Griechenland

Aus „stiller Wut“ wird laut vernehmbare Unzufriedenheit

Interview mit Panos Petrou (DEA) über die Lage in Griechenland und die Rekonstruktion der radikalen Linken nach der Kapitulation von Syriza

Interview mit Panos Petrou

 Die Kapitulation von Syriza soll in den Reihen der Linken und der sozialen Bewegungen gewissermaßen eine Schockstarre ausgelöst haben. Der Misserfolg der LAE bei den Parlamentswahlen im September war ein weiterer Rückschlag für die radikale Linke. Im November aber gab es zwei landesweite Generalstreiks, die ersten seit der Regierungsübernahme durch Syriza. Zeichnet sich jetzt ein Ende der Phase der Lähmung ab?

Genau das ist der Fall. Wir waren absolut in der Minderheit, als wir nach dem 20. September davon sprachen, dass die Umsetzung des Memorandums Widerstand erzeugen und politische Instabilität zur Folge haben wird. Unsere Position war schon damals: Es gibt immer noch ein Potential für Abwehrkämpfe. Allerdings hatten wir nicht erwartet, dass dies so schnell passieren würde. Schon sehr bald gab es auf örtlicher Ebene kleine, aber wichtige Kämpfe: den der Dockarbeiter in Piräus gegen die Privatisierung; den der städtischen Beschäftigten, die vor dem Arbeitsministerium ein Protestcamp gegen auf fünf Monate befristete Arbeitsverträge errichteten. Sie waren wichtig, weil sie trotz ihrer „Kleinheit“ zu einer Zeit stattfanden, als viele Linke noch darüber sinnierten, ob es in den Betrieben überhaupt noch eine Bereitschaft zum Kämpfen gibt. Der erste Generalstreik wurde für den 12. November ausgerufen, weniger als zwei Monate nach dem Wahlsieg von Syriza. Wegen der Rentenreform gingen auch die Bauern und die Selbstständigen auf die Straße. Das ganze kulminierte im Generalstreik vom 4. Februar, der sehr erfolgreich war und mit den Streikaktionen von 2010 bis 2012 verglichen werden kann. Nach dem Generalstreik gab es noch eine Reihe kurzer örtlicher Kämpfe (ein zweitägiger Streik in den Häfen, Arbeitsniederlegungen in den Schulen, Streikaktionen in den Krankenhäusern).

Eigentlich kann man/frau sagen, dass es im Grunde gar keine Phase der völligen Lähmung gab. Ja, es gab auf Seiten der Linken einen Zustand des Schocks und der Demoralisierung. Und es gibt nach wie vor große Probleme bei der Organisierung des Widerstands. Ich will nicht den Eindruck erwecken als ob ich die lähmende Wirkung all dessen unterschätze, was in den letzten fünf Jahren passiert ist: den Frust, das Scheitern des Versuchs, die Politik der Austerität umzukehren, ausgelöst hat; die Enttäuschung der in sie gesetzten Hoffnungen durch Syriza; und natürlich die fortlaufende Verschlechterung der realen Lebensbedingen der ArbeiterInnen. Schlussendlich hat sich die ArbeiterInnenbewegung aber doch sehr immun gegen die Verheerungen erwiesen, die durch die Kapitulation von Syriza verursacht wurden.

Soweit wir das beurteilen können, ist die Stimmung in den Betrieben gerade im Wandel. Eine kämpferische Minderheit ist bereit zu Streikaktionen und Straßenprotesten. Jenseits dieser Minderheit stellen aber viele die Fragen, ob sie kämpfen sollen und ob solch Kämpfe etwas bringen. Sie stellen die Frage, wie man die Kämpfe so organisieren kann, dass sie auch Aussicht auf Erfolg haben.

 Inzwischen sind wir mitten in der Phase der Umsetzung des dritten Memorandums. In der Tageszeitung Kathimerini war zu lesen, dass Syriza in der Bevölkerung erheblich an Zustimmung verloren hat. Wie würdest Du die aktuelle Stimmung im Lande beschreiben?

Wir haben bereits unmittelbar nach der Wahl gesagt, dass das Wahlergebnis vom 20. September keine politische Stabilität bringen würde – das zu einem Zeitpunkt, als der Mainstream (aber auch Teile der Linken) davon ausgingen, dass Tsipras „in den nächsten Jahren die bestimmende politische Figur sein wird“. Wir sagten: Das stimmt nicht, weil der Wahlsieg von Syriza darauf baute, dass viele Menschen sich dessen nicht bewusst waren, was das neue Memorandum in Bezug auf Kürzungsmaßnahmen bedeutete. Und dass viele Leute zwei Versprechen von Tsipras Glauben schenkten: Dem, dass man kämpfen werde, um die Auswirkungen der Abkommen, die man gezwungenermaßen unterzeichnen müsse, abzuschwächen. Und dem Versprechen, es werde ein „Parallelprogramm“ geben, das die Leiden lindern würde, die durch die Austeritätspolitik angerichtet werden. In der Zwischenzeit wird die ganze Härte der Maßnahmen sichtbar. Das Memorandum wird durchgezogen, es gibt kein ernsthaftes „Parallelprogramm“. Die Regierung ist nicht in der Lage, die Bedingungen des Deals mit der Troika „sanfter“ zu gestalten. Im Gegenteil, sie wird von den Kreditgebern ständig bedrängt, noch härtere Maßnahmen zu verordnen. Seit Monaten gab es schon so etwas wie eine „stille Wut“. Das wurde sichtbar in den Meinungsumfragen, aber noch mehr auf den Straßen, in den Cafés, an den Arbeitsplätzen, überall dort, wo Leute sich unterhalten. Es handelte sich um eine wachsende Unzufriedenheit jener Leute, die für Syriza gestimmt hatten, in der Hoffnung, Syriza würde etwas Besseres zuwege bringen als die Vorgängerregierungen. Der Generalstreik vom 4. Februar war ein wichtiges politisches Ereignis, weil damit diese Unzufriedenheit laut vernehmbar in den Straßen artikuliert wurde. Ein Umstand sorgt allerdings immer noch eine gewisses Maß an Unterstützung für Syriza – wenn auch nur passiv. Nämlich die Angst vor einem Comeback der rechten Nea Demokratia, die kürzlich Kyriakos Mitsotakis zu ihrem Parteiführer gewählt hat, einen Mann, der für seine extremen neoliberalen Positionen berüchtigt ist.

 Wie beurteilst Du die Regelung der Syriza-Regierung zum Schutz der WohnungsbesitzerInnen vor Räumungen? Syriza spricht von einem Erfolg von Syriza gegen die Troika und erklärt in Deutschland, dass infolge der neuen Regelung nur 6 Prozent der Wohnungen von Räumung und Zwangsversteigerung bedroht sind. Teilt ihr diese Meinung?

Es ist erstens eine Tatsache, dass das vorherige Gesetz, dass zumindest einen gewissen Schutz gegen Räumungen bot, jetzt in reaktionärer Richtung geändert wird. Das „Einfrieren“ von Hausversteigerungen gilt nicht mehr. Der Vorschlag der Regierung (zu Einkommenshöhe, Verschuldungsgrad und Wert des Hauses, die bisher vor Versteigerungen schützten) ist zwar etwas besser als der der Kreditgeber. Aber er entspricht in etwa der Regelung von 2013. Das heißt, dass nun Versteigerungen möglich werden. Damit sind ca. 100 000 Haushalte (von insgesamt 300 000 verschuldeten Haushalten) zum ersten Mal direkt von Räumungen bedroht. Das Gesetzt bietet keine „Linderung“ oder Erleichterung, weil es beinhaltet, dass alle verschuldeten Haushalte sich bei der Rückzahlung ihrer Schulden „kooperativ“ zeigen müssen, wenn sie eine Räumung vermeiden wollen. Die Hintertürchen, durch die selbst jene 25 %, die es angeblich schützt, bedroht werden, sind schwer zu erklären und noch schwerer zu übersetzen. Es gibt viele juristische Spitzfindigkeiten, da muss man zwischen den Zeilen lesen können – aber zum Glück gibt es in der Bewegung gegen Häuserräumungen viele AktivistInnen und in juristischen Fragen bewanderte Menschen, die uns dabei behilflich sind, aus all der Propaganda die Wahrheit herauszufiltern. Tatsache ist, dass die neue Regelung mehr Raum gibt für Versteigerungen von Wohnungen und für den Verkauf von Schuldtiteln an Geierfonds, die um die 107 Milliarden Darlehen „im roten Bereich“ kreisen, immer bereit, sie sich zu 10 bis 50 Prozent ihres Wertes zu schnappen. Als dieser Rubikon in Spanien überschritten wurde, waren 119 000 Räumungen alleine im Jahr 2014 die Folge – und das griechische Bankensystem ist in einer noch schlechteren Verfassung als das spanische.

 Wie beurteilst Du die Bewegung gegen die Rentenpläne der Syriza-Regierung? Ich habe gehört, dass die Bewegung auf dem Lande und in den kleineren Städten deutlich stärker war als in den Großstädten Athen und Thessaloniki. Ich habe auch gehört, dass die Beteiligung der Bauern an der Bewegung sehr stark war. Ich vermute, dass die Bauernschaft nicht gerade eine Hochburg der Linken ist. Ich habe auch noch gehört, dass die „Goldene Morgenröte“ versucht, in der Bewegung der Bauern Fuß zu fassen. Und dann gibt es noch die Bewegung der Freiberuflichen, der „Krawattenträger“, innerhalb der Protestbewegung. In Deutschland sind wir sehr vorsichtig, wenn diese Leute sich zu sozialen Fragen äußern, weil es bei ihnen eine starke Tendenz zu neoliberalen Positionen gibt. Ist da Griechenland ganz anders?

Bis zum Generalstreik war es tatsächlich so, dass die Bauern und die „Selbstständigen“ an der Spitze der Proteste gegen die Rentenreform standen. Die Bewegung der Bauern hat viele Facetten und wird nicht von einer bestimmten Partei geprägt. Was die Linke betrifft, so ist die kommunistische Partei traditionell in einigen ländlichen Regionen sehr stark. Sie hatte auch großen Einfluss bei einigen Straßenblockaden. In anderen Gegenden hat die Rechte großen Einfluss. Und dann gibt es auch noch die Syriza-UnterstützerInnen, unabhängige BauernaktivistInnen und einige wenige Straßenblockaden, bei denen linke AktivistInnen von LAE oder ANTARSYA mit dabei sind. Bei einigen Straßenblockaden wollte auch die „Goldene Morgenröte“ Fuß fassen. Hauptsächlich in Gegenden, wo sie wissen, dass die Leute eher rechts und „patriotisch“ sind, und wo Linke nicht präsent sind, tauchen sie auf und erklären ihre Unterstützung. Ein Beispiel für die sich abspielenden politischen Auseinandersetzungen ist die Demonstration der Bauern in Athen. Dort drängten linke Bauern und Sympathisanten der kommunistischen Partei einige Nazisympathisanten aus dem Demonstrationszug heraus. Etwas Ähnliches passierte am Tag des Generalstreiks: Als Mitglieder der „Goldenen Morgenröte“ in einem Bauernblock ihre Naziparolen riefen, wurden sie von antifaschistischen AktivistInnen isoliert. Ich weiß von einem ähnlichen Zwischenfall auf dem südlichen Peloponnes, wo die Linke präsent und auch wir einige aktive GenossInnen haben. Dort gelang es ihnen, fünf, sechs Neonazis zu isolieren, die bei den Bauern Fuß zu fassen versuchten. Abgesehen von verschiedenen politischen Verbindungen, gibt es innerhalb der Bauernschaft natürlich auch andere Unterschiede. Es gibt die reichen Landbesitzer und es gibt die armen Bauern und Bäuerinnen. Es gibt die militanten BlockiererInnen und es gibt jene Führungsleute, die zum Kompromiss bereit sind usw.

Bei der Bewegung der „Freiberufler“ (Anwälte, Architekten usw.) ist die Lage ähnlich. Ich benutze die Anführungszeichen, weil man unter diesem Label die Besitzer großer Firmen, die wirklich Bosse sind, findet und auch jene, die als hochqualifizierte Selbstständige tätig sind und andererseits viele einfache Lohnabhängige, die als Selbstständige in großen Firmen arbeiten. Du wirst in den Führungen von Vereinigungen der „Freiberufler“ Leute finden mit engen Beziehungen zu den bürgerlichen Parteien, die natürlich ihre eigenen Ziele verfolgen. Und du wirst an der Basis viele mies bezahlte Lohnabhängige finden, die bei der Rentenreform aber wie „Freiberufler“ behandelt werden.

Wir wenden uns strikt gegen eine sektiererische „puristische“ Haltung, die alle „Professionals“ und Bauern als „Mittelschichtreaktionäre, die lediglich ihre Privilegien verteidigen“, abtut. So etwas kommt von einem kleinen Teil der Linken und das ist auch Bestandteil der Propaganda der Regierung. Aber wir sind uns der Klassenunterschiede innerhalb der Bauern und der Freiberufler bewusst. Wir wissen um die die Bestrebungen der höheren Schichten dieser Gruppen, diese Bewegungen zu dominieren. Wir kennen die Verbindungen der Führungen einiger Gewerkschaften und Vereinigungen aus diesen Sektoren mit den bürgerlichen Parteien.

Es gibt eine Auseinandersetzung darum, wer diese Bewegung politisch bestimmen wird (die rechten Führungen oder die radikale Linke) und wer sie sozial prägen wird (die privilegierten Schichten oder die unteren Schichten, die durch die Rentenreform schwer getroffen und in die Armut gedrängt werden). Um diese Auseinandersetzung führen zu können, müssen wir Teil der Bewegung sein. Wir haben solche Aktivitäten bei den Bauern, bei den Anwälten (wo linke Anwälte ein Kampfkomitee gegründet haben, das versucht, Unterstützung zu organisieren und gegen die rechte Führung der Anwaltsvereinigung Position zu beziehen). Aber für die Arbeit ist es sehr wichtig, dass die organisierte ArbeiterInnenbewegung auf die Straße geht, den Kampf führt und damit eine klare Orientierung vorgibt. Der Generalstreik war ein erstes Ausrufezeichen und wir hoffen, dieses Potential weiter ausbauen zu können.

 Was ist bei den Privatisierungen der Stand der Dinge? Was wird aus dem geplanten Verkauf des Hafens von Piräus an COSCO? Was ist los im Bereich der Stromversorgung (ADMIE)? Wie ist der Stand bei der Privatisierung der Eisenbahn und der Athener Metro?

Der Verkauf der Hafenanlagen von Piräus an COSCO ist praktisch abgeschlossen. Der Prozess des Verkaufs zeigte die ganze Hohlheit der Syriza-Rhetorik von der „Umsetzung des Memorandums mit einem menschlichen Gesicht.“ Während das für die Häfen verantwortliche Ministerium davon sprach, dass die „Verhandlungen mit dem Ziel, ein besseres Ergebnis zu erreichen, andauern“, erklärte der für die konkrete Durchführung verantwortliche Privatisierungsfonds: „ Das Geschäft ist gemacht!“ Und dieser Fonds scheint richtig zu liegen.

Das Gleiche gilt für ADMIE. Die Regierung argumentierte, sie könne im Rahmen einer Teilprivatisierung 51 % der Anteile behalten. Dabei war dieser Vorschlag schon schlimm genug – voller Hintertürchen, die letztendlich zur faktischen Übernahme von ADMIE durch private Teilhaber führen konnten. Nun erklärten aber jene „Experten“, welche die Vollmacht haben zu entscheiden, ob der Vorschlag „realistisch“ ist, dass nicht nur der ursprüngliche Plan wieder auf den Tisch komme, wonach 66 % von ADMIE privatisiert werden. Sie, die „Experten“, sprechen jetzt davon, man müsse über den Verkauf von 100 % der Anteile von ADMIE reden.

Die Privatisierung von TRAINOSE [Tochtergesellschaft der nationalen Eisenbahngesellschaft] stockt im Moment. Man wartet darauf, dass einige Vorverträge unterschrieben werden, die erforderlich sind dafür, dass der Verkaufsprozess beginnen kann. Und man wartet darauf, dass sich die ersten interessierten Käufer melden. Die Bahnbeschäftigten versuchen diese Verträge zu blockieren. Außerdem verzögert sich der Prozess der Angebotseinreichung aus irgendwelchen bürokratischen Gründen. Aber der vereinbarte Zeitplan besagt, dass Ende Februar der Prozess beginnen muss. Der „feste Griff“ des Memorandums bindet die Regierung, alle Bemühungen um einen „besseren Deal“ fallen zu lassen.

 Wie ist die Lage bei der LAE? Hat sich die Organisation mittlerweile gefestigt? Was sind die wichtigsten Tätigkeitsbereiche der LAE?

Wir haben LAE als eine „politische Front im Aufbau“ definiert. Das trifft auch heute noch zu. Natürlich hat es einige Anstrengungen gegeben, die Arbeitsfähigkeit zu verbessern und das Bündnis zu stabilisieren. Auf örtlicher Ebene gibt es Gruppen, die „politische Komitees“ genannt werden. Es gibt Gruppensitzungen und Organisierungsaktivitäten. Andere Strukturen (Einheiten bezogen auf Arbeitsfelder wie Antirassismus, Arbeitsplätze, örtliche Verwaltung usw.) sind im Aufbau und es gibt auch einen „politischen Rat“, der als Leitungsgremium dient. Die Strukturen auf „mittlerer“ oder „höherer“ Ebene haben vorläufigen Charakter. Sie gelten nur bis zur Gründungskonferenz. Am wichtigsten bei alledem sind meiner Meinung nach die „politischen Komitees“, d. h. die Ortgruppen. Das sind die Strukturen, in denen die Basisaktivistinnen zusammenkommen, diskutieren und handeln. Wann immer es erforderlich war, dass sie aktiv werden, waren es diese Strukturen, die es LAE ermöglichten, ihr oberstes Ziel zu erreichen: die Sicherung der Arbeitsfähigkeit von erfahrenen AktivistInnen auf dieser Arbeitsebene nach dem Schock, der durch die Kapitulation von Syriza ausgelöst wurde. Damit werden wir jetzt in die Lage versetzt, eine Alternative aufzubauen. Unser Schwerpunkt waren bisher kleinere oder größere praktische Aktivitäten des Widerstands. Natürlich gibt es nach dem Julischock eine gewisse Neigung, sich in endlose Diskussion zu verstricken. Aber glücklicherweise haben wir die Notwendigkeit begriffen, nach außen gerichtete Aktivitäten zu organisieren, um so die Verbindung mit den Massen herzustellen. Dementsprechend waren LAE-AktivistInnen auch bei den kleineren Kämpfen der vergangenen Wochen und Monaten mit dabei. Das gilt umso mehr bei den großen Protesten, wo große organisierte LAE-Blöcke vertreten waren. Es bleibt allerdings noch viel zu tun in Bezug auf die Organisierung in den Wohnvierteln, an den Arbeitsplätzen, in den Universitäten. Aber ich denke, es gibt da ein paar ganz gute Beispiele, an die wir anknüpfen können: So z. B. die Kampagne gegen die Rentenreform mit öffentlichen Versammlungen, Aktivitäten, mit denen für den Generalstreik geworben wurde. Natürlich brauchen wir auf mittlerer und höherer Ebene bessere Organisationsstrukturen, damit demokratische Gepflogenheiten innerhalb des Bündnisses sichergestellt sind. Aber das wird Thema der landesweiten Konferenz sein.

 Es hieß, im Januar soll der erste landesweite Kongress von LAE stattfinden. Was sind die wichtigsten Themen?

Wir haben inzwischen arbeitende Gremien eingerichtet, die Dokumente erstellen, die an die Ortsgruppen zur Diskussion rausgehen. Wir haben vor, im Vorfeld des Kongresses eine interne Debatte zu organisieren – was wohl einige Zeit dauern wird. Es wird eine Art „Gründungskongress“ geben und bis dahin sollen wichtige Themen diskutiert werden: die politischen Ziele, das Programm und die Organisationsstrukturen. Wir von DEA legen besonderen Wert auf folgende Punkte:

Es muss demokratische Strukturen geben, die es der Basis von LAE ermöglichen, sich zu organisieren, Kontrolle auszuüben und Entscheidungen zu treffen.

Die Organisation muss einen „offenen“, d. h. Bündnischarakter haben. Das bedeutet: Wir müssen unseren Willen zur Einheit mit anderen linken Kräften (KKE, ANTARSYA und AktivistInnen, die Syriza verlassen, sich aber nicht LAE angeschlossen haben) und zur Zusammenarbeit mit den sozialen Bewegungen, den radikalen Minderheiten in den Betrieben herausstellen.

Wir brauchen eine Art von „Übergangsprogramm“. Das betrifft unsere Position zur Frage des Euro bzw. einer nationalen Währung. Unsere programmatischen Vorschläge sollten nicht eine Art „Etappenstrategie“ beinhalten, wonach „wir zuerst die nationale Volkswirtschaft aus der Krise herausbringen und erst hinterher uns um die Belange der unteren Schichten kümmern“. Sie sollte von einer erforderlichen Konfrontation mit dem griechischen und dem internationalen Kapital ausgehen, von einer Phase intensiver Klassenkämpfe, in der wir vorbehaltlos und „einseitig“ die Forderungen der Arbeiterklasse unterstützen.

Ganz eng damit verknüpft ist, dass Antirassismus, Antifaschismus und Internationalismus Schwerpunkte unserer Politik sein müssen.

 Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit von DEA mit jenen Kräften, die aus der Synaspismos-Linken um Panagiotis Lafazanis kommen?

Es gibt natürlich politische Differenzen, da wir in LAE eine Koexistenz von Strömungen mit unterschiedlichen politischen Traditionen, Herangehensweisen und Organisationskulturen haben. Und dann ist da auch noch der Umstand, dass LAE ein neues politisches Gebilde ist, das Strömungen mit unterschiedlichem politischem Hintergrund zusammenbringt: Teile von Syriza, Teile von ANTARSYA und andere Gruppierungen. Aber nach Jahren gemeinsamer Erfahrungen gibt es ein gewisses „Know-how“ darin, wie man gemeinsam für vereinbarte gemeinsame Ziele zusammenarbeitet. Die Zusammenarbeit und das politische Verständnis können zum einen in den politischen Diskussionen unter den LAE-AktivistInnen in den Ortsgruppen gefestigt werden. Ich glaube, dass das im konkreten Klassenkampf selbst einen sehr viel konkreteren Ausdruck findet, in der Zusammenarbeit für den Wiederaufbau der Widerstandsbewegung. Wir sollten die zentrale Bedeutung dieser Zusammenarbeit erkennen und gleichzeitig anerkennen, dass LAE ein Bündnis ist, in dem unterschiedliche Sichtweisen verschiedenen Gruppen nicht verschwinden, sondern weiterexistieren. Diese Widersprüche gilt es durchaus zu benennen, ohne dass wir deswegen unsere gemeinsamen Ziele aus den Augen verlieren.

 Wie funktioniert die Zusammenarbeit innerhalb von „solidarity4all“ mit den Kräften, die in Syriza geblieben sind?

Ich fürchte, ich weiß nicht viel darüber, wie Syriza sich in Bezug auf ihre Abgeordneten verhält. Ich weiß, dass Syriza-Mitglieder nach wie vor in Solidaritätsprojekten aktiv sind. Aber da sie gleichzeitig die Regierung unterstützen, führt das natürlich zu Diskussion über die Art der Solidarität. Sollen sie Teil der Widerstandsbewegung sein – was erforderlich macht, gegen eine Regierung Position zu beziehen, die die Austeritätsmaßnahmen und seit kurzem auch eine gegen Immigranten gerichtete Politik betreibt? Oder sollen sich die Initiativen der „Solidaritätsbewegung“ in Nichtregierungsorganisationen umwandeln, die mit staatlicher Unterstützung arbeiten und für das System ungefährlich sind. Dieser Umstand, die Unterstützung der Regierung, ist der Hauptgrund, weshalb es keine ernsthafte Zusammenarbeit geben kann zwischen jenen, die sich für das Verbleiben in Syriza entschieden haben und jenen, die Syriza verlassen haben. Natürlich sind Syriza-WählerInnen und -UnterstützerInnen willkommen, wenn sie streiken und demonstrieren. Wir wünschen uns, dass sie sich alle dem Widerstand anschließen. Aber auf der Ebene der organisierten Mitglieder und Kader von Syriza, die aktiv eine Regierung unterstützen, die das Memorandum durchsetzt, gibt es einen tiefen Graben, der Zusammenarbeit unmöglich macht. Du kannst nicht so tun, als ob Du gleichzeitig die Regierung und die Bewegung, die gegen diese Regierung protestiert, unterstützt. Die „neue Syriza“ hat sich sehr schnell in eine sozialliberale Partei verwandelt. Frühere GenossInnen, die sich dafür entschieden haben, in Syriza und weiterhin in Loyalität zur Regierung zu bleiben, sind fast schon dazu verdammt, sich in ApologetInnen des Memorandums zu verwandeln. Wenn die Frage der Unterstützung oder des Kampfes gegen das Memorandum die entscheidende Trennlinie in den politischen und sozialen Kämpfen ist, gibt es keine Grundlage für gemeinsame Zusammenarbeit mit den in Syriza verbleibenden GenossInnen. Entsprechend gibt es im betrieblichen Bereich bereits Spaltungen. In den Studentengewerkschaften ist die Spaltung bereits vollzogen. Es hat sich herausgestellt: Wenn Du dich auf die Austerität einlässt, endest Du damit, dass Du Dich von aller fortschrittlichen Politik verabschiedest. Der Umgang der Regierung mit der Immigration, wo die Regierung bereits auf einer Linie mit der Festung-Europa-Politik ist, ist ein schlagendes Beispiel dafür.

 Wie läuft die Zusammenarbeit mit ANTARSYA? In welchen Bereichen gibt es Kooperation, in welchen Bereichen gibt es Dissens?
      
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Die wichtigste Entwicklung ist eine gemeinsame Erklärung der beiden Kräfte. Darin wird der Wille zur Zusammenarbeit im Kampf gegen die Rentenreform zum Ausdruck gebracht. Das ist nur eine Erklärung, sie ist aber von der Basis der beiden Bündnisse und von anderen Linken, die keinem der beiden Bündnisse angehören, sehr positiv aufgenommen worden. Das mündete in gemeinsame Aktionen gegen die Rentenreform und zur Propagierung des Generalstreiks. Es gab auch einige Bemühungen in einigen Gewerkschaften, unsere Aktivitäten zu koordinieren. Daran müssen wir weiterarbeiten. Aber es gibt immer noch einige Hindernisse für eine kontinuierliche Zusammenarbeit. Für Teile von ANTARSYA ist LAE nach wie vor eine „neue Syriza, mit den alten Lastern und damit zum Scheitern verurteilt“. Während sich LAE deutlich gegen die Eurozone positioniert (ein Punkt, der in der Vergangenheit von ANTARSYA als der Hauptunterschied von Syriza genannt wurde) erheben dieselben GenossInnen jetzt den Einwand, „ dass man jetzt auch klar Position für einen Austritt aus der EU beziehen muss“. Es existieren also in ANTARSYA immer noch einige sektiererische Reflexe. Natürlich gibt es sehr viele gute GenossInnen in ANTARSYA, die auch bereit sind, nach der Niederlage im Sommer gemeinsam für die Rekonstruktion der radikalen Linken zu arbeiten.

Und es gibt in Teilen von LAE eine Neigung, jetzt die Türe zuzumachen, sowohl politisch als auch organisatorisch. Das ist der Grund, weshalb wir darauf bestehen, dass LAE ihren „offenen Charakter“ beibehält, den Charakter eines „Bündnisses im Aufbau“. So soll vermieden werden, dass andere Kräfte der Linken davon ausgeschlossen werden – und das nicht nur in Bezug auf ANTARSYA, sondern auch auf Gruppierungen, die Syriza verlassen, sich aber nicht LAE angeschlossen haben.

Wir beharren darauf, dass ANTARSYA und die GenossInnen, die Syriza verlassen haben, einsehen, dass wir eine Front aller Kräfte der radikalen Linken brauchen, die sich gegen die Kapitulation von Tsipras gewehrt haben und nach wie vor bereit sind, den Kampf gegen die Regierung und das Memorandum zu führen.

Panos Petrou ist Leitungsmitglied und Sprecher von Diethnistiki Ergatiki Aristera (DEA), einer Organisation, die früher Teil der Linken Plattform in Syriza war und jetzt Bestandteil von LAE (Laiki Enotita – Volkseinheit) ist. Er beantwortet Fragen, die Paul Michel im Namen der internationalen sozialistischen linken (isl) gestellt hat.



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr Nr. 3/2016 (Mai/Juni 2016) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz