Ein wichtiges Erbe für den revolutionären Kampf im 21. Jahrhundert. Hier soll ein Blick auf die ökonomischen und politischen Schriften dieses bedeutenden Marxisten geworfen werden.
Manuel Kellner
Ernest Mandel (1923–1995) hat uns ein wichtiges theoretisches Werk hinterlassen, das für jeden unverzichtbar ist, der eine Bilanz des 20. Jahrhunderts ziehen und zur Ausarbeitung revolutionärer Perspektiven für das 21. Jahrhundert beitragen will.
Der rote Faden des Denkens von Ernest Mandel, die Achse, um die sich seine Schriften drehen, war die solidarische Selbsttätigkeit und demokratische Selbstorganisation der Arbeiter*innenklasse als Schlüssel für die universelle menschliche Emanzipation. Das ist es, was sich aus seinen ausführlichen Kritiken des Kapitalismus und anderer zeitgenössischer Unterdrückungssysteme ergibt, es ist die zentrale Idee seiner Beiträge zur Strategie des sozialistischen Kampfs für eine klassenlose Gesellschaft und zugleich die Quintessenz seiner Vorstellung von der angestrebten sozialistischen Demokratie auf Weltebene: Ernest Mandels Internationalismus war organisch seinen Anliegen verbunden und untrennbar von seiner Parteinahme für die Interessen der Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellten, der Unterdrückten, der Benachteiligten und Entrechteten, der Ausgegrenzten aller Art.
Dies erklärt auch, warum Ernest Mandel über so viele Themen schrieb. Die bemerkenswerte Biografie, die Jan-Willem Stutje verfasst hat, zeigt uns den Menschen, seine Hingabe an die revolutionäre Sache und den Aufbau unserer Vierten Internationale. [1] Der von Gilbert Achcar herausgegebene Sammelband mit Beiträgen, die auf einem Amsterdamer Seminar über Mandels Beitrag zur marxistischen Theorie gehalten worden waren, ist reich an Lehren. [2] Meine Werkbiographie, die sich im Wesentlichen, aber nicht ausschließlich, auf seine Bücher stützt, gibt einen Überblick über sein vielfältiges theoretisches Denken und erörtert gleichzeitig seine Stärken und Schwächen. [3]
Ernest Mandel wollte in seinem im Mai 1960 fertiggestellten und 1962 erschienenen Traité d’économie marxiste ausgehend „von den empirischen Gegebenheiten der heutigen Wissenschaft“ „das gesamte ökonomische System von Karl Marx rekonstruieren“ (eine gekürzte deutsche Ausgabe erschien 1968 unter dem Titel Marxistische Wirtschaftstheorie). Die Fülle von Verweisen auf eine Vielzahl von Publikationen aus verschiedenen Bereichen der Human- und Sozialwissenschaften untermauert sein Argument, dass die Kritik von Karl Marx an der kapitalistischen Produktionsweise – trotz der lang anhaltenden wirtschaftlichen Expansion der Nachkriegszeit (und trotz der Tatsache, dass Karl Marx kein „Wirtschaftssystem“ ausgearbeitet hat) – auch heute noch aktuell ist.
In diesem Buch, wie auch in anderen, die das gleiche Thema behandeln (und in seinen Einführungen), entfernte sich Ernest Mandel weit von der pseudomarxistischen Scholastik des „Beweises“ mithilfe von Marx-Zitaten, warum Marx Recht hatte. In ähnlicher Weise war Mandel keineswegs versucht, die Kategorien der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie als Kategorien zu behandeln, die logisch und dogmatisch voneinander abzuleiten sind. Sein Bestreben war, die Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte zu synthetisieren (oder zu zeigen, dass hier die Stärke der Marx’schen Kritik der Politischen Ökonomie liegt). Zum Beispiel durch die Entwicklung der Arbeitswerttheorie aus vorkapitalistischen Beispielen der Aneignung des Mehrprodukts durch eine herrschende Klasse.
Der große Vorteil dieser Methode ist didaktischer Natur. Ich kenne eine Reihe von Zeitgenoss*innen, die (wie ich selbst) erst durch die Lektüre der Schriften von Mandel Zugang zum Kapital von Karl Marx hatten. Im Allgemeinen bestand Mandels Stil darin, seine Argumente mit einer Vielzahl von konkreten Beispielen zu illustrieren. Dies ist einer der Gründe, warum er sowohl in seinen Schriften als auch mit den Vorträgen, die er bei Schulungskursen, Symposien oder in politischen Versammlungen hielt, sehr verständlich und überzeugend war. Im Vorwort zu seinem Spätkapitalismus präzisiert und verteidigt er seine „historisch-genetische“ Methode, relativiert sie aber gleichzeitig etwas, da er die Kritik, er sei in der Marxistische Wirtschaftstheorie zu „deskriptiv“ gewesen, ernst genommen hatte.
Mandel war nicht für eine allzu deterministische Konzeption des dialektisch-historischen Materialismus. Er sprach von sechs „teilweise autonomen Variablen“, die die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise bestimmen. In ähnlicher Weise erklärte er, warum diese Produktionsweise zuerst in westeuropäischen Ländern auftauchte, nicht wegen allgemeiner „Gesetze“ der historischen Entwicklung, sondern weil bestimmte Besonderheiten und bestimmte Voraussetzungen zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte dort erfüllt waren. Beispielsweise wegen des in Lateinamerika geraubten Golds, das die Akkumulation von Geldkapital begünstigte und wegen der Trennung eines bedeutenden Teils der Bevölkerung von seinen Produktionsmitteln, was ermöglichte, massiv in die Ausbeutung der Arbeitskraft zu investieren. In China waren diese Voraussetzungen nicht erfüllt, und daher konnte sich die kapitalistische Produktionsweise dort nicht entwickeln – auch wenn einige Technologien dort weiter entwickelt waren als in Europa.
Der 1972 veröffentlichte Spätkapitalismus gilt als Mandels ökonomisches Hauptwerk. Um dieses zu verorten, muss man sich vor Augen halten, dass wir zu dieser Zeit noch weit von der neoliberalen Hegemonie entfernt waren. Die herrschende Ideologie sah das kapitalistische System als gezähmt an und suggerierte, dass die krassen Widersprüche dieser Produktionsweise Geschichten aus der Vergangenheit seien. Das Eingreifen des Staates hatte die Krisen gebändigt; der Lebensstandard vieler Erwerbstätiger hatte sich deutlich verbessert; die Länder der „Dritten Welt“ hatten eine Chance, zum Niveau der reichen Länder aufzuschließen; der Fortschritt der sozialen Sicherungssysteme hatte die Verarmungstendenzen der breiten Massen überwunden; die Teilung in Klassen sei einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ gewichen.
In diesem Zusammenhang erklärte Ernest Mandel, dass die Widersprüche der kapitalistischen Klassengesellschaft nicht passé waren, sondern in naher Zukunft erneut explodieren würden. Gleichzeitig analysierte er die konkreten Veränderungen dieses Nachkriegskapitalismus, der für ihn eine neue Periode im Rahmen des von Lenin analysierten imperialistischen oder monopolistischen Kapitalismus darstellte. (Für weitere Präzisierungen zu Mandels Spätkapitalismus schlage ich vor, den Beitrag von Michel Husson in dieser Ausgabe der internationale zu konsultieren: Michel Husson: Die Aktualität der Wirtschaftstheorie von Ernest Mandel, die internationale Nr. 5/2020 (September/Oktober 2020).)
Ernest Mandel hatte auch wesentlich zur Erklärung der regelmäßig auftretenden zerstörerischen Überproduktionskrisen des Kapitalismus beigetragen. Sie galten ihm als Beweis für die gravierenden Mängel des kapitalistischen Systems und als ein schönes Beispiel für die Triftigkeit der Kritik von Karl Marx an der kapitalistischen Produktionsweise. Sein eigenständiger Beitrag zur Erklärung der zyklischen Krisen war die Ablehnung monokausaler Erklärungen, sei es durch die Theorie des Unterkonsums oder die der Disproportionalität zwischen den großen Produktionsabteilungen oder durch die Überakkumulation von Kapital. In seiner Synthese spielen Schwankungen in der Profitrate eine wichtige Rolle. Mandel untersuchte nicht nur die Erklärungskraft der verschiedenen Ansätze, sondern auch ihre Rolle im Kampf zwischen der Arbeiterklasse und dem Kapital. Die reformistischen Führungen beispielsweise nutzten die Unterkonsumptionstheorie, um zur Krisenbekämpfung die Stärkung der Kaufkraft der Massen vorzuschlagen. Aber wenn die Löhne steigen, gehen die Profite zurück, was kapitalistische Investitionen kaum fördert … Die Theorie der Disproportionalität bezieht sich auf die „Anarchie“ der kapitalistischen Produktion und wurde daher als Argument für ein „Super-Holding“ benutzt, um die Auswirkungen des Wettbewerbs auf Investitionsentscheidungen zu überwinden – in Zusammenhang mit einem „friedlichen Hinüberwachsen“ zum Sozialismus. Überakkumulation hingegen kann vom Kapital als Argument benutzt werden, um die Produktion von Mehrwert zu steigern. Die marxistische Version dieser Theorie geht von einer Arbeitslosenquote von praktisch null über einen sehr langen Zeitraum aus, was als utopisch erscheint.
Die Kehrseite der Medaille ist die Funktion von zyklischen Krisen. Aus der Sicht des Kapitals handelt es sich dabei um „reinigende“ Krisen, die die Preise krampfartig auf reale Werte zurückführen und damit dazu führen, dass nur die stärksten Firmen und das stärkste Kapital an ihrem Platz bleiben – zum Nachteil der Schwächsten, die verschwinden. Es ist also die Tendenz zur Konzentration und Zentralisierung des Kapitals, die sich durch seine Krisen katastrophal verwirklicht.
Ernest Mandel (1982) |
Ernest Mandel war einer der wenigen marxistischen Theoretiker, der über die „langen Wellen“ des Kapitalismus gearbeitet hatte, die langen Perioden mit einer allgemeinen expansiven oder depressiven Tendenz, die jeweils mehrere Zyklen von kürzerer Dauer enthielten. Aber während die zyklischen Überproduktionskrisen den Keim der wirtschaftlichen Erholung in sich tragen, enthalten nach Mandel lange Perioden mit depressiver Tendenz nicht die notwendigen Elemente für eine Rückkehr zu einer Periode mit expansivem Charakter. Dies erfordert exogene Faktoren, die in der Regel politischer Natur sind. Die säkulare Niederlage der Arbeiterklasse vor und mit dem Zweiten Weltkrieg und die katastrophalen Zerstörungen, die er verursachte, führten beispielsweise zu einem spektakulären Anstieg der Mehrwertrate auf Kosten der Lohnabhängigen und legten damit den Grundstein für die lange expansive Nachkriegszeit.
In gewissem Sinne sprach Ernest Mandel in Anlehnung an Marx auch vom „Zusammenbruch“ der kapitalistischen Produktionsweise. Das soll nicht heißen, dass er an einen rein wirtschaftlichen Mechanismus glaubte, der einen solchen Zusammenbruch zur Folge hat. Wenn die Lohnabhängigen und Unterdrückten am Ende alle – wirklich alle – unmenschliche Behandlung akzeptieren würden, könnte der Kapitalismus theoretisch damit durchkommen, aber um den Preis, in die globale Barbarei zu fallen und seine Ausbeutungsobjekte auf den Zustand der Sklaverei herabzudrücken. Statt eines rein wirtschaftlichen Zusammenbruchs vertrat Mandel die Idee einer globalen, vielgestaltigen Krise, die die Krise des politischen und ideologischen Herrschaftssystems der Kapitalistenklasse einschließt. Eine strukturelle Krise mit unbestimmtem Ausgang: Sozialismus oder das Ende der menschlichen Zivilisation.
Für Ernest Mandel, der sich auf die Schriften von Marx und noch mehr auf die Debatten der revolutionären Periode der russischen Bolschewiki und der jungen Kommunistischen Internationale stützte, war der Sozialismus eine klassenlose Gesellschaft und daher ohne Staat, ohne einen sich über die Gesellschaft erhebenden bewaffneten Zwangsapparat. In einer solchen Gesellschaft, die als die erste Phase des Kommunismus gedacht war, wäre die Herrschaft des Menschen über den Menschen der gemeinsamen Verwaltung der Dinge, der materiellen Güter der Gesellschaft, durch die frei assoziierten Produzent*innen gewichen. Güter und Geld wären nicht länger eine quasi-natürliche Kraft, die den Menschen unterwirft, die Marktwirtschaft würde langsam absterben und mehr und mehr einer gemeinschaftlichen Verteilung nach den Bedürfnissen weichen. Der Kommunismus schließlich wäre, wie Marx sagte, eine Gesellschaft, in der die Freiheit eines jeden Menschen die Bedingung für die Freiheit aller wäre – und gleichzeitig absolut nicht das „Ende der Geschichte“, sondern vielmehr der wahre Anfang der Geschichte der Menschheit, frei von allem Grauen einer Vergangenheit, die von Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt geprägt war.
Um den Sozialismus zu erreichen, muss für Mandel die Arbeiter*innenklasse, indem sie alle unterdrückten Schichten mit sich reißt, die Macht in ihre eigenen Hände nehmen und sich die vom Kapitalismus auf globaler Ebene entwickelten Produktivkräfte aneignen, um sie im eigenen Interesse zu verwalten und umzuwandeln. Das politische System, das dazu in der Lage wäre, wäre eine sozialistische Demokratie, die einzige Form wirklicher Herrschaft der Arbeiter*innenklasse (Marx und Engels identifizierten die „Diktatur des Proletariats“ mit der Pariser Kommune von 1871). Sie wäre zugleich in der Lage, den Widerstand der besitzenden Klassen gegen ihre Enteignung wirksam zu bekämpfen und eine demokratische Planung einzuführen. Es wäre immer noch ein Staat, aber ein Staat, der von Anfang an den Keim des eigenen Absterbens in sich trägt und damit die Entwicklung einer klassenlosen, im vollen Sinne des Wortes „sozialistischen“ Gesellschaft vorbereitet.
Natürlich ist das, was Revolutionäre und Revolutionärinnen über die „Gesellschaft des Übergangs (zum Sozialismus)“ sagen, die unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Arbeiter*innenklasse zu existieren beginnt, für normale Menschen von größerem Interesse als die Utopie der erhofften Situation, die sich nach einer unbekannten Anzahl von Jahrzehnten ergeben würde. Und in diesem Punkt war Ernest Mandel sehr deutlich: Diese Gesellschaft des Übergangs zum Sozialismus wird von Anfang an das Los der Lohnabhängigen und der breiten Massen deutlich verbessern müssen. Sie werden nicht nur größere demokratische Freiheiten genießen als in jeder anderen bürgerlich-parlamentari schen demokratischen Republik, sondern sie werden auch eine solide materielle Basis haben, um ihre demokratischen Rechte auszuüben, sich an Selbstverwaltungsorganen und politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Dazu gehörte für Mandel neben einem nennenswerten Lebensstandard für alle auch eine umfassende radikale Arbeitszeitverkürzung. In einer solchen Übergangsgesellschaft gäbe es eine Pluralität der Parteien und damit der politischen Optionen sowie unabhängige Massenorganisationen und Verbände, angefangen bei den Gewerkschaften.
Sucht man nach einer Schwachstelle in Mandels Argumentation, stößt man schnell auf das Problem der „materiellen Grundlagen“, die notwendig sind, um einen solchen emanzipatorischen Fortschritt zu erreichen. Wenn man das Kapitel liest, das sich in der Marxistischen Wirtschaftstheorie von Anfang der 1960er Jahre mit diesem Problem befasst, fällt einem auf, dass der Mandel von damals bei weitem nicht so umweltbewusst war wie etwa der Mandel der ersten Hälfte der 1990er Jahre (ganz zu schweigen von der Vierten Internationale heute). Zu den Quellen der sozialistischen Akkumulation, die Mandel Anfang der 1960er Jahre erwähnte, gehören die Kernkraft und die Entwicklung der intensiven Landwirtschaft mit chemischen Düngemitteln. All diese Berechnungen müssen also neu durchgeführt werden.
Dabei ist zu bedenken, dass die befreiende Idee Mandels stark mit einem relativen Überfluss an Konsummitteln verbunden ist (ohne die eine Verteilung in nicht-marktförmiger Form nur mit einem Rationierungsregime denkbar ist), und dies nicht nur zur Befriedigung von Grundbedürfnissen und bei gleichzeitiger radikaler Verkürzung der Arbeitszeit. Wenn zur Rettung des Klimas und der Erde ein Großteil der Produktion eingestellt werden muss, wenn die Energieproduktion erheblich reduziert werden muss, wenn die Agrarproduktion ohne Monokulturen funktionieren muss, wird die Arbeitsproduktivität nicht dramatisch gesteigert werden können … Aber ohne eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit und ohne materiellen Wohlstand für alle wird die sozialistische Demokratie nicht funktionieren. All dies muss also neu überdacht werden.
Die demokratische Selbstorganisation der Lohnabhängigen innerhalb des kapitalistischen Systems wird durch den kollektiven Kampf gegen das Kapital und seinen Staat entwickelt. Mandel lädt uns ein, uns einen Kampf vorzustellen, der sich ausweitet und verallgemeinert (wie aus seiner Erfahrung in Wallonien 1960/61) und zu einem aufständischen Generalstreik wird. Die Notwendigkeiten des Kampfs selbst führen, wenn er konsequent betrieben wird, zur Ausdehnung der Bewegung und zur Vervielfachung der Aufgaben, die sie sich selbst stellt, einschließlich derjenigen, die mit der öffentlichen Sicherheit zusammenhängen. Die demokratisch gewählten Organe der Streikenden beginnen, den Organen des bürgerlichen Staates Legitimität und Herrschaft streitig zu machen. So können sich einfache Streikkomitees zu Räten, „Sowjets“, Organen eines alternativen Staates von unten entwickeln, was zunächst auf eine Situation von Doppelmacht hinausläuft, die nach einer gewissen Zeit entweder im Sinne der Wiederherstellung der vollen Autorität des bürgerlichen Staats oder zugunsten der Eroberung der Macht durch die demokratisch zentralisierten Räte aufgelöst werden muss.
Politisch gesehen ist die Arbeiter*innenklasse nicht homogen. In normalen Zeiten stellen Revolutionäre nur eine Minderheit dar. Im Rahmen einer im Klassenkampf entwickelten breiten solidarischen Selbsttätigkeit sind die Zeiten nicht normal. Die arbeitenden Massen lernen nicht viel in Passivität und Atomisierung, aber viel und schnell, sobald sie Räume für selbstbestimmtes kollektives Handeln schaffen. Die revolutionäre Strömung muss im Rahmen einer solchen breiten Bewegung versuchen, immer mehr Unterstützung für ihre allgemeinen Ideen und praktischen Vorschläge zu gewinnen, um am Ende selbst eine Mehrheit in den Räten zu erlangen.
Um dies zu erreichen, müssen Revolutionäre versuchen, ein ganzes Arsenal an strategischen Konzepten anzuwenden, die von der kommunistischen Bewegung der frühen 1920er Jahre ausgearbeitet wurden, unter der Herrschaft des Stalinismus verloren gingen und von der Vierten Internationale bewahrt und immer wieder aktualisiert wurden. Die Einheitsfrontpolitik: gemeinsames Handeln mit reformistischen Parteien und Organisationen für konkrete Forderungen und Ziele. Übergangsforderungen: Sie gehen von dem Bewusstsein und den Problemen aus, die von der Masse der Arbeiter*innen empfunden werden, um solidarische Lösungen vorzuschlagen (wie die Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohneinbußen, mit proportionaler Einstellung und der Kontrolle der Arbeiter*innen über die Arbeitsbedingungen, wie das Verbot von Entlassungen usw.), die in der Praxis nicht mit dem kapitalistischen System vereinbar sind. Der Aufbau einer revolutionären Partei: Dies würde die breite soziale und Arbeiter*innen-Vorhut politisch organisieren, all jene, die ständig kämpfen, nicht nur in Zeiten breiter Massenbewegungen. Die Organisation von Erinnerung und Reflexion auf nationaler und internationaler Ebene, damit die Erfahrungen einer Zeit des Bewegungsaufschwungs in Zeiten des Zurückflutens nicht verloren gehen und zur Orientierung der erneut entflammenden Massenbewegung genutzt werden können.
Die sozialistische Strategie von Ernest Mandel war organisch internationalistisch: Er plädierte für eine Bewertung der sozialen und politischen Situation ausgehend von der Weltebene, ihrer Märkte, ihrer Zwangsmittel, der eklatanten Ungleichheiten, die der Kapitalismus schafft, aber auch der Widerstandsmöglichkeiten der verschiedenen Bewegungen mit emanzipatorischem Charakter auf internationaler Ebene. Für die armen und abhängigen Länder verteidigte er die Strategie der permanenten Revolution, für die die Aufgaben der demokratischen Revolution, der nationalen Selbstbestimmung und der radikalen Agrarreform nicht von bürgerlichen Kräften erfüllt werden können und deshalb die Machtübernahme durch die Arbeiter*innenklasse erfordern, die mit der Masse der enteigneten und unterdrückten Schichten verbündet ist, um so Teil des Prozesses der sozialistischen Weltrevolution zu werden.
Die innerhalb des Kapitalismus geschaffenen Massenorganisationen der Arbeiter*innen (Verbände, Gewerkschaften, Parteien) kommen nicht ohne hauptamtliches Personal aus. Es werden Organisator*innen, professionelle Journalist*innen, Politiker*innen usw. benötigt, um solche Organisationen zum Funktionieren zu bringen und sie in den Parlamenten zu vertreten. Ernest Mandel war sich dessen wohl bewusst. Aber er wies auf den Preis hin, der dafür zu zahlen sei: die Entstehung einer privilegierten bürokratischen Schicht innerhalb der Arbeiterorganisationen, die ihre eigenen Interessen entwickelt und zunehmend konservativ wird. Sie bindet sich an die wohlhabenderen Schichten der Lohnarbeiterbewegung, hasst Revolution „wie die Sünde“ (Friedrich Ebert), kanalisiert und sabotiert Bewegungen, die den „normalen“ Gang der kapitalistischen Herrschaft über die Gesellschaft in Frage stellen könnten.
Lieferbare deutschsprachige Bücher von Ernest MandelMandel, Ernest: Einführung in den Marxismus, aus dem Französischen übersetzt von Willy Boepple, 20.–22. Tausend (8. Aufl.), mit einem Nachwort von Jakob Moneta, Köln: Neuer ISP Verlag, 2008, (isp-pocket, Bd. 4). – 238 S. Mandel, Ernest: Karl Marx – Die Aktualität seines Werkes, aus dem Englischen und Französischen übersetzt von Willy Boepple u. Rudolf Segall, 2. Ausg., Köln u. Karlsruhe: Neuer ISP Verlag, 2018. – 191 S. * Mandel, Ernest: Die langen Wellen im Kapitalismus. Eine marxistische Erklärung, aus dem Englischen übersetzt von Angelika Meixner, 2. Aufl., Frankfurt a. M.: isp, 1987. – 130 S. Mandel, Ernest: Macht und Geld. Eine marxistische Theorie der Bürokratie, aus dem Englischen übersetzt von Björn Krüger, Köln: Neuer ISP Verlag, 2000. – 318 S. Mandel, Ernest: Marxistische Wirtschaftstheorie, mit einer Einleitung von Manuel Kellner, [3. deutschsprachige Ausg.], Köln: Neuer ISP Verlag, 2007, (Schriften, [Bd.] 1). – [8], XI, 805 S. Mandel, Ernest: Oktober 1917. Staatsstreich oder soziale Revolution. Zur Verteidigung der Oktoberrevolution, mit einer Einleitung von François Vercammen, aus dem Französischen übersetzt von Johnny Granzow unter Mitarbeit von Rudolf Segall, Köln: Neuer ISP Verlag, 1992. – 167 S. Mandel, Ernest: Trotzki als Alternative, Berlin: Dietz Verlag, 1992. – 252 S. * Mandel, Ernest: Der Zweite Weltkrieg, aus dem Englischen übersetzt von Ursula Hainz u. Alexander Schertz, Frankfurt am Main: ISP-Verlag, 1991. – 245 S. Über das Werk von Ernest MandelAchcar, Gilbert (Hrsg.), Gerechtigkeit und Solidarität. Ernest Mandels Beitrag zum Marxismus, Köln: Neuer ISP Verlag, 2003. – 287 S. Kellner, Manuel: Gegen Kapitalismus und Bürokratie – zur sozialistischen Strategie bei Ernest Mandel, Köln: Neuer ISP Verlag, 2009, (Wissenschaft & Forschung, Bd. 22). – 464 S. Stutje, Jan Willem: Rebell zwischen Traum und Tat. Ernest Mandel (1923–1995), mit einem Vorwort von Tariq Ali, aus dem Niederländischen übersetzt, von Klaus Mellenthin, Hamburg: VSA-Verlag, 2009. – 469, [1] S. Ausgewählte Bibliographien der Veröffentlichungen von Ernest Mandel[Jünke, Christoph / Dubois, Wilfried]: „Bibliographie deutschsprachiger Schriften von Ernest Mandel“, in: Gilbert Achcar (Hrsg.), Gerechtigkeit und Solidarität. Ernest Mandels Beitrag zum Marxismus, Köln: Neuer ISP Verlag, 2003, S. 271–285. Lubitz, Wolfgang / Lubitz, Petra: „Ernest Mandel (1923-1995): A Bibliographical Tribute“, in: Journal of Trotsky Studies, Glasgow, Nr. 4, 1996, S. 67–124. Fundgrube für eine vertiefte Beschäftigung mit Ernest Mandels Leben und Werk: https://trotskyana.net/Trotskyists/Ernest_Mandel/ernest_mandel.html. * Diese Titel können nur direkt beim Verlag bestellt werden. wd, 2. August 2020 Videos bei YouTubeDie reine Flamme der Revolution - Ernest Mandel und die 4. Internationale (NDR-Dokumentation von ca. 1973) Ernest Mandel in der Talkshow 3 nach 9 (1988 mit Dagobert Lindlau) Ernest Mandel: A Life for the Revolution (englischsprachige Dokumentation von Chris Den Hond, 90 Minuten, 2005 – mit vielen Interviews in deutscher Sprache) Man sollte bei bei den ersten beiden Filmen das Seitenverhältnis auf "4:3" zurückstellen (im VLC-MediaPlayer unter "Video > Seitenverhältnis", und auch auf modernen TV-Geräten gibt es dafür einen Menüpunkt). Zum Herunterladen empfehlen wir das Programm 3D Youtube Downloader |
Gegen diese Bürokratien schlug Mandel den Aufbau linker klassenkämpferischer Strömungen vor, insbesondere innerhalb der Gewerkschaften, die eine strategische und personelle Alternative zu den reformistisch-konservativen Orientierungen der bürokratischen Führung bieten. Es war ihm klar, dass linke Alternativen nur im Rahmen breiter, kämpferischer Massenbewegungen die Oberhand gewinnen können. Die erste Aufgabe der Revolutionär*innen besteht daher darin, alles Mögliche zu tun, um jeden Impuls der kollektiven Selbsttätigkeit der Arbeiter*innen und Unterdrückten zu fördern, zu ermutigen und zu unterstützen. Für Mandel waren die Arbeitermassenorganisationen im Kapitalismus ein zweischneidiges Instrument: Sie waren unentbehrlich, um der Macht der Bosse, ihrer Verbände und ihrer Parteien entgegenzutreten, und gleichzeitig waren sie dazu da, die Kämpfe für Reallöhne, für bessere Arbeitsbedingungen, für besseren sozialen Schutz in den Rahmen des Kapitalismus zu kanalisieren und deshalb oft auf mehr als nur symbolische Kämpfe zu verzichten. Um sie zu wirksamen Instrumenten für die unmittelbaren Interessen der Arbeiter*innen zu machen, ist es notwendig, ihren Bruch mit der Politik der Klassenzusammenarbeit und der Sozialpartnerschaft zu organisieren.
Während die den bürgerlich-parlamentarischen Staaten mehr oder weniger angepassten Bürokratien der Gewerkschaften und Arbeiter*innenparteien im Allgemeinen ein mehr oder weniger autoritäres, undemokratisches Regime unterhalten, das oft Basisinitiativen erstickt und linke Oppositionen heftig bekämpft, waren die bürokratischen Regime der Staatsparteien in den Ländern des sogenannten „Realsozialismus“ regelrechte Unterdrückungsmaschinen. Die Bürokratisierung der UdSSR hatte die Stalinfraktion an die Macht gebracht, die die geeignete Vertreter dieser privilegierten bürokratischen Schicht war, die zur Verteidigung ihrer materiellen Interessen vor allem mit der revolutionären Vergangenheit des Bolschewismus und mit der Bindung an die Weltrevolution brechen wollte. Daher das Konzept des „Sozialismus in einem Land“; eine staatliche Machtpolitik trat an die Stelle der permanenten Revolution und des konsequenten Internationalismus der jungen Kommunistischen Internationale.
Die marxistisch-revolutionäre Kritik an diesen Regimen ist nicht die gleiche wie die Kritik bürgerlicher Ideolog*innen. Natürlich ist es notwendig, die schrecklichen Verbrechen Stalins und seiner Clique anzuprangern, aber gleichzeitig ist es notwendig, den eindeutig konservativen Charakter des „offiziellen“ Kommunismus seit der Herrschaft Stalins zu verstehen.
Um diese Staaten zu charakterisieren, stützte sich Mandel hauptsächlich auf Trotzkis Analysen, bereicherte sie aber auch, indem er neue Entwicklungen analysierte. Der Begriff „bürokratisch degenerierter Arbeiterstaat“ irritiert. Schon Trotzki mochte ihn nicht besonders gerne und benutzte ihn in Ermangelung eines besseren Begriffs. In der Tat, was bedeutet ein Arbeiterstaat (selbst ein stark bürokratisierter), in dem die Arbeiter*innenklasse nicht die Macht ausübt, und in dem ihr sogar elementare demokratische Rechte vorenthalten werden?
Ernest Mandel argumentierte in Anlehnung an Trotzki vor allem damit, dass einige der Errungenschaften der Revolution vom Oktober 1917 erhalten geblieben waren: Es waren weder die Produktionsmittel noch die Arbeitskräfte Waren; Wertgesetz und Markt beherrschten nicht die geplante Wirtschaft; der Staat hatte nach wie vor ein Außenhandelsmonopol. Dies waren nichtkapitalistische Gesellschaften im Übergang zum Sozialismus, obwohl sie bürokratisch verknöchert waren. Die Aufgabe bestand daher darin, die Verteidigung der nichtkapitalistischen Elemente gegen jeden Versuch, den Kapitalismus von innen oder außen wiederherzustellen, mit dem revolutionären Sturz der Bürokratie zu verbinden und erneut eine sozialistische Rätedemokratie zu errichten.
Der Prozess des Zerbrechens des stalinistischen Monolithismus, die Krise des Stalinismus und dann des Poststalinismus waren für Mandel und die Vierte Internationale ermutigend, aber auch voller theoretischer und programmatischer Herausforderungen. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der verbündeten oder ähnlichen Regime in Europa begrüßte Mandel nachdrücklich die Tatsache, dass der stalinistische „bleierne Deckel“ aufgesprengt war, und sah bereits den Beginn eines revolutionären Prozesses in Richtung der erhofften politischen Revolution und eine Rückkehr des Strebens nach echter sozialistischer Demokratie auf Massenebene. Es gab Anzeichen in diese Richtung, aber Mandels Hoffnungen wurden durch die Realität des kapitalistischen Restaurationsprozesses und den triumphalen Sieg des kapitalistischen „Westens“ im „Kalten Krieg“, der offensichtlich eine große Niederlage für die Arbeiter*innenklasse auf planetarischer Ebene war, zunichte gemacht.
In Macht und Geld, seinem großen Buch über die Bürokratie, schrieb Ernest Mandel selbstkritisch, dass der „revolutionäre Marxismus“ (und damit auch er selbst) die verheerenden Auswirkungen der Jahrzehnte stalinistischer und poststalinistischer Herrschaft auf das Bewusstsein der Arbeiter*innen unterschätzt habe. Andererseits hatte er aber auch das Widerstandspotenzial gegen die Restauration des Kapitalismus innerhalb der herrschenden Bürokratie selbst überschätzt. Dies sind wichtige Elemente, aber sie reichen nicht aus, um diese Debatte zu beenden.
Darüber hinaus ist das wirklich originelle Kapitel über „Substitutionismus“ (Stellvertreterideologie und -praxis) in diesem Buch von besonderem Interesse für Revolutionär*innen. Denn während die substitutionistische Ideologie charakteristisch für die Führung der großen bürokratischen Apparate ist – die ihre ständige Neigung, im Namen und an der Stelle der Lohnempfänger zu handeln, rechtfertigen wollen ‒, erliegen Revolutionäre unter bestimmten Umständen auch der Versuchung des Substitutionismus. Ernest Mandel gibt überzeugende Beispiele nicht nur für Lenin und Trotzki, sondern zum Beispiel auch für Luxemburg und Gramsci! Und er zeigt, dass in diesem Fall der Grad der autonomen Aktivität der Arbeiter*innenklasse und der Unterdrückten der entscheidende Faktor ist. Wenn dieser Grad sehr niedrig ist, herrscht oft Substitutionismus jeglicher Art vor (parlamentarisch, caudillistisch, terroristisch, propagandistisch usf.).
Und Ernest Mandel zieht noch einmal die Schlussfolgerung, dass die Hauptaufgabe der Revolutionär*innen darin besteht, alles Mögliche zu tun, um die selbstbestimmte Eigenaktivität der Arbeiter*innenklasse und der unterdrückten Massen im Allgemeinen zu ermutigen und zu fördern.
Der theoretische Beitrag von Ernest Mandel ist zu reichhaltig, als dass ich ihn mit wenigen Zeilen kritisch untersuchen könnte. Ich muss mich darauf beschränken, drei Fragen aufzuwerfen, und lade dazu ein, mein Buch zu lesen. Eine Frage, die dem revolutionären Marxismus am Herzen liegt, ist, ob die Realität der sozialistischen Weltrevolution auch im 21. Jahrhundert noch aktuell ist und ob die Arbeiter*innenklasse nicht ihr Potential verloren hätte, einen solchen revolutionären Prozess anzuführen. Trotzki hatte bereits Zweifel daran geäußert und beispielsweise erklärt, dass, wenn sich die sowjetische Arbeiter*innenklasse als unfähig erweisen sollte, die Macht der Bürokratie zu stürzen, um ihre eigene Klassenmacht wiederherzustellen, das Übergangsprogramm seine Bedeutung verlieren würde und durch ein neues Minimalprogramm zur Verteidigung der elementaren Interessen der versklavten Massen ersetzt werden müsste. Wie sieht es heute aus? Es ist nicht bewiesen, dass der Wiederaufbau einer emanzipatorischen und revolutionären Arbeiter*innenbewegung weiterhin möglich ist. Die neuen Impulse, beginnend mit dem Aufstieg der PT in Brasilien Anfang der 1980er Jahre, sind regelmäßig zerschellt oder in der Anpassung erstickt.
Eine weitere zu diskutierende Frage betrifft Ernest Mandels Marxismus, der ein „offener“ Marxismus gewesen war und sich gleichzeitig bestimmten Orthodoxien („marxistisch“, „leninistisch“, „trotzkistisch“) verpflichtet fühlte, sowie ein starkes Streben nach einer allumfassenden Kohärenz enthielt. Ich deute das als Ausdruck des Bedürfnisses, den Zusammenhalt der eigenen Organisation zu sichern und zu stärken, die sich weder auf ein „sozialistisches Heimatland“ noch auf breite Massen stützen konnte. Mandels Marxismus, seine „Weltanschauung“, basiert übrigens recht stark auf den Popularisierungsschriften von Engels und Plechanow, die die Lehre vom „Marxismus“ mehr oder weniger erfunden haben. Das ist der prometheische Marxismus der klassischen Arbeiter*innenbewegung, verbunden mit einem starken Glauben an den wissenschaftlichen, technologischen und sozialen Fortschritt und an das kreative Potential der Arbeiter*innenklasse, die fähig ist, die schwierigsten Probleme zu lösen.
Ernest Mandel mochte es nicht, wenn man von ihm sagte, er sei oft „zu optimistisch“. Er hatte ein starkes prognostisches Selbstvertrauen gewonnen, indem er wichtige Entwicklungen in den 1960er und 1970er Jahren richtig voraussagte – nicht alle, aber doch einige. Er war immer auf der Suche nach der Entwicklung von Bewegungen mit emanzipatorischem Potenzial überall auf der Welt. Er suchte danach wie nach Trüffeln. Er präsentierte sie als Beute. Manchmal überschätzte er die Potenziale, manchmal unterschätzte er die Schwierigkeiten.
Bereits im Alter von 23 Jahren lobte er Abraham Léon als Vorbild, der seine Genoss*innen drängte, „hinter jedem Grund zur Verzweiflung einen Grund zur Hoffnung zu sehen“. Wie kann man in der Mitternacht des 20. Jahrhunderts ohne eine so bewundernswerte moralische Kraft den revolutionären Kampf gegen Nazismus und Krieg führen und gleichzeitig die humanistische Haltung beibehalten? An dieser Stelle ist es üblich, einen bestimmten Ausspruch von Antonio Gramsci über Optimismus und Pessimismus zu zitieren.
Zur Abwechslung möchte ich mit einem Zitat von Robert Merle schließen, der über seinen männlichen Helden, den Delphinologen Sevilla, sagt: „Er war nicht so naiv zu denken, daß eine Sache siegen müsse, weil sie gerecht ist, aber er konnte sich nicht den Luxus leisten, pessimistisch zu sein“. [4]
Aus dem Französischen übersetzt von Wilfried Dubois |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 5/2020 (September/Oktober 2020). | Startseite | Impressum | Datenschutz