Danielle Sabai und Jean Sanuk
Seit Anfang 2006 ist Thailand von einer tiefen Krise erfasst, in der verschiedene Teile der Armee, der Monarchie und der Bourgeoisie um die Macht im Staat und letztlich um die Kontrolle über die öffentliche Auftragsvergabe sowie riesige Investitionspläne streiten. [1] Die erste Phase der Proteste fand im September 2005 statt und mündete in den Staatsstreich vom 19. September 2006. Die Bewegung wurde von einem bunt zusammengewürfelten Bündnis getragen, das sich Volksallianz für Demokratie (PAD) nannte; ein Zusammenschluss aus Geschäftsleuten, MonarchieanhängerInnen, Teilen der Armee und Mitgliedern der traditionell mit Armee und Königshaus verbündeten Demokratischen Partei.
In einem Land, in dem Politik und Geschäft aufs Engste verwoben sind, protestierte das vom Pressemagnaten Sondhi Limtongkul angeführte Bündnis, in dem das alte Establishment vertreten ist, dagegen, durch Thaksin Shinawatra, der 2001 in demokratischen Wahlen an die Macht gekommen war und 2005 triumphal wiedergewählt wurde, aus den Geschäften verdrängt worden zu sein. Unter Federführung von Thaksin und seiner Partei, der Thai Rak Thai (TRT), war es „befreundeten“ GroßunternehmerInnen gelungen, das politische und wirtschaftliche Leben zu beherrschen und es im Sinne ihrer Interessen zu gestalten. [2] Die Finanzinteressen und die Macht der königlichen Familie, aber auch der Armee und gewisser nicht mit dem Thaksin-Clan verbundener Familien der Großfinanz waren ernsthaft bedroht.
2006 war es der PAD gelungen, die nationalistische Karte und die Unzufriedenheit mit der grassierenden Korruption auszuspielen und den Mittelstand in Bangkok gegen die Thaksin-Regierung zu mobilisieren. Trotz Massendemonstrationen, die über ein Jahr anhielten, büßte Thaksin in der einfachen Bevölkerung nicht an Beliebtheit ein. So blieb seinen Gegnern keine andere Wahl als der Staatsstreich vom 19. September 2006, um die Geschäfte wieder an sich zu reißen.
Was folgte, war eine 15-monatige Phase unter Führung einer von der Armee ernannten unfähigen Regierung. Sie verdeutlichte, dass die Geschäfte trotz veränderten Dekors und neuer AkteurInnen weiterliefen wie gehabt, während sich die Situation der ärmeren Schichten durch die rasche Verteuerung der Lebenshaltungskosten verschlechterte.
Die Junta nutzte diese 15 Monate zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung, um die Macht des Regierungschefs und der Exekutive einzuschränken, die führende Rolle der Armee zu festigen und die Macht der gewählten PolitikerInnen deutlich zu beschneiden. Alle Hebel wurden gezogen, um Thaksins Einfluss zu beschränken: Die TRT wurde aufgelöst, 111 führenden Parteimitgliedern die politische Tätigkeit untersagt, eine Kampagne für ein „Nein“ im Abstimmungskampf um das Referendum zur Annahme der neuen Verfassung verboten und die ehemaligen TRT-Mitglieder daran gehindert, für die Parlamentswahlen vom 23. Dezember 2007 zu kandidieren. Trotz all dieser Machenschaften der Junta brachten die Wahlen wieder jene an die Macht, die vertrieben worden waren. Die Partei der Volksmacht (PPP), die als Ersatz für die TRT gegründet worden war, erhielt deutliche Unterstützung, während die Demokratische Partei, die von der machthabenden Junta unterstützt wurde, deutlich schlechter abschnitt.
Die Armee räumte ihre Niederlage ein und versuchte anfänglich, die Beziehungen zur PPP zu entspannen, was namentlich Pojaman Shinawatra und kurz darauf ihren Ehemann Thaksin zur Rückkehr aus dem Exil bewog.
Die Krise flammte erneut auf, als die Thaksin-GegnerInnen versuchten, das Wahlergebnis zu ihrem Vorteil zurechtzubiegen, indem sie dank Gefälligkeit von Richtern des Verfassungsgerichts – samt und sonders treue „Royalisten“ und Befürworter des Staatsstreichs – einen Teil der PPP-Kandidaturen für ungültig erklärten. Die Regierung von Smak Sundaravej versuchte daraufhin, die neue Verfassung zu ändern, um sich vor einer möglichen Auflösung der PPP zu schützen.
Gleichzeitig griff die Regierung die populistische Politik ihres Vorgängers Thaksin wieder auf und baute damit ihren Rückhalt unter ländlichen Wählerschichten des Nordens und Nordostens Thailands aus.
Die im Mai 2008 gebildete PAD beschloss daraufhin, einen Feldzug gegen die Regierung zu führen, der sie vorwarf, die Verfassung ändern zu wollen, um sich vom Vorwurf der Korruption freizuwaschen, der auf dem ehemaligen Regierungschef Thaksin lastet. Schon bald legte sich das Bündnis darauf fest, den Rücktritt von Regierungschef Samak zu fordern.
Hinter der Fassade dieses Kampfes gegen Geschäftemacherei und Korruption (die auch den Mitgliedern der PAD nicht fremd sind) verfolgt die PAD im Wesentlichen das Ziel, mit der Volkssouveränität und dem Wahlsystem für das Parlament nach dem Grundsatz „ein Mensch, eine Stimme“ aufzuräumen. [3] Die PAD-Führung vertritt die Ansicht, man könne der ungebildeten Landbevölkerung und Arbeiterschicht, die ihre Stimmen bei Wahlen lokalen Führern verkauften, nicht trauen. Sie möchten den Anteil der gewählten Abgeordneten auf ein Drittel begrenzen, während die anderen zwei Drittel durch Funktionäre im Ruhestand und insbesondere höhere Offiziere, „bedeutende Persönlichkeiten“ sowie sorgfältig ausgewählte GewerkschaftsführerInnen und NGOs besetzt würden. Auch einer ständigen politischen Rolle für das Militär, das angeblich die Korruption bekämpfen und die Monarchie sowie die nationale Souveränität schützen soll, stehen sie nicht abgeneigt gegenüber.
Alle Mittel sind recht, um aufzustacheln und selbst gewaltsame Zusammenstöße zu provozieren, die einen neuen Staatsstreich rechtfertigen und die eigenen, zutiefst undemokratischen Vorstellungen voranbringen sollen. PAD-Mitglieder schrecken an Demonstrationen nicht davor zurück, gewalttätige Zwischenfälle zu provozieren, um den Eindruck zu erwecken, sie würden von RegierungsanhängerInnen angegriffen, obwohl sie die Spannungen selbst erzeugen. Sie versuchen, Konflikte zu schüren, die den Eingriff der Armee rechtfertigen sollen, um angeblich Ruhe und Ordnung wiederherzustellen.
Was den Khmer-Tempel in Preah Vihear betrifft, schreckte die PAD nicht vor dem Versuch zurück, die Regierung zu destabilisieren und den Thai-Nationalismus zu schüren, indem sie die Gefahr an die Wand malte, die nationale Souveränität und territoriale Integrität sei bedroht. Auslöser für den aufflammenden Nationalismus war die gemeinsame Unterschrift der thailändischen und der kambodschanischen Regierung unter ein Dokument, in dem sie bei der Unesco beantragten, den Tempel und seine Umgebung in die Liste des Weltkulturerbes aufzunehmen. Einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag aus dem Jahr 1962 zufolge gehört der Tempel zu Kambodscha. Doch ein 4,6 Kilometer langer Teil der Zufahrt liegt auf thailändischem Boden. Die durch die Demokratische Partei abgelöste PAD brach diese politische Krise vom Zaun, um sich der angeblichen Aufgabe der territorialen Souveränität zu widersetzen. Über 300 thailändische Persönlichkeiten, darunter SchauspielerInnen, SenatorInnen und Intellektuelle, unterschrieben einen Protestbrief an die Unesco, um das gemeinsame Ansuchen anzuprangern. Fast wäre ein Krieg zwischen den beiden Nachbarländern ausgebrochen, da beide beteiligten Regierungen gute innenpolitische Gründe hatten, voll auf die nationalistische Karte zu setzen. [4]
Die momentane Regierung wird dagegen von einem Vertreter der extremen Rechten geführt. Samak ist einer der Verantwortlichen für das Massaker an der Universität von Thammasat 1976 mit 40 Toten und des Massakers an einer Demonstration in Bangkok zugunsten der Wiederherstellung der Demokratie 1992. Er vertritt die Interessen der mit Thaksin verbundenen Handels-, Industrie- und Finanzbourgeoisie, die durch den Staatsstreich von der Macht verdrängt wurde. Auch wenn er Sozialmaßnahmen, die von der Regierung Thaksin beschlossen worden waren (kostenlose medizinische Grundversorgung, Schuldenmoratorium für Bauern, Kredite für KleinproduzentInnen und Dörfer), beibehalten hat, verfolgt er eine Klassenpolitik im Dienst der Großbourgeoisie.
Der momentane Konflikt ist leider kein Ergebnis sozialer Proteste, sondern ein Machtkampf innerhalb der herrschenden Klassen um die Kontrolle im Staat. Die thailändische ArbeiterInnenbewegung zeichnet sich durch eine schwache gewerkschaftliche Verankerung und das Fehlen politischer Parteien aus, die ihre Interessen vertreten.
Die unabhängige, kämpferische Gewerkschaftsbewegung, die im Zuge der außergewöhnlichen Konfrontationen der Jahre 1973 bis 1976 entstanden war und Verbindungen zur Bauern- und StudentInnenbewegung aufgebaut hatte, wurde in den Staatsstreichen 1976 und 1991, um nur die zwei markantesten Ereignisse zu nennen, hart getroffen. Nach den Staatsstreichs wurde jeweils das Streikrechts sowie die Organisations- und die Versammlungsfreiheit für einige Monate außer Kraft gesetzt. Dazwischen galt es in den Phasen sogenannter „parlamentarischer Demokratie“ eine Arbeitsgesetzgebung, die die Gewerkschaftsarbeit strikt auf Betriebsebene beschränkt und die Ausübung des Streikrechts oder Solidaritätsaktionen der ArbeiterInnen erschwert und jede politische Stellungnahme verbietet.
Die verschiedenen zivilen wie militärischen Regierungen haben im Übrigen die Gründung von Gewerkschaftsbünden erleichtert, um die Gewerkschaftsbewegung zu spalten und versöhnlerischen BürokratInnen, wenn nicht gar reinen Gangstern im Dienst von Polizei oder Armee die Möglichkeit zu bieten, Anspruch auf die Alleinvertretung der Arbeiterschaft zu erheben. Diese korrupten BürokratInnen erachten die Gewerkschaftsbewegung als einträgliches Geschäft, in dem es bedeutende Posten zu besetzen gibt. Noch lukrativer ist es, darüber in den Staatsapparat aufzusteigen, wofür man ein Bündnis mit den aufstrebenden Teilen von Armee, Polizei und Geschäftswelt eingehen muss und sich mit Aktionen zurückhaltet, sofern diese nicht explizit von oben gewünscht werden. Das erklärt, warum beispielsweise die Führung der State Enterprise Workers' Relations Confederation, der Gewerkschaft des öffentlichen Sektors, die 43 Gewerkschaften vereint und 200 000 Mitglieder ausweist, eng mit der PAD verbunden ist.
Trotz dieser Hindernisse konnten die unabhängigen Gewerkschaften ihre Aktivitäten auf Betriebsebene aufrechterhalten. Zeitweise organisieren sie sich bevorzugt als NGO und nicht als Gewerkschaft, um rechtliche Einschränkungen ihrer Gewerkschaftsarbeit zu umgehen und in Regionen mit hohem ArbeiterInnenanteil geografische Koordinationen zu schaffen. Es gab sehr mutige Arbeitskämpfe, namentlich im Textilsektor, wo Lohnerhöhungen und elementare Grundrechte für Arbeiterinnen gefordert und gegen exzessive Arbeitszeiten und die häufigen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten protestiert wurde. Diese Arbeitskämpfe blieben aber die Ausnahme und waren zersplittert. Es gelang nicht, sie wie in den Jahren 1973 bis 1997 in eine gemeinsame Bewegung zusammenzuführen.
Die mit kämpferischen NGOs eingegangenen Bündnisse halfen, das Bewusstsein der ArbeiterInnen zu heben und Beziehungen zu Bauern- und Dorfgemeinschaften zu knüpfen, die sich gegen die Überschuldung und Umweltzerstörung wehren. Trotz dieser Fortschritte ist es den kämpferischen GewerkschafterInnen und NGO-AktivistInnen bislang nicht gelungen, sich zu einer unabhängigen Partei zusammenzuschließen, die in den Phasen parlamentarischer Demokratie die ArbeiterInnen aller Sektoren vertreten oder den Widerstand gegen Staatsstreichs organisieren könnte. Das klägliche Ende der Kommunistischen Partei Thailands Mitte der 1980er-Jahre, die nach zwanzig Jahren sterilem maoistischem Guerillakampf, für den sie den Betrieben den Rücken gekehrt hatte, die Waffen streckte, trug zur Orientierungslosigkeit und Entmobilisierung bei. Wie überall auf der Welt steht es noch aus, eine sozialistische Perspektive für das 21. Jahrhundert zu entwerfen, um einen Erklärungsrahmen für die gegenwärtige Welt zu bieten und mögliche Alternativen aufzuzeigen.
Die vom thailändischen Staat ersonnenen rechtlichen Schikanen erklären, warum auch eine sozialdemokratische oder revolutionäre Partei fehlt. Die ArbeiterInnen müssen in der Stadt oder Ortschaft wählen, aus der sie stammen, und nicht dort, wo sie leben und arbeiten. Da die Mehrheit der städtischen ArbeiterInnen vom Land kommen, können sie keine KandidatInnen wählen, die ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechen. Die verschiedenen Regierungen haben sich wohl gemerkt gehütet, diese Wahlgesetzgebung anzutasten.
Am Dienstag, den 9. September 2008, beriefen neun Richter des Verfassungsgerichts den Ministerpräsidenten ab, weil er als Gourmet im Fernsehen eine bezahlte Küchensendung animierte, was der Verfassung widerspreche. Zwar wirft es tatsächlich ein grundsätzliches Problem auf, wenn ein Staatschef von einem Fernsehkanal bezahlt wird. Dennoch ist offenkundig, dass es sich um einen Vorwand handelt und sich einmal mehr Richter, die den Staatsstreich befürworten, das Recht anmaßen, eine politische Auseinandersetzung zu entscheiden. Trotzdem wird diese Maßnahme die Krise in keiner Weise beilegen. Aller Voraussicht nach wird Samak erneut Unterstützung erhalten und vom Fünfparteienbündnis, das zurzeit die Regierung bildet, zum Regierungschef gewählt werden.
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Diese heftige politische Krise innerhalb der herrschenden Klassen, die mit dem Regierungsantritt Thaksins 2001 begonnen hat, ist noch lange nicht gelöst. Mangels Alternative neigen manche fortschrittlichen Kräfte dazu, unter Verweis auf die demokratischen Wahlen die Regierung zu unterstützen oder sich im Gegenteil hinter die PAD und ihren Kampf gegen Korruption und Geschäftemacherei der Regierung zu stellen. Die ArbeiterInnen haben in beiden Fällen nichts zu gewinnen. Die Folge kann nur eine weitere Einschränkung des demokratischen politischen Spielraums und zusätzlich erschwerte Bedingungen für den Aufbau einer unabhängigen, die Interessen der ArbeiterInnen vertretenden Bewegung sein.
Bleibt zu hoffen, dass die aufgebrochene politische Diskussion den fortschrittlichen Organisationen erlauben wird, ihre eigenen Forderungen voranzutreiben.
Bangkok, 17. September 2008 |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 444/445 (November/Dezember 2008). | Startseite | Impressum | Datenschutz