. Das geschieht nicht aus paranoidem Sicherheitsbedürfnis, sondern weil die Mächtigen dieser Erde ihre Ordnung für bedroht halten.

Die sozialen Gegensätze in den unterentwickelten Ländern können sich jederzeit explosiv entladen. Ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von den Industriestaaten ist ein Sachzwang, aber kein Naturgesetz. Die Welt wird auf Dauer nicht bleiben wie sie ist. Antiimperialistische und sozialrevolutionäre Bewegungen werden wieder entstehen.

Gegen diese Bedrohung bleibt die Welt hoch gerüstet.

Hamburg, 11.1.1995



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 282 (April 1995). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Umschreibung für die ehemaligen Sowjetrepubliken – d.Red.