Ökologie

Autoverkehr: Was macht Verbrennungsmotoren so gefährlich?

Die aufstrebende Automobilindustrie sorgte seinerzeit mit halblegalen Mitteln für den vorsätzlichen Niedergang des öffentlichen Verkehrswesens und die Durchsetzung des Individualverkehrs. Inzwischen besorgen an ihrer Stelle die Erfüllungsgehilfen an den Regierungen dieses Geschäft.

Klaus Meier

 Stuttgart plant zum Schutz der Bevölkerung, dass Dieselfahrzeuge, die vor dem 1.9.2015 zugelassen worden sind, ab 2018 nicht mehr in die Stadt fahren dürfen. Wer wird davon betroffen sein?

Betroffen sind davon nur Dieselfahrzeuge, die die Euro 6-Norm nicht erfüllen. Es wird geschätzt, dass davon 70 000 Autos betroffen sind. Stuttgart wird aber nur der Vorreiter sein. Zahlreiche andere Städte überschreiten bei der Stickoxidbelastung ständig die Grenzwerte. So wird in München der von der EU zugelassene Mittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft nicht nur auf den großen Ring- und Einfallstraßen regelmäßig überschritten. Auch weit jenseits davon, mitten in sicher geglaubten Wohngebieten liegen die Werte teilweise bei 60 Mikrogramm. Unter dem Druck dieser Zahlen erklärte Münchens Oberbürgermeister, dass man zukünftig Fahrverbote für Diesel einführen müsse. [1] Und der Handlungsdruck ist erheblich. So hat die Deutsche Umwelthilfe bereits 2016 16 deutsche Städte verklagt, weil sie die gesetzlich vorgeschriebenen Schadstoffgrenzen nicht einhalten. Bundesverkehrsminister Dobrindt und die Bundesregierung lehnen die Maßnahme entschieden ab. Aber wer einen Blick ins europäische Ausland wirft, stellt fest, dass Fahrverbote aus Gründen des Gesundheitsschutzes längst an derTagesordnung sind. So in Oslo, Rom oder Paris. Beispielsweise wurde Anfang Dezember 2016 über 50 % der Autos im Großraum Paris ein Fahrverbot verhängt. Metro, Busse und Schnellbahnen rollten dafür kostenlos. Welche Folgen haben die Fahrverbote für die Besitzer von Dieselfahrzeugen? Der EU-Grenzwert für Stickoxide liegt bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Atemluft. An den meisten verkehrsstarken Messstationen wird dieser Wert regelmäßig überschritten. Die Autokonzerne haben über viele Jahre hinweg Dieselfahrzeuge auf den Markt gebracht, die gegen die gesetzlichen Grenzwerte verstoßen. In enger Kumpanei mit den Politikern. Den Preis dafür werden die Besitzer der Dieselfahrzeugen bezahlen müssen, denn ihre Altautos verlieren an Wert. In den USA erhalten die Besitzer von VW-Dieseln immerhin eine Entschädigung von 5 100 bis 10 000 Dollar. In Deutschland hat die Bundesregierung dafür gesorgt, dass es nichts gibt.

 Dieselautos der Euro 6-Norm werden vom angekündigten Fahrverbot auf Stuttgarts Straßen ausgenommen. Sind sie soviel sauberer?

Die Erlaubnis für Euro 6-Fahrzeuge ist ein Kniefall von den Autokonzernen. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Euro 6-Fahrzeuge nicht viel besser sind als die mit Euro 4- oder Euro 5-Norm. Das liegt am systematischen Betrug, den fast alle Hersteller begangen haben. So veröffentlichte im April 2016 das Kraftfahrtbundesamt Messungen an 53 Dieselfahrzeugtypen. Danach überschritten z.B. Autos von Ford, Hyundai, Mercedes, Opel oder Renault teilweise bis zu 1300 % die Grenzwerte für Stickoxide. [2]

 Was macht Stickoxide so gefährlich?

Aus Ballungszentren ist bekannt, dass bei Bewohnern von stark belasteten Straßen sowohl die Atemkapazität als auch das Lungenvolumen reduziert sind. Die Stickoxide können die Zellen so angreifen, dass sie entarten und Krebs entsteht. Bei hoher Stickoxidbelastung leiden besonders Menschen mit vorgeschädigten Atemwegen. Mehr Menschen müssen ins Krankenhaus, Herz-Kreislaufleiden und die Sterblichkeit nehmen zu. In den Blutgefäßen trägt Stickstoffdioxid dazu bei, dass Entzündungen entstehen und chronisch werden. Zudem lagert sich an den entzündeten Innenwänden der Blutgefäße leichter Cholesterin, Immunzellen und Kalk ab. Es drohen Infarkte und Schlaganfall. [3]

 In Stuttgart und anderen Städten liegen nicht nur die Stickoxide weit über den Grenzwerten. Auch die Feinstaubbelastung ist erheblich. Wie ist das zu bewerten?

Stuttgart ist die deutsche Feinstaub-Hauptstadt. In 2016 wurde an 63 Tagen der Tagesmittelgrenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft überschritten. Maximal 35 Tage im Jahr sind aber nur erlaubt. In den letzten Jahren hat sich die Autoindustrie bei ihren Dieseln darauf konzentriert, große Rußpartikel vom Typ PM 10 in den Abgasen zu verringern. Daneben treten aber bei den Verbrennungsprozessen in den Motoren auch ultrafeine Partikel auf, die kleiner als Bakterien sein können. Feinstaub vom Typ PM 2,5 hat einen Durchmesser von 2,5 Mikrometern. Und ein Großteil der Teile ist sogar kleiner als 0,1 Mikrometer. Man kann sie nicht mehr sehen. Aber sie sind besonders gefährlich, weil sie beim Einatmen aufgrund ihrer geringen Größe bis in die kleinsten bronchialen Verästelungen und Lungenbläschen vordringen und über die Lunge direkt in die Blutbahn gelangen.

 Die Autokonzerne weisen gerne darauf hin, dass die Belastung in Stuttgart eine Ausnahme und die Feinstaubbelastung bundesweit zurückgegangen sei.

Stuttgart ist sicher extrem, aber das ist kein Grund zur Beruhigung in anderen Orten. Die EU lässt bei den Grenzwerten für Feinstaub eine besonders hohe Belastung zu, wohl nicht zuletzt ein Ergebnis der mächtigen Lobbyarbeit der Autoindustrie. Die Weltgesundheitsorganisation WHO fordert dagegen deutlich niedrigere Grenzwerte. Die EU liegt bei der Partikelgröße PM 10 um 100 % und bei der Partikelgröße PM 2,5 sogar um 150 % darüber.

 Gibt es weitere gesundheitliche Folgen von Feinstaub?

Es ist schon sehr lange bekannt, dass Feinstaub Bronchitis, Asthma, Lungenkrebs oder Herz-Kreislauferkrankungen hervorrufen kann. Neue epidemiologische und experimentelle Studien zeigen, dass Feinstaub sogar zur Demenz beitragen kann. Bereits vor 10 Jahren wurde bekannt, dass Hunde an stark befahrenen Straßen in Mexiko-Stadt dement werden, so dass sie ihre Besitzer nicht mehr erkennen. In ihren Gehirnen fand man Plaques, Ablagerungen, die auch bei menschlichen Alzheimer-Patienten auftreten. Diese Plaques konnte man auch in den Hirnen von Jugendlichen aus Mexiko-Stadt finden, die bei Autounfällen ums Leben gekommen waren. Eine Studie der kanadischen Universität Toronto hat gezeigt, dass Menschen, die näher als 50 Meter an Hauptdurchgangsstraßen leben, eine um 12 % höhere Wahrscheinlichkeit haben, an Alzheimer zu erkranken. Beunruhigend ist auch eine Studie der University of Southern California. Sie zeigte, dass bei Feinstaubpartikeln vom Typ PM 2,5 ein deutlich höheres Demenzrisiko auftritt, wenn ihre Konzentration oberhalb des US-amerikanischen Grenzwertes von 12 Mikrogramm pro Kubikmeter liegt. Betagte Frauen, die dort leben, haben ein um 92 % erhöhtes Risiko, an Demenz zu erkranken. Die Wissenschaftler haben berechnet, dass umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung 21 % der Demenzfälle ursächlich mit der Luftverschmutzung zusammenhängen. [4]

 Sind das Gefahren, die nur von Dieselfahrzeugen ausgehen, oder sind auch Benziner betroffen?

Während bei Diesel-Pkw die Feinstaubgrenzwerte verschärft wurden, ist bei den Benzinern nichts passiert. Sie dürfen völlig legal zehnmal mehr Feinstaub in die Luft blasen. Erst ab September 2018 werden verbesserte Regeln in Kraft gesetzt. In einem ADAC-Ecotest von Mitte 2016 lagen rund die Hälfte der Ottomotoren zum Teil deutlich über den kommenden Partikelgrenzwerten. Die Autokonzerne nutzen – wieder einmal – eine Ausnahmeregelung für Benziner so lange wie möglich. Gleichzeitig versuchen die Lobbyverbände, die Sonderregel um ein Jahr zu verlängern. Zudem will der technische Ausschuss für Kraftfahrzeuge (TCMV) die Grenzwerte für Partikel aus Benzindirekteinspritzern um 50 % erhöhen. [5]

 Betrachten wir den CO2-Ausstoß der Fahrzeuge. Autolobbyisten wie der VDA-Präsident Matthias Wissmann werden nicht müde zu behaupten, dass die Dieseltechnologie mittelfristig unverzichtbar sei, um die weltweiten Klimaziele zu erreichen. Ist das die Wahrheit?

Ab 2020/21 gelten neue EU-Grenzwerte für die Kohlendioxid-Emissionen der Pkws. Dann darf der Durchschnittswert der PKW-Flotte eines Herstellers 95 g CO2 pro gefahrenen Kilometer nicht überschreiten. Sonst drohen hohe Strafen. Für die deutschen Premiumfahrzeughersteller ist das ein großes Problem, denn sie liegen heute im Durchschnitt bei 130 Gramm pro Kilometer. Ihre Strategie besteht darin, sich mit Lügen und Sonderrabatten durchzumogeln. Zu den Sonderrabatten gehört die Schönrechnung des Diesels. Doch sie gerät allein schon durch die Abweichungen zwischen realem Spritverbrauch und Herstellerangaben ins Wanken.

 Wie groß ist die Differenz zwischen Herstellerangaben und dem wirklichen Spritverbrauch?

Die Prüfer des International Council on Clean Transport (ICCT) teilten im November 2016 in einer Presseerklärung mit, dass die Kluft zwischen realem Kraftstoffverbrauch und dem von den Autoherstellern angegebenen Verbrauch noch nie so groß gewesen sei wie jetzt. Noch vor zehn Jahren seien die realen Werte um 15 % abgewichen. 2013 seien es schon 25 % gewesen. Inzwischen liege die Abweichung bei 42 %. Für die Studie wurden Daten von Leasingfirmen von 2001 bis 2015 verwendet, die eine Million Fahrzeuge erfassten. [6] Für Autofahrer seien damit durchschnittliche Mehrausgaben von 450 Euro verbunden. Aber auch bei den Kohlendioxid-Emissionen tricksen die Hersteller. Anfang 2016 wurden in einer Untersuchung des Kraftfahrzeugbundesamts 53 Fahrzeuge untersucht. Dabei zeigte sich, dass davon 30 die angegebenen CO2-Emissionen deutlich überschritten. [7]

 Autos tragen mit über 20 % zu den Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland bei, Tendenz steigend. Deutschland hat sich mit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens dazu verpflichtet, seinen Beitrag zur Rettung des Weltklimas zu leisten. Wie passt das zur deutschen Autopolitik?
      
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Die Daten der Klimawissenschaftler sind eindeutig. Schon Mitte des Jahrhunderts werden sich ganze Weltregionen so weit aufgeheizt haben, dass sie zunehmend unbewohnbar sind. Dazu gehören z.B. Nordafrika und der Nahe Osten. [8] Der Klimawandel stellt letztlich das Überleben der Menschheit auf diesem Planeten in Frage. Eine Umkehr verlangt nicht nur, dass die Kohleverbrennung so schnell wie möglich eingestellt wird, sondern dass auch der massenhafte Individualverkehr durch öffentliche Verkehrsmittel ersetzt wird. Wir haben das Problem, dass die kapitalistischen Kohle- und Autokonzerne lieber die Welt in den Untergang treiben wollen, als eine Einschränkung ihrer Geschäftsmodelle hinzunehmen. Und die bürgerlichen Politiker sind auf das Engste mit dem Kapital verbunden. Das zeigt sich auch an ihrer autozentrierten Verkehrspolitik. Die aufzubauende radikale Klimabewegung wird sich zwangsläufig auch mit Mobilitätsalternativen auseinandersetzen müssen, bei denen die Ersetzung des Individualverkehrs durch öffentliche Verkehrsmittel im Mittelpunkt steht.


Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 4/2017 (Juli/August 2017). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Süddeutsche Zeitung: München plant Dieselfahrverbote, 14./15.6.2017

[2] Süddeutsche Zeitung: Heißer Reifen, 25.4.2016

[3] Süddeutsche Zeitung: Gift mit jedem Atemzug, 1.2.2017

[4] VDI-Nachrichten: Dement durch Feinstaub, 3.3.2017

[5] Süddeutsche Zeitung: Dreckige Benziner, 29./30.10.2016

[6] Süddeutsche Zeitung: Tricks am Tank, 18.11.2016

[7] Süddeutsche Zeitung: Konzerne tricksen, Fahrer zahlen, 21./22.5.2016

[8] Lelieveld et. al: Strongly increasing heat extremes in the Middle East and North Africa (MENA) in the 21st century, Climatic Change (2016) 137, 245–260