Peter Berens
Nachdem Werner Scholem in der Literatur längst zur Romanfigur geworden ist, hat Ralf Hoffrogge Ende 2014 eine Biographie über ihn vorgelegt. Es waren die frühen Brüche in Werner Scholems Leben, die seinen politischen Werdegang zu einem der Sprecher des linken Flügels der KPD bestimmen und später zu seinem Bruch mit der KPD führen sollten und die Hoffrogge mit beeindruckender Recherche und großem Einfühlungsvermögen schildert: der Bruch mit dem bürgerlichen, deutsch-jüdischen Elternhaus, der Werner Scholem über den Zionismus zum Sozialismus trieb; der Bruch mit der SPD, in die er mit achtzehn Jahren in Hannover wenige Monate vor Beginn des Ersten Weltkrieges eintrat. Der Schock wegen der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten entfachte einen tiefen Hass auf die Partei- und Gewerkschaftsbürokratie (S. 42f.), der Scholem später auch zum entschiedenen Gegner der stalinistischen Bürokratie in KPD, Komintern und der Sowjetunion werden ließ. Als Jude reagierte er besonders allergisch auf antisemitische, nationalistische und faschistische Hetze, der er z. B. als Abgeordneter der KPD im Preußischen Landtag offensiv entgegen trat. Dort wurde Scholem neben dem moderaten Kommunisten und KPD-Fraktionssprecher Ernst Meyer zu einem der Star- Redner der KPD. Auch wenn Hoffrogge an einer Stelle dafür das Wort „Radau“ benutzt (S. 321), so beschreibt er in glänzenden Kapiteln (S. 198f.) wie schlagfertig, laut, die Angriffe konservativ-nationalistischer Parlamentarier nicht nur abweisend, sondern offensiv konternd es Werner Scholem verstand, das Parlament als Tribüne des Klassenkampfs zu nutzen. Forderungen wie die „Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems“ oder Unterricht von SchülerInnen nationaler Minderheiten in ihrer Landessprache (S. 201f.) verband er mit einer Fundamentalkritik an nationalistischen Inhalten von Schulbüchern, an der Aussiebung demokratischer und kommunistischer Lehrer und fehlender Säkularisierung. Scharf polemisierte er gegen antisemitische Zwischenrufe von Abgeordneten und gegen eine antisemitische Hetze, die auf „Ostjuden“ zielte. Auch den Nationalsozialismus prangerte er frühzeitig an, ohne etwa die SPD mit den wirklichen Faschisten in einen Topf zu werfen (S. 220). Als im November 1923 der „Deutsche Oktober“ gescheitert war – die KPD hatte fast kampflos die Absetzung der linken Regierungen aus SPD und KPD durch die einmarschierende Reichswehr in Sachsen und Thüringen hingenommen – wollte die SPD im preußischen Landtag mit den Kommunisten abrechnen. In der Debatte präsentierte SPD-Minister Severing nicht nur abgefangene Briefe mit kommunistischer Aufstandsorder, sondern ließ im Sitzungssaal beschlagnahmte Waffen aus kommunistischen Depots vorzeigen. Während der Stimmungsmache gegen die KPD ging deren Fraktionsvorsitzender Ernst Meyer auf Tauchstation und leugnete die Echtheit der Briefe. Ganz anders Werner Scholem, der in einer Brandrede angesichts der ausgebreiteten Waffen rief: „Jawohl, da die Reaktion darangeht, die Macht zu ergreifen, bereiten wir die Revolution des deutschen Proletariats vor“ (S. 231).
Scholem war über die USPD zur KPD gekommen. In der USPD-Hochburg Halle hatte er 1920 eine führende Rolle im bewaffneten Widerstand gegen den Kapp-Putsch gespielt. Dort fand nicht ganz zufällig die Vereinigung von KPD und USPD statt, deren örtlicher Sprecher Werner Scholem geworden war. Als er 1924 mit den linken Kommunisten die KPD-Führung übernahm und mit 29 Jahren deren Organisationssekretär wurde, verfügte er über wichtige Erfahrungen im Klassenkampf (S. 155f.).
|
||||||
Werner Scholems Talente kamen eher in der Opposition in der KPD denn in der Führung einer revolutionären Massenpartei, eher in einer Phase des revolutionären Aufschwungs als in einer des Rückgangs der Klassenkämpfe zur Geltung. Das ließ ihn im Abschwungsjahr 1924 in der Führung der KPD auf „Bolschewismus“ und „Leninismus“ sinowjewscher Prägung zurückgreifen. Dagegen kritisierte er das neue Phänomen des Stalinismus „hellsichtig“ (S. 331). Die Linkswende der Stalinisten 1928 in der Sowjetunion und Komintern traf ihn jedoch unvorbereitet, wie Hoffrogge betont. Scholems Austritt aus dem Leninbund wurde von dessen Anhängern als Kapitulation betrachtet (S. 336f.). Weshalb er keine neue Tendenz gründete, bleibt in der Biographie offen. Hoffrogge kommt zu dem etwas harschen Urteil, dass „der ultralinke Dogmatismus (…) für Scholem (…) politische Endstation (blieb)“. Wahrscheinlich wäre sein Leben anders verlaufen, wäre sein Angebot, bei Trotzki als Sekretär zu arbeiten, von diesem nicht abgelehnt worden. Doch weder passte Scholems parlamentarische Tätigkeit zu dem gängigen Etikett „ultralinks“ der Kommunismusforschung, noch rechtfertigt seine Weigerung, eine zweite Partei neben der KPD aufzubauen, diese Charakterisierung. Scholems Schicksal endete tragisch. Er wurde am 17.7.1940 im KZ Buchenwald ermordet.
Ralf Hoffrogge: Werner Scholem. Eine politische Biographie (1895-1940), Konstanz u. München (: UVK) 2014, 495 Seiten, Preis 24,99 Euro. |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 2/2015 (März/April 2015). | Startseite | Impressum | Datenschutz