Wir dokumentieren im Folgenden die Kritik der Antikapitalistischen Linken in der LINKEN-Berlin am Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und der LINKEN, der mit der Aufforderung schließt, bei der Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag mit Nein zu stimmen. Obwohl sich auf den kollektiven Diskussionsveranstaltungen in den Bezirken sehr viele Kritik- und Neinstimmen zu Wort meldeten, war die individuelle Mitgliederabstimmung erwartungsgemäß eindeutig für den Regierungsvertrag. Gut 4000 Mitglieder stimmten mit Ja (89 Prozent), lediglich gut 400 stimmten mit Nein.
Thies Gleiss
Seit dem 8. Dezember 2016 gibt es nach Thüringen und Brandenburg eine weitere Regierung mit Beteiligung der LINKEN, und zwar in Berlin.
Diese Regierungsbeteiligung ist in mehrfacher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Erstens gibt es heftige Anstrengungen von Kräften in der SPD, den Grünen und der LINKEN ein „rot-rot-grünes“ Regierungsprojekt auch für die Bundestagswahl 2017 interessant zu machen. Zurzeit sind die drei Parteien in den Umfragen zwar weit von einer Parlamentsmehrheit entfernt und die Debatten zu „R2G“ finden im blutleeren Raum des parlamentarischen Hinterbänklertums statt, orchestriert von solchen nicht gerade breitenwirksamen Einrichtungen wie dem Institut Solidarische Moderne, aber mit einem neuen praktischen Experimentierfeld in der realen Politik entstehen neue Illusionen, dass „Rot-Rot-Grün“ doch zu einem gesellschaftlichen Projekt wird, getragen von einer breiten politischen Wechselstimmung in den Betrieben, bei den sozialen Bewegungen und in den Stadtteilen.
Zweitens ist die SPD-LINKE-Grünen-Regierung zumindest für zwei der Parteien die Fortsetzung eines zehnjährigen Regierungsabenteuers in Berlin, das politisch und wahlpolitisch zu einem Fiasko wurde, insbesondere für die LINKE, die ihre WählerInnenschaft mit dieser Regierung des Sparens, Kürzens und Sozialabbaus glatt halbiert hat. Jetzt schauen alle auf die Neuauflage der LINKEN-Beteiligung und es klingen die Versprechen in allen Ohren, es jetzt wirklich besser zu machen.
Und drittens schließlich ist dies die erste Regierungsbeteiligung der LINKEN in einem zumindest halben Westbundesland, also nicht in den Erblandschaften der PDS im Osten. Bereits die frühere SPD-PDS-Regierung in Berlin war ein großer Prüfstein bei der Herausbildung der neuen Partei DIE LINKE. Auch diese neue Regierung wird mehr als die Regierungsbeteiligungen in den Ostländern zu einer Belastungsprobe der jetzt zehn Jahre alt werdenden Partei DIE LINKE. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die Regierung, wie ihre Beobachtung scharf sein wird.
Viele Mitglieder der Internationalen Sozialistischen Organisation (ISO) arbeiten in der LINKEN mit. Sie und viele andere teilen die Kritik der AKL am Koalitionsvertrag. Wer in eine solche Regierung eintritt, wird immer für die Gesamtheit der Regierungspolitik in Mithaftung genommen. Diese schon von Rosa Luxemburg erhobene Mahnung ist heute in Berlin brandaktuell. Wer nur die wenigen guten Teile der Regierungsplattform unterstützen kann und will, sollte es lieber mit einem Modell der Tolerierung einer Minderheitsregierung versuchen – am besten ohne Tolerierungsabkommen, sondern als Projekt der wechselnden Mehrheiten, bei dem die LINKE nur dem zustimmt, was in ihren Augen zustimmungsfähig ist. Bei einer Zukunft von vielleicht sieben Parteien im Bundestag von 2017 (so sehen es die aktuellen Umfragen) ist eine solche parlamentarische Taktik sicherlich auch auf Bundesebene eine ernste Debatte wert.
In früheren Zeiten - wir denken an die Regierungsbeteiligung von Linken in Frankreich, Italien, selbst 1998 in Deutschland mit dem SPD-Grünen-Wahlsieg und sogar an die erste Berliner PDS-Regierungsbeteiligung – gab es das, was die WahlforscherInnen „Wechselstimmung“ nannten. Eine linke Analyse würde eher von einer gewissen Politisierung des Klassenbewusstseins sprechen, sowohl der ArbeiterInnen- als auch der KapitalistInnen-Klasse. Nach den damaligen Wahlerfolgen gab es Freudenreaktionen, Straßenaktionen und eine linke Aufbruch- und Partystimmung. Auf der anderen Seite formierte sich das Bürgertum mit Angstkampagnen und Drohungen mit Kapitalflucht und Investitionsstreik – zu denen es teilweise auch kam.
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Heute ist in Berlin davon keine Spur. Die politische Klasse und ihre Medien gehen angesichts der neuen „rot-rot-grünen“ Regierung zur Tagesordnung über und den Massen in Betrieben und Stadtteilen ist es egal. Kaum eine der in Berlin durchaus aktiven sozialen Bewegungen ist angesichts der neuen Regierung in politische Erregung versetzt worden. Der Grund ist so banal wie eingängig: Zumindest ein „Rot“ in dieser Koalition ist schon lange nicht mehr rot und das „Grün“ ist nicht mehr grün. SPD und Grüne sind Technokraten der bürgerlichen Krisenverwaltung, ihr Personal ist verschlissen, korrupt und mehr am persönlichen Fortkommen als an irgendwelchen politischen Grundsätzen interessiert. Und auch das zweite „Rot“, die LINKE, hat fleißig am Image zu arbeiten, eine „etablierte Partei“ wie alle anderen auch zu sein. Schon eine so kleine Angelegenheit wie die Berufung des bekannten linken Stadtplaners und Gentrifizierungskritikers Andrej Holm zum Staatssekretär bei der Senatorin für Wohnungsbau hat die spießig-biedere Grundstimmung in der Koalition aufgemischt. Das Ende in dieser Sache ist noch offen, und wenn die LINKE in dieser Personalfrage noch umkippen sollte, könnte die neue Regierungserfahrung der LINKEN schon gleich nach Beginn im Elend enden.
20.12.2016 |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 1/2017 (Januar/Februar 2017). | Startseite | Impressum | Datenschutz