Vierte Internationale

Über lesbische/schwule Befreiung

Entwurf eines Diskussionstextes für den 15. Weltkongress der Vierten Internationale

Der folgende Text ist ein Entwurf [1] einer Diskussionsgrundlage für den nächsten Weltkongress, der vom Internationalen Exekutivkomitee im Februar 2000 in der generellen Linie angenommen worden ist. Verschiedene Teile des ursprünglichen Entwurfs wurden von sieben verschiedenen GenossInnen aus Australien, Belgien, Britannien, den Niederlanden, Portugal, Puerto Rico und den USA geschrieben. Er wurde dann an mehrere Dutzend lesbische, schwule und bisexuelle GenossInnen sowie die Frauenkommission des IEK weitergegeben. Daraufhin wurde der Entwurf auf der Grundlage der zahlreichen Kommentare, Kritiken und Vorschläge überarbeitet.

Das IEK hat den Entwurf auf seiner Sitzung im Februar diskutiert und sich auf die Bildung einer Redaktionskommission verständigt. Wir fordern die Sektionen auf, den Entwurf im Hinblick auf eine Diskussion auf dem Weltkongress zu diskutieren und Abänderungen an die Redaktionskommission zu schicken (Drafting Commission, …).

Seit den späten sechziger Jahren haben lesbisch/schwule Bewegungen zahlenmäßig erheblich zugenommen und haben über alle Kontinente ausgebreitet. In einigen Ländern ist es ihnen gelungen, wesentliche Reformen durchzusetzen, während viele andere Bewegungen nur defensiv agieren konnten. Seit den achtziger Jahren sind lesbisch/schwule Bewegungen in vielen asiatischen, afrikanischen und osteuropäischen Ländern neu entstanden, haben in wichtigen lateinamerikanischen Ländern (Mexiko, Brasilien, Argentinien) wieder an Kraft gewonnen, nachdem sie zuvor Rückschläge erleiden mussten, und haben in Westeuropa und Nordamerika mehrmals Hunderttausende Menschen mobilisiert.

Die zentralen Lehren, die wir uns aufgrund unserer Beteiligung an diesen Bewegungen angeeignet haben und die in diesem Text zum Ausdruck kommen, sind:

  1. Die Unterdrückung, denen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgendered (LSBT) [2] ausgesetzt sind, ist in allen Ländern auf der Erde eine Realität. Das Assoziieren von HIV mit Homosexualität hat zu einer globalen Stigmatisierung von Sex unter Männern und von Geschlechtsverkehr außerhalb der monogamen heterosexuellen Familie geführt. Sexualität ist generell eine politische Frage.

  2. Die Verbindung zwischen der Unterdrückung von LSBT und der Frauenunterdrückung ist für unser Verständnis zentral, und folglich sind die Befreiungskämpfe eng miteinander verbunden.

  3. Wir treten für die Notwendigkeit von autonomen Bewegungen der LSBT ein, mit dem Verständnis, dass Unterdrückung nicht ohne Selbstorganisation überwunden werden kann.

  4. Wir kämpfen für ein Verständnis der Verbindung des lesbisch/schwulen Kampfs und der ArbeiterInnenbewegung und sind zugleich gegen die Unterordnung des lesbisch/schwulen Kampfs gegen irgendeine andere Bewegung.

  5. Wir setzen uns für einen internationalistischen Ansatz in dieser Frage ein. LSBT sind überall unterdrückt, allerdings auf unterschiedliche Art und Weise. Die Bewegung muss sich international organisieren und Solidarität mit den am meisten Unterdrückten ausüben.

  6. Zur Umsetzung dieser Aufgaben müssen wir in unserer eigenen Wohnung – der revolutionären Linken – aufräumen. Das erfordert eine Veränderung unserer Organisationen in vieler Hinsicht.

Lesbische und schwule Linke haben einen langen und harten Kampf um Anerkennung und Unterstützung in der ArbeiterInnenbewegung geführt. Bis in die siebziger Jahre und teilweise noch länger erfuhren sie Widerstand und Vorurteile von allen linken Strömungen. Sozialdemokratische Parteien und die Arbeiterbewegungen beispielsweise haben im Allgemeinen nicht positiv auf Fragen sexueller Freiheit reagiert. Versuche, Verbindungen zur ArbeiterInnenbewegung herzustellen, haben aber zu Erfolgen geführt, fast vom Entstehen der lesbisch/schwulen Bewegungen am Ende des 19. Jahrhunderts an.

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurden die Forderungen des (1897 gegründeten) deutschen Wissenschaftlich-humanitären Komitees und anderer europäischer Organisationen für „Geschlechtsreform“ von sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien (von bürgerlichen Parteien nur ganz vereinzelt) und von den damals im Amt befindlichen Regierungen allein von der bolschewistischen Regierung unterstützt. Auch unter den Bolschewiki konnte Eintreten für sexuelle Freiheit nicht als gegeben betrachtet werden, wie aus den Schriften von Alexandra Kollontai zu ersehen ist. Der Triumph des Stalinismus in der Sowjetunion führte zur Rücknahme zahlreicher Errungenschaften der Frauengleichberechtigung und der sexuellen Emanzipation und verbreitete Vorurteile gegen Schwule bei nahezu allen stalinistischen und mao-stalinistischen Strömungen von den dreißiger Jahren bis zu den achtziger Jahren. Aber das Entstehen der lesbisch/schwulen Befreiungsbewegung Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre in Westeuropa, Nord- und Lateinamerika fiel mit einem neuen Aufschwung der radikalen und revolutionären Linken zusammen. Der Feminismus und insbesondere der sozialistische Feminismus waren von zentraler Bedeutung für die Entwicklung der lesbisch/schwulen Befreiungsbewegung im Zusammenhang mit einer globalen Infragestellung der Gesellschaft.

Der hier vorliegende Text definiert erstens die Basis für eine Unterstützung der revolutionären MarxistInnen für lesbisch/schwule Befreiung; legt zweitens die Haltung der Vierten Internationale zu einigen zentralen Themen dar und definiert drittens unsere Taktik beim Aufbau der lesbisch/schwulen Bewegungen; macht viertens Vorschläge dazu, wie sich die lesbisch/schwule Befreiung im öffentlichen Profil unserer Organisationen und in ihrem Binnenleben reflektieren kann und sollte.


Teil I
Grundlagen der Unterdrückung



1
Auch wenn der Grad von Verfolgung und Tolerierung deutlich verschieden ist, gibt es für Lesben, schwule Männer, Bisexuelle und Transgendered (diejenigen, deren Gender-Identität nicht ihrem biologischen Geschlecht entspricht, darunter Transvestiten, Transsexuelle und viele andere, deren Identität in indigenen Kulturen verwurzelt ist) in kapitalistischen Gesellschaften heute nirgendwo völlige Gleichheit oder Freiheit. Heterosexismus, also die Unterdrückung, der sie ausgesetzt sind, tritt wie Sexismus „in allen Sphären – von Politik, Beschäftigung und Erziehung bis zu den intimsten Aspekten des Alltagslebens –“ auf (um die Worte der Resolution über Frauenbefreiung zu zitieren, die 1979 von der Vierten Internationale angenommen worden ist). [3]


2
Der Heterosexismus hat seine Wurzeln in der Institution der heterosexuellen patriarchalischen Familie, die für den Kapitalismus charakteristisch ist. Die Familie ist „die grundlegende sozioökonomische Institution, die die Aufspaltung der Gesellschaft in Klassen von einer Generation zur nächsten weitergibt“, wie es in der Resolution zur Frauenbefreiung aus dem Jahr 1979 heißt. In der spezifischen Form, die sie im Kapitalismus entwickelt hat, „stellt sie den billigsten und ideologisch akzeptabelsten Mechanismus zur Reproduktion menschlicher Arbeitskraft dar“ – indem sie unbezahlte, in erster Linie weibliche Arbeit dazu benutzt, für die Jungen und die Alten wie auch für Erwachsene im Arbeitsleben zu sorgen – und sie „reproduziert in sich selbst die hierarchischen, autoritären Beziehungen, die zur Erhaltung der Klassengesellschaft in ihrer Gesamtheit nötig sind“. Diese Familienform bedeutet für Frauen und Kinder besondere Unterdrückung. Für diese Beziehungen, die die Familie in kapitalistischen Gesellschaften von Generation zu Generation mehr oder weniger unverändert reproduziert, sind monogame heterosexuelle Liebe, die letztendlich die Grundlage heterosexueller Eheschließungen und der Gründung neuer Familien bilden soll, und Elternliebe zentral, die eine Bindung zwischen Erwachsenen und ihren biologischen Kindern begründen soll, die Zuneigung, Verantwortung und Autorität miteinander kombiniert.

Solange die Gesellschaft auf eine Weise organisiert ist, die mit der Annahme einher geht, dass viele Grundbedürfnisse in der Familie erfüllt werden, wird es für alle, die hierbei am Rande stehen oder sich dafür entscheiden, nicht in einer Familie zu leben, schwierig sein, ihre Bedürfnisse erfüllt zu bekommen. Solange die heterosexuelle Liebe die Basis zur Bildung einer Familie darstellt, sind Leute vom Familienleben ausgeschlossen, deren emotionales und sexuelles Leben sich vor allem auf gleichgeschlechtliche Liebe bezieht. Solange die heterosexuelle Familie der zentrale Ort für die Kindererziehung ist, werden Kinder, die lesbisch, schwul, bisexuell oder transgendered (LSBT) sind, entfremdet aufwachsen – und zwar in noch höherem Maße als Kinder und Jugendliche generell in der Familie entfremdet sind; wird Erwachsenen, die nicht heiraten, die Erziehung von Kindern verwehrt sein; wird der Umgang von Kindern mit Erwachsenen und mit anderen Kindern, zu denen sie keine biologischen Beziehungen haben, vielfach begrenzt sein. Solange nur heterosexuelles Begehren und Schwärmen die kapitalistische Konsumkultur prägen, werden sich LSBT unsichtbar fühlen. Repressive Gesetze und weitverbreitete gesellschaftliche Diskriminierung intensivieren diese Unterdrückung in den meisten Teilen der Welt, aber die Abschaffung solcher repressiven Gesetze und der Kampf gegen gesellschaftliche Diskriminierung allein werden die Unterdrückung nicht beenden.


3
Millionen von Menschen auf der Welt, insbesondere in abhängigen Ländern, aber keinesfalls nur dort, können heute gleichgeschlechtliche Erotik nur zeitweise ausleben, an den Rändern ihres Familienlebens, häufig verborgen vor Eltern, bei denen sie noch leben, oder vor andersgeschlechtlichen EhepartnerInnen. Millionen von Frauen heiraten, um zu überleben, weil die für sie greifbaren gesellschaftlichen und ökonomischen Optionen extrem begrenzt sind. Dieser Druck wirkt sich in einem geringeren Ausmaß auch auf Männer aus. Viele tausend Männer und Frauen sind ebenso wenig in der Lage, sich konform zur heterosexuellen Norm zu verhalten, wie sie sich auffallend nicht konform zu den Normen von Männlichkeit und Weiblichkeit zu verhalten vermögen, und das Spielen heterosexueller Rollen ist für sie daher schwierig, wenn nicht unmöglich. Tausende von Transgendered sind nicht dazu fähig oder nicht willens, sich in gesellschaftlich anerkannte Familien einzuordnen, sind nicht dazu fähig oder nicht willens, als „richtige Männer“ oder als „richtige Frauen“ zu leben; und sie werden deshalb an die äußersten Ränder des Arbeitsmarktes und der Gesellschaft gedrängt. Vielfach erhalten sie sich durch Prostitution oder andere stigmatisierte Formen von Beschäftigung, sie sind mit allgemeiner Verachtung und körperlicher Gewalt konfrontiert. Viele LSBT auf der ganzen Welt haben mit Unterdrückung als einer täglichen Realität zu tun: mit Gefängnis, Vergewaltigung, Folter und Mord.


4
In abhängigen Ländern nimmt der Heterosexismus besondere und gelegentlich ausgesprochen virulente Formen an. Vom 16. bis zum 20. Jahrhundert haben europäische Eroberer die Ausrottung von „Sodomie“ als eine ideologische Rechtfertigung für Eroberung und Herrschaft über andere Völker benutzt. In vielen Ländern, die jetzt formal oder politisch unabhängig sind, gelten noch Gesetze gegen Homosexualität, die von den früheren Kolonialherren erlassen worden waren.

Die Beibehaltung von repressiven Gesetzen, Politiken und Bräuchen wird in abhängigen wie in imperialistischen Ländern oft mit religiösen Argumenten (aus dem Christentum, dem Islam oder dem Hinduismus) verteidigt und in Ländern, in denen die Trennung von Kirche und Staat nicht durchgesetzt werden konnte, in der gesetzlich verankerten religiösen oder religionsgemeinschaftlichen Rechtsprechung über die Familie und das persönliche Leben fortgesetzt. Häufig argumentieren religiöse Rechte und Fundamentalisten, der Moralkodex, den sie verteidigen, sei ein tief verwurzelter Teil des traditionellen Gesellschaftsgefüges, im Rahmen dessen sie sich organisieren. Aber viele der reaktionären Praktiken, die sie anwenden, und insbesondere diejenigen, die sich gegen Frauen und sexuelle „Abweichung“ richten, haben häufig keine traditionellen Wurzeln, sondern sind ebenso sehr durch und durch modern, wie sie durch und durch reaktionär sind. Ein zweiter wesentlicher ideologischer Mythos besagt, die Homosexualität sei in diesen Ländern ein negatives Erbe des Imperialismus. Während wir ein materialistisches Verständnis des Entstehens massenhafter schwuler und lesbischer Identitäten vertreten und diese im Kontext von Industrialisierung und Urbanisierung sehen, wollen wir andererseits das Verständnis für die Geschichte von gleichgeschlechtlichen Beziehungen verschiedener Art in traditionellen Kulturen fördern.

Die Nichtexistenz oder geringe Entwicklungsstufe von Sozialstaaten sowie niedrige Lohnniveaus in den abhängigen Ländern verstärken die Abhängigkeit von traditionellen Familien. Besonders in ländlichen Gebieten macht das Fehlen nicht-traditioneller sozialer und politischer Organisationen und kultureller Alternativen Nonkonformismus schwierig. Die Vierte Internationale versteht die Organisierung von LSBT unter diesen Bedingungen als einen wichtigen Teil eines umfassenden Projektes zur nationalen Befreiung, das notwendigerweise eine Infragestellung von nationalen und religiösen Machtstrukturen wie auch des Imperialismus einschließt. Die offene Teilnahme von LSBT in demokratischen Massenerhebungen in mehreren lateinamerikanischen, südafrikanischen und südostasiatischen Ländern hat gezeigt, wie lesbisch/schwule Befreiung und nationale Befreiung Hand in Hand gehen können.


5
Nur erheblich höhere Löhne und die Entwicklung von Sozialstaaten im Laufe des 20. Jahrhunderts haben es ermöglicht, dass Angehörige der ArbeiterInnenklasse massenhaft unabhängig von den Familien leben können, in die sie hineingeboren wurden, ohne zu heiraten und eigene Familien zu gründen. Nur dadurch wurde es auch möglich, dass sie dauerhafte, in erster Linie emotional und sexuell motivierte Beziehungen mit gleichgeschlechtlichen PartnerInnen aufbauen und sich offenen und dauerhaften lesbischen und schwulen Communities anschließen und sich mit diesen identifizieren konnten. Gleichzeitig wurden heterosexuelle Ehen immer häufiger auf der Grundlage von sexueller Anziehung und romantischer Liebe geschlossen, auch wenn es noch immer erheblichen materiellen Druck zur Eheschließung gibt und arrangierte Ehen in vielen Ländern nach wie vor die Norm sind.

Vor allem in den imperialistischen Ländern und ganz besonders unter Männern findet schwules Leben in einem bestimmten Maß in der kommerziellen Szene statt – die Art eben, wie der Kapitalismus auf die Bedürfnisse der LSBT nach Orten, an denen sie sich treffen und miteinander sein können, reagiert. Wo die kommerzielle Szene sich ausgedehnt hat und der Raum für LSBT in der sie umgebenden Gesellschaft zu freiem Leben gering geblieben ist, ist das Resultat widersprüchlich. Es ist ein Schritt vorwärts, dass die LSBT die Möglichkeit haben, in diesem Kontext offen zu ihrer Sexualität zu stehen – es ist jedoch nicht hinzunehmen, dass dies in der übrigen Gesellschaft nicht der Fall ist. Vielfach hat die Existenz der Szene einen Anstoß für die Entwicklung der lesbisch/schwulen Bewegung gegeben.

Die Szene selber ist in einer weiteren Hinsicht sehr beschränkt in Bezug auf die Art und Weise, in der sie einen Umgang der Menschen ermöglicht, wenngleich sie mit der Ausweitung auch verschiedenförmiger geworden ist. Generell ist sie weiterhin männlich dominiert und lässt die aufgrund des Alters diskriminierenden und rassistischen Bilder von sexueller Attraktivität fortbestehen – kurzum, sie versteht Sex als Ware und bildet keine Umgebung, in der Menschen leicht als menschliche Wesen im umfassenden Sinn miteinander umgehen können. Informelle Netzwerke, Clubs, Gemeindezentren und Aktionsgruppen, die aus der Selbstorganisation von LSBT hervorgegangen sind, stellen eine gewisse Alternative zur kommerziellen Szene dar, es fehlt ihnen jedoch oft an der Augenfälligkeit, dem Glitter und den Ressourcen, wie die kommerzielle Szene sie aufweist.

Lesbisch/schwule Communities, zu denen Frauen und Männer aller Klassen gehören, die sich als Lesben oder Schwule identifizieren, sind zusammen mit den Identitäten und Subkulturen, die darin entstanden sind, zur Basis geworden, auf der lesbisch/schwule Bewegungen gewachsen sind. Große Teile der lesbisch/schwulen Subkultur sind deswegen angegriffen worden, weil sie sehr entfremdet seien; wenn diese Kritik von den Medien oder der Rechten kommt, wird der Umstand ignoriert, dass die Sexualität insgesamt im Kapitalismus zunehmend als Ware ausgegeben wird. Lesbisch/schwule Bewegungen haben sich zumeist gegen bestimmte repressive Gesetze oder eine Politik gerichtet, die gleichgeschlechtliche Sexualität von LSBT unterdrücken; außerdem sind sie für Gesetze eingetreten, durch die verschiedene Formen gesellschaftlicher Diskriminierung geächtet würden; sowie für Gesetze, die gleichgeschlechtlichen Beziehungen unter der bestehenden Gesetzgebung und Politik gleiche Anerkennung und gleiche Behandlung zuteilwerden lassen würden.


6
Seit den siebziger Jahren hat sich das Verhältnis von Jugendlichen zu ihrer Sexualität in vielen Ländern auf widersprüchliche Art verändert. Jugendsexualität wurde in geringerem Maße tabuisiert; die Körper und die Sexualität von Jugendlichen haben mehr Sichtbarkeit in den Medien erlangt, und sie werden in zunehmendem Maße zu kommerziellen Zwecken gebraucht und missbraucht. Die durch AIDS verursachten Rückschläge und der Aufstieg eines neuen Moralismus haben diesen Trend nicht gestoppt.

Auf der anderen Seite wird die Sexualität von Jugendlichen nach wie vor unterdrückt, insbesondere die Sexualität von Frauen und von LSBT. Auf Kinder und Jugendliche wird zu Hause und in der Schule nach wie vor Druck zur Anpassung an anerkannte Geschlechterrollen ausgeübt; Vorurteile, Scham wegen des eigenen Körpers und die Angst vor Tabuüberschreitungen sind wesentliche Teile dessen, was ihnen beigebracht wird. Und so wie von jeher oder sogar in noch höherem Ausmaß fehlt es jungen Leuten an materiellen Rahmenbedingungen, die ihnen ein freies Ausleben ihrer Sexualität ermöglichen würden. Durch die Einschränkungen von Sozialleistungen hat die wirtschaftliche Abhängigkeit junger Leute von ihren Familien zugenommen. Die Orte, an denen sich Lesben und Schwule treffen, sind oft strikt kommerziell organisiert, so dass viele Jugendliche mit wenig Geld davon ausgeschlossen sind. Auch ist der Zugang junger Menschen zu Informationen über Sexualität und zu Verhütungsmitteln sowie zu Informationen hierüber nach wie vor eingeschränkt.

Mangelnde Zugänglichkeit von Kondomen und von Informationen über Sexualität ist wegen der Übertragung von AIDS und anderer sexuell übertragbarer Krankheiten von besonderer Bedeutung. Zwar ist Homosexualität mittlerweile in den Medien vieler Länder sichtbarer geworden, doch sind die Bilder von Homosexualität oft verzerrt oder stereotyp. Zwar sind Jugendliche heute häufig offener und weniger homophob als frühere Generationen, doch trotzdem ist das „Coming Out“ auch in dem Anschein nach toleranten Kulturen für viele Jugendliche nach wie vor ein schmerzhafter Prozess, wie es die sehr hohe Selbsttötungsrate von jungen Lesben und Schwulen zeigt.


7
Die Resolution zur Frauenbefreiung stellte vor über zwanzig Jahren fest: „Heute streicht die herrschende Klasse angesichts sich verschärfender ökonomischer Probleme die Sozialausgaben zusammen und sie sucht die Lasten wieder den einzelnen Familien aufzubürden.“ In den dazwischen liegenden Jahrzehnten hat sich diese Situation noch verschlechtert. Diese Kürzungen bedrohen zusammen mit stagnierenden oder sinkenden Löhnen sowie steigender Arbeitslosigkeit grundlegende Voraussetzungen in Bezug auf Wohnen, Gesundheitsversorgung, Kinderversorgung und andere Formen der sozialen Unterstützung, die es LSBT ermöglichen, ohne heterosexuelle Familien zu leben und ihre Communities zu unterstützen. Die Auswirkungen dieser Entwicklungen für neu entstehende Communities in abhängigen Ländern waren besonders drastisch, wie sich insbesondere seit 1982 in Lateinamerika und seit 1997 in Südost- und Ostasien gezeigt hat; Pro-Familien-Ideologien werden dadurch tendenziell verstärkt. Wo lesbisch/schwule Bewegungen existieren, sollten sie sich offen an dem Abwehrkampf gegen kapitalistische Sparpolitik beteiligen; solche Abwehrkämpfe sollten in jedem Fall die besonderen Forderungen von LSBT für besondere Dienstleistungen aufgreifen.


Teil II
Unser Standpunkt



8
Seit der Radikalisierung in den späten sechziger Jahren haben sich AktivistInnen dafür eingesetzt, über die Kämpfe für lesbische/schwule Rechte hinauszugehen und die vollständige Befreiung von Lesben und Schwulen zu verlangen, zu der das Absterben der kapitalistischen Familie als Institution gehört. Wenngleich dieser Anspruch im Vergleich zu den achtziger Jahren in den Bewegungen weniger Gewicht hat, vertritt die Vierte Internationale die Auffassung, dass vollständige Gleichheit und Freiheit sowohl für Frauen als auch für LSBT nur erreicht werden kann, wenn die Funktionen der Familie vergesellschaftet werden, was nur durch den Sturz des Kapitalismus in vollem Umfang erreicht werden kann. Bei der Unterstützung von Kämpfen für lesbische und schwule Rechte suchen wir eine Verbindung zwischen aktuellen Forderungen und dem Endziel der lesbisch/schwulen Befreiung herzustellen, die in unserem Verständnis mit dem Endziel der sozialistischen Revolution verbunden ist.

Bei der Vertiefung unseres Verständnisses der sozialistischen Gesellschaft, für die wir kämpfen, bemühen wir uns um die Integration der Vision von lesbisch/schwuler Befreiung. Im Gegensatz zu repressiven und begrenzten Konzeptionen von Männlichkeit, Weiblichkeit und Sexualität setzen wir uns für eine Gesellschaft ein, in der Gender nicht mehr eine zentrale Kategorie für die Organisation des sozialen Lebens darstellt und in der Konzepte von „Heterosexualität“ und „Homosexualität“, soweit sie noch existieren, keinerlei gesetzliche oder ökonomische Konsequenzen haben. Wir arbeiten auf verschiedene Formen der Vergesellschaftung der unterschiedlichen Funktionen hin, die gegenwärtig von der Familie erfüllt werden: kollektive und gemeinschaftliche Verantwortung für die Pflege von Kindern und Arbeitsunfähigen; eine Ökonomie, die Menschen nicht zur Migration fort von ihren lokalen Gemeinschaften zwingt; vielfältige Formen von Haushalten und von Kooperationen innerhalb von lokalen Gemeinschaften; vielfältige Formen von Freundschaft, Solidarität und sexuellen Beziehungen.


9
In den meisten Kulturen werden Sexualität und sexuelle Aktivität noch immer als Aspekte des menschlichen Lebens gesehen, die entweder gefährlich oder im „Besitz“ der Gesellschaft, nicht des Individuums sind. Aber revolutionäre Entwicklungen in der Reproduktionstechnik in den fünfziger und sechziger Jahren trugen viel zum Anspruch auf sexuelle Befreiung und zur weiteren Trennung der Sexualität von der Reproduktion bei. In den imperialistischen Ländern entwickelte sich in den fünfziger und sechziger Jahren eine kulturelle Radikalisierung unter Jugendlichen und StudentInnen, die unter anderem die traditionelle Klassifizierung der Gender in Frage stellte. Diese neuen Herausforderungen für die traditionelle Kultur schlossen neue Herangehensweisen an Sexualität ein.

Die Kämpfe für das Recht auf Abtreibung und allgemein zugängliche Geburtenkontrolle stellten ebenso wie die Kämpfe für lesbisch/schwule Rechte einen Angriff auf das traditionelle Verständnis dar, in dem gesellschaftlich anerkannte Sexualität mit Reproduktion, Heirat und Familie gleichgesetzt wurde. Neue Sichtweisen von Sex und Sexualität führte zu einer neuen Bewertung von sexueller Erfüllung im Allgemeinen, vor allem aber für Frauen. Die Frauenbewegung setzte sich für das Recht von Frauen auf sexuelle Gesundheit und Information ein und verfolgte damit die grundlegende Vorstellung, dass Frauen sexuelle Wesen sind, die das Recht auf sexuelle Erfüllung und die Kontrolle ihrer sexuellen Beziehungen haben, wie Männer es geschichtlich besessen haben. Eine der wichtigsten Botschaften des Kampfes für die sexuelle Autonomie von Frauen lautete, dass es nicht den einen richtigen Weg zu sexuellem Genuss gibt, sondern eine Vielzahl von Möglichkeiten.

Lesbisch/schwule Befreiung ist Teil einer breiteren, allgemein menschlichen sexuellen Befreiung, für die wir kämpfen. Wir wollen menschliche Sexualität von dem befreien, was die Resolution über die Frauenbefreiung von 1979 „den Rahmen von ökonomischem Zwang, persönlicher Abhängigkeit und sexueller Unterdrückung“ nannte, in den sie bis jetzt zu oft eingesperrt ist. Sexuelle Aktivität, die auf Freiwilligkeit beruht und für alle Beteiligten angenehm ist, benötigt keine weitere Rechtfertigung. Wir arbeiten auf eine Gesellschaft hin, in der unsere Körper, unser Begehren, unsere Gefühle nicht mehr käufliche und zu verkaufende Dinge sind, in der es für alle Menschen – als Frauen, Männer, sexuelle Wesen, junge Menschen, alte Menschen – sehr viel mehr Wahlmöglichkeiten gibt und in der Menschen neue Wege entwickeln können, miteinander sexuelle Beziehungen einzugehen, zu leben, zu arbeiten und Kinder zu erziehen. Es ist für uns, die wir von der entfremdeten Gesellschaft geprägt sind, in der wir leben, nicht möglich, uns vorzustellen, wie die Sexualität sich in diesem Kontext entwickeln wird, daher ist es von Bedeutung, dass wir uns vor Vorhersagen hüten, die auf unseren eigenen individuellen Bestrebungen beruhen.


10
Die ersten Schlachten, die Schwule und Lesben geschlagen haben und nach wie vor schlagen, sind Aktivitäten gegen die Kriminalisierung der Homosexualität. Diese Kämpfe stellten oft den ersten Anstoß für die Bildung politisch aktiver lesbisch/schwuler Bewegungen dar. Die Stonewall-Rebellion von 1969 in New York, die einen Bezugspunkt für die gesamte westliche lesbisch/schwule Bewegung darstellt, bestand aus physischem Widerstand gegen Polizeirazzien in Bars, in denen sich Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgendered trafen. Heute gibt es noch immer viele Länder, in denen Homosexualität gesetzlich verboten ist. Im Nahen Osten, Afrika und Asien sind Länder, die Homosexualität nicht verbieten, eher die Ausnahme als die Regel. Mehrere Staaten in den Vereinigten Staaten von Amerika verbieten heterosexuellen wie gleichgeschlechtlichen analen und oralen Sex; andere US-Staaten verbieten nur gleichgeschlechtlichen analen und oralen Sex. Viele andere Länder, auch in Lateinamerika und Europa, verbieten Homosexualität nicht explizit, benutzen aber Ausdrücke wie „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ als Begründung für die Inhaftierung von Menschen, oder sie haben Gesetze gegen die „Förderung von Homosexualität“ oder gegen die „Vermittlung homosexueller Kontakte“. Das unbestimmteste Konzept in Gesetzen, die zur Kriminalisierung von LSBT benutzt wird, lautet „Verstoß gegen den Anstand“. Die Erfahrung belegt, dass Richter „Verstoß gegen den Anstand“ öfter bei gleichgeschlechtlichen Personen als bei Personen unterschiedlichen Geschlechts feststellen. Wir unterstützen die Forderung nach Abschaffung all dieser schwulenfeindlichen Gesetze und der diskriminierenden polizeilichen Politiken und Praktiken, die sie begleiten.

Aber auch wenn die erste Schlacht für die Legalisierung der Homosexualität gewonnen worden ist, müssen häufig andere diskriminierende strafrechtliche Bestimmungen bekämpft werden. Viele Länder haben beispielsweise spezielle Gesetze zum „Schutz“ von Minderjährigen vor Homosexualität geschaffen. Dogmatisch von der Idee ausgehend, junge Menschen könnten von Homosexuellen „beeinflusst“ und „verführt“ werden, wird ein höheres Mindestalter für gleichgeschlechtliche Kontakte als für gegengeschlechtliche festgesetzt. Innerhalb der Europäischen Union haben gegenwärtig Österreich, Britannien und Irland noch immer höhere Altersgrenzen für gleichgeschlechtliche Kontakte. Wir unterstützen die Forderung der lesbisch/schwulen Bewegung, dass das Mindestalter für gleichgeschlechtliche Sexualität überall dort auf die Altersgrenze für heterosexuelle Sexualität herabgesetzt wird, wo diese gesetzliche Diskriminierung noch besteht.


11
Parallel zu dem Kampf gegen kriminalisierende Gesetze kämpfen viele lesbisch/schwule Bewegungen in verschiedenen Ländern für Gesetze, die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung explizit verbieten. Geht man die verschiedenen Länder durch, nimmt Südafrika hier einen besonderen Platz ein: Seit dem Inkrafttreten seiner neuen Verfassung ist es (zusammen mit Ecuador und Fiji) eines der wenigen Länder, die den Schutz vor Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung in ihre Verfassung aufgenommen haben. Wir unterstützen den Kampf für ein gesetzliches und verfassungsmäßiges Verbot schwulenfeindlicher Diskriminierung.

Die politische Bedeutung dieses Kampfes darf nicht unterschätzt werden. Der Kampf für gesetzlichen Schutz gegen Diskriminierung eröffnet wichtige Möglichkeiten, den marginalisierten und unterdrückten Status von LSBT in Frage zu stellen. Er ist eine besonders effektive Art und Weise, für Gleichheit einzutreten, weil jeder Widerstand dagegen zwangsläufig einen Versuch zur Rechtfertigung von Diskriminierung darstellt. Auch konzentrieren sich diese Kampagnen auf den politischen Prozess.

SozialistInnen unterstützen diese Kampagnen, sind sich aber zugleich darüber im Klaren, dass gesetzlicher Schutz alleine Diskriminierung und Vorurteile nicht beseitigen wird. Diese Kampagnen bieten eine Gelegenheit, die sozialen Grundlagen von Unterdrückung und die Notwendigkeit von Gesellschaftsveränderung, nicht nur einer Gesetzesänderung zu erklären. Aber es besteht ein Zusammenhang zwischen Gesetzesänderungen und der Infragestellung von gesellschaftlichen Haltungen. Es ist wichtig, die Wirkung von gesetzlichem Schutz und das daraus resultierende verstärkte Selbstgefühl von LSBT zu verstehen, mitsamt größerer Offenheit gegenüber sexuellen Angelegenheiten, etwa am Arbeitsplatz. Langfristig wird sich diese Entwicklung spürbar auf die Änderung öffentlicher Vorurteile und auf eine veränderte Wahrnehmung anderer Formen von Diskriminierung gegen LSBT auswirken. Auch scheint es einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Existenz starker Frauenbewegungen und errungenen Frauenrechten sowie gleichen Rechten für LSBT zu geben.

Wenn Gesetzesänderungen durchgesetzt sind, ist eine Kampagne für die tatsächliche Umsetzung dieser Gesetze notwendig. Dies kann in der Überwachung der Effektivität des Gesetzes und in gezielten Kampagnen gegen Bereiche spürbaren Widerstands bestehen.


12
Ein wesentlicher Bereich, in dem Fortschritte bei lesbisch/schwulen Rechten erzielt wurden, und ein wichtiges Gebiet für RevolutionärInnen ist der Kampf dafür gewesen, dass die Anerkennung lesbisch/schwuler Gleichheit ein Thema für die ArbeiterInnenbewegung und speziell die Gewerkschaften wurde. Die Kampagnen der lesbisch/schwulen Bewegungen fanden in den Gewerkschaften einen Widerhall. Zu verschiedenen Zeiten und auf unterschiedliche Art haben sich lesbisch/schwule ArbeiterInnen organisiert, um ihre Gewerkschaften dazu zu bringen, ihre spezifischen Forderungen anzuerkennen, und sie haben sich damit nun einen Platz auf der Agenda der progressivsten Gewerkschaften erobert. Zwei zusammenhängende Typen von Forderungen waren die wichtigsten: Anerkennung der Gewerkschaften für lesbisch/schwule Rechte bei der Arbeit und für das Recht von lesbisch/schwulen ArbeiterInnen auf eigene Strukturen (Selbstorganisation) innerhalb der Gewerkschaft. Erfolg in der zweiten Frage war oft erforderlich, bevor in der ersten ein echter Fortschritt erzielt werden konnte. Oft wurden Allianzen mit anderen ArbeiterInnen geschlossen, deren Bedürfnisse von reformistischen Gewerkschaftsführungen traditionell ignoriert wurden: Frauen, Behinderte und Minderheitsgemeinschaften.

Dieser Kampf ist für RevolutionärInnen besonders wichtig, da er die Trennung zwischen „wirtschaftlichen und politischen Themen“ in Frage stellt und somit „der ArbeiterInnenklasse helfen kann, in breiteren sozialen Begriffen zu denken“ (Resolution von 1979). Die Rechte wie die reformistische Linke stellten sich oft mit dem Argument, dadurch werde die Bewegung gespalten, gegen die Forderung nach dem Recht auf autonome Organisierung. Wir sollten dagegenhalten, dass im Gegenteil der Ausschluss und die Marginalisierung von lesbischen und schwulen ArbeiterInnen zur Spaltung führt und dass die Anerkennung von Selbstorganisation einen wichtigen Schritt zur Integration aller Teile der Mitglieder darstellt.

Die spezifischen arbeitsrechtlichen Forderungen werden sich je nach Land, gesetzlichem Status der Homosexualität und Bedingungen in dem jeweiligen Wirtschaftssektor unterscheiden. Einige der Hauptforderungen dürften sein:

Es wird auch notwendig sein, diese Forderungen mit der Forderung zu verknüpfen, dass die Gewerkschaften den allgemeingesellschaftlichen Kampf für gleiche Rechte von Lesben und Schwulen aktiv unterstützen. Das bedeutet z. B., dass die Gewerkschaften zur Unterstützung für Kampagnen für die Rechte von Lesben und Schwulen mobilisieren und Aktivitäten der lesbisch/schwulen Community wie die „Pride Marches“ unterstützen.

Ein wesentlicher Teil dieses Kampfes besteht darin, über die Anerkennung einer selbstorganisierten Struktur hinauszugehen, und diese Forderungen als Teil der Angelegenheiten der ganzen Gewerkschaft zu behandeln. Dazu wird eine langfristige und kontinuierliche Arbeit zur Transformation der vorherrschenden Kultur der meisten Gewerkschaften nötig sein. Erfolge werden normalerweise nur erzielt werden, wenn stabile Allianzen mit anderen Gruppen von ArbeiterInnen hergestellt werden können.

Wir müssen auf der Hut sein und wissen, dass ständig die Möglichkeit besteht, dass solche Forderungen, die in sich selbst noch nicht revolutionär sind, unter reformistischen Vorzeichen erreicht werden können. Den geschicktesten GewerkschaftsführerInnen ist es oft gelungen, die Forderungen dem Schein nach aufzunehmen, in Wirklichkeit aber zu kooptieren oder zu entwaffnen oder eine bürokratische Umklammerung zu bewirken. Das Mittel gegen solche Strategien besteht darin, ohne Kompromisse darauf zu dringen, dass die Gewerkschaften bei den Kampagnen für lesbisch/schwule Themen eine aktive Rolle einnehmen, wodurch sie an Massenaktivitäten beteiligt bleiben. Die lesbisch/schwulen ArbeiterInnen müssen weiter ermutigen werden, für ihre eigenen Ansprüche einzutreten und es „freundlich gesonnenen“ Bürokratien nicht zu ermöglichen, das Heft in die Hand zu nehmen, und jeden Erfolg als Sprungbrett für den nächsten zu nutzen.


13
Im Gegensatz zu den immer häufiger zu vernehmenden Stimmen, die mehr Schutz von jungen Menschen vor den Gefahren des Sex und der sexuellen Bilder und Informationen verlangen, meinen wir, dass mehr und nicht weniger Information und Autonomie die besten Mittel sind, um junge Menschen zu „schützen“. Dies ist nötig für die sexuelle Befreiung von Jugendlichen, für ihr Bewusstsein und ihre freien Entscheidungen. Auf diese Art können auch junge LSBT die sexuelle Identität und Lebensweise finden, die für sie am besten sind, und sich dem Konformitätsdruck existierender lesbisch/schwuler Lebensstile entgegensetzen. Sexuelle Erziehung an Schulen, die gleichgeschlechtliche Optionen voll und ganz integriert und Freude und Diversität betont, Verstärkung statt Zerstörung von Sozialprogrammen, freier Zugang zu Empfängnisverhütung, ausreichende Bedingungen für die ökonomische Emanzipation von Jugendlichen – all dies sind unmittelbare Forderungen, die es sowohl in imperialistischen als auch in abhängigen Ländern an den Staat zu richten gilt. Wir fordern, dass für gleich- und verschiedengeschlechtlichen Sex das gleiche Mindestalter zu gelten hat, und widersetzen uns zugleich jeder Unterdrückung von einvernehmlichen sexuellen Erkundungen und Erfahrungen unter Jugendlichen in ungefähr demselben Alter.


14
Mitte der siebziger Jahre fand in vielen entwickelten Ländern, insbesondere in den USA, eine rechte Gegenoffensive gegen die Frauenbewegung wie auch gegen die lesbisch/schwule Bewegung statt. Extrem konservative, finanzkräftige und sehr militante religiöse Organisationen entwickelten politische Aktionspläne zu sexuellen Angelegenheiten, die Frauen, die lesbisch/schwule Community und Jugendliche angehen. Viele von diesen rechten Organisationen und ihre SympathisantInnen haben LSBT auch zur Zielscheibe von physischer Einschüchterung und in manchen Fällen von extremer Gewalt gemacht, die häufig von einer aggressiven, homophoben Rhetorik des Hasses angestachelt wurde. Die Stärke dieser rechten Gegenoffensive gegen die Erfolge der sozialen Bewegungen der 1960er Jahre, die sich seither auch auf große Teile der unterentwickelten Welt ausgewirkt hat, darf nicht unterschätzt werden.

Zusätzlich zu ihrer entschiedenen Verurteilung von Rassismus und Xenophobie müssen sich antifaschistische Bewegungen auch gegen die in der Gesellschaft vorhandene Gewalt gegen Schwule vehement aussprechen und aktiv dagegen organisieren. In ähnlicher Weise müssen lesbisch/schwule Bewegungen in anderen gesellschaftlichen Sektoren Verbündete suchen, die von der extremen Rechten angegriffen werden, etwa bei ImmigrantInnen, Jugendlichen, Farbigen, Juden/Jüdinnen und der politischen Linken. So kann der gemeinsame Feind, die religiöse Rechte und der Faschismus, effizienter bekämpft werden. In der Auseinandersetzung mit den politischen Machthabern und den schwulenfeindlichen Kampagnen der katholischen und der orthodoxen Kirche wie auch protestantischer evangelikaler Gruppierungen sollten sich die lesbisch/schwulen Bewegungen mit anderen verbünden, um für eine vollständige Trennung von Religion und Staat zu kämpfen.

Besonders in Ländern, in denen LSBT massiv unterdrückt werden, kann ein sinnvoller Beginn lesbisch/schwuler Organisierung darin bestehen, sich mit Menschenrechtsorganisationen in Verbindung zu setzen und in ihnen LSBT­Angelegenheiten zur Sprache zu bringen. Angesichts des Ausmaßes von Unterdrückung, der LSBT in vielen Ländern ausgesetzt sind, unterstützen wir das Asylrecht für LSBT aus Ländern, in denen LSBT verfolgt werden, bedroht werden oder einfach wegen ihrer sexuellen Orientierung nicht leben können.


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Seitdem 1981 die ersten Fälle von AIDS in den USA bei homosexuellen Männern diagnostiziert wurden, hat die Assoziation von HIV und Homosexualität zu einer globalen Stigmatisierung von Sex zwischen Männern und zu einer erneuten Pathologisierung von Homosexualität geführt. Die notwendigen Reaktionen auf HIV haben aber zugleich in vielen Ländern neuen sozialen und politischen Raum eröffnet, was vor allem in einem Kampf gegen die Macht des medizinischen Establishments, einer Infragestellung der Art und Weise, wie die Behörden ihrer Verantwortung für die öffentliche Gesundheit gerecht werden, und der Forderung, dass Menschen mit AIDS selber die Kontrolle über öffentliche Gesundheitsmaßnahmen ausüben sollen, zum Ausdruck gekommen ist. Dies hat auch größere Ressourcen für die Entwicklung homosexueller Organisationen und mehr öffentliche Diskussionen über Sexualität und sexuelle Praktiken möglich gemacht. In vielen Ländern hat eine (sowohl im Hinblick auf das Alter als auch auf den Prozess der Radikalisierung) neue Generation von lesbisch/schwulen AktivistInnen führende Rollen im Kampf gegen AIDS, in Informations- und Serviceorganisationen übernommen; zugleich werden schwule Communities durch die Sorge für und die Trauer um ihre AIDS-Opfer schwer belastet. Schwulenaktivitäten führten häufig zur Übernahme von Führungspositionen in den Peer-Groups von HIV-Positiven; lesbische und schwule Organisationen befanden sich in Aktionsbündnissen mit SexarbeiterInnen und Drogenabhängigen.

AIDS ist zurzeit die vierthäufigste Todesursache weltweit; in Afrika ist es die häufigste Todesursache. In den afrikanischen und asiatischen Ländern, in denen die AIDS-Epidemie am weitesten verbreitet ist, ist ungeschützter heterosexueller Geschlechtsverkehr (und nicht ungeschützter Geschlechtsverkehr zwischen Männern) für die ganz überwiegende Zahl der Infektionen verantwortlich. Allerdings gibt es in den schwulen Communities in Süd- und Westafrika, in Lateinamerika und Südasien sehr viele Ansteckungen, Erkrankungen und Todesfälle.

Der globale Kampf gegen HIV erfordert die Kombination verschiedener Entwicklungen und Kämpfe:

Wir sind insbesondere mit denjenigen solidarisch, die gegen pharmazeutische Unternehmen kämpfen, welche den Zugang zu Arzneimitteln in der Dritten Welt zu erschwinglicheren Preisen verweigern.

In Ländern, in denen es noch keine lesbisch/schwulen Organisationen gibt, kann AIDS-Arbeit unter Männern, die gleichgeschlechtlichen Sex haben, ein sinnvoller Beginn sein.


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Überall auf der Welt nehmen die Forderungen nach der gesetzlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen zu. Der Ausgangspunkt der Vierten Internationale zu dieser Frage sind gleiche Rechte – für Frauen und Männer, für Verheiratete und Unverheiratete, für LSBT und Heterosexuelle. Zurzeit erwerben die Menschen eine Reihe von Rechten durch Heirat – und einige Rechte gelten nur oder vorrangig für Männer. Wir treten zum Beispiel für das Recht einzelner Frauen und Männer ein, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und ihrem Stand Kinder adoptieren zu können oder ihr Vormund zu sein. Alle Entscheidungen über Vormundschaft, Besuchsrechte und Adoption sollte im wirklichen Interesse der betroffenen Kinder getroffen werden, nicht auf der Grundlage, dass die Kernfamilien, gleich wie gewalttätig oder unangenehm, stets in ihrem Interesse sei. Wir sind auch gegen die Vorstellung, Kindern sollten als Eigentum von Erwachsenen behandelt werden; Kinder müssen bei derartigen Entscheidungen wirkliches Gehör finden. Weiter sind wir gegen Steuergesetze, die Verheiratete oder Personen in langfristigen Sexualpartnerschaften bevorzugen.

Wir bekämpfen Gesetze und Bestimmungen, die Verheiratete privilegieren, erkennen aber zugleich an, dass die Forderung nach Partnerschaftsrechten und in manchen Kontexten auch nach dem Recht auf Eheschließung eine große Zahl von LSBT mobilisiert. Diese Tatsache überrascht uns nicht, da einerseits nach wie vor diskriminierende Praktiken gegen Unverheiratete existieren und da wir uns andererseits dessen bewusst sind, dass Ideologie ihre eigene Dynamik hat. In der entfremdeten Welt der kapitalistischen Gesellschaft bringt die Heirat nicht nur materielle Vorteile mit sich, sondern verspricht auch emotionale Sicherheit (unabhängig davon, ob dies in der Praxis der Fall ist oder nicht). Wir unterstützen das Recht auf völlig gleichgestellte gleichgeschlechtliche Eheschließung.

Wir fordern auch bessere gesetzliche Rechte für (gleich- oder gegengeschlechtliche) Paare, die nicht heiraten wollen. Paare sollten die Möglichkeit haben, Anerkennung für wechselseitige Rechte und Verantwortungen auf vielfältige Weise, nicht einzig über das Modell der Ehe, zu bekommen und gesichert zu haben. Jede Option muss für gleichgeschlechtliche und gegengeschlechtliche Paare gleichermaßen offenstehen. Wo die bestehende Gesetzgebung beispielsweise den Ehemann der Mutter eines Neugeborenen automatisch als Elternteil anerkennt oder dem männlichen Partner einer Mutter eines Neugeborenen erlaubt, ihr Kind als seines „anzuerkennen“, muss die gleichgeschlechtliche Partnerin einer Mutter eines Neugeborenen dieselben Rechte haben. Wir kämpfen ferner gegen differenzierte Wartezeiten für die gesetzliche Registrierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und die Verweigerung (oder höhere Hürden zur Erlangung) von Aufenthaltserlaubnissen von ausländischen PartnerInnen gleichgeschlechtlicher Paare.

Es ist auch wichtig, individuelle Rechte unabhängig davon zu erweitern, ob Menschen alleine oder als Paare leben. Insbesondere sollten die individuellen Rechte von Frauen nicht von ihren Beziehungen zu Männern abhängen. Reale individuelle Rechte benötigen gesellschaftliche Unterstützung. Neoliberale Austeritätspolitik hat soziale Unterstützung massiv durchlöchert und Verantwortungen privatisiert, die von der Gesellschaft getragen werden sollten, und sie damit wieder einmal in die Familie verlagert. Regierungen lassen lieber Ehefrauen und -männer, Eltern und Kinder für die Kranken, Alten, Jungen, Behinderten und Arbeitslosen sorgen, anstatt die ihnen zukommende Belastung zu tragen. Lesbische und schwule Bewegungen sollten vermeiden, noch mehr Menschen in die Falle solch demütigender Abhängigkeit gehen zu lassen. Stattdessen sollten sie versuchen, sich mit Frauengruppen und Gewerkschaften zu verbünden, um diese Situation zu ändern.

Die gegenwärtigen Debatten über gleichgeschlechtliche Partnerschaft und Ehe stellen für revolutionäre LSBT eine Chance dar, mit Strömungen in den lesbisch/schwulen Bewegungen zusammenzuarbeiten, die danach streben, die ursprüngliche Forderung der Bewegung nach echter Befreiung wieder zum Leben zu erwecken. Zusammen können wir daran arbeiten, die behauptete „Natürlichkeit“ von Heterosexualität in Frage zu stellen, Geschlechterrollen in Frage zu stellen und dagegen aufzutreten, dass Autorität über Kinder und Erbrecht in so hohem Maße durch biologische Elternschaft legitimiert sein soll. Wir werden versuchen, ein Tor aufzustoßen, durch das neue Möglichkeiten sichtbar werden: neue Arten von sozialen und emotionalen Beziehungen jenseits von Entfremdung und Abhängigkeit, neue Muster von einzelnen, zweien und mehr, die in Vielfalt und Freiheit gedeihen können.


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Transgendered – also diejenigen Personen, deren Gender-Identität nicht ihrem biologischen Geschlecht entspricht, wie Transvestiten, Transsexuelle und viele andere, deren Identitäten ihre Wurzeln in indigenen Kulturen haben – orientieren sich sexuell häufig, wenn auch nicht immer, hin zu Personen des gleichen biologischen Geschlechts. Sie gehören oft zu den am heftigsten Unterdrückten mit gleichgeschlechtlicher Sexualität. Sie haben auch eine lange Geschichte des Kampfes gegen diese Unterdrückung. Die pakistanischen „hijras“ und die indonesischen „waria“ haben sich in den 1960er Jahren zur Verteidigung ihrer Rechte organisiert, bevor europäische und nordamerikanische lesbisch/schwule Befreiungsbewegungen begründet wurden. Die puertoricanischen „drag queens“ („locas“) waren unter den ersten, die sich 1969 bei der Stonewall-Rebellion in New York gegen die Polizei zur Wehr setzten. Je respektabler die Bewegungen für die Rechte von Schwulen und Lesbierinnen geworden sind und je mehr sie sich auf reformistische Perspektiven beschränkten, desto stärker wurden Transgendered jedoch ignoriert, marginalisiert und als peinlich behandelt. Wir unterstützen die Bemühungen von Transgendered, sich gegen ihre Marginalisierung zu wehren, sich selbst zu organisieren und in lesbisch/schwule Bewegungen vollauf integriert zu werden.

Transgendered haben Bedürfnisse und Wünsche, die für sie von besonderer Bedeutung sind und die von lesbisch/schwulen Bewegungen aufgegriffen werden sollten. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt besonders häufig als SexarbeiterInnen, werden diskriminiert, wenn sie andere Arbeitsmöglichkeiten suchen, und werden von der Polizei und Schlägern belästigt und attackiert. Wir verteidigen ihre Rechte auf Respekt, Sicherheit und gleiche Rechte auf Wohnung und Arbeit. Sie leiden auch unter der Weigerung der Behörden, in sehr vielen Zusammenhängen ihre Gender-Identität anzuerkennen. Während wir die Notwendigkeit anerkennen, Menschen gelegentlich gemäß ihrem biologischen Geschlecht zu klassifizieren (etwa zum Zweck von positiver Diskriminierung oder bei der Schaffung von Räumen, der nur Frauen offenstehen), stellen wir die Tendenz in Frage, das biologische Geschlecht von Menschen routinemäßig auf jedem Formular und für jeden irrelevanten Zweck zu registrieren. Wir lehnen die erzwungene Unterwerfung von Transgendered wie von Männern und Frauen im Allgemeinen unter biologisch stereotypisierte Kategorien von Männlichkeit und Weiblichkeit ab (wie sie beispielsweise bei der Verstümmelung von hermaphroditischen Babys, bei Hormonbehandlungen für Teenager mit sogenanntem „nicht-geschlechtsgemäßem Verhalten“ und beim Unterricht in geschlechtstypischem Verhalten für Transsexuelle manifest wird).

Menschen, die Operationen zur Geschlechtsumwandlung haben möchten und für die wir das Wort „Transsexuelle“ verwenden, sollten das Recht auf Krankenversicherung und auf offizielle Anerkennung ihres neuen Geschlechts ohne Behinderung haben, wie z. B., dass von ihnen verlangt wird, bestehende Ehen zu lösen.


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Unsere Vorstellung von lesbisch/schwulen Bewegungen ist die von breit angelegten Bewegungen, die all diejenigen zusammenbringen, die ihre gleichgeschlechtliche Sexualität und Liebe frei leben wollen. In verschiedenen Ländern und Kulturen können sie Menschen mit einer großen Vielfalt von Beziehungen und Lebensweisen umfassen, die unter Umständen eine ganze Reihe von Identitäten aufweisen. Wir sind gegen jede Auffassung der lesbischen/schwulen Bewegung, die die Beteiligung an ihnen einschränkt oder an Bedingungen knüpft, entsprechend einem Standard von ausschließlicher Homosexualität.

In vielen Ländern und Kulturen haben insbesondere Männer sexuelle Kontakte mit anderen Männern, während sie sich nach außen konform zu den kulturellen Erwartungen von Männlichkeit verhalten und die familiären Rollen erfüllen, wie sie von Männern erwartet werden. Sie stehen öffentlich und auch privat nicht zu einer Identität als Schwule oder Bisexuelle. Im Zusammenhang mit der Organisierung wegen AIDS werden solche Männer in einigen Ländern einfach als „Männer, die Sex mit Männern haben“, bezeichnet. Ein Thema in dieser Situation, das zu vielen Spannungen geführt hat, ist, dass Menschen, die sich nicht als LSBT verstehen, aber gleichgeschlechtlichen Sex haben, ihre gleichgeschlechtlichen SexpartnerInnen infolge ihrer Internalisierung von Heterosexismus missachten. Ein wichtiger Schritt in Richtung sexuelle Befreiung besteht in dieser Situation darin, dass Männer – oder Frauen – ihren Sexualpartnern – oder -partnerinnen –, die sich als Lesben, Schwule oder Transgendered verstehen, mit Respekt und Solidarität begegnen. Ein weiterer positiver Schritt besteht darin, dass solche Menschen lesbische/schwule Bewegungen unterstützen oder sich ihnen sogar anschließen, wie auch immer sie dabei ihre sexuelle Identität definieren mögen.

In einigen Ländern und unter manchen Umständen können Bisexuelle oder andere sexuelle Minderheiten sich dafür entscheiden, sich selber autonom zu organisieren, entweder inner- oder außerhalb der lesbischen/schwulen Bewegungen, entweder um Fragen, die für sie von besonderem Interesse sind, oder breitere Fragen wie AIDS, Gewalt oder Vielfalt. Wir unterstützen ihr Recht hierzu und respektieren ihre Entscheidung, während wir weiterhin auf das breitest mögliche Bündnis von allen sexuell Unterdrückten hinarbeiten.

Bisexuelle sind in der heterosexuellen Gesellschaft wie in den lesbisch/schwulen Communities oft isoliert. Ihre sexuelle Orientierung gibt ihnen vielfach die Möglichkeit, in der Gesellschaft unbeachtet zu bleiben oder „normal“ zu wirken, so dass ihre gleichgeschlechtliche Sexualität nicht auffällt oder als bloßes „Experiment“ betrachtet wird. Es ist ein Schritt nach vorne, wenn Bisexuelle mit dieser Unsichtbarkeit zu brechen suchen und anfangen, zu ihrer Bisexualität zu stehen („coming out“), und wenn ihre sexuelle Orientierung anerkannt und als legitimer Ausdruck der Vielfalt akzeptiert wird, der in den lesbisch/schwulen Communities wie in der menschlichen Sexualität existiert. Die Sichtweise, dass Coming-out positiv ist, ist dieselbe, wie wir sie bei Lesben und Schwulen haben. Spannungen zwischen Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Identitäten, wie sie in der Bewegung existieren, können durch den Aufbau einer umfassenden Bewegung und den Kampf gegen den Heterosexismus am besten überwunden werden.


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Wir unterstützen Kampagnen gegen psychiatrische Definition von Homosexualität und „Transgenderism“ als Krankheit und gegen barbarische Versuche, LSBT medizinisch zu behandeln und zu „heilen“ (durch Psychotherapie, Aversionstherapie und Psychochirurgie).


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Das ideologische Erbe des Stalinismus, der Homosexualität 1934 wieder kriminalisiert hat, nachdem sie nach der bolschewistischen Revolution entkriminalisiert worden war, wirkt gegenwärtig in der Diskriminierung von LSBT in China, Vietnam, Kuba und anderen Übergangsgesellschaften noch nach. Zwar gehören die schlimmsten Verfolgungen der Vergangenheit an und hat die Toleranz in den letzten Jahren zugenommen, aber völlige Gleichstellung ist noch nicht erreicht. Das chinesische Regime hat bis jetzt keine einzige offen lesbische oder schwule Organisation erlaubt.

Die Vierte Internationale unterstützt die Organisierung für lesbisch/schwule Rechte in China, Vietnam, Kuba und anderen Übergangsgesellschaften wie überall sonst. Wir hoffen, dass sich lesbisch/schwule Bewegungen dort mit der Opposition von ArbeiterInnen, Frauen und anderen gegen die bürokratischen Regime verbünden und zu Bewegungen für sozialistische Demokratie entwickeln. Bündnisse mit Feministinnen werden besonders wichtig sein, um gegen sexistische und heterosexistische Ideologien sowie Politiken vorzugehen, die sich auf die heterosexuelle Familie stützen. Dies wird indes utopisch bleiben, es sei denn demokratische und feministische Bewegungen unterstützen lesbisch/schwule Kämpfe und gehen intern schwulenfeindliche Vorurteile an, und wenn nicht Schwulenbewegungen gegen männlichen Chauvinismus angehen.


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Als SozialistInnen müssen wir unseren Kampf gegen Sexismus auch darauf ausrichten, die Rolle zu ändern, die Sex und Sexualität in unserer sexistischen Gesellschaft spielen, und eine freiere, bewusstere Sexualität anzustreben. Dafür ist es nötig, dass wir eine kritischere und transformatorischere Haltung zu unseren eigenen Definitionen von Sexualität einnehmen. Die grundlegende Prämisse hierfür sollte sein, dass unsere Definitionen von Sex und Sexualität, unsere Gender-Identitäten, unsere sexuellen Identitäten (als Lesben, Schwule, Bisexuelle und Heterosexuelle) soziale, historisch-kulturelle und manchmal sogar politische Konstruktionen und daher veränderbar sind. Daher ist es möglich, dass Menschen ihre eigene Sexualität missverstehen. Falsches Bewusstsein, Entfremdung, Verinnerlichung von Unterdrückungsverhältnissen, die Anerkennung sexistischer kultureller Formen als Normalität und verdrängte Schuldgefühle sind reale Hindernisse für das Verständnis und die Neudefinition unserer Sexualität. Darum sind eine breitere Debatte und Kritik statt Zensur des Sexismus in unserer Kultur so wesentlich in dem Kampf für das Verständnis und die Veränderung dieser Kultur, zum Nutzen der menschlichen Sexualität. Wir unterstützen Bemühungen darum, LSBT mehr Möglichkeiten zur Repräsentation ihrer Kultur zu geben, auch über die Massenmedien.

Eine neue, vom Sexismus befreite Sexualität kann nur durch einen langen Prozess offener Debatte und Forschung entstehen, der insbesondere innerhalb des Feminismus stattfinden muss und für dessen Ausgang es bisher nur wenige Leitlinien und Indikatoren dafür gibt, worin die Ergebnisse bestehen werden. Es gibt keine erleuchtete Avantgarde oder Minderheit, die von sich behaupten kann zu wissen, was die „korrekte“, „feministische“ Sexualität ist, und wir sollten alle Versuche zurückweisen, eine „korrekte“ sexuelle Linie aufzuoktroyieren – ob sie von der religiösen Rechten oder aus verschiedenen Richtungen des Feminismus, wie etwa dem Feminismus der Differenz, kommen. In vielen Teilen der Welt haben diese Kräfte des religiösen Fundamentalismus und des konservativen Feminismus versucht, sexuelle Verhaltensmaßregeln gesetzlich festzuschreiben, zu denen die Kriminalisierung der Homosexualität und die Zensur von explizit sexuellen Darstellungen gehören. Revolutionäre MarxistInnen sollten stattdessen einen Weg zur sexuellen Selbst-Emanzipation vorschlagen, der kritisch, aber demokratisch, partizipatorisch und der Vielfalt unseres sexuellen Begehrens gegenüber tolerant ist.

Die erste Forderung für einen solchen Prozess der sexuellen Selbst-Emanzipation ist das Eintreten für konsensuale Sexualität und für Autonomie. Daher muss ein untrennbarer Teil unseres Kampfes für sexuelle Autonomie in der Verknüpfung des Kampfs gegen alle gesetzlichen Beschränkungen von konsensualer Sexualität mit dem Kampf gegen alle Formen sexueller Diskriminierung bestehen. Unser Kampf muss sich auch darauf richten, die materiellen Bedingungen für alle Angehörigen der Gesellschaft (Frauen wie Kinder und Männer) zu schaffen, die es diesen ermöglichen, sich gegen die Anforderungen derer zu wehren, die ihre Rechte und ihre sexuelle Autonomie durch ungewollte sexuelle und/oder emotionale Beziehungen oder Begegnungen verletzen. Daher sind die grundlegenden Forderungen nach Vollbeschäftigung, Programmen positiver Diskriminierung für Frauen und Minderheiten, garantiertem Einkommen, verlässlicher und hochwertiger Kinderbetreuung, Wohnungen, Gesundheitsversorgung und freier Entscheidung in Bezug auf Reproduktion (einschließlich des Rechts auf Abtreibung) wesentliche Voraussetzungen für sexuelle Autonomie. Es ist nötig, den Kampf für eine freiere Sexualität mit dem Kampf für ein Netz sozialer Sicherheit und für Vollbeschäftigung zu kombinieren, um der rechten Gegenoffensive gegen Frauen und die lesbisch-schwule Community entgegenzutreten.


Teil III
Unsere Taktik beim Aufbau der Bewegung



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Alle LSBT sind aufgrund ihrer sexuellen Orientierung unterdrückt und daher potentiell für eine Bewegung für ihre Rechte und ihre Befreiung zu gewinnen. Die Logik des lesbisch/schwulen Kampfes selbst kann – besonders in Zeiten des Aufstiegs von feministischen und anderen radikalen Bewegungen – dazu führen, dass AktivistInnen sich für radikale und revolutionäre Politik zu interessieren beginnen. Dies kann und sollte sie auch zu einer Allianz mit der ArbeiterInnenbewegung führen. Aber damit das möglich ist, müssen sich LSBT innerhalb und außerhalb der ArbeiterInnenbewegung organisieren, um gegen heterosexuelle Vorurteile zu kämpfen, die in der ArbeiterInnenklasse ebenso existieren wie anderswo. Unsere Sektionen insgesamt müssen versuchen, die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung dafür zu gewinnen, die Forderungen von LSBT aufzugreifen und die Selbstorganisation dieser wie anderer Gruppen innerhalb der Organisationen der ArbeiterInnenbewegung zu unterstützen.

Zugleich können und wollen LSBT ihren Kampf nicht aufschieben, bis die ArbeiterInnenbewegung oder eine andere Bewegung ihre Anliegen aufgreift. Daher brauchen LSBT ihre eigenen autonomen Bewegungen, die wir respektieren, unterstützen und mit aufbauen. Um die Resolution von 1979 über die Frauenbefreiung zu paraphrasieren: Mit autonom meinen wir, dass die Bewegung von LSBT organisiert und angeführt wird, dass sie den Kampf für ihre Rechte und Bedürfnisse als oberste Priorität begreift und sich weigert, diesen Kampf irgendwelchen anderen Interessen unterzuordnen, und dass sie sich nicht den Entscheidungen oder politischen Bedürfnissen irgendeiner politischen Richtung oder einer anderen sozialen Gruppe unterordnet.


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In der Resolution zur Frauenbefreiung aus dem Jahr 1979 hieß es: „Lesben haben sich als Teil der Bewegung für Schwulenrechte organisiert, weil sie es als notwendig ansahen, in der Lesben- und Schwulenbewegung für die Anerkennung ihrer besonderen Forderungen als lesbische Frauen zu kämpfen. Aber Lesben sind auch als Frauen unterdrückt. Viele von ihnen radikalisierten sich zuerst als Frauen und empfanden, dass die Diskriminierung, die sie wegen ihrer sexuellen Orientierung zu erleiden hatten, nur ein Element der sozialen und ökonomischen Schranken darstellte, an die Frauen stoßen, die ihr Leben selbst bestimmen wollen. Deswegen standen viele Lesben von Anfang an an der Spitze der feministischen Bewegung. Sie waren Teil aller politischen Strömungen in der Frauenbefreiungsbewegung, von den lesbischen Separatistinnen bis zu den revolutionären Marxistinnen, und sie haben dazu beigetragen, dass sich die gesamte Bewegung der vielfältigen Unterdrückungsformen für lesbische Frauen stärker bewusst wurde.“ Dies war nicht immer einfach, da die Frauenbewegung oft auf eine problematische Art auf Hetze der Rechte gegen Lesben geantwortet und nicht systematisch für die besonderen Forderungen den Lesben aufgetreten ist.

Lesben haben sich in vielen Ländern unabhängig von schwulen Männern oder der breiteren feministischen Bewegung organisiert. Unabhängige lesbische Organisationen waren für Mobilisierungen für lesbische Forderungen von hoher Bedeutung und waren ein wichtiger Faktor, um Änderung herbeizuführen. Infolge der Beharrlichkeit der Lesben ist die lesbisch/schwule Bewegung inzwischen weniger männlich dominiert und haben die Feministinnen ein besseres Verständnis davon, dass Unterdrückung von Lesben die Errungenschaften der Frauenbewegung untergräbt.


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In den lesbisch/schwulen Bewegungen treten wir wie in anderen Bewegungen für Methoden ein, die so viele LSBT und UnterstützerInnen in der ArbeiterInnen- und der Frauenbewegung wie möglich aktiv mobilisieren, und nicht für Lobbying und Pressure-Groups-Taktiken. Hier wie auf allen anderen Gebieten, in denen wir uns engagieren, kämpfen wir konsequent gegen Ideologien, FührerInnen und Organisationen, die uns in Sackgassen führen würden. Immer wieder müssen wir Argumenten entgegentreten, die wir grundsätzlich ablehnen; dazu gehören:

Wir drängen auf die größtmögliche Einheit und Demokratie in den Bewegungen und erkennen zugleich an, dass Frauen, Schwarze, Behinderte, Bisexuelle, Transgendered, unterdrückte Nationalitäten und andere das Recht und das Bedürfnis haben, sich auch unabhängig zu organisieren. Generell versuchen wir in den Bewegungen die Beteiligung und Interessen von LSBT aus der ArbeiterInnenklasse zu fördern. Wir bauen lesbisch/schwule Bewegungen mit auf und respektieren ihre Autonomie, gleichzeitig arbeiten wir mit anderen in der Bewegung darauf hin, dass die Forderungen der ArbeiterInnenbewegung und internationalistische Perspektiven zur Sprache kommen. Wir bringen revolutionär-marxistische und feministische Ideen ein, weil wir der Auffassung sind, dass sie die beste Grundlage dafür bieten, dass die Bewegungen volle lesbisch/schwule Befreiung gewinnen. In diesem Kontext streben wir in ihnen eine führende Rolle an.


Teil IV
Öffentliches Profil und internes Leben



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Die Sektionen der IV. Internationalen müssen den Kampf für LSBT-Befreiung unabhängig davon unterstützen, ob es in dem Land, in dem sie aktiv sind, eine autonome soziale Bewegung für diese Forderungen gibt. In Ländern, in denen solch eine Bewegung existiert, sollte die Sektion ihre Mitglieder dazu ermutigen und dabei unterstützen, sich in ihnen zu engagieren, und zugleich in fortschrittlichen Bewegungen allgemein für die Unterstützung der Forderungen der lesbisch/schwulen Bewegung kämpfen. In manchen Ländern haben die Sektionen der IV. Internationale entscheidend zur Entwicklung lesbisch/schwuler Bewegungen beigetragen. Die Internationale sollte die Lehren aus diesen Erfolgen dazu nutzen, Sektionen zu helfen, die keine Erfahrungen in dieser Arbeit haben. In Ländern, in denen es gegenwärtig keine autonome Bewegung gibt, wird die Arbeit der Sektion wesentlich in allgemeiner Propaganda und im Aufgreifen spezifischer LSBT-Forderungen innerhalb der fortschrittlichen Bewegungen bestehen.


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In unserer revolutionären marxistischen Strömung vertreten wir ein Konzept sozialer und sexueller Befreiung für LSBT, das über die begrenzte Forderung nach formeller Gleichheit innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft hinausgeht. Wir streben eine tiefreichende Revolution der Beziehungen zwischen den Geschlechtern und eine Gesellschaft an, in der in dem Maße, wie heterosexuelle Privilegien zu verschwinden beginnen, sexuelle Identitäten mit einiger Wahrscheinlichkeit in einer anderen Art gebildet werden als heutzutage.

In Bezug auf die „Privatsphäre“, in der Frauen wie LSBT stärker unterdrückt werden und in der ihre Unterdrückung komplexer ist, müssen wir unsere Gewohnheiten hinterfragen. Dieser Kampf ist grundlegend ein ideologischer gegen eine patriarchalische und heterosexistische Gesellschaft sowie gegen ihre Wertsysteme und Praktiken; er erfordert organisierte Diskussionen in den Sektionen, nicht nur auf der Führungsebene, sondern auch in den Basisstrukturen und bei der Kaderausbildung. Heterosexistische Vorurteile müssen in den Sektionen von allen Mitgliedern bekämpft werden.

Mit den Worten der Resolution zur Frauenbefreiung von 1979: „Wir haben keine Illusionen, dass die Sektionen Inseln der künftigen sozialistischen Gesellschaft sein könnten, die im kapitalistischen Morast treiben, oder dass es einzelnen GenossInnen, die von der tagtäglichen Mühe des Überlebens in der Klassengesellschaft beansprucht sind, in vollem Umfang gelingen könnte, ihrer Erziehung und Konditionierung zu entkommen. (...) Aber es ist eine Bedingung für die Mitgliedschaft in der Vierten Internationale, dass das Verhalten der GenossInnen und Sektionen mit den Prinzipien übereinstimmt, für die wir einstehen. (...) Wir streben die Bildung einer Organisation an, in der Sprache, Witze, persönliche Gewalt und andere Akte, die Ausdruck chauvinistischer Bigotterie sind, nicht toleriert werden.“

Vorurteile gehen in einer revolutionären Partei alle Mitglieder an. Häufig haben (insbesondere jüngere) LSBT-Mitglieder Schwierigkeiten, ihre Ansichten so deutlich zu machen und ihre Themen so zu vertreten wie andere GenossInnen. Das gleiche passiert zwischen weiblichen und männlichen GenossInnen. Es muss beachtet werden, dass es um Selbstachtung und Selbstbewusstsein geht, da ja die Mainstream-Erziehung den Menschen beigebracht hat, dass sie sich für das, was sie sind, zu schämen haben. Es kann häufig vorkommen, dass eine GenossIn ein/e absolute/r VertreterIn der Position der Organisation zur „Homosexualität“ ist und doch in seinem/ihrem persönlichen Leben oder in den persönlichen Beziehungen innerhalb der Partei extrem unterdrückerisch ist.

Wenn so etwas auftritt, ist es nicht bloß ein persönliches Thema, sondern eine Angelegenheit der Partei, und hierüber muss offen und umfassend diskutiert werden. Manche GenossInnen – und sogar Sektionen? – vertreten sehr konservative Positionen in Bezug auf Homosexualität. Meinungen, die sich über viele Jahre hinweg eingefleischt haben, zu ändern, kann sehr schwer sein. Viele radikale Änderungen, die LSBT-Bewegungen vorschlagen, werden weder in der Gesamtgesellschaft noch auch von RevolutionärInnen akzeptiert, weil sie in den Bereich gehören, den wir üblicherweise „privat“ nennen. Aber die Veränderungen müssen hier beginnen: Dies ist eine notwendige Anstrengung, wenn wir innerhalb der LSBT-Bewegung mit ihrem gesamten subversiven Potential anerkannt werden wollen. In dem Text über „Sanktionspolitiken in einer feministischen Partei“, der 1989 von dem Kongress der mexikanischen PRT angenommen wurde, heißt es: „Es geht nicht darum, Rezepte oder Modelle für die Lebensweise zu geben. Die Suche nach neuen Männern und Frauen ist eben das: eine Suche. Wir wissen, dass unsere vollständige Befreiung innerhalb des kapitalistischen Systems nicht möglich ist, aber genau das ist einer der Beiträge unserer internationalistischen Strömung: die Anerkennung der Notwendigkeit, für eine Veränderung zu kämpfen und damit heute zu beginnen.“ Diese Veränderungen können nicht auf den Sozialismus warten.


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Es müssen Bedingungen für die Arbeit von LSBT in unseren Organisationen geschaffen werden, die es LSBT­Mitgliedern erlauben, eine organisierte Intervention in LSBT-Bewegungen anzugehen – wo es sie gibt – und ihre eigenen Diskussionsstrukturen aufzubauen, wann immer sie meinen, dass sie sie brauchen. Wir sollten die Bedingungen, die wir in unseren Organisationen für LSBT-AktivistInnen zu bieten haben, kritisch analysieren. Sektionen müssen so sein, dass LSBT sich willkommen fühlen, und sie müssen zugleich in der Lage sein, den politischen Kampf auf diesem Gebiet zu unterstützen.

Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgendered werden alle durch den Heterosexismus der patriarchalischen kapitalistischen Gesellschaft unterdrückt. Aber diese Unterdrückung wirkt sich auf diese Gruppen jeweils unterschiedlich aus und wird von ihnen verschieden erfahren. Während das bedeutet, dass es in den autonomen Bewegungen selber oft notwendig ist, dass sich selbständige Strukturen für alle oder einige von diesen Gruppen bilden, ist dies jedoch in den meisten Sektionen auf einer dauerhaften, strukturierten Basis schwer nachzuahmen, solange wir nicht zumindest zu kleinen Massenparteien geworden sind. Wir sollten daher Strukturen und Normen anwenden, die die Ad-hoc-Bildung solcher Gruppen ermöglichen, wenn und falls ein Bedarf entsteht, die Priorität aber auf die Bildung von allgemeinen LSBT-Arbeitsgruppen legen.


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Die europäischen Jugendorganisationen sind derjenige Teil der Vierten Internationale, in dem lesbisch/schwule Angelegenheiten am kontinuierlichsten politisch behandelt wurden, auch wenn dies nicht immer die gleiche Bedeutung gehabt hat. Ein wesentliches Element, das für diese Entwicklung förderlich gewesen ist, war die Sichtbarkeit dieser Frage in den Jugendlagern seit Beginn der achtziger Jahre und die Einrichtung eines lesbisch/schwulen Raumes ab 1989. Nicht nur wurde dadurch die Frage für alle TeilnehmerInnen auf die Tagesordnung gesetzt, sondern es bot sich zugleich eine Gelegenheit für junge GenossInnen aus den verschiedenen Organisationen (in denen sie sich aufgrund der Kleinheit unserer Jugendorganisationen isoliert fühlen mögen), sich zu treffen und politisch und sozial gegenseitig zu ermutigen.

Kampagnen gegen die sexuelle Unterdrückung der Jugend sollten ein zentraler Teil der Arbeit unserer Jugendorganisationen sein; sexuelle Orientierung sollte in dieser Arbeit als eine Frage persönlicher Entscheidung dargestellt werden. Solche Propaganda- oder Aktionskampagnen sollten auch herrschende sexuelle und Genderrollen in Frage stellen.

Während die Organisationen weiterhin fordern sollten, dass der Staat seiner Verantwortung für Sexualerziehung und Gesundheitsvorsorge nachkommt, sollten sie zugleich soweit als möglich ihre Mitglieder in Bezug auf Empfängnisverhütung, sexuelle Wahlfreiheit, Gender, Machismo und Homophobie erziehen. Insbesondere bei Jugendlagern, in Schulungen und bei anderen Aktivitäten unserer Organisationen, bei denen die TeilnehmerInnen sexuell aktiv sein können, liegt es in unserer Verantwortung, für die Bereitstellung von Verhütungsmitteln und Informationen zu sexueller Gesundheit zu sorgen, um ungewollte Schwangerschaften und die Übertragung von AIDS und anderen im Sexualverkehr übertragenen Krankheiten zu verhindern.

Forderungen in Bezug auf Sexualerziehung und Gesundheit können auch effektive Instrumente sein, um StudentInnen und Jugendliche außerhalb unserer Reihen zu mobilisieren. Das Engagement der Jugendorganisationen für lesbisch/schwule Propaganda ist wesentlich, da sich bei Jugendlichen ein größeres Verständnis für diese schwierigen Themen findet, in denen sich das Persönliche und das Politische vermischen – dies hat sich in den Ländern, in denen die Vierte Internationale lesbisch/schwule Arbeit organisiert hat, in der Praxis gezeigt.


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Bei den internen Diskussionen unserer Organisationen sollte nicht davon ausgegangen werden, dass unsere Mitglieder heterosexuell sind. Denn dies schließt – ebenso wie bei der heterosexistischen Erziehung – andere Möglichkeiten aus und führt zu derselben „Unsichtbarkeit“, zu der die heterosexistische, patriarchalische Gesellschaft die LSBT-Realität in vielen Ländern verurteilt.

Zumeist entscheiden sich LSBT-Mitglieder dafür, LSBT-Arbeit zu machen, weil sie das persönlich als notwendig empfinden. Aber der Eintritt in eine LSBT-Gruppe ist nicht das gleiche, wie z. B. der Eintritt in eine antirassistische Gruppe. Die intimen und politischen Fragen rund um Sexualität machen es besonders schwierig, sich damit zu befassen, und müssen auch auf einer persönlichen Ebene behandelt werden. Häufig enthüllt das Eintreten für LSBT-Angelegenheiten etwas über unser eigenes Intimleben, eine Tatsache, die manchmal nicht leicht auszuhalten ist. Daher muss jedes Parteimitglied sich völlig akzeptiert fühlen, wenn es sich für LSBT-Arbeit entscheidet, ohne dass es das Gefühl hat, dass ihre/seine sexuelle Orientierung beurteilt wird und ohne dass ihr/ihm gesagt wird, andere Gebiete seien „wichtiger“.


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Die Sektionen der Vierten Internationale müssen bewusst dafür kämpfen, dass die Reproduktion der gesellschaftlichen Unterdrückung von LSBT in unseren Organisationen eingeschränkt wird. Das bedeutet nicht nur, dass Witze und sexistisches/heterosexistisches Verhalten unterbleiben müssen. Es bedeutet auch, dass Bedingungen geschaffen werden müssen, die es LSBT erlauben, in vollem Umfang am Leben der Organisation teilzunehmen und zwar sowohl als RevolutionärInnen als auch als LSBT-AktivistInnen. Zu diesem Zweck ist die Integration von LSBT-Angelegenheiten in die politische Agenda von höchster Bedeutung.

Wie es in dem bereits zitierten Text der mexikanischen PRT heißt: „Als Frauen verlangen wir ein gewisses Kräfteverhältnis, damit Gender-Fragen ständig präsent sein können. (...) Damit das möglich ist, müssen wir (..) Diskussionsraum für Frauen schaffen, wo dieser nicht vorhanden ist, und stärken, wo es ihn schon gibt.“ Wir meinen, dass dies auch für LSBT-GenossInnen gilt.


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In Ländern, in denen es organisierte LSBT-Gruppen in den Sektionen gibt, soll die gesamte Organisation Zugang zu dem haben, was diese Gruppen ausarbeiten, und darüber diskutieren. Die systematische interne Diskussion von LSBT-Angelegenheiten ist eine Bedingung für die Kollektivierung dieses Themas, für die Veränderung von diskriminierenden Angewohnheiten, die womöglich in unseren Organisationen existieren, und auch dafür, LSBT-GenossInnen behilflich zu sein, zu LSBT-Angelegenheiten eine revolutionäre Perspektive einzunehmen. Dies ist besonders wichtig für GenossInnen, die in den LSBT-Bewegungen ganz besonders aktiv sind. Die Sektionen sollen für die Organisierung von Kommissionen und Arbeitsgruppen wie auch die Bildung von Kommissionen zu diesem Thema offen sein. Nicht nur muss jedes Mitglied der Sektionen bereit sein, LSBT-Angelegenheiten zu diskutieren, es muss darüber hinaus LSBT-Aktionen und Kampagnen aktiv unterstützen.

Um es in den Worten der Resolution zur Frauenbefreiung von 1979 zu sagen: „Wie in jeder anderen Frage müssen die gesamte Führung und alle Mitglieder der Partei über unsere Arbeit informiert sein, kollektiv an der Bestimmung unserer politischen Linie mitwirken und für die Durchführung unserer Kampagnen und Propaganda in allen Teilen des Klassenkampfes, in denen wir aktiv sind, Verantwortung übernehmen.“ Lesbisch/schwule Angelegenheiten sollten Teil unserer Diskussionen in den Grundeinheiten auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene sein. Alle unsere Mitglieder sollten in unseren lokalen, nationalen und internationalen Schulungen Weiterbildung in Bezug auf die lesbisch/schwule Befreiung zu erhalten. Das bedeutet auch, dass die Publikationen unserer Organisationen über die LSBT-Bewegung berichten und hierzu Stellung nehmen sollten.


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LSBT-Angelegenheiten müssen in die öffentlichen Erklärungen der Sektionen und das tägliche Auftreten der Mitglieder Eingang finden. Mitglieder, die in Bewegungen wie den Gewerkschaften, antirassistischen Bewegungen usw. aktiv sind, müssen in ihrer politischen Arbeit lesbisch/schwule Forderungen zur Sprache bringen. LSBT-Mitglieder unserer Sektionen sollten ermutigt werden, aktiv und organisiert an den LSBT-Bewegungen außerhalb teilzunehmen und dabei eine revolutionäre Perspektive einzubringen. Je nach politischen Möglichkeiten in dem jeweiligen Land suchen wir wie in anderen Arbeiterfeldern uns mit anderen Kräften der Linken, die zu diesen Fragen arbeiten, auf gemeinsame Positionen zu einigen und gemeinsame Arbeit zu leisten. Da revolutionäre AktivistInnen innerhalb der LSBT-Bewegung eine Minderheit darstellen, ist der Kontakt mit LSBT-Organisationen außerhalb auch dann wichtig, wenn die Sektionen keine LSBT-Mitglieder haben, die in diesen Bewegungen aktiv sind.

      
Mehr dazu
15. Weltkongress der IV. Internationale: Zur Lesben- und Schwulenbefreiung, Inprekorr Nr. 376/377 (März/April 2003) (nur online).
Vierte Internationale: Resolutionen des 15. Weltkongresses (2003)
Erklärung der Vierten Internationale: Nach dem Massaker von Orlando: Schmerz, Wut und Wachsamkeit, Inprekorr Nr. 4/2016 (Juli/August 2016) (nur online).
Interview mit Haneen Maikey: Widerstand gegen Homophobie und Besatzung, Inprekorr Nr. 5/2011 (September/Oktober 2011).
Resolution des 16. Weltkongresses der IV. Internationale, Februar 2010: Zu Angriffen auf Transgendered / Intersexed, Inprekorr Nr. 462/463 (Mai/Juni 2010).
 

Eine der Auswirkungen der Unterdrückung von LSBT ist es, dass ihre persönlichen Fähigkeiten wegen ihrer sexuellen Orientierung und nicht auf der Grundlage einer objektiven Einschätzung in Frage gestellt werden. Unsere Organisationen sollten die Gelegenheit nutzen, dass LSBT-Mitglieder offen im Namen der Organisation zu LSBT-Fragen sprechen und die Beteiligung an LSBT-Arbeit zu einem Kriterium unter mehreren für die Wahl von LSBT-GenossInnen in ihre Führungen machen, wie die Beteiligung an anderer politischer Massenarbeit auch. Dasselbe Kriterium sollte Berücksichtigung finden, wenn unsere Organisationen KandidatInnen für Wahlkampagnen auswählen; sie sollten versuchen, offen LSBT-KandidatInnen zu nominieren. Außerdem müssen alle unsere gewählten FunktionsträgerInnen lesbisch/schwule Forderungen in die repräsentativen Institutionen einbringen und sie in ihren öffentlichen Erklärungen ansprechen. Sie müssen auch die Forderungen der lesbisch/schwulen Bewegungen aufgreifen und versuchen, den Bewegungen Zugang zu den politischen Debatten in den Gremien zu verschaffen.


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Häufig bereitet es LSBT-Mitgliedern von revolutionären Organisationen Probleme, sich in unseren Organisationen wie auch in der LSBT-Bewegung integriert zu fühlen. Einerseits bedeutet es sicher mehr als nur konkrete politische Aktivitäten, ein/e LSBT-AktivistIn zu sein; denn da LSBT eine gesellschaftlich ausgeschlossen Gruppe sind, haben LSBT-Communities spezielle Formen der Sozialisierung und des Widerstands gegen die Heterokultur, die sich aus der gemeinsamen Erfahrung der Unterdrückung ergeben. Daher neigen LSBT-Mitglieder, insbesondere diejenigen, die in LSBT-Bewegungen aktiv sind, häufig dazu, ihr politisches und ihr soziales Leben voneinander zu separieren. Es wird in unseren Organisationen nicht immer verstanden, dass die Aktivitäten von LSBT-Mitgliedern diese besondere Form annehmen kann. Aber in einer Community, deren Basis gemeinsamer Ausschluss ist, ist diese Form des sozialen und kulturellen Lebens ein unverzichtbarer Aspekt der politischen Arbeit sowie ein persönliches Bedürfnis von LSBT-AktivistInnen.

Andererseits fühlen sich revolutionäre AktivistInnen häufig in der LSBT-“Szene“ nicht wohl. LSBT-GenossInnen leben häufig in zwei verschiedenen Welten mit unterschiedlichen, oft unvereinbaren Regeln. Der Aufbau von Verbindungen zwischen LSBT-GenossInnen in verschiedenen Grundeinheiten und in verschiedenen Sektionen sowie die Förderung von vermehrten Aktivitäten, Diskussionen und sozialen Zusammenkünften von LSBT in unserer Bewegung gehören zu den besten Mitteln, um dieses „Risiko einer gespaltenen Persönlichkeit“ zu bekämpfen und lesbisch/schwule AktivistInnen in der Internationale zu halten. Bemühungen in diese Richtung sollten in unseren Sektionen begrüßt und unterstützt werden.


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 357/358 (Juli/August 2001). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Der endgültig beschlossene Text erschien hier: Zur Lesben- und Schwulenbefreiung, Inprekorr Nr. 376/377 (März/April 2003) (nur online)

[2] Im englischsprachigen Original: „lesbian, gay, bisexual and transgendered (LGBT) people“.
„Transgendered“ ist in der schwul-lesbischen Bewegung eine Bezeichnung bzw. Selbstbezeichnung von Menschen, die früher als „Transsexuelle“ bezeichnet worden sind. „Transgendered“ hat gegenüber „Transsexuell“ den Vorteil, dass es sich auch auf Bereiche wie Kultur, Geschlechtsrolle und die politisch-gesellschaftliche Dimension des Geschlechts etc. bezieht und nicht biologistisch auf Geschlechtsorgane und deren Funktion beschränkt ist. „Transgendered“ bezieht auch die Menschen ein, die sich in der Grenzregion zwischen den polarisierten Identitäten „Mann“ und „Frau“ bewegen, auch diejenigen, die sich nicht per „Geschlechtskorrektur“ umoperieren lassen wollen, aber auffällig die „falsche“ Geschlechtsrolle spielen; sie definieren sich mittlerweile nicht mehr ausschließlich „als im falschen Körper gefangene“ Personen des „entgegengesetzten“ Geschlechts. (Anm. d. Bearb.)

[3] Die Resolution des 11. Weltkongresses vom November 1979 ist in der angenommenen Fassung leider nicht auf Deutsch veröffentlicht worden, lediglich der Resolutionsentwurf vom April 1978. (Anm. d. Bearb.)