USA

Abschwung nach den 70ern

Die frühen 70er Jahre markierten den Höhepunkt von Black Power, waren aber zugleich der Auftakt zu einem langanhaltenden Niedergang der afroamerikanischen Bewegung, der von Repression, Wirtschaftskrise und Einführung einer systematischen Gefängnishaft gezeichnet ist. Mit dem Verfall der Kräfteverhältnisse ging auch ein politischer Abstieg einher, wo nicht mehr eine Perspektive für die gesamte schwarze Gemeinde, sondern das Streben nach individuellen Auswegen im Vordergrund steht.

Stan Miller

Unter den Strategien, mit denen sich die herrschende Klasse in den USA die Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung gesichert hat, spielte die Peitsche stets eine viel größere Rolle als das Zuckerbrot. Konnte die Bürgerrechtsbewegung noch Gesetzesänderungen erzwingen, steht die afroamerikanische Bewegung seither unter Dauerbeschuss des Staates.


Zerschlagung der afroamerikanischen Organisationen


Seit seiner Gründung verfolgt das FBI stets ein Ziel, nämlich die Überwachung „aufrührerischer“ Bewegungen (Sozialisten, Kommunisten oder schwarze Nationalisten). Dafür wurden verschiedene „Programme“ zur Gegenaufklärung ins Leben gerufen, wie etwa das COINTELPRO (COunter INTELligence PROgram) von 1956 bis 1971.

J. Edgar Hoover, notorischer Antikommunist und unbedingter Verfechter der Rassentrennung, leitete das FBI seit dessen Gründung 1924 bis zu seinem Tod 1972. Nach zahlreichen Skandalen und dank der hartnäckigen Arbeit des investigativen Journalismus ist es inzwischen möglich, die Methoden und das Ausmaß des repressiven Systems zu erfassen, das aus Mord, Einschleusung von Agents provocateurs, gezieltem Drogenumschlag in den Schwarzenghettos etc. bestand. Ein Beispiel für die direkte und blutige Verwicklung des FBI war die Ermordung des Chicagoer Führers der Black Panther Party Fred Hampton am 4. Dezember 1969 durch Bundesbeamte anhand von Indizien, die von einem eingeschleusten Informanten stammten. Daneben wurden bezahlte Provokateure in die Bewegungen eingeschleust, um sie zu überwachen, aber auch um Spaltungen und innere Querelen zu provozieren. Es wurden an „wohlgesonnene“ Zeitungen gezielte Informationen über Strafregister oder außereheliche Affären von führenden Mitgliedern der Bewegung gestreut. Oder die Polizei provozierte durch Schikanen sog. „Ungehorsam“, der dann erbarmungslos erstickt wurde.

Die bekanntesten unter den Organisationen der Schwarzen wie die BPP oder die DRUM (Dodge Revolutionary Union Movement) waren auf ein derartiges repressives Vorgehen nicht gefasst. Hinzu kam, dass die martialische Strategie der BPP und ihr Mangel an innerer Demokratie dem FBI die Arbeit erleichterten. Die „direkten Aktionen“ lieferten dem FBI den notwendigen Vorwand für das gewaltsame Vorgehen und die Binnenstruktur, die von „charismatischen“ Führungsfiguren abhing, erleichterte die Desorganisation der Gruppe, wenn die Führer im Gefängnis oder im Exil saßen oder tot waren.

Wohl spielte das FBI dabei die Hauptrolle, aber jede andere lokale, bundesstaatliche oder nationale Sicherheits- oder nachrichtendienstliche Agentur bediente sich derselben Methoden. So finanzierte die CIA in den 80er Jahren die antisandinistischen Contras in Nicaragua durch den Handel mit Kokain in den Schwarzenghettos, wie 1998 letztlich eingestanden wurde.

Warum griff die US-Bourgeoisie auf eine derartige Repression zurück? Eben weil sie in der damaligen Zeit (Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre) genauso außerordentlich um die Stabilität ihres Herrschaftssystems fürchten musste. Auf internationaler Ebene war nach dem Sieg der kubanischen Revolution 1959 und dem Scheitern aller konterrevolutionärer Versuche sowie der Niederlage in Vietnam mit dem Rückzug der US-Truppen 1973 die US-Vormachtstellung seit dem Zweiten Weltkrieg angeschlagen: Ein kleines, isoliertes Land hatte die mächtigste Armee der Welt bezwungen.

Die Niederlage in Vietnam war zugleich das Ergebnis der größten Antikriegsbewegung der Weltgeschichte: Massendemonstrationen in den USA, aber auch „direkte Aktionen“ und Fahnenflucht, ganz abgesehen von Protesten unter den Soldaten, besonders den schwarzen, selbst.

Fast ein Jahrhundert lang hatte die Rassentrennung nach dem Sezessionskrieg 1861–1865 die Herrschaft über die Schwarzen unter Fach und Dach gehalten. Mit der Bürgerrechtsbewegung und ihren Massenmobilisierungen und erzwungenen Gesetzesänderungen jedoch wurde das Verlangen nach der seit Ewigkeiten versprochenen Gleichheit unter den Schwarzen wieder geweckt. Und Black Power bedeutete die Zuspitzung dieser Bedrohung und ihre Organisationen waren wohl zahlenmäßig bescheiden, aber trotzdem Ausdruck eines sehr viel tiefer gehenden Protests unter der gesamten schwarzen Bevölkerung.

Nachdem sie in den frühen 70er Jahren ihren Höhepunkt erreicht hatte, wurde die afroamerikanische Bewegung durch die Repression nachhaltig geschwächt. Als die Wirtschaftskrise ausbrach und mit ihr Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau und die Schwarzen als Sündenböcke herhalten mussten, waren die radikalen afroamerikanischen Organisationen entweder nicht mehr existent oder nicht mehr dazu in der Lage, überhaupt noch Widerstand zu organisieren.


Eine neue Variante der Unterdrückung


Von der Wirtschaftskrise der 70er Jahre war gerade die schwarze Bevölkerung besonders betroffen, zumal sie auch den Vorwand lieferte, ein neues Repressionsinstrument zu etablieren: die massenhafte Inhaftierung von Schwarzen.

Mit dem Niedergang ganzer Industrien waren die Afroamerikaner als erste von der Massenarbeitslosigkeit betroffen, da sie über die geringste Qualifikation verfügten und vorwiegend in den Industrieregionen lebten. Hinzu kamen die Trennung der Rassen nach Wohngebieten, wobei die Schwarzenviertel besonders vom Abbau der öffentlichen Dienste, gerade im öffentlichen Verkehrswesen, betroffen waren und dadurch noch mehr ghettoisiert und vom Wirtschaftsleben abgeschnitten wurden. Die Fabriken wurden nach China, Mexiko oder in die Südstaaten verlagert, wo die Gewerkschaftsrechte gering und die Konkurrenz zu immigrierten Niedriglöhnern aus Lateinamerika um die verbliebenen wenig qualifizierten Stellen besonders hoch ist.

Unter Ronald Reagan, dem republikanischen Präsidenten von 1980 bis 1988 begann die systematische Zerstörung der in den 1930er Jahren erkämpften sozialen Errungenschaften. Um die Unterstützung der armen Weißen und die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen, stellte er die Schwarzen als Hauptnutznießer dieses sozialen Sicherungssystems dar. Hinzu kam die Medienhetze, die nach dem Muster von Chiracs berühmter Rede über „den Lärm und Gestank“ der Immigranten, die übliche Falschpropaganda verbreiteten, etwa von der „welfare queen“, einer schwarzen Mutter zahlreicher Kinder, die angeblich Hunderttausende von Dollars an Sozialhilfe abkassierte.

Zugleich wurde „der Kampf gegen die Drogen“ aufgenommen, will heißen, Menschen bereits beim ersten Delikt im Zusammenhang mit Drogen – zumeist bloßer Konsum – ins Gefängnis zu stecken – mitunter jahrelang. Obwohl 10 % der AmerikanerInnen mindestens einmal im Jahr Drogen konsumieren, kaprizieren sich Polizei und Justiz ganz vorrangig auf die Schwarzen, die festgenommen, durchsucht, verfolgt und eingeknastet werden. Die Zahl der Gefängnisinsassen in den USA ist sprunghaft angestiegen: Inzwischen sitzt ein Erwachsener von 100 im Knast und einer von 9 Afroamerikanern ist hinter Gittern oder unter Polizeiaufsicht.

Die Ausrufung des „Drogenkriegs“ in den 80/90er Jahren zielte auf die verschärfte Stigmatisierung der Schwarzen als notorische Dealer, Junkies und Schmarotzer an der Sozialversicherung als Rechtfertigung für den Sozialabbau. Zugleich konnte damit ein anderes soziales Problem angegangen werden, das die herrschende Klasse umtrieb: In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit waren die Schwarzen als Arbeitskraft überflüssig und konnten gegen noch billigere Tagelöhner unter den MigrantInnen ausgetauscht werden. Indem man sie massenhaft wegsperrte, beseitigte man das Problem und signalisierte den Schwarzen obendrein, dass jede Form von Protest im Keim erstickt würde und dass selbst ihre formalen Rechte ausgehebelt würden. Diese Praxis gilt seither unverändert, gleich welche Partei an der Regierung ist.


Der „Quotenneger“


Radikale Organisationen blieben von diesem allgemeinen Niedergang und der Repression nicht verschont und verstummten allmählich. Die Reformisten meldeten sich jetzt zu Wort und propagierten eine Art positive Diskriminierung mit Quotierung der Studienplätze und der verantwortungsvollen Positionen, damit auch eine Minderheit unter den Schwarzen an die Fleischtöpfe der Macht gelangen könne.

      
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Mögen die Schwarzen im Ganzen als Schmarotzer und Kriminelle behandelt werden, von offizieller Seite werden einzelne „Vorzeigeexemplare“ hervorgehoben, die sich in die Mittelschicht emporarbeiten konnten, aber gleichwohl dem in der US-Gesellschaft grassierenden Rassismus unterliegen. Die Kriminalisierung der breiten Masse der Schwarzen hingegen trifft kaum auf organisierten Widerstand.

Obamas Wahl zum Präsidenten ist Folge der genannten Strategie und gewissermaßen der „Quotenneger“ schlechthin und soll demonstrieren, dass die Hautfarbe in den USA nicht mehr zählt. Wie die Realität jedoch beschaffen ist, wie sie die übergroße Mehrheit der Schwarzen tagtäglich erlebt, das zeigt eher die BlackLivesMatter-Bewegung

Übersetzung MiWe.



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 5/2016 (September/Oktober 2016). | Startseite | Impressum | Datenschutz