Konjunkturbelebung, niedriger Stand der Klassenkämpfe, Wahlniederlagen und Führungsstreit – die Linkspartei befindet sich in einer heftigen Krise.
B. B.
Bei den letzten Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig Holstein und NRW verlor Die Linke 343 004 WählerInnen. Das waren in den drei Bundesländern insgesamt mehr als die Hälfte der WählerInnen der vorhergehenden Landtagswahlen.
Wenn dabei die Linkspartei im Saarland an die Piratenpartei, die SPD und an NichtwählerInnen verloren hat, in Schleswig-Holstein an die Piratenpartei und an die NichtwählerInnen; in NRW an die SPD und an die Piratenpartei, dann entwickelt sich das Bewusstsein bei einem Teil der ArbeiterInnenklasse (von „ProtestwählerInnen“ ganz abgesehen) nicht nach „links“, sondern nach „rechts“. Was sind die Ursachen?
Wenn trotz der anhaltenden Erschütterungen der kapitalistischen Weltwirtschaft die Linkspartei 343 000 WählerInnen verlor, dann zeigt das auch auf der parteipolitischen Ebene, dass die Krise nicht auf die BRD durchschlägt, jedenfalls nicht direkt. Die Erwerbslosigkeit steigt nicht, sondern sinkt. Für viele Lohnabhängige zählt der aktuelle Konjunkturaufschwung in Deutschland und nicht die offenkundige Krise in vielen Ländern Europas oder den USA. Die Empörung über Hartz IV und Rente mit 67, die der SPD nicht vergessen und verziehen werden, wird überlagert von den durch ver.di und IG Metall ausgehandelten Lohnerhöhungen, zu denen CDU-Finanzminister Schäuble aufgefordert hatte, und durch die Zuschläge für LeiharbeiterInnen in der Metallindustrie, die von Bundesarbeitsministerin von der Leyen (CDU) begrüßt wurden. Die Gewerkschaftsführungen sehen sich auf Erfolgskurs und wähnen keinen Grund für gesellschaftlichen Protest. Die soziale Frage steht nicht im Mittelpunkt. Für viele ist der Blick auf die Krise des Systems verstellt, während ihn eine kleine revolutionäre Minderheit ins Zentrum ihre Aktivitäten rückt. Die gute Konjunktur verhindert die Ausweitung der Anti-Krisen-Proteste zur Anti-Krisen-Bewegung und schwächt die Zustimmung zur Linkspartei.
Zur schwierigen objektiven Lage kam ein Wahlkampf der Linkspartei in NRW, der sich nicht auf die kapitalistische Systemkrise konzentrierte, sondern auf Sofortforderungen wie „Kitas für alle“, „landesweites Sozialticket“ und „Löhne rauf (ihr seid es wert!“). Die Forderung einer „Millionärssteuer“ ist kein Gegenbeispiel. Sie wurde auch von der Linkspartei im Saarland und in Schleswig-Holstein gefordert. Die „Enteignung der Banken“ konnte schon deshalb keine zentrale Forderung des Wahlkampfes der NRW-Linkspartei werden, verhinderte doch ein Teil der Mehrheit der Antikapitalistischen Linken des Landesverbandes schon den Wahlkampfslogan „Löhne rauf – Diäten runter!“, weil er zu radikal sei. Damit verpasste die antikapitalistische Mehrheit der Linkspartei in NRW die einmalige Chance, einen antikapitalistischen Wahlkampf zu führen und zur Herausbildung von Klassenbewusstsein beizutragen. Ihren „Antikapitalismus“ spart sich diese Strömung lieber für Parteitage auf.
Wahlplakat DIE LINKE, NRW 2012 |
Sicherlich hätte auch ein Wahlkampf rund um die „Enteignung der Banken“ nicht die Abwendung von der Linkspartei und den Fall unter die 5-%-Hürde verhindern können. Aber eine scharfe Kritik an der kapitalistischen Systemkrise hätte gesellschaftlich polarisierend gewirkt und vielleicht einen Teil der früheren WählerInnen überzeugt.
Für eine reformistisch-parlamentarische Partei wie die Linkspartei wiegen Wahlniederlagen mindestens so schwer wie Niederlagen im offenen Klassenkampf. Wenn die Linkspartei im Saarland 1/3, in SH 2/3 und in NRW über die Hälfte der bisherigen WählerInnen verloren hat, kann sie nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.
Wo die Inhalte schwach sind, symbolisieren sogenannte Führungspersönlichkeiten die politische Perspektive. Dass gerade der ehemalige Ministerpräsident des Saarlandes und frühere Bundesfinanzminister von den Linken innerhalb der Linkspartei zur Symbolfigur ausersehen ist, spricht weder für Oskar Lafontaine noch für die Antikapitalistische Linke. Mit seinem verhinderten Durchmarsch zum Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten werden die Grabenkämpfe innerhalb der Linkspartei neu eröffnet.
Wahlplakat DIE LINKE, Duisburg |
Wie die Entrevolutionierung von Genoss_innen aussieht, zeigt das Beispiel der Linkspartei in Duisburg. Deren 30-köpfige Gesamt-Ratsfraktion (Stadtrat, Ausschüsse und Bezirksvertretungen) wird sei Jahren – wie ehemals die gesamte Linkspartei vor Ort – von Menschen gelenkt, die sich früher selbst als revolutionär verstanden. Vor Zeiten selbst außerparlamentarisch aktiv bilden die ehemaligen Revolutionär_innen heute im Stadtrat eine Koalition mit SPD und Grünen. Dass mit diesen nur bürgerliche Politik zu machen ist, ist auch der Ratsfraktion der Linkspartei bewusst. Ihr eigenes Selbstverständnis lautet: „In der Kommunalpolitik können und müssen wir auf vielen Gebieten Gestaltungsspielräume wahrnehmen – im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft.“
So im Fall der Siedlung am Zinkhüttenplatz in Duisburg-Marxloh, deren 1000 Mieter_innen um den Erhalt der Häuser mit 400 Wohnungen kämpfen. Diese sollen nach dem Willen der Stadtratskoalition SPD-Grüne-Linkspartei abgerissen werden, um für 125 Mio. Euro einem Outlet-Center zu weichen. Während die Duisburger Linkspartei mehrheitlich für den Erhalt der Siedlung eintritt und einige ihrer Mitglieder in der BürgerInnen-Initiative eine vorantreibende Rolle spielen, verteidigt die Gesamt-Fraktion der Linkspartei im Stadtrat unter der Führung der Ex-Revolutionärinnen den Abriss mit dem Argument „Duisburg braucht nichts dringender als neue Erwerbsarbeitsplätze, mehr Gewerbesteuereinnahmen und wirtschaftliche Belebung“.
Die Kämpfe um den Erhalt alter Siedlungen haben im Ruhrgebiet Tradition. Über Duisburg hinaus wurde der Widerstand der BewohnerInnen gegen den Abriss der Bergarbeitersiedlung Zeche Rheinpreußen bekannt. Nachdem schon 1200 Wohnungen abgerissen und an ihrer Stelle Hochhäuser errichtet worden waren, sollten 1975 auch noch die übrigen 550 Häuser zerstört werden. Die BewohnerInnen protestierten so lange mit Hungerstreiks und anderen Aktionen, bis sie den Erhalt der Zechenhäuser durchsetzten. Statt im Fall des Outlet-Centers in Marxloh bei solchen Aktionen anzusetzen, setzt heute die Fraktion der Linkspartei im Stadtrat die sozialdemokratische Wohnungspolitik mit der Abrissbirne aus den 1960er-1980er Jahren fort.
Ähnlich sieht es im Fall der Sanierung des Haushalts der Stadt Duisburg aus. Die Gesamtschulden der Stadt liegen bei 1,6 Mrd. Euro Kassenkredite, 500 Mio. Euro Investitionskredite und über 1,2 Mrd. Euro Kredite der Stadtwerke und Wirtschaftsbetriebe (= Gesamtschulden von 3,3 Mrd. Euro). NutznießerInnen sind die Banken, an die allein die Stadt 2011 rd. 70 Mio. Euro Zinsen zahlte. 2021 sollen es 160 Mio. Euro werden. Die Explosion der Zinszahlungen in den letzten fünfzehn Jahren hängt mit den Prestige heischenden Großprojekten zur „Stadterneuerung“ zusammen, die Duisburg die Freizeitmeile Innenhafen und Oberhausen die Shoppingmall CentrO. bescherten.
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Wie unter diesen Umständen linke Politik in Duisburg zu machen ist, wissen die ehemaligen Revolutionär_innen in der Gesamtfraktion der Linkspartei genau: „Unseriöse Lippenbekenntnisse reichen nicht aus. Alle Ratsmitglieder wissen, dass spätestens am 25. Juni 2012 im Rat ein Sparpaket mit einer Wirkung von ca. 60 Millionen Euro verabschiedet werden muss. Politikerinnen und Politiker, die das nicht umsetzen wollen, müssen alternative Deckungsvorschläge vorlegen“. Zur Deckung stimmt die Fraktion der Linkspartei auch dem Abbau von Arbeitsplätzen zu: „DIE LINKE setzt sich entschieden für ein Personalentwicklungskonzept in der Stadtverwaltung ein, das Aufgabenbewältigung, Ausbildung und Übernahme sichert. Eine Garantie zum Erhalt aller vorhandenen Stellen in einer langfristig schrumpfenden Stadt kann die Kooperation aber nicht geben. Bis 2023 werden rd. 1 200 Beschäftigte der Verwaltung altersbedingt und erfahrungsgemäß 600 durch Fluktuation ausscheiden“.
Für die Linken im Stadtrat sind „sofortige Schuldenstreichung“ und die „Vergesellschaftung von Banken“ anscheinend Forderungen, die für unterentwickelt gehaltene Länder, für Griechenland oder allenfalls für den 1. Mai taugen – nur für die Lage in Duisburg nicht. Schließlich machen die Ex-Revolutionärinnen im Duisburger Stadtparlament „Realpolitik“.
Bei den Protesten gegen das Outlet-Center und gegen das Sparpaket zur Sanierung des städtischen Haushalts stehen die Gesamtfraktion und die offizielle Linkspartei in Duisburg auf verschiedenen Seiten der Barrikaden. Die Anhänger der Gesamtfraktion verließen zwei Mitgliederversammlungen, die sich für den Erhalt der Zinkhüttensiedlung aussprachen bzw. die Kürzungen zur Haushaltssanierung ablehnten. De facto machen die Mitglieder der Ratsfraktion der Linkspartei jedoch, was sie wollen. Konsequenzen, wie z. B. den Ausschluss aus der Partei wegen Bruch von Beschlüssen, brauchen sie nicht zu befürchten. Warum auch, macht doch die Linkspartei in der Landesregierung in Brandenburg im Großen nichts anderes als ihr kleiner Ableger im Duisburger Stadtrat.
B. B. ist Leitungsmitglied des RSB/IV. Internationale |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 4/2012 (Juli/August 2012). | Startseite | Impressum | Datenschutz