Brasilien

Die neue Partei Sozialismus und Freiheit (PSoL)

Jornal Democracia Socialista

Die Parlamentsabgeordneten Babá, Luciana [Genro] und João Fontes kündigten die Gründung der Partei an, bevor sie noch aus der PT ausgeschlossen waren. Unterdessen hat die „neue Partei“ einen Namen, Partei Sozialismus und Freiheit (PSoL). Senatorin Heloísa Helena ist die wichtigste Sprecherin des neuen Zusammenschlusses.

Die Parteifrage in Zeiten der Lula-Regierung

Die kürzlich erfolgte Gründung einer neuen sozialistischen Partei in Brasilien – der Partei Sozialismus und Freiheit (PSoL) – durch DissidentInnen der Arbeiterpartei (PT) und der Vereinigten Sozialistischen Arbeiterpartei (PSTU) hat in der brasilianischen Linken eine heftige Diskussion über die Möglichkeiten und die Richtigkeit des Entscheids, erneut eine Partei aufzubauen, ausgelöst.

Wir veröffentlichen verschiedene Standpunkte dazu. Zuerst eine Reportage über die Gründungsversammlung der neuen Partei in Form eines Interviews mit unserer im Dezember letzten Jahres aus der PT ausgeschlossenen Genossin Heloísa Helena (vgl. Inprekorr 386/387, S. 3), Senatorin des Bundesstaates Alagoas und Mitglied der Tendenz Sozialistische Demokratie, die zur Zeit den Vorsitz der PSoL inne hat.
Die anderen drei Artikel kritisieren diesen Schritt aus verschiedenen Blickwinkeln. Der erste Artikel stammt von einem führenden Genossen der Strömung Linker Zusammenschluss in der PT, der zweite ist das Editorial einer von Linkskatholiken herausgegebenen Wochenzeitung und der dritte ein Beitrag aus der Monatszeitung der Tendenz Sozialistische Demokratie in der PT, in der die GenossInnen der Vierten Internationale organisiert sind. (inprecor)
 

Die AktivistInnen der PSoL kommen vor allem aus den politischen Strömungen Movimento de Esquerda Socialista (MES, Bewegung der sozialistischen Linken) und Corrente Socialista dos Trabalhadores (CST, Sozialistische Strömung der ArbeiterInnen). Beide Organisationen gehören der morenistischen trotzkistischen Tradition an. Sie waren unter der Bezeichnung CST in der damals noch vereinten PT geblieben, als die Mehrheit des damaligen Sozialistischen Zusammenschlusses die Vereinte Sozialistische Arbeiterpartei (PSTU) gründete.

Ehemalige führende GenossInnen der PSTU wie Junia Gouvêa und Martiniano Cavalcante, die diese Partei zu unterschiedlichen Zeitpunkten verlassen hatten, sind heute in der Leitung der PSoL. Eine limitierte Gruppe von AktivistInnen, die sich nicht an die Entscheidungen der Nationalen Konferenz der Tendenz Sozialistische Demokratie (DS) hielten, haben sich in der „Liberdade Vermelha“ (Rote Freiheit) zusammengeschlossen und entschieden, der PSoL beizutreten. Diese Entscheidung wurde in der DS nie kollektiv zur Diskussion gestellt.

Milton Temer und Carlos Nelson Coutinho, die uns Gramsci und das Konzept des Prozesses in der Revolution vermittelt haben, finden sich ebenfalls in der neuen Partei; desgleichen Francisco de Oliveira.

Die Enttäuschung über die Regierung Lula und die Unzufriedenheit mit der PT-Entwicklung können verschiedene politische Traditionen dazu führen, sich zu vereinen und eine neue Partei auszurufen. Doch im Lichte der Erfahrungen der PT wissen wir, dass das für den Aufbau eines politischen Instruments nicht ausreicht. Dabei reden wir nicht von den 438 000 Unterschriften, die nötig sind, um sich ins Wählerregister eintragen zu lassen, [1] sondern vom Fehlen eines „heißen“ oder ausreichenden sozialen und politischen Umfelds, das die verschiedenen Vorstellungen zu einem gemeinsamen Programm zusammenschweißen könnte, um politisch verändernd eingreifen zu können.

An der 7. Nationalen Konferenz der DS im Dezember 2003 wurde folgende Resolution angenommen: „Wir erachten es als legitim, die positiven Werte aus der Geschichte der PT zu verteidigen (den programmatischen Beitrag, das Tendenzrecht und die interne Demokratie, die feministischen Errungenschaften, die Synthese der linken Erfahrungen und Kräfte). In diesem Zusammenhang ist es auch richtig, die Beziehungen zwischen der Partei und der breiten politisch-sozialen Bewegung, die sich rund um die PT gebildet hat, wieder aufzugreifen.

Wir versuchen, in den Prozess der Auseinandersetzung um die Ausrichtung der Partei einzugreifen und stützen uns dabei auf die legitime Verteidigung dieses historischen, strategischen Projekts einer sozialistischen, demokratischen Partei. Angesichts der konfliktgeladenen Entwicklung der Partei ist es umso notwendiger, eine breite linke Strömung als Bezugspol für den Wiederaufbau und das Funktionieren der PT als demokratischer und sozialistischer Partei zu bilden.

Der Aufbau dieser Strömung und der Einsatz für den sozialistischen Wiederaufbau der PT stellen sowohl angesichts des massiven Drucks zur Aufgabe ihres programmatischen Charakters als auch des Drucks gegenüber den GenossInnen, die die PT verlassen wollen und sich auf ein sektiererisches Parteiprojekt orientieren, eine Alternative dar. Denn beide Orientierungen verzichten auf die Erfahrung des Aufbaus einer sozialistischen, demokratischen Massenpartei.“

Dieser Artikel wurde der Monatszeitschrift Jornal Democracia Socialista 4 von Juli 2004 entnommen. Die Zeitschrift wird von der Tendenz Sozialistische Demokratie herausgegeben, die innerhalb der Arbeiterpartei die AktivistInnen der Vierten Internationale organisiert.
Übersetzung aus dem Portugiesischen (Bras.): Tigrib



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 396/397 (November/Dezember 2004).


[1] In einem unter Präsident Fernando Henrique Cardoso verabschiedeten Gesetz wurden die Bedingungen zur Gründung politischer Parteien verändert. Während die früheren, vor der Verabschiedung des Gesetzes registrierten Parteien, deren Existenz oft reichlich fiktiv ist, nach wie vor als legal gelten und damit bei allen möglichen Wahlen KandidatInnen aufstellen können, müssen neue Parteien eine beachtliche Zahl an Unterschriften (438 000 auf Bundesebene) zusammenbringen, um an Wahlen teilnehmen zu können. Es sei daran erinnert, dass bei der Gründung der Arbeiterpartei die Bedingungen zur Legalisierung einer politischen Partei weniger scharf waren.