Griechenland

Tsipras beugt sich der Arroganz der Troika

Das Diktat von Merkel und Hollande muss durch breite Mobilisierung in Griechenland und Europa abgewehrt werden

Léon Crémieux

Die Kräfte der Reaktion, die konservativen und die sozialdemokratischen, sind begeistert: Nachdem Berater und Berate­rinnen des französischen Präsidenten François Hollande „good cops“ gespielt und bei der Ausarbeitung einer Vereinba­rung mitgewirkt hatten, haben Tsipras und die griechische Regierung in der Nacht [vom 9. auf den 10. Juli] den Ent­wurf für solch eine Vereinbarung geschickt; dieser gibt fast Wort für Wort getreu den Text wieder, den die griechische Bevölkerung, vor allem die Arbeitenden und die Arbeitslosen, am letzten Sonntag [den 5. Juli] mit überwältigender Mehrheit abgelehnt hatte.

Wenn 62 % der Wählerschaft gegen den Entwurf der Vereinbarung mit der Troika gestimmt haben, dann weil sie genau wissen, was sie fünf Jahre lang ausgehalten haben, und dass jeder neue Sparplan noch mehr Armut und Elend bringt, und weil das griechische Volk seine Würde und die Kontrolle über sein Schicksal wieder erlangen will.

Wenn die griechische Regierung jetzt auf genauen Gegenkurs zu dieser Abstimmung geht, dann reagiert sie offensicht­lich auf den Druck der Troika, der in den letzten Wochen und noch mehr seit Montag [den 6. Juli] ständig gewachsen ist.

Tsipras ist am Ende einer neuen Runde in einem Tauziehen mit der Troika gelandet. Nach dem Erfolg des Referendums war das Signal, das von den führenden europäischen Politikern und Politikerinnen gesendet wurde, eindeutig: Es kommt gar nicht in Frage, dass der Willen des griechischen Volkes akzeptiert wird.

Die erste Alternative war, mit den Institutionen und Regeln der Europäischen Union zu brechen, was bedeuten würde, die Kontrolle über das Bankensystem zu herzustellen, die Zahlung der Schulden zu stoppen und die Bevölkerung zu mobilisieren, um jeden Versuch von interner und externer Sabotage zu verhindern. Bisher hat sich die Regierung Tsipras geweigert, diesen Weg einzuschlagen, der, wenn er auch notwendige Manöver gegenüber den Institutionen nicht ausschließt, erfordert, die Bevölkerung aufzufordern, sich zu organisieren und zu mobilisieren, um ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.

Die zweite Alternative war die sofortige Übernahme der Troika-Maßnahmen, um die Erstickung zu vermeiden. Durch die Annahme der Vereinbarung und das Abwenden des Konkurses hofft Tsipras vielleicht, den Griff der Rückzahlun­gen zu lockern und später sogar den Abbau von Sparmaßnahmen angehen zu können. Aber die europäischem Sklaven­treiber sind auf diesem Ohr taub und akzeptieren keine „einseitigen“, das heißt souveränen Maßnahmen. Ohne neue Konfrontation mit den Spitzenpolitikern und –politikerinnen der Europäischen Union setzen die in Griechenland wie überall einen Sozialabbau ohne Ende durch.

Auf dieser Ebene werden die Hürden von Merkel, Hollande, Juncker und Lagarde gesetzt. Von denen kann niemand länger akzeptieren, dass ein Volk die Regeln der europäischen Kapitalisten ablehnt.

      
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Sie akzeptieren eine Umschuldung oder die Streichung eines Teils der Schulden, wie sie das schon 2012 durchgeführt haben, nur im Gegenzug zu der totalen Unterwerfung der Athener Regierung unter die Anpassungspläne. Die EU-Poli­tiker und –Politikerinnen, die behaupten, sie sprächen im Namen der Völker, wollen, dass die Regierung und das grie­chische Volk sich unter ihr Joch beugen, damit die anderen Völker die Lektion verstehen: „There is no alternative“ (Es gibt keine Alternative), wie Margaret Thatcher Anfang der 80er Jahren sagte.

Die griechische Regierung kann diesem Druck nicht weiter standhalten, solange sie die Regeln der Europäischen Union akzeptiert.

Aber wir dürfen nicht passive Zuschauer und Zuschauerinnen dieses Kampfes und der neuen Entwicklungen sein. Doch auch wenn Tsipras Unterstützung im Parlament unter den Troika-hörigen Parteien finden könnte, wird es viele Stimmen in Griechenland, in Syriza und in der gesamten radikalen Linken, in den sozialen Bewegungen und in der Gewerkschafts­bewegung geben, die sich erheben, um an die vor Januar 2015 eingegangenen und in der vergangenen Woche erneut bekräftigten Verpflichtungen zu erinnern. Diese Stimmen werden ein Echo finden bei diejenigen, die in ganz Europa erneut gegen die europäischen Regierungen und die Europäische Zentralbank mobilisieren müssen, damit die ständige Erpressung der Schulden endet, damit diese verabscheuenswerten und illegitimen Schulden gestrichen werden und damit das griechische Volk aus dem Würgegriff frei kommt. So wie nach dem 20. Februar hat die Troika die Partie noch nicht gewonnen.

10. Juli 2015
Aus dem Französischen übersetzt von Björn Mertens



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr Nr. 4/2015 (Juli/August 2015) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz