Manuel Kellner
Die Entstehung der WASG 2004/2005 und die Schaffung der Partei DIE LINKE aus Die Linke.PDS und WASG waren eine Antwort auf die Agenda-2010-Politik von SPD und Grünen und politischer Ausdruck der massiven Proteste 2003/2004. Damit ist in Deutschland eine als bundesweit agierend wahrgenommene Kraft der politischen Linken entstanden, während die PDS/Linkspartei noch als östliche Regionalpartei mit schwachen westlichen Anhängseln betrachtet worden war.
Mit knapp 12 % der Stimmen bei den Bundestagswahlen 2009 hatte DIE LINKE ihren wahlpolitischen Zenit (zumindest vorläufig) überschritten. Danach gingen die Umfragewerte auf bis zu 6 % zurück. Mit 5,6 % der Stimmen bei den Landtagswahlen in NRW 2010 schien der Durchbruch in den westlichen Bundesländern geschafft. Die herben Wahlniederlagen in Schleswig-Holstein am 6. Mai und vor allem in NRW am 13. Mai, deren Landesverband zu Recht dem linken Flügel der LINKEN zugerechnet wird, stellen das wieder massiv in Frage.
Beim Göttinger Parteitag der Bundespartei konnte trotzdem eine umfassende „Revanche“ des Mitregiererflügels um Dietmar Bartsch vermieden werden. Mit Bernd Riexinger als Sprecher und Sahra Wagenknecht als einer der beiden stellvertretenden Sprecherinnen bleibt die Orientierung der Partei offen. Ohne Frage waren die Mitglieder der östlichen Bundesländer durch die geltenden Regeln auf diesem Parteitag unterrepräsentiert. Das reale Gewicht des Forums Demokratischer Sozialismus (FDS) und aller für mehr Anpassung eintretenden Kräfte ist durch den Misserfolg der NRW-LINKEN objektiv größer geworden.
Gleichzeitig fehlen auf Bundesebene und in den allermeisten Fällen auf Landesebene reale Optionen des „Mitregierens“ als Juniorpartnerin der SPD oder von SPD und Grünen. Ein innerparteiliches „Patt“ bleibt damit vorerst bestehen. Revolutionäre MarxistInnen müssen auf alle denkbaren Varianten vorbereitet sein – es steht aber keine Spaltung der Partei an, sondern das Ringen um den richtigen Weg zu einem neuen Aufschwung der Partei und um die Entwicklung adäquater Antworten auf die aktuellen Herausforderungen, angefangen mit der Krise der EU, gestützt auf die im neuen Parteiprogramm festgelegte Orientierung auf die Überwindung des Kapitalismus.
Wahlplakat DIE LINKE, NRW 2012 |
Nach dem Einzug in den Landtag von NRW war DIE LINKE, eindeutig links orientiert im Spektrum der Gesamtpartei, mit einer SPD/Grünen-Minderheitsregierung konfrontiert, hinter der 90 von 181 Abgeordneten standen. Als Oppositionsfraktion mit 11 Abgeordneten war DIE LINKE im Landesparlament gezwungen, ihr Verhalten bei jeder Abstimmung sorgsam zu erwägen.
Sie hatte im Wahlkampf die Ablösung der schwarz-gelben Koalition gefordert und Hannelore Kraft daher mit zur Ministerpräsidentin gewählt. In der Folgezeit erreichte sie in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und den außerparlamentarischen Bewegungen und Verbänden eine ganze Reihe positiver Maßnahmen, gestützt auch auf das Bestreben von SPD und Grünen, sich aus dem Image der Agenda-2010-Parteien herauszuarbeiten.
Die wichtigsten der 18 Anträge, für die DIE LINKE stimmte, waren: die Abschaffung der Studiengebühren und der Kopfnoten, eine neues Tariftreue- und Vergabegesetz, verbesserte Mitbestimmung im öffentlichen Dienst, Möglichkeit der Abwahl von Oberbürgermeistern und verbesserte Bedingungen für Bürgerbegehren in den Kommunen und die Aufhebung der Residenzpflicht für Flüchtlinge.
Durch Enthaltung ließ DIE LINKE NRW den Nachtragshaushalt 2010 und den Haushalt 2011 passieren, die beide eine moderate Akzentverschiebung weg von der Agenda-Politik darstellten und die Roten Haltelinien nicht überschritten – keine Privatisierungen, kein Sozial- und Personalabbau –, zumindest im Großen und Ganzen nicht. Die Fraktion der LINKEN lehnte neue Milliarden für die WestLB (trotz massiver Neuwahldrohungen von SPD und Grünen) und Diätenerhöhungen konsequent ab.
Den Haushalt 2012 lehnte DIE LINKE ebenfalls ab, weil das Gros der Steuermehreinnahmen der Haushaltskonsolidierung aufgeopfert wurde, zu Lasten unerlässlicher sozialer Ausgaben und Zukunftsinvestitionen. Dafür nahm DIE LINKE NRW Neuwahlen in Kauf, bei denen – schon nach damaligen Umfragen im März 2012 – der Verlust ihrer Mandate drohte. Sie zeigte sich damit widerständig gegen die Versuchungen der Anpassung.
Wolfgang Zimmermann |
In der LINKEN NRW war keine Diktatur des Fraktionsvorstands entstanden. Gerade die heiß umstrittenen schwierigen Entscheidungen wurden letztlich von repräsentativen Parteiinstanzen entschieden – so klare Bedingungen für eine Enthaltung zum Haushalt 2012: rund eine Milliarde Mehrausgaben für ein landesweites Sozialticket für 15 Euro, für mehr gute KiTa-Plätze, für mehr sozialen Wohnungsbau und für mehr Geld für die Kommunen. Das „Nein“ der Fraktion zum Haushalt 2012 war dann solide begründet, weil SPD und Grüne diesen Forderungen der LINKEN wegen „Schuldenbremse“ und „Konsolidierung über alles“ nicht entgegenkamen.
Mit Ausnahme der Anti-AKW-Bewegung hat es in den zwei Jahren der Präsenz der LINKEN im Landtag von NRW nach Abklingen der erfolgreichen Studierenden-Bewegung keine bedeutenden außerparlamentarischen Mobilisierungen mehr gegeben. Vor allem eine Ausweitung der Bewegung der Sozialproteste blieb aus. DIE LINKE NRW versuchte zwar systematisch, die Landtagsarbeit ihrer Fraktion mit den Bewegungen zu verzahnen und außerparlamentarische Mobilisierungen mit anzuschieben, aber nur mit sehr mäßiger Wirkung.
Die besondere Situation mit einer Minderheitsregierung hatte die Fraktion der LINKEN dazu gebracht, deutlich mehr Zeit und Energie in die Landtagsgremien zu stecken, als es dem politischen Geschmack der meisten ihrer Abgeordneten entsprach. Die politisch am weitesten rechts stehenden Abgeordneten führten auch einen ständigen Kleinkrieg gegen die knappe und instabile linke Mehrheit und besonders gegen die beiden Genossen, die in der isl organisiert sind – Wolfgang Zimmermann, der Co-Vorsitzender in ständigem Konflikt mit seiner Co-Vorsitzenden Bärbel Beuermann war, und Michael Aggelidis, der energie- und wirtschaftspolitischer Sprecher war, und den sich der haushalts- und finanzpolitische Sprecher Rüdiger Sagel zum persönlichen Rivalen auserkoren hatte.
Das hat auch viele Kräfte gebunden, zumal nicht klare gegensätzliche politische Optionen und Orientierungen auf den Tisch gelegt wurden. Stattdessen waren ominöse Andeutungen und persönliche Angriffe an der Tagesordnung. Die Teilnahme an den wöchentlichen Fraktionssitzungen war in aller Regel eine Tortur.
Obwohl der bundesweite Trend gegen sie war, muss DIE LINKE NRW sich nun mit der Frage auseinandersetzen, warum sie ihre Erfolge im Parlament nicht in politische Lernprozesse auf Massenebene außerhalb des Parlaments umsetzen konnte, sondern im Ergebnis die SPD wahlpolitisch neu erstarken konnte und die Piraten den Protest gegen die etablierte Politik auf ihre Seite ziehen konnten. Bei den Wahlen verlor DIE LINKE NRW ja 90 000 Stimmen an die SPD und 80 000 an die Piraten.
Wahlplakat DIE LINKE, NRW 2012 |
Ins Auge springen geringe Organisationskraft und schwache soziale Verankerung der LINKEN NRW und eine entsprechend hohe Abhängigkeit von den bürgerlichen Medien, die diesmal DIE LINKE totschwiegen und schwach schrieben und für SPD-Kraft und FDP-Lindner und Piraten über die Maßen warben.
Hinzu kommt die Erkenntnis, dass die potenziellen WählerInnen der LINKEN laut Umfragen auch bei Zustimmung zu den im Wahlkampf von ihr artikulierten Vorschlägen und Forderungen der LINKEN keinen substanziellen Beitrag zur Verwirklichung dieser Forderungen zugetraut haben – und in den Piraten die antietablierte Kraft des Protestes gesehen haben, und nicht mehr in der LINKEN.
Es gilt für DIE LINKE NRW jetzt, Lehren aus dieser Erfahrung zu ziehen und auf dieser Grundlage einen neuen Anlauf zu unternehmen, sich gesellschaftlich stärker zu verankern, auch außerhalb von Wahlkämpfen handlungsfähige Kreisverbände aufzubauen, verstärkt an außerparlamentarischen Mobilisierungen teilzunehmen und die Wiedereroberung auch der parlamentarischen Präsenz vorzubereiten.
Das ist auf dieser Abstraktionsebene noch relativ leicht gesagt. Zugespitzt ist die Herausforderung ja die, gleichzeitig das Image der Protest- und Mobilisierungspartei wiederzuerobern und doch auch zu vermitteln, dass eine Stimme für DIE LINKE, Unterstützung der LINKEN, Arbeit in der LINKEN nützlich sind für die Verwirklichung realer sozialer, ökologischer und demokratischer Fortschritte. Das klingt wie die Quadratur des Kreises.
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Für revolutionäre Marxistinnen und Marxisten ist in diesem Zusammenhang wichtig, für eine strategische Verbindung der Abwehrkämpfe und des Kampfs um Sofortforderungen mit dem Kampf um die Entmachtung des Kapitals und für die Ablösung des Kapitalismus durch eine sozialistische Demokratie zu werben – im Gegensatz zur Trennung des Kampfs um Sofortforderungen von einem in unwägbarer Ferne liegenden sozialistischen Ziel.
In diesem Zusammenhang muss erreicht werden, dass die grundlegende Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu Gunsten einer gemeinwirtschaftlichen Ordnung wieder zur öffentlich debattierten Option wird. Dazu gehört die Argumentation gegen die EU und für eine demokratisch legitimierte, neue politische Union Europas auf Grundlage einer konstituierenden Versammlung und einer vorangehenden öffentlichen Debatte, bei der die soziale Gerechtigkeit, die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungen, die Solidarität und die ökologische Nachhaltigkeit als europäische Verfassungswerte durchgesetzt werden.
Zudem muss DIE LINKE ihr gewerkschaftliches Profil stärken – nicht nur an der Seite der Gewerkschaften stehen, sondern auch für eine linke statt einer sozialdemokratischen Orientierung der Gewerkschaften und für die Vorbereitung einer betriebs- und branchenübergreifenden Massenstreikbewegung für die Umkehrung der Kräfteverhältnisse und für die Durchsetzung der Interessen der Beschäftigten, Erwerbslosen und Benachteiligten.
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 4/2012 (Juli/August 2012). | Startseite | Impressum | Datenschutz