1. |
Die Große Koalition ist abgewählt worden – mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt. Union und SPD haben die schlechtesten Ergebnisse seit Bestehen der BRD eingefahren, während am rechten Rand die spektakulären Wahlerfolge für FDP und AfD das politisch-parlamentarische Kräfteverhältnis nach rechts verschieben. Das soziale Element in der sich bislang abzeichnenden Jamaika-Koalition wird nur noch von den Sozialausschüssen der Union repräsentiert, die kein politisches Gewicht haben, während zu erwarten ist, dass die unleugbaren Notstände in der Infrastruktur (Bildung, Gesundheit, Verkehr etc.) mit einer Verschärfung der Rezepte beantwortet werden, die sie erst hervorgebracht haben: mit mehr Privatisierung und einer Zunahme der sozialen Ungleichheit.
Die rassistische Rechte geht gestärkt aus diesen Wahlen hervor. Sie wird versuchen, in vielen Feldern rechte, rassistische und faschistoide Losungen noch publikumswirksamer zu verbreiten und in der Weise „gesellschaftsfähig“ zu machen, dass die AfD bei künftigen Wahlen noch einflussreicher wird. Auch ohne dass sie an der Regierung ist, hat sie bereits einen erheblichen Druck auf die CSU ausgeübt, ihre Positionen zu übernehmen; in der neuen Koalition ist ein Wettlauf darum zu erwarten, wer den rechten Rand mit einer weiteren Verschärfung der Asylgesetze und mehr „Deutschland zuerst!“ am besten bedienen kann.
Außenpolitisch wird die Führungsrolle Deutschlands in der EU eher geschwächt und die Krise der Europäischen Union befördert werden, denn die europapolitischen Vorstellungen in der Jamaika-Koalition klaffen weit auseinander.
2. |
Abgesehen von einigen, wenn auch nicht unbedeutenden Korrekturen wie der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns hat die SPD mit Billigung der Gewerkschaftsführungen den Kurs der neoliberalen Krisenverwaltung mitgestaltet. Die SPD ist strukturell – aufgrund der festen Verankerung des gesamten Parteiapparats in der neoliberalen Politik – nicht in der Lage bzw. nicht bereit, eine andere Politik zu verfolgen als die, auf die sie seit Jahrzehnten eingeschworen ist. Dies wird nicht zuletzt mit der Nominierung von Andrea Nahles als Fraktionsvorsitzende nur bestätigt. Eine Neuorientierung in der Opposition ist von der SPD nicht zu erwarten. Hinzu kommt, dass links von der SPD ja schon eine reformistische Partei existiert: Die LINKE. Die Dauerkrise der SPD wird sich also fortsetzen.
3. |
Mit 12,6 % hat die AfD den höchsten Stimmenanteil für eine rechtsradikale Partei bei einer Bundestagswahl in der Geschichte der BRD erzielt. Das Geheimnis ihres Erfolgs liegt in ihrer Fähigkeit, mit dem Fokus auf Abschottung nach außen und der Schaffung von Sündenböcken in Gestalt der Muslime sehr unterschiedliche Gesellschaftsschichten anzusprechen, deren Interessen ansonsten gegenläufig sind. Man findet hohe Zustimmungswerte zur AfD in Stadtteilen und Regionen, die tatsächlich durch Deindustrialisierung abgehängt wurden, aber auch in Kreisen mit einem gesicherten Einkommen, die sich um ihre Zukunft ängstigen und mit Hilfe der AfD einen aggressiven Verteilungskampf anzetteln – nach innen wie nach außen.
Die höchsten Werte erzielte die AfD nicht etwa im ärmeren Mecklenburg-Vorpommern, sondern im stärker industrialisierten Sachsen und Thüringen, ja sogar in Bayern und Baden-Württemberg. Zweifellos sind sie Ausdruck tiefer Verunsicherung, Vernachlässigung und von Abstiegsängsten. Sie ist aber auch Ausdruck der Illusion, Deutschland könne eine Wohlstandsinsel bleiben, ohne dass es grundlegende Änderungen an der bisherigen Produktions- und Konsumweise geben muss – wenn nur die knapper werdenden Ressourcen auf diejenigen konzentriert werden, die schon etwas haben. Sie bedient eine Ellenbogenmentalität, bei der soziale Rücksichtslosigkeit umstandslos in Rassismus und Nationalismus münden können. Das macht sie für viele rechtsradikale Gruppen attraktiv. Letztere haben in der AfD deutlich die Oberhand bekommen, was ihren Marsch in die bürgerliche Mitte bedroht.
In der öffentlichen Debatte kommen die realen Gründe für den Aufstieg der AfD kaum zum Tragen, sie werden dadurch vernebelt, dass die Debatte sich allein auf die Frage des Umgangs mit Flüchtlingen und Migrant*innen fokussiert. Damit werden die Regierung wie auch die neoliberalen Parteien (CDU/ CSU, FDP, SPD, Grüne) aus ihrer Verantwortung dafür genommen, dass die extreme Rechte so breit Fuß fassen kann.
Eine politische Bewegung gegen rechts kann dieser Entwicklung durchaus etwas entgegensetzen, das zeigen die Beispiele Münster, Köln, Bremen usw. Die Linke ist also diesen solchen Prozessen nicht hilflos ausgeliefert und kann Widerstand entwickeln, auch wenn diese Beispiele noch nicht für eine ausreichende gesamtgesellschaftliche Gegenbewegung stehen. Eine klassenkämpferische Kraft, die auch der herrschenden Politik insgesamt glaubhaft etwas entgegensetzen kann, muss erst noch entwickelt werden.
Ob der AfD ein weiterer Aufstieg gelingen wird und ob vor allem die Regierungspolitik noch mehr auf Kosten der unteren Schichten und der Ausgegrenzten umgesetzt wird, hängt ganz wesentlich von der Aktionsfähigkeit und der Überzeugungskraft der fortschrittlichen und antikapitalistischen Kräfte ab. Von den bürgerlichen Parteien ist kein Umsteuern zu erwarten. Wenn von linker Seite – im Wesentlichen von Seiten außerparlamentarisch wirkender Kräfte und Bewegungen – dem Aufstieg der Rechten bundesweit nichts entgegengesetzt wird, kann dies nur zu noch heftigeren Angriffen auf die lohnabhängige Bevölkerung und vor allem auf die untersten Schichten und die Ausgegrenzten führen. Dazu bedarf es breiter Aktionseinheiten, um ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem die AfD als rechtsradikale Partei geächtet wird. Davon allein wird ihre Anhängerschaft aber nicht zurückgehen. Die Linke muss ihr das Feld der Systemopposition streitig machen.
4. |
Die LINKE hat den Platz der Systemopposition weitgehend unbesetzt gelassen, vor allem deshalb, weil sie auf das Wahlgeschehen fixiert bleibt und weil sie in den Bundesländern, in denen sie mitregiert, auch nichts anderes als Krisenmanagement betreibt. Das hat sie bei der Wahl mit erheblichen Stimmenverlusten in den ostdeutschen Bundesländern (mit Ausnahme von Berlin) bezahlt, die nur durch ein gutes bis teilweise sehr gutes Ergebnis im Westen ausgeglichen wurden. Damit verliert sie jedoch den Status als „Ost-Partei“, die sich um die Verlierer*innen der deutschen Einheit kümmert.
Der Aufstieg der AfD und die Verschärfung der Symptome der kapitalistischen Krise, der die neoliberal aufgestellten Parteien nichts entgegenzusetzen haben, verstärken die Notwendigkeit eines Bruchs mit der neoliberalen Ordnung und einer Systemalternative, die zugleich eine Alternative gegen rechtsextreme Scheinlösungen ist. Der LINKEN fällt die Aufgabe zu, für eine antikapitalistische Alternative zu streiten und die kollektive, solidarische Aktion dafür zu organisieren. Die Tatsache, dass sie nach der Wahl neuen Mitgliederzulauf vor allem von jungen Leuten verzeichnet, zeigt, dass die Entwicklung nicht nur nach rechts geht, sondern dass es eine zunehmende gesellschaftliche Polarisierung gibt.
Es gibt einen deutlichen Anstieg der Stimmenzahlen für die LINKE im Westen. (MLPD, DKP usw. spielten keine wahrnehmbare Rolle.) Wer mit der herrschenden Politik unzufrieden ist und zumindest eine Proteststimme abgeben wollte (oder auch mehr damit verband) und nicht rechts wählen wollte, der/die wählte unter diesen Bedingungen am ehesten Die LINKE. Das ist einer der wenigen positiven Teilaspekte dieser Wahl.
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Wenn aber gleichzeitig etwa 400 000 Wähler*innen von der LINKEN zur AfD abgewandert sind, dann zeigt dies allerdings auch, dass (vor allem in Ostdeutschland) viele der bisherigen LINKE-Wähler*innen lediglich aus Protest gegen die herrschende Politik die LINKE gewählt hatten und nicht aus sozialistischer Überzeugung.
Die Perspektive Rot-Rot-Grün war nicht nur rechnerisch unrealistisch, sie war und ist wegen des Charakters von SPD und Grünen auch politisch eine totale Fehlorientierung für die LINKE. Die Partei muss, wenn sie der genannten Entwicklung etwas entgegensetzen will, ihr politisches Selbstverständnis und ihre strategische Ausrichtung neu definieren:
Sie muss den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten auf den Aufbau und die Förderung außerparlamentarischer Bewegungen und klassenkämpferischer Politik in Betrieb und Gewerkschaft verlagern.
Sie muss eine völlig andere Argumentation entwickeln, die nicht auf eine neo-keynesianische Reform des bestehenden Systems orientiert; im Moment erscheint sie – und das nicht zu Unrecht – als eine der mehr oder weniger etablierten Systemparteien; sie darf nicht von der Verteidigung der Demokratie und des bestehenden Systems faseln, sondern muss greifbare Mobilisierungsperspektiven und Übergangsforderungen entwickeln. Nur dann hat sie eine Chance, Bedeutendes für die Entwicklung einer kämpferischen Widerstandsbewegung beizutragen.
Erst recht muss sie aus der Mitverantwortung für die herrschende Politik aussteigen und aus den Landesregierungen austreten; das Festhalten an dieser Politik kann zwangsläufig nur zur Diskreditierung linker Politik führen.
Koordination der Internationalen Sozialistischen Organisation (ISO), 7.10.2017 |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 6/2017 (November/Dezember 2017). | Startseite | Impressum | Datenschutz