Deutschland/Nachruf

Werner Scholem (1895–1940)

Michael Löwy

Einige Monate vor der Ermordung des Gründers der Roten Armee durch die GPU tötete die SS in einem Nazi-KZ Werner Scholem. den früheren Reichstagsabgeordneten und Führer der deutschen Linken Opposition. Eine stillschweigende Arbeitsteilung?

Der ältere Bruder von Gershom Scholem, dem berühmten Historiker der Kabbala, trat 1913 der SPD und 1917 der USPD bei. Als Delegierter auf dem USPD-Parteitag von 1920 trat er, zusammen mit der Mehrheit dieser Partei, in die KPD über. 1921 wurde er Mitglied der Redaktion der Roten Fahne. der Tageszeitung der KPD, sowie Mitglied des preußischen Landtags. Seine aktive Beteiligung am Aufstandsversuch im März 1921 führte zu seiner ersten Inhaftierung. 1924 wurde er auf dem IX. Parteitag der KPD in das Politbüro gewählt und Organisationssekretär der Partei. Er wurde, zusammen mit Arkadi Maslow und Ruth Fischer, zu einem der wichtigsten kommunistischen Führer. Im selben Jahr wurde er Abgeordneter des Reichstags, in dem er mit 29 Jahren der jüngste Parlamentarier war.

Schon 1925 trat Werner Scholem gegen die neue stalinistische Führung (Thälmannn) der KPD und die Abhängigkeit der Partei von den Moskauer Direktiven auf. Aus dem ZK ausgeschlossen, wurde er einer der aktivsten Führer der Linken Opposition. Im September 1926 organisierte er die Unterschriftensammlung für den „Appell der 700“, in dem die Linke der KPD gegen die Repression gegen die Vereinigte Opposition in der UdSSR protestierte. Diese Initiative brachte ihm (wie auch anderen Mitgliedern der Opposition) den Ausschluß aus der Partei.

      
Mehr dazu
Helmut Dahmer: Die „Linke Opposition“ in Deutschland, die internationale Nr. 4/2023 (Juli/August 2023)
W. A.: Vor 90 Jahren Gründung der Linken Opposition der KPD., die internationale Nr. 4/2020 (Juli/August 2020)
Helmut Dahmer: Trotzki-Kongress in Havanna, die internationale Nr. 5/2019 (September/Oktober 2019)
Peter Berens: Ralf Hoffrogge: „Werner Scholem. Eine politische Biographie (1895-1940)“, Inprekorr Nr. 2/2015 (März/April 2015)
 

Bis 1928 beteiligte sich Scholem mit Fischer, Maslow u. a. an der Leitung des Leninbunds. Doch die Unterstützung dieser Organisation für Sinowjews Politik der „Kapitulation“ führte zu seinem Rücktritt. Von da an näherte er sich stärker an die trotzkistische Opposition an, indem er regelmäßig für ihre Zeitung Permanente Revolution schrieb und jede Woche mit E. Bauer (Erwin H. Ackerknecht), einem der wichtigsten Führer dieser Strömung in Deutschland, zusammentraf. 1931 machte er in Berlin die Bekanntschaft von Lew Sedow und drückt seinen Wunsch aus, Trotzki in Prinkipo zu treffen. Der Gründer der Roten Armee hätte ihn auch gerne gesehen, aber schließlich entschied er sich, daß es wichtiger sei, wenn Scholem in einem für die deutsche Arbeiterklasse derart entscheidenden Moment in Berlin bliebe.

Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 flüchtete Scholem in die Tschechoslowakei. Einige Monate danach beschloß er, nach Deutschland zurückzukehren, um seine politische Arbeit mit den Trotzkisten wiederaufzunehmen. Von der Gestapo 1933 verhaftet, gefoltert und im KZ Sachsenhausen interniert, blieb er laut dem Zeugnis zahlreicher Mitgefangener unerschütterlich in seinen Überzeugungen als Kommunist und Mitglied der Linken Opposition. Nachdem er zunächst nach Dachau und später nach Buchenwald geschafft worden war, wurde er am 17. Juli 1940 von zwei SS-Offizieren (Plank und Hinkelmann) bei einem angeblichen „Fluchtversuch- ermordet.

Es war die Mitternacht des Jahrhunderts.


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 232 (November 1990). | Startseite | Impressum | Datenschutz