Geschichte

Frauenbefreiungsbewegung und Klassenkampf

Zehn Jahre nach dem Beginn der Frauenbewegung zog Jacqueline Heinen eine erste Bilanz. Wir geben hier einen Inprekorr-Artikel aus dem Jahre 1977 wieder.

Jacqueline Heinen

„Wir fordern, dass unsere Probleme wirklich hier diskutiert werden. Wir geben uns nicht mehr damit zufrieden, dass die Frauen von Zeit zu Zeit ein Wort sagen dürfen, das man sich anhört, weil man von Beruf „antiautoritär” ist, und man dann schnell zum nächsten Tagesordnungspunkt übergeht. (…) Genossen, eure Versammlungen sind unerträglich.

(…) Warum kauft ihr Reich? Warum redet ihr hier vom Klassenkampf und zu uns, zu Hause, von euren sexuellen Schwierigkeiten? Ist das nicht ein Thema für den SDS? Wir wollen diese Verdrängung nicht länger mitmachen. Wir konzentrieren unsere Arbeit auf die Frauen, die Kinder haben, weil sie am schlimmsten dran sind. Die Frauen, die Kinder haben, können erst dann wieder an sich selber denken, wenn die Kinder sie nicht mehr ständig an die Notwendigkeit des Verzichts in dieser Gesellschaft erinnern.“

Dies sagten die Frauen der Berliner Studentenbewegung 1968 in einer Erklärung an die Delegiertenkonferenz des SDS. 1968 gab es die bekannten, explosionsartigen Studentenkämpfe und -streiks; in diesem Jahr erschienen die ersten nicht-gemischten Frauengruppen in den USA, in Großbritannien, in der BRD und in einigen nordischen Ländern, die Bewegung, die sich seitdem Frauenbefreiungsbewegung (FBB) nennt. 1968 ist für diese Frauen das Jahr des Bewusstwerdungsprozesses, dass trotz Infragestellung der Politik der Bourgeoisie und der traditionellen Wertvorstellungen die ihnen im Rahmen der Studentenbewegung oder auch der anti-imperialistischen Mobilisierungen zugedachte Rolle gleich bleibt. Das ist der Beginn ihrer Revolte. Diese Revolte berührt zunächst nur die privilegierten Schichten: Studentinnen, Intellektuelle, Frauen aus freien Berufen sind die ersten, die die Widersprüche verstehen, in denen sie gefangen bleiben. Obwohl sie die Möglichkeit hatten zu studieren, sind sie die ersten, die keine ihrer Qualifikation entsprechende Arbeit finden, oder sie werden von vornherein in bestimmte Berufssparten integriert, gleichgültig welche Ausbildung sie gemacht haben (die sog. „typischen“ Frauenberufe) oder, was auch sehr oft der Fall ist, sie geben ihre Arbeit auf, um sich der „Freude des Heims“ und der Kindererziehung zu widmen.


Entstehung der Frauenbefreiungsbewegungen


Es ist kein Wunder, dass die FBB zuerst in den Ländern entstanden sind, wo der Beschäftigungsgrad von Frauen relativ hoch war, wo Bildungsreformen zum massiven Einströmen von Frauen in Oberschule und Hochschule geführt haben, wo der Zugang zu Verhütungsmitteln leichter war als anderswo, wo – letztendlich geprägt durch den Protestantismus – ein bestimmter politischer Liberalismus und die Tradition früherer Frauenbefreiungsbewegungen geherrscht hat.

FBBs gibt es heute in allen hoch entwickelten kapitalistischen Ländern, aber sie haben in letzter Zeit in den südlichen Ländern Europas einen Massencharakter bekommen und große Teile der werktätigen Frauen gewonnen, die sich im Zuge der Entwicklung der Klassenkämpfe radikalisiert haben und ihrerseits ein Bewusstsein für die doppelte Rolle entwickelt haben, die ihnen in dieser Gesellschaft vorgeschrieben ist. Der doppelte Arbeitstag, die Last der Hausarbeit, die Kindererziehung, die sie allein tragen müssen, das Fehlen von Gemeinschaftseinrichtungen, das Abtreibungsverbot, die unqualifizierten, schlecht bezahlten, mit keiner Verantwortung verbundenen Arbeiten, die Unmöglichkeit, aktiv in den Arbeiterorganisationen tätig zu sein, dort gehört zu werden: All das sind Tatsachen, die die Frauen dazu gebracht haben, sich zu wehren und sich untereinander zu organisieren, in nicht-gemischten Gruppen, um ihren Standpunkt in den Betrieben, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen und in den Stadtteilgruppen durchzusetzen. Die unmittelbaren Sorgen dieser Frauen sind nicht unbedingt gleichzusetzen mit denen, die von Studentinnen oder Intellektuellengruppen zum Ausdruck gebracht werden; ihre Forderungen richten sich meist auf ökonomische und soziale Probleme, die die gesamte Arbeiterklasse betreffen (das Problem der Kinderkrippen, die niedrigen Löhne, die steigenden Preise), aber sie beziehen sich ebenfalls auf die Infragestellung der Mutterrolle und Hausfrauenrolle, auf ihre Stellung als „ewige Zweite“ und ihre Passivität.

„Wir wollen nicht darauf beschränkt werden, Kinder zu kriegen, selbst wenn diese später gute Gewerkschafter werden“, erklärte eine Arbeiterin auf der Delegiertenversammlung der Fabrikräte aus der Lombardei/Italien, die sich im vergangenen März getroffen hatten, um eine Kampagne gegen die Frauenarbeitslosigkeit zu starten. Angesichts dieser Frauenradikalisierung, die heutzutage sämtliche Schichten der Gesellschaft erfasst, haben die revolutionären Marxisten – wenn auch mit etwas Verspätung – verstanden, dass es unmöglich ist, ihre Aufgabe ausschließlich in propagandistischer und erzieherischer Arbeit zu sehen, wie es die Kommunistischen Parteien noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts taten,


Die Tradition der Arbeiterbewegung


„Der Frau ihre vollständige Befreiung und Gleichberechtigung verschaffen, was in vollem Umfang nur durch die Partei insgesamt erreichbar ist“, war die Losung, die sich aus den „Thesen zur Propagandaarbeit unter den Frauen“ des III. Kongresses der Komintern ableitete. Die ökonomischen Schwierigkeiten damals, der hohe Grad an Analphabetismus bei den Arbeiterfrauen, die halb-feudalen Familienstrukturen in einem Land wie der UdSSR und das erdrückende Gewicht der reaktionären Ideologie bei den Frauen in Bezug auf ihre „natürliche“ Rolle in der Gesellschaft, der vollständige Mangel an Aufklärung betreffs Verhütungsmittel – all das erklärt, warum die Bolschewiki ihre ganze Aufmerksamkeit dem Kampf für eine Veränderung der objektiven Missstände widmeten und sich auf die Durchsetzung von Gesetzen zur Frage der Frauenarbeit, des Scheidungsrechts und der Abtreibung konzentrierten und in ihren Plänen die Bedeutung von Gemeinschaftseinrichtungen besonders hervorhoben. Dies erklärt auch, warum die KPn der Komintern allesamt der Auffassung waren, dass der Kampf für die Befreiung der Frau gleichbedeutend mit dem Kampf der Arbeiterklasse für den Sturz des bürgerlichen Staates sei. Dies ist zwar richtig, reicht aber nicht aus. Ihre energische Ablehnung jeglicher getrennter Frauenorganisierung in Gewerkschaften oder anderen Arbeiterorganisationen sowie ihre Behauptung, es gäbe keine „frauenspezifischen“ Fragen, beweisen klar, dass die Revolutionäre in den 20er Jahren die Bedeutung und die Dauer des Kampfes, den es auf der subjektiven Ebene zu führen gilt, völlig unterschätzten, ein Kampf, der selbst in den Reihen der Arbeiterbewegung gegen die herrschende Vorstellung und Anerkennung a priori der Minderwertigkeit der Frauen zu führen ist, Der Einfluss der Theorien Proudhons und Lassalles zu Ende des 19. Jahrhunderts hatte jedoch bewiesen, wie schwierig es ist, dem „alten Menschen“ die Vorstellung auszutreiben, eine Frau könne nichts anderes machen als Socken flicken und den Haushalt führen.

„Das Recht der Frauen auf Arbeit besteht darin, zu Hause und in der Familie zu sein, die Kinder zu erziehen“, heißt es in einem Resolutionsentwurf der deutschen Sektion der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) 1866 zum Thema „Frauenarbeit”. August Bebel, Wilhelm Liebknecht und Clara Zetkin stellten dem jahrzehntelang systematisch Resolutionen entgegen, die den marxistischen Standpunkt vertraten, das massive Einströmen der Frauen auf den Arbeitsmarkt sei von entscheidender Bedeutung für die Emanzipation des Gesamtproletariats. Sie schafften es, auf bestimmten Kongressen der II. Internationale, wo die Delegierten de facto die Avantgarde der Arbeiterbewegung vertraten, Gehör zu finden; doch dominierte der „traditionelle“ Standpunkt an der Basis der meisten Organisationen wie auch bei den meisten Führungen weiter und artikulierte sich mehr oder minder scharf, je nach der politischen Periode. Und dies, obwohl riesige Fortschritte auf der Ebene der Forderungen für die Gleichberechtigung der Frau gemacht worden waren (Wahlrecht, Recht auf Arbeit, Schwangerschaftsurlaub, gleicher Lohn usw.). Gewiss führte Clara Zetkin einen hartnäckigen Kampf in der für Frauen bestimmten Zeitung „Die Gleichheit“, die es seit 1891 gab und die nach 1910 eine Auflage von mehr als 100 000 Exemplaren hatte. Gewiss trug diese Veröffentlichung stark zur Organisierung der Frauen in den Gewerkschaften und in den Reihen der Sozialdemokratie bei. Dadurch, dass „Die Gleichheit“ auf einer Reihe von Gebieten, auf denen die Arbeiterbewegung damals die größten Zweifel hatte (Unterstützung der russischen Revolution, Antimilitarismus, Preiskontrollen, Verhütungsmittel) eine besonders fortschrittliche Position vertrat, war es möglich, bedeutende Schichten von Frauen für die Positionen des linken Flügels der Sozialdemokratie zu gewinnen. Aber zum gleichen Zeitpunkt, als sich die reformistischen Thesen Bernsteins und Kautskys durchsetzten, war es des öfteren der Standpunkt Edmund Fischers, der in den theoretischen Organen der Partei zum Ausdruck kam und in der Frauenfrage ausschlaggebend war. Fischer, der sowohl 1900 wie 1913 behauptete, es werde „bewiesen werden, dass das oberste und bedeutendste Ziel der Frauen, das tief in ihrer Natur als Frauen verwurzelt ist, im Alltag darin besteht, Mutter zu sein und ihr Leben der Kindererziehung zu widmen”.

Diese Positionen werden heutzutage nicht mehr offiziell von den Gewerkschaften und Arbeiterparteien vertreten. Aber das Schweigen der Reformisten in der Frage der Unterdrückung der Frau während der letzten 50 Jahre, die stalinistischen Lobeshymnen auf die proletarische Familie haben nur dazu geführt, auf diesem Feld den rückständigsten, von der Bourgeoisie, ihrer Kirche und ihrem Staat manipulierten Ideen freien Lauf zu lassen.

Die oben genannten, objektiven Veränderungen waren notwendig, damit endlich der Wille der Frauen massiv zum Ausdruck kommt, nicht nur für die Gleichberechtigung und gegen die schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen zu kämpfen (dies war seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts bis zum 1. Weltkrieg in den Kämpfen der Arbeiterinnen kraftvoll und fast kontinuierlich geleistet worden), sondern auch die Ketten zu sprengen, an die man sie seit Jahrhunderten gelegt hatte: die Hausarbeit, die ungewollten Schwangerschaften, die „natürliche“ Zärtlichkeit, die Bewunderung der physischen Kraft und der intellektuellen Fähigkeiten des Mannes, kurz gesagt, das Halseisen der „Weiblichkeit“.


Die autonome Frauenbewegung


Vor etwa zehn Jahren erkannten die revolutionären Marxisten angesichts des Drucks der entstehenden Bewegung (obwohl sie nur eine Minderheit umfasste und in der ersten Phase von Frauen aus der Arbeiterklasse getrennt war) und angesichts der Bedeutung der subversiven Ideen, die diese Bewegung vertrat, die entscheidende Bedeutung der Existenz von nichtgemischten Gruppen und einer autonomen Frauenbewegung. Sie haben verstanden, dass diese Organisationsform notwendig ist, damit der Standpunkt all derer Ausdruck finden kann, denen ihre Unterdrückung bewusst geworden ist und die sich für sich organisieren mussten, um sich Gehör zu verschaffen; damit ihr Kampf fortwährend Druck auf die Politik der Arbeiterorganisationen ausübt; damit diese und insbesondere ihre Führungen gezwungen werden, die spezifischen Forderungen aus der FBB zu übernehmen. Eine in ihrer Struktur autonome Bewegung ist heutzutage notwendig, aber sie wird auch morgen, in der Übergangsperiode, notwendig sein, weil die reaktionären Ideen nicht wie Schnee unter der Sonne neuer sozialer Beziehungen schmelzen werden.

Das Verschwinden der Lohnunterschiede und der Ungleichheit vor dem Gesetz, die Bildung von Gemeinschaftseinrichtungen, die den objektiven Bedürfnissen der Arbeiterklasse entsprechen, der breiteste Vertrieb von Verhütungsmitteln guter Qualität und die Freiheit der Abtreibung, all diese Maßnahmen sind, selbst wenn sie eine erste Bedingung darstellen, ohne die von Emanzipation und Befreiung der Frau nicht die Rede sein kann, an sich nicht ausreichend, um den Status der Frau in der Gesellschaft zu verändern und eine radikale Veränderung der inneren Haltung zu erreichen.

Der Kampf, der jetzt geführt werden muss, damit die Gewerkschaften und die Organisationen der Linken und der extremen Linken – einschließlich unserer eigenen – beginnen, in ihrer Praxis die traditionelle Rolle der Frauen in Frage zu stellen, ihre Unterordnung unter die Männer, die geschlechtliche Arbeitsteilung in der Familie, ist nur ein Vorgeschmack von dem, den wir nach dem Sturz des bürgerlichen Staates führen werden müssen, damit die Arbeiterorganisationen sich nicht auf Forderungen und Aktionen beschränken, die nur ökonomische Probleme berühren, wie das bisher der Fall war.


Der Beitrag des Kampfs der Frauen


In den letzten Jahren und Monaten hat der Kampf der Frauen mit der Entwicklung von Massenkämpfen in Spanien und Italien gezeigt, in welchem Maß dieser Kampf einen besonderen Beitrag zum Kampf des Proletariats überhaupt darstellt: Die von den Frauen aufgestellten Forderungen in Bezug auf soziale Probleme einerseits, das Drängen auf Einheit und Demokratie in der Arbeiterbewegung andererseits stehen dabei im Vordergrund, weil es keine massive Beteiligung von Frauen an Arbeitermobilisierungen und keine breite, aktive Teilnahme von ihnen in den Arbeiterorganisationen geben kann, ohne dass sie Rederecht in den Gewerkschaften haben; wenn die Beschlüsse weiterhin auf höchster Ebene gefasst werden von Führungen, die fast ausschließlich aus Männern bestehen, wenn nicht in Frage gestellt wird, dass es immer Männer sind, die zu den Treffs gehen und dort Beschlüsse fassen; wenn es zu Hause Kinder zu versorgen gibt.

Was sehr wichtig ist und bei diesen Kämpfen hervorgehoben werden muss, ist der neue Aspekt bei diesen Kämpfen im Vergleich zu früher, wo die Frauen der Arbeiterklasse und generell auch die werktätigen Frauen für eine bestimmte Anzahl von ökonomischen Forderungen kämpften, die auch heute auftauchen (gleicher Lohn, Arbeitsbedingungen, Gemeinschaftseinrichtungen, das Preisproblem), wo die Frage der Autonomie jedoch nicht aufgeworfen wurde, sei es durch die Beteiligung der Frauen an der autonomen Frauenbewegung, sei es durch nicht-gemischte Treffen innerhalb der Gewerkschaften, wie das heute meistens der Fall ist. Was ebenfalls neu ist, ist der explizite Kampf, den die Frauen gegen ihre Rolle in der Familie und in der Gesellschaft führen. Und was zusätzlich hinzukommt ist die Dynamik der Arbeiterkontrolle, die manche Kämpfe annehmen.

Sicherlich haben nicht alle Frauenkämpfe, die heute in den entwickeltsten kapitalistischen Staaten stattfinden, Übergangsdynamik (vgl. „Inprekorr“ Nr. 77 und 80 zu den internationalen Frauenkämpfen gegen Arbeitslosigkeit und für freie Abtreibung, insbesondere in Großbritannien). Wenn die amerikanischen Frauen Kampagnen zum „Equal Rights Amendment“ (ERA) organisieren (also für die Aufnahme eines Paragraphen in die Verfassung, der die Gleichheit zwischen Mann und Frau garantiert), können die Formen ihres Kampfes – Straßenmärsche, Veranstaltungen, usw. – nicht mit denen verglichen werden, die die Frauen der italienischen, spanischen oder auch englischen Arbeiterklasse anwenden, weil sie unmittelbar vom Grad der Kampfbereitschaft des amerikanischen Proletariats abhängen (und dieser ist noch schwach, da die Mehrheit der Arbeiter sich noch der klassenversöhnlerischen Politik der allmächtigen Gewerkschaftsführung in den USA unterordnet). Dagegen stellt die Art, wie die englischen Arbeiterinnen von TRICO sich geweigert haben, die bürgerlichen Gerichte anzuerkennen, die über ihren Kampf gegen die Bosse entscheiden und das Gesetz über gleichen Lohn anwenden sollten, einen neuen Reifegrad in der Mobilisierung dar. Die Tatsache, dass diese Frauen dem juristischen Weg unabhängige Kampfformen entgegengestellt haben, dass sie die Gewerkschaftsführung gezwungen haben, ihren Kampf zu unterstützen (diese war anfangs dagegen), dies alles steht gleichfalls unmittelbar im Zusammenhang mit der gesamtpolitischen Situation in Großbritannien. Dies gilt auch für die Aktivistinnen und Aktivisten der NAC (nationale Kampagne für freie Abtreibung in Großbritannien), die systematisch ihr Misstrauen gegenüber Labour-Abgeordneten bekundet haben, die sich weigerten, den Beschluss der Labour-Konferenz über das Recht auf freie, vom Staat finanzierte Abtreibung zu unterstützen (einige von ihnen mussten auf Grund der Aktionen der NAC zurücktreten).

Aber es kommt uns hier darauf an, die fortgeschrittensten Kämpfe der Frauen der Arbeiterklasse hervorzuheben, die sich in den revolutionären Aufschwung in den südeuropäischen Ländern einreihen. In ihrem Kampf gegenüber den Führern der Arbeiterbewegung, die alles unternommen haben, um den Forderungen, die zu offensichtlich die Politik des Kompromisses mit den Unternehmern bedrohten, die Spitze zu nehmen, haben diese Frauen die Macht der kollektiven Aktion entdeckt. In Italien und Spanien haben die Kampfmethoden, die sie angewandt haben, sie schon öfters dazu gebracht, die ganze Bedeutung der Kontrolle über den Betrieb, die Arbeitsbedingungen, die gesellschaftlichen Strukturen und die Kreditvergabe durch die Arbeiterklasse und die Frauen in ihr zu entdecken. Der Kampf der Feministinnen der ganzen Welt für das „Recht auf Kontrolle über den eignen Körper“ (also für die Verwirklichung eines demokratischen, und im Prinzip von den bürgerlichen Gesetzen jedem Individuum zuerkannten Rechts, des Rechts, über sich selbst zu bestimmen) hat viele Frauen dazu gebracht, einen Schritt weiter zu gehen, indem sie z· B. die Kontrolle der Benutzerinnen und des Personals über die Informations- und Beratungsstellen für Abtreibung und Empfängnisverhütung durchsetzten, die dank ihrer Mobilisierung geschaffen worden waren. Der Kampf um die „consultori“ (Beratungsstellen) in Italien zeigt es deutlich: Obwohl ein Gesetz über die Eröffnung solcher Zentren in allen Ortschaften verabschiedet worden war, haben die Frauengruppen nur da, wo sie ein bestimmtes Kräfteverhältnis herstellen und gegenüber den Behörden massiv auftreten konnten, da wo sie es verstanden haben, alle Integrationsversuche zu vereiteln, die tatsächliche Errichtung solcher Zentren durchgesetzt, aber auch eine neue Art von Beziehungen zu den Frauen geschaffen, die zum ersten Mal kamen, um sich zu informieren, sich beraten zu lassen oder einfach etwas menschliche Wärme suchten. Erst als es ihnen gelungen war, die traditionelle Rolle der Ärzte in Frage zu stellen, sich einen Teil ihrer Kenntnisse anzueignen, haben die Frauen damit beginnen können, das Problem ihrer Sexualität und der bestehenden Verbindungen zwischen ihrer angeblichen sexuellen Passivität und ihrer Stellung in der Gesellschaft aufzuwerfen.

Allerdings bedeutet eine solche Infragestellung in der Praxis die Notwendigkeit einer Kontrolle über diese Zentren, eine gewisse Arbeitsteilung, die Beteiligung einer jeden und eines jeden an der Verantwortung und hängt also vom demokratischen Funktionieren ab, wobei es regelmäßige Diskussionen auf Vollversammlungen zwischen Personal und Benutzerinnen geben muss. Und es ist wichtig festzuhalten, dass die meisten Frauengruppen weit davon entfernt sind, Illusionen über die Möglichkeit der Schaffung von „Inseln des Sozialismus“ inmitten des Profitsystems verbreiten zu wollen. Sie heben daher in ihren Plattformen hervor, dass sie sich nicht „alternativ zu öffentlichen Einrichtungen“ verstehen, sondern dass ihre Aktionen darauf abzielen, „die Art und Weise aufzuzeigen, wie diese Einrichtungen auf die Interessen der Frauen einzugehen hätten“.

Im übrigen haben die Kämpfe für das Recht auf Abtreibung in den Betrieben immer häufiger Auseinandersetzungen über das Recht auf Mutterschaft hervor gerufen. Was die Italienerinnen die „weiße Abtreibung“ nennen (von den Arbeitsbedingungen verursachte Fehlgeburten: Vergiftungen, erschöpfender Arbeitsrhythmus, Fehlen von Arbeitspausen usw.) hat zu einer Reihe von Mobilisierungen geführt. Die erhobenen Forderungen sind an und für sich nicht neu: Sie wurden schon in den Streiks aufgestellt, die die Textil- und Tabakarbeiterinnen zu Ende des 19. Jahrhunderts für die Verlangsamung des Arbeitsrhythmus, das Recht auf Arbeitspausen, auf Stillungsurlaub, auf Arbeitsplatzwechsel auf Verlangen der Frau, auf Kinderkrippen, usw. führten; neu an ihnen ist ihre Dynamik in Richtung auf Kontrolle durch die Betroffenen selbst, Dies zeigt sich z. B. bei FAME, einer Telefonfabrik in Rom, wo die Arbeiterinnen im Rahmen der 150 Stunden Fortbildung, die den Arbeitern jährlich gesetzlich zustehen, Ausstellungen und Seminare organisiert haben, um allen Arbeiterinnen einen Einblick in die Forschung über Arbeitsklima, Gesundheitsschädigung am Arbeitsplatz und vorbeugende Arbeitsmedizin zu geben. [1] (So wurde z. B. gezeigt, dass das Schweißen eine der Hauptursachen für die „weißen Abtreibungen“ ist).

„Diese Art von schädlichen Arbeiten infrage stellen heißt, die Arbeitsorganisation in der Fabrik und auch eine gewisse gewerkschaftliche Orientierung in Frage stellen, die die Umstrukturierung, die Einführung bestimmter Maschinen, die Überstunden und die Beschleunigung des Arbeitstempos akzeptiert hat. Den Kampf um diese Fragen führen heißt, eine Gesellschaft nach menschlichem Maßstab anzustreben. So verstehe ich die 150 Stunden als Aneignung von Werkzeug, das uns in den Auseinandersetzungen in der Fabrik von Nutzen ist, und nicht einfach als Möglichkeit, irgendein Diplom zu erlangen“, sagte eine dieser Arbeiterinnen.


Der Status der Frau


Im Führen solcher Kämpfe wird auch immer wieder die traditionelle Rolle der Frau zu Hause, ihr Status in der Gesellschaft in Frage gestellt. Dies wurde beim Kampf der schwedischen Frauen für die Arbeitszeitverkürzung und den 6-Stunden-Tag deutlich: Dieser sollte sich nicht nur auf die Mütter von Kleinkindern beschränken, sondern als allgemeine Maßnahme gelten, durch die die Frage der Aufteilung der Aufgaben zwischen Männern und Frauen im Rahmen der Familie wie in der Gesellschaft in ganz anderer Weise gestellt werden sollte. Ebenso wurde dies beim Kampf für die Häuser für geschlagene Frauen in Großbritannien deutlich, wo man vom Staat forderte, den Frauen, die dort Zuflucht suchen, berufliche Ausbildungsmöglichkeiten zu sichern, ihnen Kredite zur Verfügung zu stellen und ihnen so zu erlauben, wirtschaftlich unabhängig zu werden – die einzige Möglichkeit für sie, der Hölle des Alltagslebens zu entkommen und nicht gezwungen zu sein, zu einem Ehemann zurückzukehren, der sie schlägt und dem sie ausgeliefert sind.

Im Rahmen der von Frauen und Männern getragenen Mobilisierungen für Kinderkrippen in Spanien hat es bei den Besetzungen viele Diskussionen gegeben. Eine ganze Reihe von Diskussionen bezog sich auf Themen wie: die Rolle der Mütter bei der Erziehung der Kleinkinder; die Reproduktion der traditionellen, geschlechtsspezifischen Schemata von den ersten Jahren der Erziehung an; die Notwendigkeit, dass die Väter – und die Männer des Stadtteils überhaupt – sich nach der Arbeit aktiv an der Führung der Kinderkrippen beteiligen; die Notwendigkeit, die Schranke zwischen Privatleben und „öffentlichem“ Leben zu durchbrechen; die Notwendigkeit, das Kind nicht als Privateigentum zu betrachten, sondern im Gegenteil alle möglichen Formen des Zusammenlebens im Rahmen einer Gemeinschaft zu fördern und zu ermutigen.

Schließlich muss man hervorheben, dass heute diese Probleme von einer wachsenden Anzahl von Arbeiterinnen innerhalb der Arbeiterorganisationen selbst aufgeworfen werden. „Die Gewerkschaft neigt dazu, den Frauen den Kampf für die sozialen Einrichtungen zu überlassen, weil davon ihre Möglichkeit abhängt, arbeiten zu gehen. Man muss verstehen, dass der Kapitalismus auf den Erhalt des privaten Charakters der Hausarbeit angewiesen ist. Es muss klar sein, dass zur Arbeit zu gehen nur ein erster Schritt unserer Emanzipation sein kann, aber wir müssen die Frage der Familie in unserm Kampf aufgreifen,“ sagt dieselbe italienische Arbeiterin, die sich weigert, weiterhin Kinder in die Welt zu setzen, „selbst wenn sie gute Gewerkschafter werden“.

Es ist augenscheinlich, dass nur im Rahmen eines Aufschwungs der Arbeiterkämpfe und von Erfahrungen der Selbsttätigkeit der gesamten Arbeiterklasse Frauen dazu kommen können, eine solche Debatte ausdrücklich in die Gewerkschaften einzubringen. Dies aber führt uns zu einem dritten, entscheidenden Aspekt ihres Kampfs: dem in der letzten Zeit immer wieder von Gewerkschaftsaktivistinnen zum Ausdruck gebrachten Willen, sich unter sich zu treffen, auch im Rahmen der Arbeiterorganisationen, um ihre Interessen besser zu formulieren und Mut zu fassen, das Wort zu ergreifen, Diese Haltung drückt durchaus eine neue Etappe in der Existenz einer bei proletarischen Frauen verankerten autonomen Frauenbewegung aus.

Sei es in der Debatte neulich innerhalb der Arbeiterkommissionen (CCOO) in Spanien, sei es auf der Delegiertenversammlung der italienischen Metallarbeitergewerkschaft FLM oder auf der nationalen Frauenkonferenz der französischen CGT – überall taucht dasselbe Problem auf: die Notwendigkeit für die gewerkschaftlich organisierten Frauen, sich innerhalb der Arbeiterorganisation unter sich versammeln zu können, um ihre Forderungen besser auszuarbeiten und ihre Auftrittsmöglichkeiten zu verbessern. „Die Frauen müssen sich alleine versammeln, um die Gewerkschaftskongresse vorzubereiten und alle diese Bedürfnisse nach einem neuen Leben zum Ausdruck zu bringen, welche die Männer in der Gewerkschaft haben fallen lassen“, sagte eine Delegierte der FLM auf der ersten nicht-gemischten nationalen Versammlung dieser Gewerkschaft in Mailand.

Dieses Bedürfnis nach nicht-gemischten Versammlungen in den Gewerkschaften zeigt klar, wie sich die autonome Frauenbewegung in den Ländern entwickelt, die am tiefsten von der allgemeinen Arbeiterradikalisierung geprägt sind. Nicht-gemischte Strukturen tauchen nicht mehr nur außerhalb der Arbeiterorganisationen, in völlig von der Arbeiterbewegung abgeschnittenen Gruppen auf, sondern auch im Rahmen dieser Organisationen selbst. Man sieht es in den Gewerkschaften, an den Frauengruppen, die in sämtlichen (gemischten) Basisstrukturen mit Verbindung zur Arbeiterbewegung in einem Land wie Spanien aufgetaucht: sind den Nachbarschafts- und Elternvereinigungen, den punktuellen Kampagnen zur Preiskontrolle, usw. (vgl. „Inprekorr“ Nr. 64).


Die Autonomie der Frauenbewegung und die Arbeiterklasse


Das geht in die Richtung dessen, was wir schon immer gesagt haben: Die Autonomie der Frauenbewegung kann gegenüber der Arbeiterbewegung keine politische sein, da die langfristigen Interessen der Arbeiter und der Arbeiterinnen identisch sind. Sie schließen die völlige Befreiung der Frau, die Schaffung neuer zwischenmenschlicher Beziehungen und die Aufhebung der entfremdeten sozialen Beziehungen mit ein. Die Autonomie der Bewegung aber, unverzichtbar aus all den Gründen, die weiter oben genannt wurden, liegt vor allem in der Fähigkeit der Koordinierung von nicht-gemischten Gruppen zur eigenständigen Ausarbeitung von Positionen und eigenen Initiativen; dadurch wird garantiert, dass es eine Stelle gibt, wo die Notwendigkeit des Kampfs der Frauen gegen ihr Unterdrückung ständig Priorität hat. Das setzt also voraus, dass die Arbeiterinnen, die in einer gewerkschaftlichen Frauenkommission organisiert sind, dort als Individuen oder als Delegierte der Frauen, die sich heute in nicht-gemischten Kollektiven im Rahmen der Gewerkschaft versammeln, anwesend sind und ihren Standpunkt als Frauen zur Geltung zu bringen, denn die Frauen gehören zu den Ausgebeutetsten und Unterdrücktesten. Das wird nicht ohne Schwierigkeiten bzw. Konflikte ablaufen, wenn man sich das Beispiel Italien ansieht, wo die Gruppen, aus denen die Frauenbewegung hervorgegangen ist, sich entwickelt und strukturiert haben, ohne von Anfang an in der Lage zu sein, die Radikalisierung der Arbeiterfrauen in den Betrieben zu integrieren, und wo die im Vordergrund stehenden Probleme der einen und der andern unterschiedlich erscheinen, ob wohl sie letzten Endes einen Kampf führen, der das gemeinsame Ziel hat, ihre Stellung in der Gesellschaft in Frage zu stellen.

      
Mehr dazu
Marijke Colle: Bolschewiki und Feminismus: Eine turbulente Beziehung, die internationale Nr. 2/2018 (März/April 2018)
Cinzia Arruzza: Marxismus und Feminismus, Inprekorr Nr. 2/2016 (März/April 2016)
Lidia Cirillo: Feministische Theoriebildung, Inprekorr Nr. 329 (März 1999)
Barbara Schulz: Frauen in der Oktoberrevolution, Inprekorr Nr. 253 (November 1992)
Frederiqe Vinteuil: Marxismus und Feminismus, Inprekorr Nr. 223 (Januar 1990)
 

In Spanien dagegen, wo die Arbeiterbewegung aus dem Dunkel hervortritt und nach 40 Jahren Franco-Regime erst anfängt, sich neu zu strukturieren, war sofort ein Echo der ersten Kämpfe, die 1975 von Gruppen intellektueller Frauen und Studentinnen geführt wurden, bei den Arbeiterinnen vorhanden, die in großer Zahl an den Frauenversammlungen teilgenommen haben, wie an den „Tagen von Barcelona” im vorigen Mai. Die Fähigkeit der Bewegung, auf die Positionen der Arbeiterorganisationen und ihrer Führungen Einfluss zu nehmen, erscheint hier also viel unmittelbarer. Das Problem der Organisierung der Frauen in den Gewerkschaften wurde auf dem letzten Kongress der spanischen „Arbeiterkommissionen“ aufgeworfen, wo man sich darum bemüht hat, eine unmittelbare Verbindung zwischen den dort errichteten Strukturen und den bereits existierenden Koordinationen von Frauengruppen jeder Art herzustellen.

Während die Aktivistinnen des Movimiento Comunista de España (MCE – eine maozentristische Organisation) die Schaffung eines Frauenverbands vorschlugen (was mehr oder weniger auf die Gründung einer autonomen Frauengewerkschaft hinausläuft, mit allen Gefahren der Spaltung, die daraus resultieren), haben unsere GenossInnen der LCR dem Folgendes entgegengestellt: die Schaffung von einheitlichen Frauengruppen in den Betrieben, in denen die Aktivistinnen der verschiedenen Gewerkschaften und die nicht gewerkschaftlich organisierten Frauen zusammenarbeiten; parallel dazu die Schaffung von gewerkschaftlichen Frauenkommissionen, die zu ungemischten Versammlungen aufrufen können, um über ihre Forderungen zu diskutieren (zusätzlich die Forderung nach einer effektiven Repräsentation der Frauen in allen Führungsorganen).

Die spanische Situation zeigt natürlich nur eine Tendenz in der Entwicklung der Frauenbewegung auf internationaler Ebene an, insofern es sich dort um einen sehr spezifischen Kontext der Struktur der Arbeiterbewegung insgesamt handelt, aber sie ist reich an Lehren über die Art von Diskussionen und Forderungen, die die revolutionären Marxisten gegenüber den Führungen der Arbeiterorganisationen vorantreiben müssen. Von letzteren kann man erwarten, dass sie alles in ihrer Macht stehende tun werden, um die Arbeiterinnen, die ihnen heute noch folgen, daran zu hindern, sich einer autonomen Bewegung anzuschließen, deren Aktionen, Forderungen und Dynamik gegenüber ihrer eigenen Abwartehaltung und Politik der Klassenversöhnung einen explosiven Charakter haben.

Erschien erstmals in Inprekorr Nr. 81 (3. Juni 1977)



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 442/443 (September/Oktober 2008). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Diese 150 Stunden sind Kurse, in denen die Arbeiter auf einen staatlich anerkannten, höheren Schulabschluss (z. B. die mittlere Reife) vorbereitet werden, wodurch sie bessere soziale Aufstiegsmöglichkeiten bekommen sollen. De facto – und das ist eine Errungenschaft der Klassenkämpfe in Italien – werden diese Kurse von den Arbeitern oft mitgestaltet, und die Lehrer halten sich nicht oder kaum an Lehrpläne oder Schulbücher. Die Arbeiter nutzen diese Möglichkeit, um ihre eigene Lage besser begreifen zu lernen (z. B. wird im Mathematikunterricht die Lohntüte analysiert, im Italienischunterricht Arbeitsrecht gelehrt, usw.). (Anm. d. Übers.)