Bangladesch

Klimawandel und neoliberale Politik: der Fall Bangladesch

Danielle Sabaï

Bangladesch liegt mitten im größten Delta der Welt, wo zwei Flüsse aus dem Himalaya, Brahmaputra und Ganges, sich vereinigen und in den Golf von Bengalen ergießen; Klimakatastrophen treten hier fast regelmäßig auf. Die Hälfte des Landes in Bangladesch liegt weniger als 10 Meter über dem Meeresspiegel Es besteht größtenteils aus Lehm, der durch Flüsse, die aus den Himalaya-Gletschern abfließen, entwässert wird. Die Schneeschmelze verursacht regelmäßig kräftige Überschwemmungen. Der Küstenstreifen selbst wiederum ist Wirbelstürmen und Flutwellen ausgeliefert, die die Küstengebiete überschwemmen. Unter extremen klimatischen und geografischen Bedingungen hat Bangladesch im Laufe der Jahrhunderte ein Gleichgewicht entwickelt, das seiner dichten Bevölkerung erlaubt, dort zu leben. Die durch neoliberale Politik noch verstärkte Klimaerwärmung hat dieses empfindliche Gleichgewicht zerstört. Wohl kein Land der Welt ist heute stärker gefährdet, und die Bevölkerung von Bangladesch steht vor immensen Herausforderungen ...


Beispiellose Klimaänderungen


Keine Region in Bangladesch wird vom Klimawandel verschont.

Im Norden des Landes kann der Sommer, der früher zwei oder drei Monate dauerte, jetzt fünf oder sechs Monate anhalten, verbunden mit einem erheblichen Anstieg der Temperatur. Deshalb vertrocknen die fruchtbaren Böden und die Pflanzen verbrennen. Die Flüsse trocknen aus und die Landwirte sind abhängig von teuren Bewässerungssystemen, die das Grundwasser herauf pumpen und allmählich erschöpfen. Seit den 90er Jahren haben die Bauern auch das Problem der Kontamination des Brunnenwassers mit Arsen, das von Natur aus in den Böden enthalten ist, jetzt aber durch das Abpumpen des Grundwassers an die Oberfläche kommt. Im Winter nehmen Kälte und Nebel immer mehr zu, was zur Zerstörung vieler Gemüse- und Saisonkulturen führt.

Im Süden steigt die Temperatur im Sommer stetig und die Kälte im Winter wird immer heimtückischer. An der Küste treten Wirbelstürme häufiger und heftiger auf. Flutwellen, die das fruchtbare Land an den Küsten überschwemmen, erhöhen dauerhaft den Salzgehalt des Bodens und der Flüsse und machen das Land ungeeignet für die Bewirtschaftung.

Das Land hat nur noch drei Jahreszeiten, einen Sommer, einen Winter und eine Regenzeit, während es früher sechs waren. Während dieser Zeiten scheint das Klima Amok zu laufen: Die Sommer werden immer wärmer und trockener, die Winter immer strenger und die Regenzeiten immer nasser. Überschwemmungen und Wirbelstürme, die es in Bangladesch immer gab, treten nun häufiger und vor allem außerhalb der gewohnten Zeiträume auf.

Der Klimawandel ist definitiv verantwortlich für dieses Chaos, zumindest teilweise. Die Erwärmung der Atmosphäre beschleunigt das Schmelzen der Gletscher am Nord- und Südpol und lässt den Meeresspiegel steigen. Die Küstengebiete von Bangladesch werden nach und nach vom Salzwasser überflutet. Der dritte Bericht des Weltklimarats (IPCC) schätzte, dass das Land 10,9 % seiner Fläche verlieren könnte, wenn der Meeresspiegel um 45 Zentimeter steigt.

Im Norden werden die Flüsse, die Bangladesch durchqueren, vom Schmelzwasser der Himalaya-Gletscher gespeist. Mit der Klimaerwärmung schmelzen die Gletscher schneller ab, als das Eis neu gebildet werden kann. So verringern sich die Abflussmengen allmählich, und wenn das Phänomen anhält, könnten die Flüsse bald versiegen und eine Wüstenbildung im Norden Bangladeschs verursachen.

Aber derzeit erhöht zunächst die Zunahme der Niederschläge im Monsun zusammen mit einer Verstärkung der Gletscherschmelze den Wasserablauf. Der Ablauf dieses Wassers wird aber durch die Erhöhung des Meeresspiegels erschwert. Die Kombination dieser beiden Faktoren macht Überschwemmungen häufiger und kräftiger.

Angesichts des Meeresspiegelanstiegs reichen die in den 60er Jahren gebauten Deiche mit ihrer Höhe von fünf Metern nicht mehr aus, um die Küstenorte vor den Fluten zu schützen. Die Kombination von steigendem Meeresspiegel und Ablagerungen von Milliarden Tonnen von Schlamm durch die Flüsse des Nordens lässt sich das Eindringen von Salzwasser in tiefer liegende Gebiete nicht mehr verhindern. Die Deiche halten das Regenwasser im Landesinneren zurück und verstärken dadurch die Überschwemmungen.


Durch die neoliberale Politik wird die Situation noch verschärft


Der Klimawandel ist nicht allein verantwortlich für die Umweltzerstörung, deren ersten Opfer die Menschen in Bangladesch sind. In den 80er Jahren haben die Regierungen eine Wirtschaftspolitik entwickelt, die sowohl auf Exporte als auch auf die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion orientiert. Diese Politik wurde angetrieben und gefördert von internationalen Organisationen wie der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds, der Asiatischen Entwicklungsbank, der US-Entwicklungsbehörde und dem britischen Entwicklungshilfeministerium.

Wie auch anderswo haben die Strukturanpassungsmaßnahmen in Bangladesch die Privatisierung großer Staatsbetriebe und die Öffnung des Energiesektors für ausländisches Kapital favorisiert. Es war das Gleiche im Bereich des Bergbaus in den 90er Jahren.

Der Rückzug des Staates hat die Krise in den Bereichen Bildung und Gesundheit beschleunigt und den Weg für private Dienstleistungen geebnet. Im Namen der Entwicklung haben diese Wirtschaftsreformen erlaubt, den Landbesitz zu konzentrieren und Millionen von Menschen zu enteignen. Sie haben einen Teufelskreis der Abhängigkeit geschaffen, aus dem sich die Bäuerinnen und Bauern in Bangladesch nur schwer befreien können.

An der Küste haben sich die Anlagen zur Garnelenzucht für die Bedienung eines explodierenden Marktes in den wohlhabenden Ländern vervielfacht. Bangladesch ist heute weltweit der fünftgrößte Produzent von Garnelen. Etwa 130 Unternehmen teilen sich die Gewinne einer Branche, die fast eine Million bangladeschischer Arbeiterinnen und Arbeiter für weniger als einen Euro pro Tag beschäftigt. 190 000 Hektar von Mangrovenwäldern und fruchtbarem Land wurden in Aquakulturen verwandelt. Das ursprünglich landwirtschaftlich genutzte Gebiet wurde zu niedrigen Preisen den Kleinerzeugern abgekauft und dann in Anlegen zur Garnelenzucht umgewandelt, was die Versalzung des Bodens erhöht und das Land endgültig unbrauchbar für den Anbau macht.

Diese Industrie gefährdet die Existenzgrundlage der Bauern, ohne andere Arbeitsplätze in ausreichender Zahl zu sichern. In den Sundarbans hat die Garnelenzucht das fragile Gleichgewicht, das der örtlichen Bevölkerung erlaubte, von den Ressourcen des größten Mangrovenwalds der Welt zu leben, zerbrochen. Das Ökosystem kann sich an die Versalzung des Wassers und Erhöhung der Temperaturen nicht schnell genug anpassen. Die großen Bäume verschwinden und auch eine große Zahl von Tier- und Pflanzenarten. Die Bauern, die einst Reis angebaut und keine Arbeit in den Aquakulturen gefunden haben, wurden zu Fischern in den Sundarbans. Aber die Mangroven können dem kombinierten Druck der immer bedeutenderen Kleinfischerei und der Garnelen-Industrie, die von der Verschmutzung zerstörte Seen hinterlässt, nicht standhalten. Dies bewirkt eine ökologische Katastrophe und verstärkt die Auswirkungen des Klimawandels, da die Mangroven ein Puffer zwischen Land und Meer sind. Sie schützen gegen die Erosion, die von den auf die Küste treffenden Wirbelstürmen verursacht wird.

Im Binnenland hat der Wille, die landwirtschaftliche Produktivität der Felder rasch zu steigern, zu einem übermäßigen Einsatz von Düngemitteln geführt. Dies verstärkt den Rückgang der Artenvielfalt und die Bodenerosion.


Ernährungssouveränität und Klimaflüchtlinge


Die sozialen Herausforderungen sind gewaltig für die 150 Millionen Menschen in Bangladesch und insbesondere für die Ärmsten. Ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze und 70 % sind ohne Land. Klimawandel und neoliberale Politik bedrohen den Lebensstil von Millionen von ihnen. Prognosen gehen davon aus, dass fast 40 Millionen Menschen Klimaflüchtlinge werden könnten. Die Hauptstadt Dhaka wird die massiv verdrängte Bevölkerung nicht absorbieren können, die zu erwarten ist, wenn ein Teil des Landes unbewohnbar ist, weil es überflutet oder zur Wüste geworden ist. Sie nimmt bereits jedes Jahr eine halbe Million Bauern auf, deren traditionelle Umwelt zerstört wurde. Die Lösung kann auch nicht vom benachbarten Indien kommen, das mit Bangladesch eine 4000 km lange gemeinsame Grenze hat und einen doppelten Stacheldrahtzaun von 2,5 Metern Höhe und über 2500 km Länge errichtet hat. Die indische Regierung behauptet, sich so gegen Terrorismus und Menschenhandel schützen zu wollen. Tatsächlich unterbindet er den Strom von Migranten von beiden Seiten der besonders komplexen Grenze. Eine Antwort muss aber auf Zusammenarbeit und gegenseitiger Unterstützung beruhen und ganz sicher nicht auf Sperrung der Grenzen und Repression.

In einem Land, in dem die Landwirtschaft einen Anteil von 20 % des BIP und 65 % der Beschäftigten umfasst, erscheint Ernährungssouveränität als eine der Schlüsselfragen, die es Bauern ermöglicht, den Klimawandel zu mindern und sich an seine Folgen anzupassen, und gleichzeitig eine überwiegend arme Bevölkerung zu ernähren.

Das Paradigma der Ernährungssouveränität ist das Gegenteil des dominierenden Modells des Agrobusiness, bei dem die Jagd nach Profit vor den Nahrungsbedürfnissen der Menschen und der Rücksicht auf die Umwelt kommt. Dieses Paradigma „bekräftigt das Recht der Menschen vor Ort, ihre eigene Agrar- und Ernährungspolitik zu definieren, ihren eigenen Markt zu kontrollieren und die lokale Landwirtschaft durch die Verhinderung des Abfließens der landwirtschaftlichen Überschüsse zu fördern. Es fördert vielfältige und nachhaltige Methoden der Landnutzung, die die Erde respektieren und den internationalen Handel nur als Ergänzung zur lokalen Produktion betrachten. Ernährungssouveränität bedeutet, die Kontrolle der natürlichen Ressourcen wie Boden, Wasser, Saatgut an die lokalen Gemeinschaften zurückzugeben und gegen die Privatisierung des Lebens zu kämpfen.“ [1]

      
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Das Scheitern der Konferenz von Kopenhagen sollte uns an die Unfähigkeit der Regierungen der Großmächte erinnern, konkrete Maßnahmen zu beschließen und durchzuführen. Die bevorstehende Klimakatastrophe wird sich nicht abwenden lassen, ohne sich vom kapitalistischen System zu lösen, das auf der Suche nach Gewinnmaximierung und unbegrenzter Akkumulation basiert – Zielen, die mit der Bewahrung der Umwelt und der Befriedigung sozialer Bedürfnisse unvereinbar sind.

Bauernorganisationen wie Bangladesh Krishok Föderation (BKF) und Kisan Sabha Bangladesch (BKS) [2] organisieren Workshops mit Landwirten, um Auswirkungen des Klimawandels zu beurteilen und zu Fragen des Zugangs zu Land und zur Ernährungssouveränität zu mobilisieren. Für Ende des Jahres 2011 planen die beiden Organisationen eine Karawane für die Ernährungssouveränität, die von Land zu Land ziehen soll. Die Veranstalter wollen die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen informieren und mobilisieren, an den Erfahrungen der bäuerlichen Basisbewegungen teil zu haben und die internationale Solidarität zu Fragen des Klimawandels und der Ernährungssouveränität, vor allem in Südasien, zu entwickeln. Die Rolle dieser fortschrittlichen und unabhängigen Organisationen ist sehr wichtig. Sie sind ein wichtiger Teil beim Aufbau einer radikalen globalen Massenbewegung für Klimagerechtigkeit

Übersetzung: Björn Mertens



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 4/2011 (Juli/August 2011). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Siehe den Artikel von Esther Vivas, «Alternatives to the Dominant Agricultural Model», in International Viewpoint.

[2] Bangladesh Krishok Federation (BKF) und Bangladesh Kisani Sabha (BKS) sind zwei Bauernorganisationen, die Via Campesina in Bangladesch vertreten. Siehe http://www.krishok.org/