USA

Automobilarbeiter gegen die Krise

Sollen sich die Beschäftigten für die Lockerung von Umweltstandards und die Entlastung „ihrer“ Unternehmer einsetzen? Unsere Autorin, bis vor kurzem selbst in der US-Autoindustrie tätig, tritt für einen radikalen Wechsel in der Frage ein, was und wie produziert wird.

Dianne Feeley

Jahrelang waren sie gegen Nahverkehrssysteme und kraftstoffsparende Autos. Jetzt merken die „Großen Drei“ [Chrysler, Ford und General Motors] dass ihnen im internationalen Wettbewerb die Zeit davon läuft. Die Produkte, die sie verkaufen, sind nicht die, welche die Leute wollen. Jetzt schreien sie, dass ihnen das Geld ausgeht, und alle halten ihre Hände auf für Rettungspakete. Glaubt man der Debatte, dann geht es um nicht weniger als Überleben oder Sterben der Automobilindustrie. Selten werden die Arbeiterinnen und Arbeiter, die diese Produkte herstellen, erwähnt, aber wenn, dann geht es wie ein Mantra um Opfer, Öffnung von Tarifverträgen, Kürzung von Löhnen und Sozialleistungen sowie Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Auch nach allen Entlassungen und Aufkäufen gibt es mehr als 500 000 Automobilarbeiterinnen und -arbeiter. Etwa 125 000 sind in der Montage und rund 415 000 in der Zulieferindustrie tätig. Einschließlich verwandter Industriezweige arbeiten insgesamt 3,1 Mio. Beschäftigte rund ums Auto.


Mehr Zugeständnisse in Sicht?


Ronald Gettelfinger, Vorsitzender der Automobilarbeitergewerkschaft UAW, kündigte an, weiter Kurs auf Zugeständnisse zu halten, und erklärte den Tarifvertrag von 2007 für „transformativ“ [umgestaltend]. Der Vertrag war sicher historisch, aber er war ein großer Schritt zurück, da zweistufige Löhne und Sozialleistungen für Neueingestellte dauerhaft eingeführt wurden und die Gewerkschaft die „Großen Drei“ aus der Verantwortung [für die Krankenversicherung] entlassen hat, indem sie zugestimmt hat, den neu geschaffenen Arbeitnehmer-Gesundheitsfonds (Voluntary Employee Beneficiary Association – VEBA) zu verwalten, der mit ziemlicher Sicherheit völlig unterfinanziert sein wird.

Immer wieder beklagen sich die „Großen Drei“ wie alle anderen US-Unternehmen darüber, welche erdrückende Belastung die [betriebliche] Gesundheitsversorgung für ihre Arbeitskosten bedeute. Labor Notes zufolge ist General Motors der größte private Käufer von US-Gesundheitsleistungen: 5,3 Milliarden US-Dollar für eine Million Menschen [einschl. Angehörige und Ruheständler] im Jahr 2004. Laut Konzernchef Rick Wagoner sei das mehr, als GM für Stahl bezahlt. Doch bei allem Gejammer über die Gesundheitskosten für aktive Beschäftigte, Rentner und ihre Familien, die angeblich die Kosten für jedes Auto um 1500 Dollar erhöhen, war GM nicht bereit, sich für eine flächendeckenden Krankenversicherung wie in Kanada [oder Europa] einzusetzen.

Die Lösung ist nicht weiteres Herumbasteln am veralteten und ineffizienten Gesundheitssystem, sondern eine sofortige Ausweitung der [staatlichen] Medicare auf die gesamte US-Bevölkerung. Ein solches Programm würde die enormen Profite der Versicherungsgesellschaften beschneiden und ein besseres und umfassenderes System für zwei Drittel der Kosten bereitstellen. (Eine Gesundheitsbesteuerung aller Unternehmen – weniger als das, was Unternehmen, die eine [betriebliche] Krankenversicherung bieten, heute bezahlen – würde den Großteil der Kosten aufbringen.)

Ein zweites Gebiet, von dem die „Großen Drei“ behaupten, es nicht länger bezahlen zu können, sind die Renten für ehemalige Beschäftigte (was natürlich nicht für das Top-Management gilt). Anders als bei der Situation im Gesundheitswesen, wo ein Plan für ein zentrales System dem Kongress vorliegt, hat die Diskussion über ein künftiges Rentensystem erst begonnen. Eine Lösung wäre natürlich, die öffentliche Rentenversicherung (Social Security) zu modernisieren und deren Leistungen so auszuweiten, dass private Rentensysteme überflüssig werden. Unmittelbar könnte jedoch das jetzige System auf die gesamte Transportindustrie ausgeweitet werden, wodurch die Zahl der einbezogenen Menschen steigen würde, während sich die Kosten deutlich begrenzen ließen, bis ein allgemeines, nicht-profitorientiertes System eingeführt werden kann.


Wer kann die Krise lösen?


Die Beschäftigten in der Automobilindustrie haben die Krise nicht verursacht und sollten für die Fehler des Managements auch nicht bezahlen. US-Automobilarbeiterinnen und -arbeiter sind sehr produktiv, aber wir haben keine Möglichkeit zu entscheiden, was wir produzieren. Die meisten von uns wissen, wie wir den Job besser erledigen könnten – schließlich geht es in unseren „Team“-Meetings ja darum, dass wir dem Management Ratschläge geben sollen, so dass sie sich dann überlegen können, welche Ideen sie aufgreifen und welche nicht . Aber das Management trifft alle Entscheidungen, und es trifft sie auf Grundlage des Profits.

Als Arbeiter, Verbraucher und Einwohner haben wir eine größere Perspektive. Viele von uns wissen, dass Geländewagen und Lkw zwar höchst profitable Produkte für die Unternehmen sind, aber dass diese Spritfresser weder sicherer noch umweltfreundlicher sind als kleinere, sparsamere Autos. Irgendwann muss solch ein Produktionsmodell zu einer Sättigung des Marktes führen.

Wir sind nicht der Meinung unserer Gewerkschaft, dass es zur Rettung unserer Arbeitsplätze notwendig sei, sich für weniger strenge Kraftstoffverbrauchsstandards einzusetzen. Wir glauben nicht, dass wir uns zwischen unseren Arbeitsplätzen und unserer Gesundheit entscheiden müssen. Wir haben das Recht auf menschenwürdige Arbeitsplätze und auf eine gesunde Umwelt für uns und für künftige Generationen.

Für das Rettungspaket wollen wir ein anderes Management-Modell vorschlagen.

      
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Automobilarbeiter, sowohl gewerkschaftlich organisierte wie nicht organisierte, setzen sich nicht nur uns selbst und unsere Familien ein, sondern schaffen vielleicht sieben neue Arbeitsplätze für jeden von uns. Wir wollen auch weiterhin einen Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten: nicht nur indem wir Produkte herstellen, sondern indem wir gesellschaftlich nützlichere Produkte herstellen.

Es gibt allen Grund, warum die Beschäftigten auch in anderen Branchen und Werken zusammenkommen und die Planung übernehmen sollten, wie ich es für uns vorgeschlagen habe. Wir sind diejenigen, die die Produkte herstellen, transportieren und verkaufen. Das Management hat seine Unfähigkeit zur Planung der Produktion unter Beweis gestellt. Aber das ist kein Grund zuzusehen, wie die Wirtschaft zum Stillstand kommt. Lasst uns die Ärmel hochkrempeln und an die Arbeit gehen!

Dianne Feeley ist pensionierte Automobilarbeiterin in Detroit.
Quelle: Solidarity

Übers,: Björn Mertens



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr Nr. 458/459 (Januar/Februar 2010) (nur online).